Musikvermittlung – Ein Überblick über Ziele, Angebotsformate, Strukturen und statistische Erhebungen
Abstract
Musikvermittlung ist auch heute noch einer der meist verwendeten Begriffe insbesondere im kulturpolitischen Musikleben. Der andauernde Hype um ihn gründet sowohl in der Ambivalenz seiner Definition als auch im Wandel des gesellschaftlichen Umgangs mit Kultur und ihren Erscheinungsformen.
Dieser Beitrag sieht die Motivation von Musikvermittlung nicht mehr vornehmlich darin, dem Publikumsschwund und der Überalterung bei klassischen Konzerten auf der einen, und dem Verschwinden des Musikunterrichts aus den Curricula der allgemein bildenden Schulen auf der anderen Seite, entgegen zu wirken. Er sieht die Motivation darin Projekte, Formen und Formate zu entwickeln, um eine neugierige Offenheit für klassische Musik in der Gesellschaft zu generieren und sie im Kontext von gesellschaftlichen Entwicklungen als Katalysator zu etablieren. Dabei beleuchtet er Motivation, Praxis und Notwendigkeit der vermittelnden Tätigkeit von Musik und gibt Einblicke in die Vielfalt der Formen und Angebote. Er beobachtet die Szene der Wettbewerbe und verweist auf die vorhandene und sich fortentwickelnde Infrastruktur. Mit Blick auf statistische Erhebungen und sich herauskristallisierende Qualitätskriterien kommt er zu dem Ergebnis, dass die Vermittlungsarbeit im Bereich Musik ein hohes Potenzial für den Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen hat.
Eine Tätigkeit im Wandel unter einem erneuerungsbedürftigen Begriff
Die Initiative Konzerte für Kinder der Jeunesses Musicales Deutschland ist inzwischen „erwachsen“ geworden, das netzwerk junge ohren hat das Grundschulalter hinter sich gelassen, regionale Arbeitskreise, die MusikvermittlerInnen aus Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Österreich und Luxemburg ein Forum des Austausches und der Begegnung zum Thema Musikvermittlung bieten, etablieren sich seit fünf Jahren unter dem Motto Zuhören. Verstehen. Vernetzen.
Musikvermittlung ist auch heute noch einer der meist verwendeten Begriffe insbesondere im kulturpolitischen Musikleben. Der andauernde Hype um ihn gründet sowohl in der Ambivalenz seiner Definition als auch im Wandel des gesellschaftlichen Umgangs mit Kultur und ihren Erscheinungsformen. Doch lässt sich beobachten, dass die Motivation von Musikvermittlung nicht mehr vornehmlich dazu dienen soll, dem Publikumsschwund und der Überalterung bei klassischen Konzerten auf der einen, und dem Verschwinden des Musikunterrichts aus den Curricula der allgemein bildenden Schulen auf der anderen Seite, entgegen zu wirken. Vielmehr rufen derzeit Kulturinstitutionen im Bereich der Kulturellen Bildung Musikvermittlung auf den Plan, Projekte, Formen und Formate zu entwickeln, um eine neugierige Offenheit für klassische Musik in der Gesellschaft zu generieren und sie im Kontext von gesellschaftlichen Entwicklungen als Katalysator zu etablieren.
Um diesen Perspektivwechsel wertschätzen zu können, ist der Blick auf die Entstehungsgeschichte dieses Bereichs hilfreich: Als Fachbezeichnung wurde der Begriff Musikvermittlung erstmals im Jahr 1998 für den konzertpädagogischen Studiengang an der Hochschule für Musik Detmold eingeführt. Mit der Bezeichnung sollte seinerzeit der Unterschied zu den unterrichtsbezogenen musikpädagogischen Studiengängen – Diplom-Musikerziehung und Schulmusik – erkennbar werden. Ab dem Jahr 2000 wurde der Begriff dann erweitert und keineswegs nur auf konzert- und theaterpädagogische Tätigkeitsfelder angewendet, sondern zunehmend auf die Bereiche Schulmusik, Musikerziehung, Elementare Musikpädagogik oder Musikjournalismus ausgedehnt.
„Quo vadis, Musikvermittlung?“ ließ sich daher für das 21. Jahrhundert, am Beginn der zweiten Dekade und mit einigem Abstand zu seinen Anfängen, fragen. Denn was lehrt die Musik selbst? Als Zeitkunst ist sie essenziell dauernden Veränderungen ausgesetzt und befindet sich in stetiger Entwicklung. Zugleich bietet sie einen reichhaltigen Schatz an Traditionen. Stetigkeit und Wandel, wie die Musik sie verkörpert, bieten Spielfelder für eine Gesellschaft im Übergang. Das Anknüpfen an Traditionen sowie die Öffnung für Innovationen machen auch ihre Vermittlung und Transformationspotenziale insofern zu einem Möglichkeitsraum, in dem etwas Neues entstehen kann – nicht nur für Kinder und Jugendliche oder Erwachsene, sondern für die Gesellschaft selbst und insbesondere die Musikkultur in Deutschland.
