Kulturpädagogik inklusive: Inklusion in kulturellen Kooperationsprojekten – Eine systemische Annäherung

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von Susanne Rehm

Erscheinungsjahr: 2018

Abstract

Im Folgenden werden die drei Systeme Schule, Kulturelle Bildung und Kultur zuerst mit Blick auf das Thema Inklusion und im zweiten Schritt hinsichtlich ihrer Kooperationsmöglichkeiten im Feld der Inklusion beleuchtet. Dabei soll vor allem herausgearbeitet werden, wie die Systeme durch ihre Verfasstheit Inklusion (oder Exklusion) bedingen, beeinflussen oder aufheben und ob und wie durch Kooperationen dieser Systeme Inklusion erhöht oder vermindert wird. In diesem Artikel liegt ein Schwerpunkt auf der Inklusion von Kindern und Jugendlichen* mit Behinderung.

In diesem Artikel soll ein Schwerpunkt auf der Inklusion von Kindern und Jugendlichen* mit Behinderung liegen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass bei Veröffentlichungen der Schulministerien zwar von Inklusion im Allgemeinen ausgegangen wird, die davon abgeleiteten Maßnahmen aber fast ausschließlich Kinder und Jugendliche* mit Behinderung und „Förderbedarf“ betreffen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2015a). Der erweiterte Inklusionsbegriff, der auch alle anderen bisher noch ausgeschlossenen Gruppen in den Blick nimmt, wird nur kurz angerissen und bedarf weiterer umfassender Betrachtungen.

Wer wird behindert?

Behinderung wird in Deutschland auf zwei Arten bestimmt. Zum einen durch die Medizin, die eine sinnliche, motorische oder geistige Beeinträchtigung feststellt und attestiert, zum anderen durch das System Schule, auch wenn im schulischen Kontext der Begriff der Behinderung seit den 1990ern durch Formulierungen wie „Schüler*innen mit (sonderpädagogischem) Förderbedarf“ ersetzt wurde. Bis heute werden im deutschen Schulsystem Verfahren angewendet, die Schüler*innen im Hinblick auf eine „Lernbehinderung“ oder „Sprachbehinderung“ testen und je nach Testergebnissen fortan als „Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf“ bezeichnen. Dabei sind die Diagnostiken selbst immer wieder in der Diskussion.

„Wer schulamtlich zu einem Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf wird, ist [...] bei den – zumeist sonderpädagogischen Diagnostikern – höchst strittig. Klare Standards sind weder durch die KMK-Empfehlungen von 2000 (Drave et al. 2000) noch durch eine prüfende Handhabung der Gutachtenempfehlungen durch die Schulaufsicht erreicht worden.“ (Klemm/Preuss-Lausitz 2011: 23)

Diese entsprechende Festlegung hat dann meist nicht nur eine Etikettierung, sondern auch eine andere Behandlung im Kontext Schule zur Folge. Kinder und Jugendliche* mit „(sonderpädagogischem) Förderbedarf“ besuchen „Inklusionsklassen“ oder spezifische Schulen, je nach den Regelungen im jeweiligen Bundesland und den Empfehlungen der entsprechenden Behörden. Wie wenig einheitlich dies gehandhabt wird, zeigt sich auch an der Quote, mit der Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf in Regelschulen oder in Förderschulen in den verschiedenen Bundesländern beschult werden. Diese weichen teilweise deutlich voneinander ab (vgl. Racherbäumer 2016: 87ff.).

Hier zeigt sich bereits der erste große Unterschied zwischen dem System Schule und dem System Kultur bzw. den Systemen der Kulturellen Bildung. Das System Schule hat die Macht, einen Exklusionsfaktor „Förderbedarf“ festzulegen.

Barrierefreiheit

In der Debatte, die seit der Unterzeichnung der UN-Konvention um das Thema Inklusion geführt wird, spielte das Thema der Barrierefreiheit lange Zeit eine dominante Rolle. Dieses Thema betraf und betrifft bis heute alle drei Systeme, sowohl die Schulen als auch die Kulturinstitutionen und die Institutionen der Kulturellen Bildung.

