Kulturskripte neu schreiben: Digitalität und Kulturelle Bildung
Abstract
Das digitale Zeitalter konfrontiert Bildungs-, Jugend- und Kulturverantwortliche mit der eigenen Verunsicherung, ob man seiner Zielgruppe – Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen – eigentlich noch zeitgemäß und gegenstandsangemessen begegnen kann. Es (über-)fordern: Die Rasanz der Entwicklung marktgetriebener technischer Möglichkeiten, die nicht nachvollziehbare Berechenbarkeit des eigenen Wesens durch KI und der behände, technisch versierte Umgang der „Jüngeren“. Zeit- und Aufmerksamkeitsressourcen werden durch technische Endgeräte gebunden, der damit transportierte Content indessen entzieht sich der Kontrolle. Das irritiert die im Bildungs- und Kulturwesen verantwortlichen „Älteren“ bzw. die digital Nicht-Affinen – auch unter den Jüngeren. Es ist eine immanente Modellsituation zwischen Innovationschance und Versagenssorge. Tempo, Überforderung und Verunsicherung gehören als Grundrauschen derzeit in besonderem Maße als Lebens- und Arbeitsgefühl dazu, stellt man sich der Frage nach Auswirkungen der Digitalität auf die eigene Arbeit der Kulturellen Bildung. Wie sortiert sie sich in diesem Zusammenhang ein und was sind ihre Gegenstände? Der Beitrag umreißt Erfahrungen aus der Einrichtungsarbeit der UZWEI im Dortmunder U, eine Modelleinrichtung für die Kulturelle Bildung im Digitalen Zeitalter, und fragt nach einem neuen Aufgaben- und Rollenverständnis der Akteure.
Das Datenwissen der Kulturellen Bildung
Filmemachen, Fotografieren, Texten, Gaming, Crossmediale Experimente – vordergründig bedarf es keines großen Aufwands, um diese künstlerischen Sparten zu produzieren und zu veröffentlichen. Jede*r trägt diese Möglichkeit in der Tasche und damit theoretisch auch den Kontakt und Austausch mit der und den Zugriff auf die ganze Welt. Feedback gibt es schnell: Likes sind eine Währung und umgehendes Feedback versichert, dass man nicht allein ist, dass es Aufmerksamkeit gibt – mal besonders viel, mal wenig, mal mit qualitativen Kommentaren, mit positiver und negativer Wirkung. Das Netz, Social Media sind „Orte“, an denen man sich mit einer von vielen Facetten des eigenen Daseins veröffentlicht, sich verbündet, versammelt, sich eine Stimme gibt und wirksam wird bis auf die Straße, in die Politik, Kultur, Gesellschaft hinein. Mit der digital-technischen Ausstattung quasi „am Körper“ entsprechen dort kreierte, gepostete und rezipierte individuelle Formen und Inhalte im Netz einer eigenen Kultureinrichtung: Produktion und Präsentation, Diskussion und Feedback nahezu ohne chronologische Reihenfolge in Echtzeit.
Die oben beschriebene Situation gleicht ausgesprochen vielen Ansprüchen und Kriterien der Kulturellen Bildung, die im Medium der Künste Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverortung, Sichtbarkeit und interaktive Mitgestaltung von Welt beansprucht – und grundsätzlich von der kompetenten Persönlichkeit ausgeht.
Wie aber findet die Kulturelle Bildung einen eigenen Platz darin, welche Rolle kann sie spielen? Wie funktioniert digitale Souveränität als Verantwortliche in der Kulturellen Bildung? Wie funktioniert Lebenssouveränität im numerischen Geflecht von Null und Eins? Selberdenken und Selberhandeln, spielerisches Auskundschaften und eine stetige Revision, wie die eigene Profession und Position sich bewegen und echten Raum für ungewöhnliche, relevante Ideen frei geben kann, dieses Mantra gilt in der Digitalität in besonderer Weise. Schließlich ist jede*r auch als Privatperson gefordert, sich nicht nur als User*in und Ko-Produzent*in, sondern auch als Used, sich also als Datenlieferant*in zu verstehen. Vielleicht verläuft die Trennlinie also nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Berechnender*m und Berechneter*m, zwischen denen, die das Script mitschreiben und jenen, die Datenlieferant*innen sind, ohne Einfluss auf das nachfolgende Handlungsskript zu haben.
Für den Bereich der Kultur, als symbolisch verhandelte Wirklichkeit im Medium der Künste verstanden, verfügt die Kulturelle Bildung über eine große Nähe zu ihren Nutzer*innen und damit auch über einen enormen Datenfundus. Dieser Datenfundus basiert nicht auf abstrahierten Formeln und der Berechenbarkeit von Verhalten, sondern auf dem Wissen um emotionale Beziehungen zwischen Menschen und Umwelt, wie sie über die Künste erzählt und hergestellt werden können. Dieses Datenwissen verbunden mit technischen Möglichkeiten und einem vernetzten Denken und Handeln im Mix neuer Professionen bildet die Grundlage für die Potenziale der Kulturellen Bildung in der Digitalität. Dabei ist Digitalität als ein gesellschaftlicher Zustand verstanden, in dem Mensch und Technik als Lebenskultur aufs Engste verbunden sind. Dies hat Auswirkungen auf die Art der Kommunikation und benötigt neue Werte und Handlungskriterien. Es beeinflusst die Art, wie Menschen Denken und Handeln oder denken lassen und behandelt werden (wollen). Die technische Ausstattung ist eine veränderte Infrastruktur dafür, die den Alltag jeder Person durchdrungen hat.
Die Stärke der Kulturellen Bildung liegt – immer schon – in ihrem Subjektbezug. Die geänderten digitalisierten Bedingungen verlangen jedoch den permanenten Bezug und Blick auf Kontexte, auf Netze, auf die im digitalen Medium angelegte sofortige Präsenz und Forderung nach Aufmerksamkeit und Reaktion. Die macht die Entwicklung einer Kulturellen Bildung im digitalen Zeitalter zu einer spannenden Suche nach dem Verhältnis von ich und wir, von Technik und Content, von Auslösern und Wirkungen und Rückwirkungen sowie Professionalitäten und mentaler Beweglichkeit.
Kulturelle Bildung als neues Skript für Kunst- und Kultureinrichtungen
Die Kulturelle Bildung hat die Kraft, Sinn zu stiften und individuelle wie soziale Bedeutsamkeit herzustellen. Sie tut dies, indem sie künstlerische Aktivitäten mit persönlichen Erlebnissen und Emotionen verbindet und diese wie auch die produzierten Ergebnisse als relevant darstellt. Sie hat das Potenzial, Kulturgeschichte neu zu erzählen und Kultureinrichtungen für eine breite Nutzer*innenschaft zu individuell bedeutsamen Einrichtungen zu machen. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Museen, Literaturhäuser, Theater, Opern, Balletts und Bibliotheken allemal das nicht auch grundsätzlich von selbst sind und für die Gesellschaft bedeuten. Die Kulturelle Bildung besitzt jedoch das Potenzial, die „Skripte“, die Handlungsleitlinien von Kultureinrichtungen im Sinne gesellschaftlicher Anbindung und Bedeutung neu zu schreiben. Kulturelle Bildung bedeutet das kulturelle Handeln, Erinnern, Bewahren, Diskutieren und Definieren mit und in einer Gesellschaft zu verorten und nicht institutionell von ihr zu trennen. Vor diesem Hintergrund ist einmal mehr die Trennung von Kultur auf der einen und Kultureller Bildung als ihre Dienstleisterin oder als Phase der künstlerischen Vorstufe von Professionalität auf der anderen Seite überholt. Digitalität ist eine gesellschaftliche Bedingung, unter der Kulturnutzer*innen geänderte Ansprüche an Kultureinrichtungen stellen, gerade weil sie mit der digitalen Technik (mit ihren vernetzten Eigenschaften und ästhetischen Phänomenen) Teil einer eigenen neuen Kulturtechnik sind: Es geht um aktive Herstellung von Bedeutsamkeit, sie vollzieht sich auch digital, aber selbstverständlich nicht ausschließlich. Es geht um die Vielfalt an Formen und Methoden, Möglichkeiten der kurz- und langfristigen Ko-Produktion und eines aktiven Dialogs mit Verantwortlichen. Dieser Dialog ist eine permanente Möglichkeit und kein kuratorischer oder pädagogischer Programmpunkt. Das meint nicht den Zustand kontinuierlicher Online-Präsenz von Einzelpersonen; es funktioniert über die Mischung von verlässlichen Online- und Offline-Kontakten als Diskursplattform, als Modus der Aufmerksamkeit, der Kritik, des Einflusses auf Erzählweisen und auf Erzählgegenstände. Ko-Produktion und Dialog verlangen auf Seiten der Verantwortlichen Kontrolle abzugeben, da es ein kompetentes Gegenüber gibt, das in der neu gewonnen digitalen Kulturtechnik auf Augenhöhe ist. Dies ist die eine Seite: Das kulturelle Angebot der Rezeption und „Überwältigung“ die andere, die nicht verschwinden, sondern gleichermaßen künstlerisch-technologisch entwickelt werden kann – dabei haben diese Technologien auch eigene Poetiken, Erzählweisen, inhärente Geschichten und können mehr, als Illustrationsformen vorhandener Kunst sein: VR-Welten, begehbare 3D-Skulpturen, AR-Erlebnisse, 360°-Film. Es gibt auch einen verstärkten Anspruch auf – mitunter nicht intellektuell überformte – Überwältigung mit Kunst, Kultur, Bildung, auf Kontemplation und Rückzugsmöglichkeit in kommerzfreien Räumen.
Auf ganz basaler Ebene beginnt dies mit der Anerkennung, dass Menschen nicht ausschließlich aufgrund ausgestellter Kunst oder eines kulturpädagogischen Angebots in eine Einrichtung kommen, sondern weil sie einen anderen Ort schätzen. Das erscheint dem*r Kulturmacher*in als Kränkung, er*sie jedoch trägt insgesamt maßgeblich zu der Qualität dieses „anderen“ Ortes bei, der dadurch erst zum so genannten „Dritten Ort“ werden kann. Die Kommerzfreiheit und die Sondersituation eines Kulturraumes scheinen auch Jugendliche anzuziehen. Sie suchen ästhetisch-sinnlich besondere Räume, die nicht pädagogisch, nicht rein museal und nicht von der eigenen Familie besetzt sind. Das spiegeln diejenigen Jugendlichen, die in das Dortmunder U kommen, um sich dort „nur“ aufzuhalten. Sie kommen und finden eine Umgebung, die anders ist als die Shopping-Mall und die natürlich auch W-Lan bietet. Sie beanspruchen damit einen Platz im öffentlichen Kunst-Gebäude, und er steht ihnen zu.
Insgesamt erkennt man, dass die Veränderungen im Kultursektor in Richtung Digitalität und „Dritter Ort“ auf Modelle aus der Kulturellen Bildung und Soziokultur zurückgreifen und sie bisweilen als neue Kunst- oder Partizipationsform bezeichnen. Was würde geschehen, wenn man die Kulturelle Bildung in diesen Zusammenhängen als den Profi für die Einrichtungsentwicklung in der digitalisierten Gesellschaft sähe? Sie kennt sich mit Beziehungen über künstlerisches Selbermachen aus, versteht „Aufenthaltsqualität“ und kann auch mittels digitaler Technik neue persönliche Beziehungen herstellen und persönliche Welterfahrung in hoher Qualität sichtbar machen. Eine Kultureinrichtung wächst und erweitert ihren Sammlungsbestand um die Geschichten ihrer Nutzer*innen, Besucher*innen. Sie erleben Kultur nicht als abgekoppelte, exklusive Veranstaltung, sondern als eine ihrer – öffentlichen – Gestaltungsplattformen mitten in der Gesellschaft.
Storytelling
Um eine solche Plattform zu nutzen, braucht es ein Grundvertrauen in die Relevanz der eigenen Geschichte im Bezug zu einer sozialen Entwicklung. Die Kulturelle Bildung motiviert dieses Grundvertrauen und zeigt künstlerische Ausdruckswege auf: Jede*r hat eine Geschichte zu erzählen und kann dies auch. Mit „digital storytelling“ sind neue, völlig eigene Erzählformen vorhanden, die Gleichzeitigkeit, Genre-Mixe, Re-Mixe spielbar machen. Sie ermöglichen radikal subjektive Blickwinkel. Und sie bieten an, die Gleichzeitigkeit von Ereignissen experimentell technisch abzubilden, in klassischen Medienwerken oder konzeptionell in Virtuellen Räumen, die keine vorgegebene Richtung enthalten, sondern eine Auswahl an Welt(en), in der bzw. in denen man sich bewegen kann. Ob Podcast, Hörbild, Soundinstallation, Trickfilm, Animation, Dokumentation, Interview, Blog, Vlog – unendlich viele noch nicht kategorisierte Formate für die Verwirklichung eigener Ideen, Statements und Wirklichkeiten sind verfügbar und mit einfachsten Mitteln auch umzusetzen. Wie geht die Kulturelle Bildung mit Storytelling um, wie bildet sich dieser Sammlungsbestand in Kultureinrichtungen ab? Was ist mit mittelmäßigen Clips auf einem eigenen YouTube-Kanal gewonnen? Wo wildert man in der Jugendkultur, im Kommerz und im Marketing und welche eigenen Formen kann man erschaffen?
Nach Erfahrungen aus der Arbeit der UZWEI im Dortmunder U bedarf es neuer Professionen, Kooperationen und Denkweisen, um diese Erzählwelten auszukundschaften. Programmiererinnen, Digitalfilmer mit 360°-Filmkameras, Menschen mit Phantasie und technischem Know-how, mit Gestaltungswillen und Offenheit für Laien-Tempo und -Geschichten. Das Dortmunder U beherbergt auch das kiU Storylab, ein Labor für zeitgenössische digitale Erzählwelten der Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Design/Film. Derartige Kooperationsmöglichkeiten, die nicht kommerziell getrieben sind, bieten ideale Möglichkeiten, eigene Fragen mit technischen und künstlerischen Fragestellungen zu verknüpfen. Qualitäten der Kulturellen Bildung im digitalen Zeitalter sind angemessene Räume, Expert*innen und Technikausstattung, die nicht dem alltäglich Verfügbaren entsprechen. Digitale Medien haben dabei einen entscheidenden Faktor: Sie sind fehlerfreundlich und bieten damit eine ideale Voraussetzung für das spielerische Ausprobieren und zwar zentral und dezentral.
Spiel
Das spielerische Ausprobieren von Möglichkeiten der Darstellung, Selbstdarstellung und des Geschichtenerzählens sind seit jeher konstituierender Teil Kultureller Bildung. Der klare Subjektbezug, die Freiheit des Denkens und Tuns im Nicht-Realen, sondern im Selbst-Definierten erschafft sichtbare andere Welten. Diese sind immer auch Plattformen für die Auseinandersetzung mit Themen, anderen Sichtweisen und Fragen an uns selbst: Wie können und wollen wir – noch – leben? Das Spiel als Form mit beispielhaften anderen Regeln erlaubt dem*der Spieler*in sich auf sicherem Terrain mit neuen Möglichkeitsräumen des Denkens, Handelns, Phantasieren und Gestaltens zu beschäftigen. Gaming fußt darauf und viele Merkmale sind dabei für die Kulturelle Bildung attraktiv: Dramaturgie der Aufgaben, Belohnungsweisen, Herausforderungen, Competition und Teamwork – sowie auch Grafik, virtuelle, phantastische Welten, Sounds, Wesen, faire, klare Regeln, Held*innenreisen und Poesie. Was suchen Gamer*innen? Was macht Kulturelle Bildung daraus? Es ist schwer, der Instrumentalisierung von Spiellogiken für die Inhalte der Kulturellen Bildung zu widerstehen; auf diese Weise funktionieren zahlreiche Quiz-Spiele für Kinder, die durch Ausstellungen von Erwachsenen leiten sollen. Gegenstand der Kulturellen Bildung wäre hier eher, ein eigenes Game zu erfinden oder eine Ausstellung zu bauen, die beides – Spiel und Geschichte – direkt miteinander verbindet und nicht lediglich Information anders verteilt.
Games fußen auf extrem komplexen Entwicklungsvorgängen, die alle Bereiche – nicht allein die Programmierung – betreffen. Die Übersetzung für ein Angebot der Kulturellen Bildung benötigt noch zeitlich gangbare Wege, d.h. Software, die auch von Laien erlernbar und anwendbar ist, Entwicklungszeiträume, die in der Freizeit Jugendlicher vertretbar sind, und sichtbare Zwischenergebnisse, die befriedigende Gaming-Erlebnisse schaffen. Diese Herausforderung ist nur mit Medienfachleuten mit pädagogischem Geschick und eigener Gaming-Begeisterung zu stemmen. Und auch hier hat die UZWEI Suchbewegungen begonnen, das Thema Games und Gaming als Teil der Kulturellen Bildung zu etablieren. Innerhalb eines dreimonatigen Kurses haben Jugendliche ihr Game selbst erfunden, gestaltet, programmiert und gespielt. Es wurde deutlich, dass sehr unterschiedliche Gewerke und infolgedessen auch Talente ihr Können einbringen konnten: Story, Grafik, Soundaufnahmen, Programmierung. Ebenso wichtig ist, dass Jugendliche in ihrer Leidenschaft von einer Kultureinrichtung ernst genommen werden und sie in den Dozent*innen erwachsene Mitstreiter*innen und Mitspieler*innen erhalten. Der monatliche Gaming-Abend, an dem einzelne Teilnehmenden des Kurses unterstützen, ist ein Ergebnis aus der Kursarbeit – und dem Ansatz, auch Computerspiele als Gemeinschaftserlebnis wertzuschätzen, wie man es gleichermaßen bei Kunst-Ausstellungseröffnungen tut. Die Ausstellungen „Heimspiel“ – ein begehbares Computerspiel als Einzimmer-Wohnung sowie Camping (siehe unten) sind durch die Kursarbeit und die Erfahrungen mit den Jugendlichen inspiriert.
Suchbewegungen
Im Folgenden seien Beispiele beschrieben, wie sie aus dem Bereich der Kulturellen Bildung im Bezug zu Digitalität entwickelt wurden. Eine Modelleinrichtung ist die UZWEI im Dortmunder U – dem Zentrum für Kunst und Kreativität. Die eigenständige Etage ist mit Gründung und Eröffnung des Dortmunder U der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Feldern Digitales gewidmet, das sind Film, Fotografie, Gaming, Multimedia. Sie verfügt über dieselbe Größe wie andere Programmetagen des Hauses und ist nicht als „Dienstleister Vermittlung“ für die Ausstellungen anderer im Hause ansässiger Kultureinrichtungen konzipiert, sondern gestaltet eigene Programme. Die UZWEI besteht im Kern aus zwei Säulen von Aktivitäten:
- Workshops, Projekte, Kurse für Kinder und Jugendliche in medialen Künsten und Genres – außerschulisch und in Schulkooperationen; sowie
- Ausstellungen, die Digitalität auf das Präsentieren, Interagieren und die Form von Ausstellungen überträgt.
Vorweggenommen sei, dass es niemals um ein Entweder – Oder zwischen digital und analog, Tablet oder Knete geht, sondern um eine der Lebensrealität und den jeweiligen Inhalten entsprechenden Mischung von Techniken, Orten, Begegnungen, Kommunikationswegen und beteiligten Professionen. Über den Moment, das Tablet als die Lösung aller Gestaltungsinhalte des Bildungsbereichs anzusehen, ist man sicherlich hinaus. Denn Digitalität bedeutet nicht Veränderung der Technik, sondern Veränderung von Beziehungen und kulturellem Verhaltensweisen; Beziehungen zu sich selbst, zu anderen, mit anderen sowie zu gerätegesteuerten Verhältnissen mit besonderer Eigenlogik von Beziehungspflege in Form und Ausmaß der nur schwer zu verweigernden Aufmerksamkeit und Zuwendung.
Praxisblick
Perspektive und Manipulation – der Blick durch die Filmkamera
Wer selbst Filme dreht oder Fotos schießt, blickt durch eine Kamera und kann den Status des Motivs entscheiden: Hoch, tief, verletzend, bewundernd usw. Und sie*er kann verstehen, dass diese Perspektive und die Entscheidung, was auf welche Weise zu sehen und was auch nicht zu sehen und zu hören ist, die Welt manipuliert. Der Schein trügt in der Tat: Alle Bilder lügen oder zeigen niemals die ganze Wahrheit. Die Kamera ist eine Möglichkeit, die radikal subjektive Sicht aufzuzeigen. Die Kamera ist aber im Gegenzug auch die Möglichkeit, Motive und Themen neutraler zu betrachten: In Kinder- und Jugendfilmprojekten erzählen die Beteiligten, dass sie zum Teil erstmals die Möglichkeit haben, ihre Geschichte auf ihre Weise zu erzählen und bei der Präsentation von anderen respektiert worden zu sein. Das sind Geschichten vom Longboard-Fahren, von Angst auf dem Heimweg, Schlafkrankheit, Freundschaft oder über die Sehnsucht. Diese Geschichten können Acht- und 15-Jährige, Zehn- und 25-Jährige filmisch souverän erzählen. Beispiele hierfür geben die Projekte „YOUNG DOGS – Junger Dokumentarfilm“, das fünf Jahre lang auf der UZWEI beheimatet war, ebenso wie die „Kinderreporter“ der UZWEI, die eigenen Themen journalistisch auf die Spur kommen. Die Beteiligten berichten, dass ihnen durch die Kamera die eigenen Eltern oder die Zoodirektorin plötzlich sehr ernsthaft persönliche Erfahrungen erzählen, dass sich Menschen gesehen und wertgeschätzt fühlen, sich öffnen für eine Erzählung. Diese Geschichten können Gemeinschaft bilden und natürlich auch spalten.
Die Welt formt sich über Begegnungen und eigene Aktivitäten – immer aber über Bilder, die eigenen, die medialen, diejenigen, die algorithmisch in der Vorschlagsliste landen.
Die Deutungshoheit darüber, was bedeutsam ist, ist angesichts der Digitalität einerseits aufgeweicht, andererseits gefährlich verengt. Das Versprechen, die ganze Welt über ein Smartphone in der Tasche zu tragen, ist trügerisch. Umgekehrt droht die Welt durch die Auswertung der Nutzer*innendaten auf das immer gleiche zu schrumpfen, was unterkomplexe Bewertungsgrundlagen und Weltbilder begünstigt. Eine wichtige Aufgabe für Bildungsakteure ist daher: Bewertungsmuster, Manipulationen, Weltbilder aufzudecken und bewusst zu machen, viele Perspektiven zu erhalten, Unsicherheiten auszuhalten, Empathie als Bedingung des Sozialen zu fordern. Hier sitzt man überdies oft auch selbst in der Falle und tut gut daran, Diversität in Gedanken, Personen, Projekten und Prozessen immer wieder zuzulassen und anzustoßen. Das ist bei aller Freude am Ungewöhnlichen ausgesprochen anstrengend und verunsichernd und kann in Stress ausarten; das jedoch gehört zum Grundgefühl der „digital disruption“: Die Unsicherheit und Anstrengung, schon wieder etwas nicht verstanden zu haben und die Kontrolle zu verlieren. Das Bewusstsein über das Tempo und nicht geordnete Gleichzeitigkeit von Informationen, Ereignissen und Stories prägt mal ein Gefühl des „Zu-spät-Kommens“, der Rastlosigkeit und mal eine spielerische, genussvolle Welterfahrung des Unerschöpflichen.
Professionelle Filmemacher*innen wissen um die Sensibilität des gespeicherten Bildes und Clips, das und der nicht in jedem Fall auf YouTube landen sollte oder muss. Auch diese Reflexion über sensible Daten im Sinne eines Persönlichkeitsschutzes sowie auch ernsthaften Respekts gehört zur Vermittlung dazu. Zentral ist jedoch, dass die Freiheit des eigenen Denkens und der eigenen Perspektive eine Ausdrucksform finden kann, die zu einer allgemeinen Kulturgeschichte beiträgt. Was ist relevanter Content? Das ist keine technische Frage. Hier spielen Bildungszusammenhänge, Professionen, Auseinandersetzungen, Debatten eine große Rolle. Die Herausforderung und Chance sind, sehr fehlerfreundlich, spielerisch und nach eigenen Regeln in eigenem Tempo Sinn zu produzieren und gerade nicht kommerziell angetriebene Auseinandersetzungen zu fördern.
Die Kulturelle Bildung kann von Hacker*innen, von Fab-Labs und Maker-Spaces lernen: Sie emanzipieren sich von Vorgaben der Technik und Industrie und suchen nach konkreten Lösungen für gesellschaftlich-technische Fragen. Diese Fragen stellen sich aufgrund der dominanten Marktlogik nicht von allein. Kulturorte könnten an dieser Stelle mehr Plattformen für Fragestellungen kulturtechnischer Art werden, als mit einem kuratierten Programm bereits Format-Antworten zu liefern. Dies verlangt eine Rollenrevision der Verantwortlichen und ist aber eng verknüpft mit dem digitalisierten Alltag von bereits divers gestalteten Kulturorten, Communities und Netzwerken.
Urban blind date – Social Media als Gestaltungsort
Mit „Urban blind date international“ hat die UZWEI ein künstlerisches Austausch- und Aufgabenformat auf den Social-Media-Kanal Instagram verlegt. Das Grundprinzip des Blind Dates: Mindestens zwei einander unbekannte Teilnehmer*innengruppen senden einander ursprünglich per Post in Paketen gestalterische Aufgaben. Die Empfänger*innen-Gruppe bearbeitet das Material und die mitgeschickte Fragestellung und schickt das Ergebnis an die Absender*innen-Gruppe zurück. Diese bearbeitet ihrerseits das Werk auf eigene Weise weiter. Es entsteht ein Gemeinschaftswerk in dezentraler Weise. Daneben weicht die zentrale Aufgabenstellung eines*r Dozent*in schrittweise einer eigenständigen Gestaltungsübernahme, die lediglich eine Inspiration für die jeweils andere Gruppe darstellt; hier vollzieht sich bereits ein Rollentausch zwischen Teilnehmenden und Dozent*innen, der einen Großteil an Neugierde verursacht hat.
Diese Idee des künstlerischen Kettenbriefs ohne persönliche Bekanntschaft wurde im Rahmen des EU-Projekts „smARTplaces“ auf Instagram und vier Jugendgruppen in drei Nationen – Spanien, Frankreich, Deutschland – verlegt. Per Online-Post stellten sich die Gruppen einander vor. Schon diese Vorstellung widersprach den Regeln des Mediums insofern, als die Gruppen betont nicht ihre Gesichter im Selfie-Chic ablichteten, sondern dies verweigerten und sich dennoch zeigten (Abb. 1).
In den nächsten Schritten posteten reihum die einzelnen den jeweils anderen Gruppen ihre Aufgabe. Diese wurde innerhalb von 14 Tagen bearbeitet und so wuchs die Online-Galerie um zahlreiche Beiträge, die sehr unterschiedliche Qualitäten und Herangehensweisen zeigt (instagram: urbanblinddate). Die Gruppen setzten sich sehr unterschiedlich zusammen: Eine Schulklasse in Karlsruhe, eine Museumsgruppe in Amiens/Frankreich, eine Schulgruppe in Bilbao/Spanien und für die UZWEI eine Gruppe Jugendlicher aus einer Partnerschule. Likes erschienen dabei als Währung und waren wichtige Marker für die Zufriedenheit der Beteiligten. Die Posts als Reaktion auf die eigene Aufgabenstellung wurden mit Spannung erwartet, Ergebnisse trug man als tragbare Galerie bei sich und konnte jederzeit zugreifen bzw. auch persönlich Bilder posten. Alle Gruppen hatten die Möglichkeit, in Museen oder Kultureinrichtungen zu gehen bzw. waren selbst Teil davon. In diesem Zusammenhang wurden vorhandene Kunstwerke digital nachbearbeitet, erhielten persönliche Ansichten oder Veränderungen, die wiederum äußerst künstlerische Anmutung hatten.
Einem ähnlichen Prinzip folgte ein anderes Projekt, in dem Jugendliche über den Sommer eine Art Bildertagebuch führten. Die Aufgaben, die zu bearbeiten waren, wurden dezentral vom Dozenten verschickt. Auch hier wuchs eine Online-Galerie, die zu poetischen Aufgaben bildnerische Werke der Handykameras der Beteiligten ergab.
In beiden Projektbeispielen gab es persönliche „Redaktionssitzungen“, die einer Reflexion von Bilderwelten und Bilderbedeutungen bzw. gestalterischen Botschaften dienten. Die Auswahl und Einschätzung von Bildern und auch das gemeinsame Produzieren unter professionelleren Bedingungen als mit der eigenen Handykamera sind bedeutsam. Die projektleitende Fotografin im Projekt „Urban blind date“ konnte abseits vom Online-Geschehen einen geschützten Studio-Raum der Akteure eröffnen. Darin bewegten sich Jugendliche mit sehr geringem Selbstwertgefühl, die für sich selbst kein Schönheitsempfinden entwickelt hatten. Es gelang in diesem Setting –das dank Digitaltechnik hunderte Versuche von Darstellung zulässt – Aufnahmen zu erstellen, auf denen sich die einzelnen erstmals nicht als hässlich sahen. Dies ist eine relevante Erfahrung mit Kunst und Gestaltung, mit Ausdruck und persönlicher Empfindung: Die Reflexion über Bildwirkungen, Aufgaben, die Abbildung der eigenen Person – es greifen online und offline sehr unterschiedliche Bewertungskriterien; diese Unterschiede zu verstehen, sie transparent darzulegen und auf trainierte oder medial erwünschte Mechanismen zu untersuchen, eigene Kriterien zu entwickeln und zu vertreten, das gehört zu den Aufgaben der Kulturellen Bildung. Andersherum liegen digitale Bildwelten vor, die in Offline-Settings zugänglich gemacht werden können und darüber eigene Ästhetiken und Werte von „User*innen“ erst bewusst machen. Hier definieren sich eigene Welten und Muster, die ästhetisch und sozial relevant sind und damit zu den Gegenständen der Kulturellen Bildung und Kunst gehören.
Instagram selbst als Ort der Kulturellen Bildungsaktion war und ist für die Einrichtungsverantwortlichen ein Lernfeld; umgekehrt erschien für die Jugendlichen das Angebot vor Ort von größerem Interesse. Die Projektplattform „Urban blind date“ auf Instagram repräsentierte eben nach wie vor einen letztlich „pädagogisch“ gesteuerten Raum. Dass dieser sich online nicht leicht in die Feedback-Eigenlogik des Mediums fügt, das zeigt die Like- und Share-Statistik des Projekts relativ schonungslos. Aber gute Bilder, Studio-Fotos mit Profiwissen für den persönlichen Account zu produzieren, misst den Angeboten der UZWEI im Bereich Fotografie eine große Bedeutung für individuell relevante Verwendungszusammenhänge bei; auf letztere hat die Kulturelle Bildung jedoch keinen Steuerungsanspruch, wohl aber eine Reflexionsaufgabe.
Was ist eine Ausstellung? CAMPING im U
Kann es gelingen, die Erfahrungen aus dem subjektbezogenen Workshopbereich auf eine Ausstellung zu übertragen? Wie geht die Mischung aus Anregung und Eigenbetätigung, aus Rückzug und Sich-Zeigen – ist eine direktere Begegnung zwischen Subjekt und exponiertem Objekt möglich? Ist der Zugang Spiel, das Gaming als Methode und Phänomen ein Pfad, um Ausstellung neu zu denken, ohne dass es funktionalisiert ist?
Die UZWEI hat sich im Rahmen des oben genannten EU-Projekts smARTplaces zusammen mit Partner*innen aus Spanien die Frage gestellt, inwieweit sich Kulturorte mit Gaming verbinden lassen. In einem Kulturhaus wie dem Dortmunder U zu spielen, ist bereits ein Statement zur Öffnung eines Kultur- und Museumsbegriffs. Mit dem monatlichen Gaming-Abend, der mal in und mal neben den Ausstellungen der UZWEI stattfindet, wird der nerdige Klischeecharme einer Lan-Party in den Kunstkontext gestellt. Das Ergebnis ist, dass sich andere Gamer*innen hier treffen, jüngere, die im geschützten Raum spielen, ältere, die sich an ihre Gaming-Jugend erinnern, Mädchen, die hier in Ruhe spielen können und Jugendliche, die die UZWEI bereits aus Kursen kennen und nun zu Mit-Organisatoren geworden sind. Eine Nische, die Zugänge zwischen Kunst und Spielekultur schafft. Aber keine klassische Kulturelle Bildung, keine klassische Ausstellung. Was bedeutet Gaming übertragen auf eine Ausstellung? Heißt es, das Museum mit interaktiven digitalen Mitteln erlebbar zu machen? Also Gaming als Hilfsmittel für klassische Kulturinhalte zu verwenden? In einem Entwicklungsprozess mit zahlreichen Umwegen, welche Fragestellung eine neue und relevante sei, ist letztendlich der Campingplatz entstanden. Die Entwicklung ist von Anbeginn mit Gamer*innen, Medienwissenschaftler*innen und Grafik-Designer*innen begleitet worden. Zu Beginn der Entwicklung stand noch die Idee eines Objekts, eines zu erlebenden Themas, das man mit Gaming-Modulen erleben kann. Das entsprach einem Lehrideal, der Quiz-Idee, die „alten Wein in neuen Schläuchen“ präsentiert. Wie weit kann und darf man gehen? Gibt es Ausstellungen ohne Exponate?
Der Prototyp der Ausstellung kam letztlich von den freien Mitdenkern, deren Wurzeln nicht in der Kunstgeschichte oder im Künstlerischen liegen: Ein Campingplatz, der von November bis März den Besuchenden ein Aufenthalts- und Erinnerungsort, eine Spielwiese und ein Lagerfeuer sein sollte. Keine klassischen Exponate, sondern ein Raum mit Kunstrasen, Zelten, elektronischem Lagerfeuer, „Grillmaster“-Spiel, Sandkasten mit Kinect-Technik, digitalem Fotoalbum, Stauwippe und Autopack-Spiel ... Um das Lagerfeuer wurden Lesungen und eine Urlaubssprechstunde veranstaltet, ein italienischer Abend auf dem Platz mit Urlaubsgeschichten und Chansons auf Campingstühlen und mitgebrachtem Picknick, das waren die Ergebnisse des Experiments – einen „playful space“ zu schaffen.
CAMPING, diese Ausstellung bzw. Installation ist aus dem Geist der Kulturellen Bildung mit Dozent*innen aus Jugendworkshops entwickelt worden, die Menschen mit ihren Geschichten in den Mittelpunkt stellt. Sie öffnet den Ort als Raum für Erinnerungen, für das Spielen, für das Gespräch – altersunabhängig. Sie hat innerhalb des Dortmunder U das Skript dafür, was eine Ausstellung sein und bewirken kann, neu geschrieben.
The Art of Skate – Drinnen und draußen
Während CAMPING noch als „kuratorisches Konzept“ verstanden werden kann, öffnete sich bei „The Art of Skate“ eine neue Arbeitsweise zur Entwicklung einer Ausstellung. „The Art of Skate“ beschreibt einen über einjährigen Prozess, mit Mitgliedern der Skater-Community in Dortmund eine gemeinsame Veranstaltung zu entwickeln und im oder am Dortmunder U umzusetzen. Dieser Prozess wurde im Rahmen des oben genannten EU-Projekts „smARTplaces“ begleitet und fand in Kooperation mit Azkuna Zentroa – Society and Contemporary Culture Centre in Bilbao/Spanien statt.
Eine der Ausgangsfragen war: Wie kann ein Kulturhaus wie das Dortmunder U bzw. des Azkuna Zentroa mit diversen lokalen Gruppen und Kulturakteuren Programme im Haus anders gestalten und ob dies überhaupt zu wagen sei? Was passiert vor den Häusern, im Stadtteil, in der Stadt an kreativer Umwidmung von Raum und Ort, das Identität und Gemeinschaft stiftet? Können sich aus solch einer Kollaboration neue Verbindungen ergeben, die eine ungewöhnliche Kunst- und Kulturgeschichte einer Stadt und eines Kulturorts neu erzählen?
Die lokalen Bedingungen zur Entwicklung eines Projekts mit der jeweiligen Skater-Community waren sehr unterschiedlich. Während die Projektpartner*innen in Bilbao über einen offenen Facebook-Post Kontakte in die Szene erhielten, war sie in Dortmund bereits seit Jahren sprichwörtlich vor der Tür und mit einem studentischen, freien Mitarbeiter des Kinos im U bereits im Hause. Und die Suchbewegungen: Wie genau kann ein Kontakt in eine ungewöhnliche Szene hergestellt werden? Wie sind die gegenseitigen Grenzen und Möglichkeiten sowie Motivationen zu klären und zugleich kein „Ausverkauf“ einer Stadtkultur für das eigene Kunst-Renommee zu betreiben? Diese anfänglichen Schritte und die Schärfung der Fragestellungen erfolgten im Netzwerk des begleitenden EU-Projekts. Sie geschahen Schritt für Schritt im offenen Austausch mit einer wachsenden Projektgruppe, die über den Erstkontakt am Dortmunder U auf insgesamt acht Expert*innen anwuchs. Denn: Das Dortmunder U ist seit Jahren ein Hotspot für die Skater*innen-Szene, der Umbau der alten Union-Brauerei zum Kulturhaus – welches 2010 eröffnet wurde – brachte neue skatebare Architektur mit sich. Diese Situation existiert weltweit: Gerade die architektonisch anspruchsvoll gestalteten Plätze um Museen und andere öffentliche Gebäude stellen aufgrund der besonderen Baumaterialien, Untergründe und Hürden, Obstacles eine Attraktion für Skater*innen dar.
„The Art of Skate“ mündete in eine Ausstellung, die von Mai bis Juni 2019 auf der Etage UZWEI (Abb. 2) zu sehen war. Dazu hatte das Gesamtteam ein Begleitprogramm mit Kinofilmen, Skate-Workshop, Vortrag und Diskussion entwickelt. Es hätte als gemeinsame Projekt statt einer Ausstellung auch ein einzelnes Event sein können, ein Skate-Contest um und am Dortmunder U oder Filmnächte mit Clips und Filmen aus der Szene, gezeigt im Profikino des Hauses. Der Projektgruppe aus der Skater*innen-Szene jedoch erschien die „museale“ Schnittstelle als attraktiv, um in einem ungewohnten Kontext ihre Sichtweisen zu zeigen.
Der Weg zu dieser Ausstellung, und in Bilbao zu einer „Artist in Residence“, war ein großer Austauschprozess über jeweilige Ideale, Motivationen, Phänomene und Professionen. Das achtköpfige Projektteam in Dortmund, das der Projektleiter – vormals lediglich die Kontaktperson in die Szene – zusammengestellt hatte, bestand aus Skater*innen mit Berufen und Fähigkeiten wie Grafik Design, Film, Fotografie, Szenografie, Redaktion, Texten. Das Team hatte ein großes Interesse daran, die eigene Sicht auf die Stadt in vielen künstlerischen Sprachen der Öffentlichkeit zu erläutern, die eigene Szene zu erzählen und quasi eine Kommunikation über alle begleitenden Konflikte zu eröffnen. Ihre Expertise und ihr Zugriff auf Netzwerke, große Namen, Sammler*innen der Skater*innen-Szene sowie ihre eigene Profession samt Offenheit zur Kooperation öffneten eine neue gemeinsame Welt, vormals lediglich 10 m voneinander getrennt. Da Bildwelten zur Kultur des Skatens, zu Skater*innen gehören, gab es zahlreiche Schnittstellen zum Ausstellungsbereich und inhaltliche Gemeinsamkeiten bezüglich Kreativität und der Freiheit, Räume umzudeuten. Es existieren tausende Fotos und Clips von Tricks im Netz, auf Handys, auf Rechnern und in Print-Magazinen. Illustration, Gestaltung, Grafik, Grafitti, Zeichnungen, Sticker, Mode, Boards, skatebare Skulpturen, Persönlichkeiten und der Begriff von Freiheit und Gemeinschaft – das gemeinsame Projekt hat den Blick auf die Szene eröffnet und verändert und für ein inhaltlich motiviertes Ausstellungsvorhaben prädestiniert.
Die UZWEI als Einrichtung verstand sich als Plattform, das Team der UZWEI wahlweise als Fragesteller*in, Ermöglicher*in, Organisator*in, Begrenzer*in, Beratungsinstanz, Ko-Entwickler*in. Im Gegenzug wurden Entwicklungen und Ausstellungsgegenstände wie auch die Szenografie abgestimmt, angefragt, inspiriert. Die Öffentlichkeitsarbeit klassischen Stils wurde ersetzt durch neue Reichweiten auf Social Media von über 1000 Zusagen für die Eröffnung, einen zeitgemäßen Instagram Account und Webauftritt sowie Printmedien, die der Szene entsprachen. Nahezu beschämend ist daraufhin der Blick auf die institutionelle Webpräsenz, die einen klaren Absender, jedoch viele, möglicherweise diffuse Adressaten hat, eine kommunikative Einbahnstraße.
Die Erkenntnis: Digitalität bedeutet dabei nicht nur die Szenekenntnis und die entsprechenden medialen Plattformen und die mediale Wirkung in der Community zu erreichen; vielmehr bedeutete es eine Rollen- und Aufgabenrevision des eigenen Stellenprofils sowie der Institution: Die UZWEI bzw. Team und Leitung der UZWEI waren nicht Kurator*in, sondern Fragende, Ermöglicher*innen, ja Vertraute. Als Verantwortliche der Kulturellen Bildung kennt man Kontrollverluste, allerdings mehr bezogen auf Prozesse als auf Produkte, die wie eine Ausstellung in der Öffentlichkeit unerklärt über einen langen Zeitraum Bestand haben müssen. Dieser Kontroll- bzw. Machtverlust wich mit zunehmendem Prozessverlauf einem Projektvertrauen, das dem offenen Team und dem gegenseitigen Respekt zu verdanken war. Das verlangte einen entsprechend langen Entwicklungszeitraum: Viel Zeit und viel Bewusstsein, um über eigene Grenzen sowie die Offenheit über Unsicherheiten sprechen zu können.
Es verlangte sehr praktisch andere Arbeitszeiten, da Teambesprechungen am Abend und mitunter in der Skater*innen-Halle oder privat stattfanden. Es verlangte viel Kommunikation und damit verfügbare Zeit für Absprachen, Abstimmungen, Richtungsdebatten mit der Projektleitung, in der letzten Phase auch mit nahezu jedem*r der acht Projektteam-Mitglieder. Es verlangte darüber hinaus, in der eigenen Einrichtung bestimmte Unwägbarkeiten – technisch, inhaltlich, auf das Publikum bezogen, versicherungstechnisch, finanziell – zu vertreten und zu verteidigen, ohne die Umsetzung selbst in der Hand zu haben. Die begleitende Sorge des ideellen Ausverkaufs einer „Jugendkultur“ aus Gründen der anbiedernden Zeitgenossenschaft schwang bis zur Finissage mit und hat persönliche Ehrlichkeit gegenüber den neuen Verantwortlichen verlangt.
Bezeichnenderweise ist zur klassischen Pressekonferenz einen Tag vor der Eröffnung kein/e Pressevertreter*in gekommen, die Eröffnung jedoch zählte rund 600 Menschen, die zu großen Teilen nie zuvor im U gesehen oder als Besucher*innen wahrgenommen worden sind. Im Nachgang folgte das überregionale Medieninteresse, das Besuchsinteresse war generationsübergreifend kontinuierlich vorhanden.
Auf diese Weise öffentliche Veranstaltungen zu planen und umzusetzen, seien es Ausstellungen oder Events oder ein Workshopprogramm, bedarf eines kritischen Selbstverständnisses, einer anderen Arbeitsweise, die Zeit und große Aufmerksamkeit und Moderationsfähigkeit verlangt. Digitalität meint neue Beziehungen, fragt nach Rollen und Aufgaben, Kontrolle, Hierarchien und fremdem Wissen, das nicht in einer „leitenden“ Person vorhanden ist. Es verlangt auch technisches Know-how, das jedoch ohne eigenen Inhalt bedeutungslos bleibt. Dabei bleiben scheinbar immer mehr offene als beantwortete Fragen. Das bleibt auszuhalten – als Kernkompetenz.
Kulturelle Bildung im Digitalen Zeitalter: Skripte neu schreiben
Die UZWEI im Dortmunder U ist 2011 angetreten als Modelleinrichtung für die Kulturelle Bildung im Digitalen Zeitalter. Ein digitales Kultur-Zeitalter ist nach der Bilanz der ersten Einrichtungsjahre manchmal nur 2 Jahre oder 2 Monate lang, so dass man innerhalb kürzester Zeit Modelle erprobt, verwirft, Konstanten verändert oder über Bord wirft, in der eine neue Technik auch neue Möglichkeiten verheißt. Prototyping, also der Vorgang, Ideen rasch zu erproben und mitunter die Ziele bzw. „Produkte“ zu verändern – dies ist allerdings eine Konstante der Digitalität, die auf eine ähnliche Ergebnis- und Prozessfreiheit in der Kulturellen Bildung trifft. Kann es gelingen, diese Blaupause offener Prozesse und Ergebnisoffenheit auf die Entwicklung von Ausstellungen, Jahresprogrammen oder Veranstaltungen zu übertragen? Einige Wege aus der Praxis der UZWEI verweisen darauf und zeigen, dass es erneut nicht auf den Einsatz von Hardware ankommt, sondern auf ein verändertes Denken bezüglich Projektverläufen, zeitlichen Taktungen und Aufgabenverständnissen der Mitarbeiter*innen. Zeiten und Räumlichkeiten stehen im Kultursektor prinzipiell zur Verfügung: Programmplanungen vollziehen sich allerdings in Zwei- bis Fünfjahresrhythmen und scheinen in allen Details stabile Produkte zu verlangen. Es sind sehr in sich abgeschlossene Prozesse aus der Hand weniger Verantwortlicher. Digitalität jedoch verweist auf offene Prozesse, auf Veränderbarkeit, auf zufällig auftretende, spannende Partner*innen, Geschichten, Vernetzungen in nicht-künstlerische Felder bzw. neue Communities. Hier beginnt die für die Kulturgeschichte spannende Entwicklung, die in der Lage ist, eine repräsentativere Kultur – von vielen – zu erzählen und zu bewahren, die mehr umfasst als eine Kultur von verhältnismäßig wenigen Programmmacher*innen. Auch hier gilt nicht das Ausschlussprinzip, sondern eine Möglichkeit der Öffnung, der Revision des Kulturbetriebs und der Veränderung tradierter Formatregeln. Sie hat, möglicherweise nur projektbezogen, neue Handlungsethiken und ein anderes Rollenverständnis der Akteure zur Folge.
Kulturelle Bildung kann Kulturhäuser und die Erzählung von Kulturgeschichte verändern. Die Trennung der Formate – Workshops und Kurse auf der einen – Präsentation und Ausstellung, Kulturevent auf der anderen Seite – erscheint angesichts der Erfahrungen der UZWEI in vielen Fällen überholt. Vielmehr lassen sich in Workshops mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen mit digitalen Möglichkeiten sofort sichtbare Debatten über Themen führen und in einem neuen für alle zugänglichen Raum des Medialen sehr gut aushandeln. Dass diese Räume faire sind, dass ein Bild manipuliert ist und man selbst Gegenfragen stellen kann und muss, diese sehr praktische Fähigkeit kultureller Medienkompetenz ist zentraler Teil der Kulturellen Bildung. Jedoch nicht ihr einziger. Es bleibt das spielerische Welterfinden, gerade als Ausdrucks- und Entwicklungsraum für den persönlichen und für den Sozialraum.
Storytelling als unendlich erweiterbarer Formatmix, CAMPING und „The Art of Skate“ sind Modelle dafür, Skripte von Kultureinrichtungen über die Ansätze der Kulturellen Bildung neu zu schreiben, Subjekt und Objekt spielerisch und ernstzunehmend enger zu verbinden und mit Communities und Nutzer*innen in offenere Dialoge und gemeinsame „Produkte“ zu kommen. Die Radikalität medialer Perspektive ist hier eine Steilvorlage für das Feld. Sie liefert als digital verfügbares Phänomen den eigenen Präsentationsraum gleich mit und schafft darin auch neue (Kunst-)Formen der öffentlichen Sichtbarkeit und Auseinandersetzung mit Gesellschaft. Das verlangt trotz – oder wegen – des Tempos, der Rasanz technischer und der empfundenen gesellschaftlichen Entwicklung gerade die kommerzfreien Orte, Personen, Fragestellungen und Fertigkeiten der Kunst und Kulturellen Bildung. Kulturelle Bildung ist ein Ort der Aushandlung von vielen, zeitgleichen Wirklichkeiten. Gerade auf dieser Basis können die Konzepte weiter reichen und auch aus nachgelagerten Werkstätten heraus wirken. Bedeutungsvolle Einrichtungen und Aktivitäten haben gesellschaftliche Wirkung. Die Trennung von Kultureller Bildung und Soziokultur auf der einen und Kultur-/Kunsteinrichtung auf der anderen Seite ist in diesem Zusammenhang äußerst fragwürdig, wenn nicht gar überholt. Digitalität verlangt einen Diskurs über neue Kulturtechniken, neue Kulturen des Zusammenlebens und der damit verbundenen Aufgaben von Einrichtungen und individueller wie gesellschaftlicher Werte. Kultureinrichtungen kommt hierbei eine besondere Aufgabe zu: Sie müssen und können wichtige Fragen stellen und sich offensiv befragen und verändern lassen, um ihre Kraft, ein Reflexionsraum und Motor für gesellschaftliche Entwicklung und zu sein, zu behalten bzw. wieder zu erlangen. Das verlangt von Seiten der Kulturellen Bildung, in neuen Kontexten Verantwortungsfelder zu fordern und in oben beschriebener professioneller „Datenkenntnis“ zu füllen. Digitalität jedoch erfordert insgesamt die Bereitschaft zur Revision aller Steuerungsbereiche von Einrichtungen bzw. professionellen Systemen: Professionen und Aufgaben, Finanzen, Entscheidungswege, Technik, Räume, Zeiträume, Zeitdeputate, Öffentlichkeitsarbeit, Öffnungszeiten, Arbeitszeiten, Arbeitsgeräte und Arbeitsorte. Mit diesen Größen lässt sich im digitalen Zeitalter anders umgehen, durchaus zunächst spielerisch in „Prototypen“, in der fehlerfreundlichen Erprobung, um damit tatsächlich Änderungen und Relevanz von Kultur„angeboten“ für und mit eine/r digitalisierte/n Gesellschaft zu erreichen.