Motivation
Was bewegt uns an Musik? Wohin geht der Weg mit ihr? Welche Formen finden wir, um Neugier auf Musik und (neue) Hörerfahrungen zu wecken, und zwar bei Menschen jeden Alters und unterschiedlicher Herkunft, Sozialisation und Bildung? Auf welche Weise kann das öffentliche Bewusstsein für Musik als Kulturgut und Erlebnisraum wach gehalten werden? Wie ist das Verhältnis von temporärer Inszenierung und nachhaltiger Berührung? Genau diese Fragen motivieren im Bereich der Musikvermittlung die Kreativität, Neues entstehen zu lassen. Neues, das nicht dort entsteht, wo Verständnis und Kommunikation reibungslos funktionieren und vorgegebene kulturelle Muster die Orientierung erleichtern. Neues entsteht, wo Dinge nicht unmittelbar verstanden und Ordnungsmuster irritiert werden. Musik und ihre Vermittlung spielen in diesem Beziehungsgeflecht von Kulturmerkmalen eine spezifische Rolle. Musik entwickelt jenseits begrifflicher Strukturen einen eigenen Modus der Verständigung. Die musikspezifischen Möglichkeiten der Kommunikation sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch zwischen unterschiedlichen Kulturen stehen im Zentrum ihrer Vermittlung.
Musikvermittlung ist vor diesem Hintergrund die Entwicklung und Anwendung von Methoden, Spielformen und Techniken künstlerischer, reflexiver und kommunikativer Art, mit dem Ziel, Musik in unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte zu bringen. Dabei steht weniger die Förderung des aktiven Musizierens, als vielmehr die Schulung des Rezeptionsverhaltens im Vordergrund. Musikvermittlung entwickelt differenzierte Formate, um Musik einem heterogenen Publikum zu erschließen und Verständnisbrücken zu bauen. So verstanden grenzt sich die Musikvermittlung in ihrem Anliegen ab von der Instrumental- und Musikpädagogik, soweit diese sich auf die Bereiche Schule und Musikschule bezieht, und entwickelt sich in der Anbindung an den Konzert- oder Musiktheaterbetrieb als eigenständige Profession. Die konzert- und musiktheaterbezogene Musikvermittlung bewegt sich in einem Spannungsfeld von Marketing und Kultureller Bildung und reagiert darin auf den veränderten Umgang mit (klassischer) Musik in der Gesellschaft.
Musikvermittlung will Beziehungen zur Musik und zwischen Menschen durch Musik stiften und die unmittelbare Erfahrung von Musik anbahnen. Sie ist inzwischen ein fester Bestandteil des deutschen Musiklebens. Inszenierte Konzerte für Kinder, Workshop-Reihen mit Musikern oder Patenschaften mit Bildungseinrichtungen etablieren sich im Konzert- und Opernbetrieb ebenso wie in der Arbeit freier Ensembles und Festivals. Sie formulieren einen neuen Anspruch seitens der Kulturinstitutionen, Verantwortung für die musikalische Bildung nicht nur von Kindern und Jugendlichen, sondern auch für eine erwachsene Zuhörerschaft zu über- nehmen.
Praxis und Notwendigkeit
Musikvermittlung steht für den Gedanken, dass Musik für das gesellschaftliche Zusammenleben von elementarer Bedeutung ist. Übertragen in die Praxis führt dies zu einer Bewegung der Erneuerung: innovative Hörangebote sollen neue Zielgruppen in den Konzertsaal, in die Oper und ins Musikleben holen, Kinder und Jugendliche frühzeitig für die klassische Musik begeistert werden. Orchester, Konzerthäuser, Musiktheater, Festivals, aber auch freie Musiker und Komponisten sind gefordert, ihr Aufgabenspektrum zu erweitern und sich einerseits aktiv ihrem Publikum zuzuwenden, aber auch noch darüber hinaus zu gehen und an möglichen, kreativ zu nutzenden Stellen auf ein anderes Publikum zuzugehen. Das ist weit mehr, als man gemeinhin unter ihrer klassischen Kernaufgabe versteht: auf der Bühne zu stehen oder auf Tourneen einem internationalen Publikum die Schätze westlicher Kunstmusik zu präsentieren.
Das Musikleben steht vor neuen Aufgaben, denn die Gesellschaft verändert sich. Die traditionellen Formen der Musikdarbietung verweisen auf Konventionen des bürgerlichen 19. Jahrhunderts – im 21. Jahrhundert steht der Musikbetrieb vor neuen Herausforderungen. In der Umsetzung betrifft dies besonders die Musiker, die sich möglicherweise zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn nicht vorgestellt haben, dass sie einmal in Schulen und Kindergärten Workshops geben oder verkleidet und szenisch inszeniert Familienkonzerte oder Kinderopern spielen. Auch die Zusammenarbeit mit behinderten Menschen und Senioren sowie Strafgefangenen ist für die meisten sicherlich nicht Teil dessen, was sie sich zum Studien- beginn vorgestellt haben. Dennoch sind viele Musiker im Zuge der Entwicklungen der letzten zehn Jahre zu aktiven Botschaftern geworden, die ihrem (traditionellen und neu gewonnenen) Publikum unterschiedlich gestaltete Brücken zur Musik bauen und sogar die Musik bis vor die Haustür tragen.
Aus neuen Aufgabenbereichen sind neue Professionen entstanden: Musikvermittler, Theater- und Konzertpädagogen, Musikkuratoren und Konzertdesigner sind Begleiter auf dem Weg der Kulturellen Bildung geworden und erfinden Möglichkeiten, in Aufführungen, Workshops , Festivals, Camps und Kulturreisen vielschichtige Bildungsprozesse in Gang zu setzen, geprägt durch ihre eigene Herkunft und offen für Impulse aus anderen Ländern und Regionen. Dabei sind sie vor allem aktive Netzwerker, die musikalische Profis, Institutionen und Gewerke mit Blick auf ein heterogenes und sich stetig änderndes Publikum in neuen schöpferischen Prozessen zusammenbringen.