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“ (BGG: §4)

Barrierefreiheit wurde lange Zeit übersetzt in das Vorhandensein von Rampen und Aufzügen für Gehbehinderte*. Diese Anforderung ist heute Teil der verschiedenen Landesbauordnungen und wird bei Neu- und Umbauten inzwischen berücksichtigt. Dennoch finden wir sowohl im schulischen als auch im kulturellen Kontext Gebäude, die bis heute nicht oder nur teilweise von Menschen mit Gehbehinderung in Gänze oder ohne Assistenz genutzt werden können, weil die notwendigen Umbauten nicht oder noch nicht möglich waren. Im kulturellen Bereich betrifft dies u. a. auch historische Gebäude. Bauliche Voraussetzungen für Menschen mit Sehbehinderung wie Blindenleitsysteme oder Beschriftungen in Brailleschrift fehlen überwiegend sowohl in allgemeinbildenden Schulen als auch in kulturellen Einrichtungen. Funkübertragungsanlagen (Sonderpädagogisches Förderzentrum o. J.: 10ff.), die störende Nebengeräusche für Menschen mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten ausfiltern und damit eine bessere Hörmöglichkeit ergeben, sind in der Regel nur in Förderschulen mit entsprechendem Schwerpunkt vorhanden.

Die Auseinandersetzung mit Barrierefreiheit wurde auch in verschiedenen Verbänden geführt und spiegelt sich in entsprechenden Publikationen. So verfassten der Deutsche Museumsbund 2013 (Deutscher Museumsbund 2013) und der Bundesverband der Musikschulen 2014 (VdM 2014) Empfehlungen für ihre Mitglieder*, wie Barrierefreiheit umgesetzt werden kann. Darin werden neben der baulichen, strukturellen und organisatorischen Gestaltung auch inhaltliche und pädagogische Aspekte explizit genannt. Was dies bedeutet, wird im Hinblick auf die Zugänge weiter unten beleuchtet.

Aktuelle Debatten rücken auch die Barrierefreiheit von Informationskanälen in den Fokus. Kinder und Jugendliche* mit Behinderung nutzen das Internet ebenso selbstverständlich wie ihre nicht behinderten Altersgenoss*innen. Funktionen wie Untertitelungen von Filmen für Hörbehinderte*, Vorlesefunktionen für Texte für Blinde oder der Gebrauch von einfacher oder leichter Sprache für Menschen mit geistiger Behinderung sind noch immer die Ausnahme und nicht die Regel. Dies gilt gleichermaßen für Schulen wie für Kulturinstitutionen und Institutionen der Kulturellen Bildung.

Hier sehen wir, dass alle drei Systeme in ihren Strukturen und ihrer Organisation noch nicht vollumfänglich barrierefrei sind und daher Kinder und Jugendliche* mit Behinderung noch immer exkludieren.

Zugänge

Wie kommen Kinder und Jugendliche* zur Schule und zu den Angeboten der Kulturinstitutionen und der Kulturellen Bildung? Gerade bei der Debatte um Inklusion spielt die Frage der Zugänge zu den einzelnen Angeboten eine wichtige Rolle. Denn nur wer dabei ist, kann wirklich teilhaben und mitgestalten.

Der Zugang zur Schule erscheint auf den ersten Blick einfach. In Deutschland herrscht die allgemeine Schulpflicht, die auch für Kinder und Jugendliche* mit Behinderung oder wie oben beschrieben mit „(sonderpädagogischem) Förderbedarf“ gilt. Dort sind also alle Kinder und Jugendliche* anzutreffen.

Auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass das Schulsystem durch seine Mehrgliedrigkeit an sich eigene Sortierungs- und Exklusionsmechanismen hat. Bereits in der Grundschule werden Kinder mit „(sonderpädagogischem) Förderbedarf“ teilweise in spezifisch dafür eingerichteten Schulen beschult. Ab der Sekundarstufe I gibt es je nach Bundesland zwei bis fünf allgemeinbildende Schulformen, ab der Sekundarstufe II wird dies durch verschiedene Formen der beruflichen Schulen noch weiter differenziert. Auch dies beinhaltet Exklusionsmechanismen, die Kinder und Jugendliche* mit Behinderung in besonderer Weise betreffen. Inklusionsklassen z. B., in denen Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam beschult werden, sind in der Sekundarstufe I eher in den Schulformen anzutreffen, die den unteren oder mittleren Bildungsabschluss anstreben. Dies ist ein Indiz für die systemische Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen* mit Behinderung.

Kulturinstitutionen wie Theater oder Museen richten ihre Angebote zuerst einmal an alle. Im Zentrum dieser Angebote steht in der Regel ein bestimmter Werkkanon, der in Variationen immer wieder neu interpretiert und reproduziert wird. Untersucht man diese Angebote mit Blick auf organisatorische Barrierefreiheit, muss man allerdings feststellen, dass dies noch nicht flächendeckend in den verschiedenen Bereichen umgesetzt wird. Dies wird an folgenden Punkten deutlich: Theateraufführungen werden nur selten für Gehörlose übertitelt oder von einem Gebärdendolmetscher gebärdet. In Museen gibt es nur in Ausnahmefällen Kataloge in einfacher oder leichter Sprache und auch Programmhefte in Brailleschrift bilden die Ausnahme.

Nach Bourdieu sind spezifische künstlerische Ausdrucksformen auch ein Mittel, um sich von anderen gesellschaftlichen Klassen zu unterscheiden (vgl. Bourdieu 1982: 107). Die Reproduktion eines Werkkanons, der bestimme Kunstwerke der europäischen Geschichte umfasst, schließt all jene aus, die sich die historischen oder die europäischen Bezüge dieser Werke nicht erschließen können. Dies kann zum einen für Menschen mit geistiger Behinderung oder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich „Lernen“ gelten, aber auch für Menschen, die andere kulturelle Bezugssysteme haben. Hier wird klar, dass Kulturinstitutionen dem Anspruch für alle zugänglich zu sein, alleine durch ihre derzeitigen Inhalte nicht gerecht werden können.

Kulturinstitutionen und Institutionen der Kulturellen Bildung werden von der öffentlichen Hand gefördert und unterliegen somit einem Legitimationszwang. In der Regel wird die Auslastung der Veranstaltungen und Kurse als ein Wert zur Legitimation der Institutionen genutzt. Um die Auslastung auf einem gleich hohen Niveau zu halten, ist es logisch, dass das Angebot immer wieder in ähnlicher Weise variiert und reproduziert wird. Es werden also kontinuierlich diejenigen mit den neuen Angeboten angesprochen, die bereits da sind. Zielgruppen, die sich nicht von dem Angebot angesprochen fühlen oder die durch eine nicht vorhandene organisatorische oder inhaltliche Barrierefreiheit ausgeschlossen sind, werden nach dieser Logik auch in Zukunft außen vor bleiben. Um diesen systemimmanenten Mechanismus auszuhebeln, müssen entweder die Legitimationslogiken in Stadt- und Gemeinderäten verändert werden oder die Programmgestalter*innen gehen das Risiko ein, ihre Auslastung zu gefährden.

Für Kulturinstitutionen zeigt die Nutzungsforschung bereits heute, dass nicht alle gesellschaftliche Gruppen die Angebote nutzen (vgl. Föhl 2011: 28ff.). Noch immer gelten die Orte der Hochkultur als Orte einer exklusiven bildungsbürgerlichen Elite. Menschen mit Behinderung entsprechen deren unausgesprochenen Regeln und Erwartungen in der Regel nicht. