Medienkommunikation und Web 2.0
Unsere Mediengesellschaft befindet sich im Umbruch. Die bisher passiven KonsumentInnen von Produkten und Dienstleistungen können zu aktiven und mündigen KommunikatorInnen werden. Neue Formen des dezentralisierenden Dialogs eröffnen sich, neue individuelle und kollektive Kommunikationsformen bilden sich heraus. Kommunikationsformen wie Soziale Netzwerke (SNS), Blogs, Twitter, Instant Messaging, Podcasts und Wikis verkörpern eine veränderte Partizipationskultur, die nicht an reale Orte gebunden ist (siehe Kathrin Demmler/Ulrike Wagner „Mediensozialisation und kulturelles Lernen“). Zudem ist mit Handys, Smartphones, MP3-Playern und (Video)iPods mobile Kommunikation möglich.
Web 2.0 – Begriffsbestimmung
Der Begriff Web 2.0 entstand bei der Vorbereitung zu einer Konferenz, die 2004 stattfand. Veränderungen der technischen und kommunikativen Möglichkeiten des Internets werden mit Web 2.0 in Verbindung gebracht. So gilt die Unabhängigkeit von Geräten und Betriebssystemen als ein wesentliches Kennzeichen von Web 2.0. Daten können zugleich mit anderen Tools genutzt werden. Die Software wird nicht bedient, sondern aktiv genutzt.
Web 2.0-Anwendungen unterstützen Interaktionen innerhalb von Gruppen und fördern Communities. Die Matrix von Web 2.0 lautet Beteiligung, gemeinsame Intention, Personenorientierung, Freiwilligkeit der Teilnahme, eine auf dem Tauschprinzip beruhende Beziehung und ein personenbezogenes Beziehungsgeflecht, das ein gemeinsames Basisinteresse hat, das bei aktuellen Anlässen aktiviert wird.
Die NutzerInnen (ProdUser) werden zu Ko-EntwicklerInnen von Plattformen und/oder Betriebssystemen (z.B. Opera, Linux). Diese Produkte zeichnen sich durch Unfertigkeit bzw. Vorläufigkeit aus (Beta-Versionen). Die Formung und Entwicklung geschieht durch eine wachsende Community. Kollektiv können Ressourcen erschlossen, Kompetenzen und Potentiale zur Verfügung gestellt werden. Das beginnt beim Filesharing (tauschen bzw. zur Verfügung stellen von Daten) und endet bei der gemeinsame Arbeit an Themen, Texten und Erfahrungen, wie z.B. Etherpad, Weblogs oder Wikis.
Kommunikation und Beziehung im Web 2.0
Die aktuell dominante Kommunikationskultur ist vom Web 2.0 geprägt. Dabei kommt es zu informellen Lernprozessen. Die Individualisierung wird gefördert, Öffentlichkeit und Privatheit vermischen sich ebenso wie Professionalität und Amateurhaftigkeit. Bezüge werden nicht über fachliche Kompetenz, sondern über gleiche Interessen und/oder Zugehörigkeiten zu Communities hergestellt. Authentizität wird gesucht: die subjektiv nachvollziehbare Information. Der Freund eines Freundes (schwache Beziehung) wird als glaubwürdiger angesehen als die Webseite einer seriösen Tageszeitung. Die Beziehung steht im Vordergrund. Durch Rückkanäle gibt es Austausch und Feedback (Trackback, Feeds, RSS), somit entstehen dialogische Kommunikationskulturen und eine höhere Transparenz. Für die Beziehungsarbeit haben vor allem die SNS eine zentrale Bedeutung. In diesen Netzwerken produzieren die User Inhalte und tauschen sie untereinander aus.
Praxisbeispiele
Der Landesjugendring Niedersachsen erprobt in vielfältiger Weise Beteiligungsformen. Wikis, Weblogs und Foren können genutzt werden, um sich mit unterschiedlichen Themen auseinander zu setzen, sich zu informieren oder in Kontakt zu bleiben. Jugendgruppen, Vereine oder Initiativen können Teil der Jugendserver-Community werden und die Plattform gemeinsam mit den anderen Mitgliedern nutzen. Mit Hilfe von mixxt können eigene Communities erstellt werden. In Facebook kann eine Fanseite eingerichtet werden, um das besondere Anliegen von Institutionen und/oder Verbänden zum Ausdruck zu bringen.
Auch in der Pädagogik und bei Tagungen lassen sich neue Beteiligungsformen beobachten (siehe Larissa von Schwanenflügel/ Andreas Walther „Partizipation und Teilhabe“). Beispielhaft sei hier auf die Barcamps verwiesen, die auf dem Konzept von Educamps basieren. Educamps sind offene Tagungen, deren Ablauf und Inhalte von den TeilnehmerInnen im Tagungsverlauf selber entwickelt werden.
In Bad Homburg nahmen über hundert Personen an einem globalen Klima-Weckruf teil. Am 21.09.09 um 18:12 Uhr reckten sie ihre Handys in den Himmel und versuchten per Mobiltelefon EntscheidungsträgerInnen in aller Welt zu erreichen, um sie zum Handeln für das Weltklima zu motivieren. Zum gleichen Zeitpunkt fanden 2000 vergleichbare Aktionen in 88 Ländern statt. Alle diesen Aktionen sind Ausdruck einer neuen jugendkulturellen Beteiligungs- bzw. Gesellungsform, die Flashmob, d.h. „Blitz-Versammlung“ genannt werden.
Erkennbar wird ein neues Verständnis politischen und gesellschaftlichen Handelns. Es geht nicht mehr um eine Auseinandersetzung mit kognitiven Zielen, wie auch das mangelnde Interesse von Jugendlichen belegt, sich für traditionelle politische Entscheidungsprozesse zu engagieren. Aktionsbezug (Erlebnisorientierung, Handlungsorientierung), Wahrnehmungsdimension (Beteiligung des Körpers und der Sinne) und Virtualität (Communities, Weblogs, Mobiltelefon, Email-Kettenbriefe) sind die Parameter, die bei der Web 2.0 Generation positiv besetzt sind.
Herausforderung für die Kulturarbeit
Typisch für die Web 2.0-Kultur ist auch der Wunsch vieler User, Unterstützung zu bekommen bei der Bewältigung des Lebensalltags. Ebenso ist erkennbar, dass Bedürfnisse vorhanden sind, mit Beziehungsnetzen verbunden zu sein. Der Fokus, der bisher bestimmend war, dass die KulturpädagogInnen Programme gestalten und dann versuchen, InteressentInnen zu finden, wird sich ändern müssen. Aufmerksamkeit kann man bei der Web 2.0-Generation generieren, wenn man im Dialog mit dieser Zielgruppe deren kulturell-ästhetische Wahrnehmungsdispositiv akzeptiert und nutzt. Die Web 2.0-Generation will beteiligt sein, sie erwartet, dass die neuen Kommunikationsmedien genutzt werden. Ihr Interesse an einer langfristigen Bindung schwindet, da ihr Interesse an Bindung einerseits aktionsbezogen ist, andererseits sich an den subjektiven Fragen orientiert, vor die sie der Lebensalltag stellt. Diese Generation sucht nach Räumen, wo sie sich mit ihren Entwicklungsaufgaben angenommen fühlt. Dieses Verhalten entspricht den gewandelten Lebensbedingungen (flexibler Kapitalismus, beschleunigte Gesellschaft, Entgrenzung, Durchlässigkeit).
Kulturelle Bildung muss sich angesichts dieser Veränderungen als lernendes System verstehen, d.h. die Bereitschaft haben, sich ständig an den unterschiedlichen Lebenslagen der NutzerInnen zu orientieren, und sie muss ihre differenzierten Angebote im Dialog mit ihnen entwickeln. Sich als lernendes System zu verstehen bedeutet nicht nur ein vorbestimmtes Ziel zu verfolgen, sondern vor allem auch von den NutzerInnen zu lernen und deren Ressourcen im Blick zu haben. Im idealen Falle wird der Kulturpädagoge zum Navigator, der zuständig ist für den Erfahrungs- und Lernraum, der aber nicht die Ziele bestimmt. Er ist Coach und/oder Mentor, der unterstützt, berät und anregt. Sein Blick ist auf Ressourcen gerichtet, seine besondere Aufgabe besteht darin, die NutzerInnen zu begleiten, sie ihre Kompetenzen zur Entfaltung bringen zu lassen, er ist dabei ein Lernender, der von den Kompetenzen der NutzerInnen profitiert, wie er umgekehrt seine Lebenserfahrung nutzbringend einbringt.