Einblick in die Vielfalt von Formen und Angebote
Angebot und Nachfrage verschaffen Projekten der Musikvermittlung ihren Platz im aktuellen Kulturleben. Dabei geht es inzwischen keineswegs nur um Kinder und Jugendliche. Neue Hörangebote und Konzertformate sprechen ein altersübergreifendes Publikum an und schaffen es immer öfter, auch neue Zielgruppen an die (klassische) Musik heranzuführen. Dabei betreten beide Seiten Neuland. Das von der Bundeskulturstiftung bundesweit geförderte Projekt Netzwerk Neue Musik (2008-2011) ist hier als Katalysator insbesondere für die Vermittlungsansätze im Bereich der Neuen Musik zu erwähnen. Der Musikbetrieb öffnet nicht nur seine Türen, sondern bewegt sich selbst über die Schwelle der eigenen Mauern hinweg zu seinen Hörern. Und auch die Menschen verändern sich und ihre Gewohnheiten, wenn sie ihre Sinne umfänglich öffnen. Grund genug, diese „Win-Win-Situationen“ zum Prinzip zu erklären. Die meisten Orchester, Konzert- und Opernhäuser, Festivals und freien Ensembles halten inzwischen ein breites Portfolio für junges Publikum bereit, das im „Normalbetrieb“ realisierbar ist, zugleich aber die Routine durchbricht und neue Facetten eröffnet.
Ein allgemeiner Überblick:
Familienkonzerte sind ein musikalischer Treffpunkt der Generationen. Die Inhalte werden so konzipiert und präsentiert, dass alle auf ihre Kosten kommen. In speziellen Einführungen erfahren die Kinder Wissenswertes rund um die Werke und den Ablauf eines Konzerts. Häufig können währenddessen die Erwachsenen eine Konzerthälfte alleine genießen, und kleinere (Geschwister-) Kinder werden während des gesamten Konzerts von erfahrenen Pädagogen im Foyer betreut.
Demgegenüber sind Kinderkonzerte voll auf ihre Zielgruppe zugeschnitten. Sie gehören mittlerweile bei nahezu allen Orchestern zum ständigen Angebot. Abonnements sind häufig ausverkauft und werden vielerorts regelrecht vererbt. Über Peter und der Wolf und Karneval der Tiere sind dabei die meisten längst hinweg: Auf dem Programm stehen Werke vom Mittelalter bis hin zu Neuer Musik, vorgestellt durch einen Moderator, der aus sehr verschiedenen Perspektiven das Bühnengeschehen steuern und begleiten kann. Oftmals werden Kinder direkt in das Geschehen auf der Bühne mit einbezogen und Interaktionen mit dem Publikum eingebaut. Die Bandbreite zielgruppenspezifischer Angebote wird stetig erweitert und reicht von Konzerten für Schwangere und Babys über Formate für Kindergärten und Grundschulkinder bis hin zu Jugendlichen.
Bei weitem nicht alle Kinder und Jugendlichen werden über ihre Familien erreicht, die am Wochenende mit ihren Kindern ins Theater oder Konzert gehen. Angebote für Schulklassen bieten daher optimale Voraussetzungen, um möglichst viele anzusprechen. Orchester und Konzerthäuser beziehen Schulklassen sogar in moderierte Konzerte ein. Darüber hinaus geben Probenbesuche den Schülern Gelegenheit zum Blick hinter die Kulissen. Häufig begleiten zudem Lehrerseminare oder pädagogisches Unterrichtsmaterial die Vorbereitung der Aufführungen im Klassenzimmer. Darüber hinaus besuchen kleinere Ensembles oder einzelne Musiker die Schulklassen und zeigen ihre Instrumente oder geben einen Vorgeschmack auf das, was die Schüler auf der Bühne erwartet.
Ein echter Klassiker sind inzwischen die Instrumentenvorstellungen, die bei verschiedenen Gelegenheiten und in sehr unterschiedlichen Formen angeboten werden. Für die Kinder bietet sich hier die unkomplizierte Gelegenheit, Instrumente auszuprobieren und zu erfahren, wie es sich anfühlt, Töne hervorzubringen. Darüber hinaus erleben die Kinder Orchesterprofis hautnah, die viel von ihrem Instrument und ihrem Beruf zu erzählen wissen und die sie dann außerhalb des Klassenzimmers auf der Bühne bewundern können.
Berührungsängste sind für die wenigsten Orchester inzwischen noch ein Problem. Die junge Generation von Musikern wartet nicht mehr im Konzertsaal auf ihr Publikum. Sie bringt die Musik zu den Menschen und schafft musikalische Begegnungen außerhalb des traditionellen Rahmens. Konzerte an anderen Orten lassen nicht nur Schulaulen, Jugendzentren und Kindergärten erklingen, sondern auch Parks, Plätze und Kinos bis hin zu Altenheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen.
Dabei geht es nicht nur ums Zuhören, sondern häufig auch ums Mitmachen. Ziel der vielfältigen Workshop- und Projektangebote der Orchester und Opernhäuser ist es, Kindern und Jugendlichen, aber auch erwachsenen Laien einen aktiven und kreativen Zugang zur Musik zu ermöglichen. In Zusammenarbeit mit Orchestermusikern, Komponisten, Künstlern entsteht Neues, Eigenes, das in Kinderkonzerten, Schulvorstellungen oder Extra-Konzerten im Konzertsaal aufgeführt wird. Die Projektformate haben dabei unterschiedliche Dimensionen: Schulbesuche mit einstündigem Workshop zählen dazu ebenso wie großangelegte Langzeitprojekte, die nicht selten in spektakulären Aufführungen ihren Höhepunkt und Abschluss finden. Immer wieder schlägt diesen – oft medial viel beachteten – Leuchtfeuern Kritik entgegen: sie seien einzig auf Effekt angelegt, ihre Nachhaltigkeit und Wirksamkeit fraglich. Solche Einwände mögen auch ihre Berechtigung haben. Dennoch haben strahlkräftige „Events“ eine nicht zu verachtende Wirkung auf die Öffentlichkeit, die nur so davon erfährt, welche Leistungen die Musiklandschaft für und im Zusammenspiel mit ihrem Publikum erbringt und welche Begeisterung dabei entstehen kann. Und auch wenn bestimmte Projekte einmaligen Charakter haben, so kann genau diese eine Erfahrung die Liebe zur Musik wecken und noch lange nachklingen.
Ein Trend, der zu einer wachsenden Professionalisierung innerhalb der Musikvermittlung führt, ist die Kompositionspädagogik, die einen großen Teil an Workshop-Projekten beflügelt. Dahinter steckt die Idee, dass Kinder selbst schöpferisch tätig werden und ihre Fähigkeit zum musikalischen Gestalten entdecken. Die Bandbreite ist gewaltig und reicht von Projekten für absolute Laien bis hin zu Kursen, die auf Profi-Niveau stattfinden. Plattformen wie www.musik-erfinden.de bieten weitere Informationen und dokumentieren Projekte und Tagungsergebnisse.
Eine weitere Entwicklung bezieht die Strukturen, innerhalb derer Konzerte möglich werden, in die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit ein. Das erfolgreiche Schülermanager-Projekt des Beethovenfest Bonn ist ein Beispiel für diesen Ansatz. Wer selbst ein Konzert veranstaltet, ein Programmheft gestaltet oder selbst als Moderator auf der Bühne steht, erhält einen ganz besonderen Zugang zur Musik und den Musikern, der das Konzerterlebnis nachhaltig zu prägen vermag. Das PODIUM Festival Esslingen, 2009 gegründet aus einer studentischen Initiative, lebt von der Lust der Initiatoren und Mitstreiter, Musik aus ihrer Erfahrung heraus den bestmöglichen Entfaltungsspielraum zu geben und dabei verfestigte Aufführungsformate und die derzeitigeKonzertkultur zu hinterfragen – immer mit dem Ziel, dass die Musik mit ihrer ungebändigten Dynamik im Mittelpunkt steht. Dabei liegt den Initiatoren nicht nur das spartenübergreifende Experiment am Herzen, das internationale Nachwuchskünstler in eine Region holt, sondern auch das stabile Rückgrat und eine emotionale Verankerung in der Bürgerschaft, die mit ihrer 2013 eigens gegründeten PODIUM Musikstiftung eine nachhaltige Basis schafft.
In der Musikvermittlung stehen die feste und freie Szene des Musiklebens in einem lebendigen Austausch und Zusammenspiel. Kleinere Ensembles entwickeln tourneefähige Kinder- und Familienkonzertformate, die von Konzerthäusern und Festivals eingeladen werden. Einzelne Protagonisten werden als ModeratorInnen, WorkshopleiterInnen oder DramaturgInnen von Orchestern und Institutionen engagiert. An dieser Stelle ist der Musikbetrieb durchlässiger als an anderen Stellen, denn wo es um mehr geht als das Musizieren auf dem Konzertpodium, greifen Professionen ineinander, unterschiedliche Disziplinen, Gewerke und Kompetenzen spielen zusammen. So entsteht Reibung, aber auch Kreativität. Der junge ohren preis gibt seit 2006 jährlich Gelegenheit zu einer Bestandsaufnahme, die unterschiedlichste Entstehungsbedingungen und Organisationsformen von Projekten abbildet. Es zeigt sich eine bemerkenswerte Bandbreite und Vielfalt, in der auch künftig immer wieder neue Ansätze und Perspektiven zu erwarten sind. Aus- und Weiterbildungseinrichtungen reagieren darauf seit ein paar Jahren. Das Modellprogramm der Bundeskulturstiftung Kulturagenten, setzte 2011an der Stelle an: Neugier für die Künste zu wecken und mehr Kenntnisse über Kunst und Kultur zu vermitteln. KulturagentInnen initiierten gemeinsam mit SchülerInnen, LehrerInnen, der Schulleitung, Eltern, KünstlerInnen sowie Kulturinstitutionen ein breites Angebot der kulturellen Bildung: Sie setzten künstlerische Projekte um, erprobten neue Vermittlungsformate, stießen Reflexionsprozesse über die Möglichkeiten von Kunst und Kultur in Schulen an und bauten langfristige Kooperationen mit Kulturinstitutionen auf.
Infrastruktur
Dank unterschiedlicher Institutionen, Verbände und Initiativen hat das Thema Musikvermittlung seinen Platz in der Kulturellen Bildung gefunden. Öffentliche und private Einrichtungen kümmern sich verstärkt um das Thema, unter ihnen das netzwerk junge ohren, das Büro für Konzertpädagogik, die Deutsche Orchestervereinigung speziell mit ihren Projekten Abenteuer Klassik, Netzwerk Orchester und Schulen und tutti pro sowie der Deutsche Musikrat, die Jeunesses Musicales, der Verband deutscher Musikschulen und weitere. Die Hochschulen reagieren in der noch unterschiedlich forcierten Einrichtung von neuen Studienfächern bzw. -gängen.
Die Einrichtung von Musikvermittlung als Studienfach an der Musikhochschule Detmold 1998 war eine Reaktion auf die Legitimations- und Akzeptanzkrise des traditionellen Kulturlebens, auf welche die Museumspädagogik und Theaterpädagogik schon seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts reagiert hatte. An den Theatern, Konzerthäusern, Hochschulen fehlten professionell ausgebildete Musikvermittler. Der Fächerkanon umfasst didaktische Interpretation von Musik, Moderationstraining, Sprechtechnik, Szenischen Grundunterricht, Rhetorik, Ensemblepraxis bis hin zu Grundlagen der Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem werden seit dem Jahr 2008 auch Musikmanagement-Module in das Studium integriert.
Das Feld der Musikvermittlung wächst beständig, ebenso die Zahl der in diesem Feld Tätigen. Auf den steigenden Bedarf nach einem qualifizierten Ausbildungsangebot reagieren auch die Aus- und Weiterbildungsinstitute: Angeboten werden nicht nur berufsbegleitende Masterstudiengänge als mehrjährige Zusatzqualifikation, verstärkt findet die Musikvermittlung auch Eingang in Module grundständiger künstlerischer Studiengänge an Musikhochschulen. Wer aus beruflichen oder familiären Gründen kein mehrjähriges Studium absolvieren kann, erhält vielfältige Möglichkeiten, Kurse oder Workshops zu besuchen.
Bachelor- und Masterstudiengänge können inzwischen an unterschiedlichen Hochschule besucht werden, wie beispielsweise an der Hochschule für Musik Detmold (Musikvermittlung/Konzertpädagogik), an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (Musikforschung und Musikvermittlung) oder an der Musikhochschule Lübeck (Musik vermitteln).
Um ihre Studierenden auf die immer vielfältiger werdende berufliche Praxis vorzubereiten, haben viele Musikhochschulen den Wahl(pflicht)bereich um Module zur Musikvermittlung ergänzt, so u. a. in Berlin, Bremen, Detmold, Düsseldorf, Essen, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart. Studierende erhalten einen Überblick über Ansätze und Möglichkeiten im Feld der Musikvermittlung und entwickeln eigene Konzepte, die oftmals direkt in die Praxis umgesetzt werden.
Auch die Weiterbildungsangebote im Bereich Musikvermittlung wachsen: Die Bundesakademie Wolfenbüttel bietet jährlich mehrere Seminare zum Thema Musikvermittlung an. Am Zentralinstitut für Weiterbildung der Berliner Universität der Künste bietet ein Fortbildungsprogramm neue Einblicke in die Musikvermittlung. Es werden instrumentale Fähigkeiten vertieft sowie der Spaß am Ensemblespiel und am erfinderischen Musizieren mit Kindern und Jugendlichen gefördert. Die Elbphilharmonie und die Landesmusikakademie Hamburg veranstalten mit Unterstützung des Körber-Fonds Zukunftsmusik eine Workshop-Reihe für Musikvermittlung und Konzertpädagogik. Als Exzellenzinitiative für Musikvermittler versteht die Körber-Stiftung ihre Masterclass on Music Education. Für junge Musikerinnen und Musiker veranstaltet der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft einmal jährlich als Wettbewerbsergänzung einen Workshop zur Musikvermittlung. Das 2011 erstmals ausgeschriebene WDR-Trainee-Programm für Orchestermanagement und Musikvermittlung ist eine praxisorientierte Ausbildung in den Schwerpunktbereichen Orchestermanagement, Vermittlung von Musik und Konzepterstellung zum Veranstaltungsmarketing der Klangkörper. Auch übergreifende Aspekte wie beispielsweise journalistische Grundkenntnisse gehören zum Ausbildungsprogramm. Für 2012/13 hat das Ensemble Modern im Rahmen seines Programms der Internationalen Ensemble Modern Akademie ein Stipendium für Musikvermittlung mit Schwerpunkt Neue Musik ausgeschrieben. Die Töpfer-Stiftung bietet in ihrem Format Concerto21 während einer Sommerakademie auf Gut Siggen die Möglichkeit, in den Bereichen Dramaturgie, Pädagogik und Management neue Konzertmodelle und Vermittlungsmethoden sowie Kommunikationsstrategien zu entwickeln und umzusetzen.
Wettbewerbe als Beobachtungen der Szene
Wettbewerbe fördern das öffentliche Bewusstsein und sind damit ein Weg, gezielt auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen. Auch im Bereich der Musikvermittlung führt die Frage nach Best Practice Beispielen und Qualitätsstandards dazu, Projekte im Wettbewerb miteinander zu vergleichen. Wie findet ein Thema aber sein eigenes, passendes (Wettbewerbs-) Format – ein Format, das sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen wahrgenommen wird, ohne beide Seiten voneinander abzukoppeln? Das Ziel, musikalische Bildung nachhaltig zu fördern, eignet sich kaum für temporäre Inszenierungen und Blitzlichtgewitter. Gleichsam braucht es Scheinwerferlicht, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu gewinnen – ein Balanceakt, der die Veranstalter von Wettbewerben immer wieder herausfordert, ihre eigenen Formate zu überdenken, Kriterien zu diskutieren und Prämien wie Zeremonien ins Verhältnis zu setzen.
Der BKM-Preis Kulturelle Bildung honoriert seit 2009 jährlich hervorragende Projekte der künstlerisch-kulturellen Vermittlung durch den/die amtierende(n) KulturstaatsministerIn. Die Auszeichnung würdigt Initiativen des bürgerschaftlichen Engagements. Kulturelle Zuwendungsgeber, Kooperationspartner und potenzielle Nutzer sollen durch den Preis ermutigt werden, der kreativen Vermittlung von Kunst ihre volle Aufmerksamkeit zu widmen. Die Bewerber für den Preis werden von ausgewählten Institutionen des deutschen Kulturlebens vorgeschlagen. Jedes Jahr werden zehn Projekte aus ca. 80 vorgeschlagenen nominiert. Drei Projekte werden in der Regel ausgezeichnet.
Förderpreis Musikvermittlung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und des Musiklands Niedersachsen. Der landesweite Wettbewerb will die Entwicklung und Realisierung neuer Musikvermittlungsformen in Niedersachsen anregen und kreative Ansätze unterstützen. Für die Profilierung Niedersachsens als Musikland ist die rege Teilnahme möglichst großer Bevölkerungsteile am musikalischen Leben von zentraler Bedeutung. Gesucht sind neue und nachhaltige Ansätze für alle Altersgruppen. Der Preis wird seit 2009 alle zwei Jahre an bis zu fünf Einzelprojekte vergeben und ist mit insgesamt 40.000 € dotiert. Mit dem Preis wird die Realisierung der ausgewählten Konzepte ermöglicht.
jop! – der junge ohren preis – sucht seit 2007 nach Formen, Foren und Formaten für musikalischen Einfallsreichtum. Er ist inzwischen eine Art Seismograph des Musiklebens geworden. Mit steigender Bewerberzahl beobachtet er die Szene hinsichtlich ihrer Entwicklungen. Er befasst sich mit inszenierten oder moderierten Konzerten und musikalischen Märchen ebenso wie mit musikalisch-literarischen Features, Performances und experimentellem Musiktheater. Soziokulturelle wie rein konzertante Formate, die sich dem Weg zum Erlebnis Musik verschrieben haben, finden gleichermaßen Berücksichtigung. Zwischen 80 und 120 Projekte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie aus Luxemburg bewerben sich jährlich. Der Wettbewerb um den jop! mit seinem intensiven Auswahlverfahren unterteilt dabei aktuell in die Kategorien PROGRAMM und EXZELLENZ. Die Kategorie PROGRAMM steht für richtungweisende und konsistente Vermittlungsprogramme, die Musikvermittlung als integralen Bestandteil ihrer Arbeit begreifen, die Kategorie EXZELLENZ würdigt Protagonisten, die sich als Person in herausragender Weise für die Vermittlung einsetzt.
Kinder zum Olymp!, der Wettbewerb der Kulturstiftung der Länder, sucht nach neuen Ideen für Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen. Im Rahmen der Bildungsinitiative Kinder zum Olymp ruft die Kulturstiftung der Länder jedes Jahr bundesweit zu einem Wettbewerb für Schulen auf. Kinder und Jugendliche sollen die Möglichkeit erhalten, sich aktiv in kulturellen Projekten zu engagieren und eigene künstlerische Erfahrungen zu sammeln. Um Kunst und Kultur fest im Leben von Kindern und Jugendlichen zu verankern, gilt es, neue Wege zu beschreiten, vom Kindergarten bis zum Schulabschluss. Gemeinsam mit außerschulischen Partnern (kulturellen Einrichtungen oder Künstlern) werden Schüler und Lehrer aufgefordert, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Der Wettbewerb sucht nicht nur Einzelprojekte, sondern möchte darüber hinaus die Schulen mit einem überzeugenden Kulturprofil auszeichnen, Schulen, in denen die Künste fächerübergreifend den Alltag prägen. Kinder zum Olymp! will Kinder, Kunst und Kultur deutschlandweit zusammenbringen – quer durch alle kulturellen Sparten.
YEAH! – Young EARopean Award – bewegte sich im europäischen Kontext. Von 2010 bis 2015 suchte er nach Ideen, die Formen des traditionellen Konzertbetriebs aufzubrechen und Kreativität freizusetzen – in unterschiedlichen Ländern, in unterschiedlichen Sprachen. 165 Projekte aus 30 Ländern haben sich im ersten Jahr diesem Wettbewerb und seinem Aufruf gestellt. Dabei wurde deutlich, dass nicht nur Länder und Regionen, sondern auch die Musik selbst unterschiedliche sprachliche Schichten hat, man könnte sogar sagen unterschiedliche Sprachen: nicht-sprachliche Sprachen, die sich aus Atmosphären, Klängen, Rhythmen und Gesten fügen. Ihre Unterschiedlichkeit zeigt sich nicht erst im Produkt, also im Konzert, der Performance oder Installation, sondern bereits im Prozess ihrer Herstellung – und natürlich im Rahmen ihrer Vermittlung. Sie ist Ausdruck kultureller Vielfalt in sich selbst. Dieses Spektrum bilden die fünf Gewinner des ersten europäischen Wettbewerbs ab: zwei Preisträger in der Kategorie PERFORMANCE und drei in der Kategorie PROCESS.
Die genannten Beispiele zeigen Ausschnitte regionaler, nationaler und internationaler Entwicklungen im Musikleben und im Bereich der kulturellen Bildung und spiegeln darüber hinaus die Haltung einer Gesellschaft ihrer Kultur gegenüber. Sie gehen dabei beobachtend vor und sammeln auf diese Weise im Gestus der Feldforschung Informationen.
Erhebungen als statistische Spiegelungen
Von 1992 bis 1998 lief das als Langzeit- und Evaluationsstudie konzipierte Forschungsprojekt Zum Einfluss erweiterter Musikerziehung auf die allgemeine und individuelle Entwicklung von Kindern, das unter der Leitung von Hans Günther Bastian an Grundschulen in Berlin durchgeführt wurde. Die Veröffentlichung der Abschlusspublikation der Studienergebnisse Musik(erziehung) und ihre Wirkung (vgl. Bastian: 2000) wurde von einem großen Medienecho begleitet, das bis heute in Form von Rezensionen, Aufsätzen und Stellungnahmen nachhallt. Dem Diskurs über die Bastian-Studie ist ein ganzer Band der Musikpädagogischen Forschungsberichte mit dem Titel Macht Musik wirklich klüger? gewidmet (vgl. Gembris u.a.: 2006). Trotz aller Kritik erfuhr die Studie sowohl national als auch international eine unerwartet hohe Beachtung nicht nur in Fachkreisen. Musik in Schule und Gesellschaft ist seitdem erneut und verstärkt zu einer öffentlichen Frage geworden: Kultur- und bildungspolitische Reaktionen beginnen sich abzuzeichnen.
Weitere Studien verglichen beispielsweise die Entwicklung von Musikvermittlungsaktivitäten durch Orchester (Universität Wien, 2000) oder untersuchten die Strukturen und Verhaltensweisen von Konzertpublika (u.a. im Jahr 2001 die Studie zur Altersstruktur von Konzertpublika durch Hans Neuhoff, 2003 die Nichtbesucher-Befragung des Deutschen Bühnenvereins, 2007 die Besucherbefragung von klassischen Konzerten durch den VDKD, den Berufsverband der Konzertdirektionen). 2003 gab es eine empirische Studie zum Thema Familienkonzerte in Kooperationen mit Grundschulen (Universität Paderborn), und die Deutsche Orchestervereinigung startete 2004 ihre Umfrage Schulen, Schüler und Konzerte und entwickelte zusammen mit dem Zentrum für Kulturforschung das Zukunftsmodell Konzertpädagogik. Eine Bedarfsanalyse der Jeunesses Musicales Deutschland, der Deutschen Orchestervereinigung und des Deutschen Musikrats führte 2006 zu der Gründung des international operierenden Vereins netzwerk junge ohren.
Unter dem Titel Der Untergang des Abendlandes führte das KulturBarometer des Zentrum für Kulturforschung 2005 seine achte repräsentative Bevölkerungsumfrage durch, die erstmalig einen Publikumsrückgang für Musiktheater und klassische Musikkonzerte konstatierte (Keuchel: 2006). Dieses Ergebnis entsprach Mutmaßungen, die dem Musikleben eine schwindende Nachfrage nach Live-Aufführungen in den kommenden drei Jahrzehnten prognostizierten. Das neunte KulturBarometer, das in Kooperation mit der Deutschen Orchestervereinigung im September 2011 vorgestellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Opernhäuser und Orchester in Deutschland zur Spielzeit 2010/11 wieder mehr Besucher verzeichneten (Keuchel: 2011). Zum ersten Mal nach sechs Jahren konnte der Rückgang der jährlichen Konzert- und Musiktheaterbesucher in Deutschland angehalten werden. Ein Zeichen für eine Kehrtwende setzt dieses Ergebnis jedoch noch nicht: Der Zuwachs bezog sich lediglich auf den Anteil der Besucher über 65 Jahre, während er bei den unter 25-Jährigen erneut sank. Diese Beobachtung korrespondiert mit dem allgemeinen demografischen Wandel einer alternden Gesellschaft. So wächst eben auch der Anteil des Klassikpublikums fortgeschrittenen Alters überproportional.
Ernüchternd auch die Feststellung der Studie, wie häufig das Gros des Publikums Live-Konzerte besucht: ein Mal pro Jahr, ohne Präferenzen. Ein typische Erscheinung des gegenwärtigen Musiklebens ist darüber hinaus der „Kulturflaneur“: er lässt sich nicht auf Genres festlegen, sondern bewegt sich nach Lust und Laune zwischen Theater, Rockkonzert und Liederabend. Der Wunsch nach flexiblen Angeboten hinsichtlich Format, Anfangszeit und Preisgestaltung zeigt, dass sich etwas ändert im Kulturleben. Es gilt, darauf Antworten zu finden und Angebote zu entwickeln, die diesem Bedürfnis Rechnung tragen, ohne dabei form- oder formatlos zu werden. Drei Prozent der Bevölkerung gingen immerhin mehr als dreimal im Jahr in die Oper oder ins Konzerthaus. Und: Jeder Dritte der Befragten besuchte mindestens einmal ein Bildungs- bzw. Vermittlungsangebot in einer Kultureinrichtung. Das Interesse an Vermittlungsangeboten steigt.
Bei der immer wieder gestellten Frage nach der Hauptaufgabe von Orchestern und Musiktheatern nannten 48 Prozent der Befragten an erster Stelle die Nachwuchsarbeit: Kinder und Jugendliche sollen neugierig auf das Kulturgut Musik gemacht werden. Noch stärker unterstrichen die Konzert- und Musiktheaterbesucher (54 Prozent) die Aufgabe, junge Menschen für das musikalische Erbe zu begeistern. Weitere Wünsche an die Orchester waren für 42 Prozent aller Befragten „der Gesellschaft niveauvolle Unterhaltung zu bieten“, 39 Prozent erwarten, dass allgemein „das kulturelle Musikerbe bewahrt“ wird.
Für die deutschen Musiktheater und Orchester bedeutet die Trendwende somit einen Ansporn zu noch mehr Vermittlungsarbeit, die allerdings nur mit einem langen Atem erfolgreich sein wird. Bildungs- und Vermittlungsangebote, mit denen verstärkt junge Leute gewonnen werden sollen, greifen nur langfristig: Ein Grundschulkind wird erst in zehn oder 15 Jahren ein potenzieller Veranstaltungsbesucher. Nachwuchsarbeit in den Orchestern und Musiktheatern sollte sowohl intensiviert werden als auch gleichermaßen mit neuen Vermittlungs- und Konzertformaten experimentieren. Die Studie zeigt, dass das zahlreicher werdende ältere Publikum noch über Jahre die Besucherbilanzen verbessern und stabilisieren wird. Doch das junge Publikum muss auch in Zukunft mit immer neuen intelligenten, innovativen und kreativen Projekten über die Schwellen der Opern- und Konzerthäuser gebracht werden. Die Wege dorthin sind vielfältig, und sie werden bereits vielfältig entwickelt.
Qualitätskriterien
Doch woran lässt sich die Qualität im vielfältigen Angebot messen? Wo und wie funktioniert die Vermittlung? Welches Ziel hat sie im jeweiligen Zusammenhang? Wie findet ein musikbezogenes Thema sein eigenes, passendes Format? Welche Formen werden gefunden, innere Motivation und äußere Anreize und Aufforderungen in eine Balance zu bringen, damit das öffentliche Bewusstsein für ein Thema nicht nur temporär inszeniert, sondern langfristig und immer wieder einfallsreich wach gehalten wird? Diese Fragen haben sich Vermittler im Dienste der Musik immer wieder zu stellen. Fragen nach dem Gesamteindruck, der Konzeption, der musikalisch-künstlerischen Qualität sowie der Vermittlungsqualität werden dabei in der Beurteilung und Einordnung flankiert von Fragen nach Präzision, Originalität, Irritation und Innovation.
Die Studie Exchange – Die Kunst, Musik zu vermitteln. Qualitäten in der Musikvermittlung und Konzertpädagogik der Stiftung Mozarteum Salzburg und der Robert Bosch Stiftung fasste übergeordnete Qualitätsmerkmale zusammen, die Aufschluss darüber geben, warum ein Projekt, ein Programm oder ein Format gelungen ist: Neben spezifischen Bedingungen wie strukturellen Gegebenheiten vor Ort, den fachlichen Kenntnissen, dem Charisma und den Erfahrungen der Konzertpädagogen und Musikvermittler, den künstlerischen Qualitäten der beteiligten Ensembles und Kulturschaffenden oder der Bereitschaft der Kooperationspartner (Stiftung Mozarteum Salzburg: 2010). Aus den Ergebnissen der Interviews der Studie lassen sich drei Säulen der Qualitätsentwicklung – Strukturqualität, Prozessqualität, Produktqualität – ableiten, die eine übergeordnete Gültigkeit für das Arbeitsfeld der Musikvermittlung und Konzertpädagogik erlangen können. Grundlegend für alle Fragestellungen zur Qualität in diesem Feld ist und bleibt darüber hinaus die Fähigkeit, Ziele für diese Arbeit formulieren zu können und diese auch zu überprüfen.
Fazit
Vermittlungsarbeit ist aus dem gegenwärtigen Musikleben nicht mehr wegzudenken. Und das ist auch gut so. Dabei geht es bei allen Bemühungen letztendlich um etwas sehr Einfaches, das mit dem zu tun hat, was einzig der Musik schneller und unmittelbarer gelingt als jedem anderen Medium und für das es gilt, Räume und Gelegenheiten zu schaffen: Kommunikation auf emotionaler und geistiger Ebene. Ein basaler Dialog zwischen Menschen.
Die Klaviatur für diesen Dialog, diese Art der Kommunikation ist vielschichtig und bietet oft viel mehr Möglichkeiten als sie aktuell einzulösen vermag. Um zu erfahren, wie Kommunikation funktioniert, bedarf es nicht nur der Beobachtung, sondern der Eröffnung von Spielräumen. Musik arbeitet mit und nach diesem Prinzip. Musik ist Kommunikation. Sie spielt mit Möglichkeitsräumen, Verabredungen, Einlassungen, Resonanzen, Timings, Notationen, Improvisationen, Gesetzmäßigkeiten und Freiheiten – und sie hat zwei zentrale und verbindende Instrumente: die Stimme und den Körper. Mit beiden hat die Musik ein Medium, das zwischen Innen und Außen vermitteln und insbesondere im Kontext mit anderen präzise und vielschichtig operieren kann. Dies im Bewusstsein zu haben und Ausdrucksmöglichkeit virulent zu halten, darum geht es in der Vermittlungsarbeit, unterschiedliche Kulturen füreinander zu interessieren und zu öffnen.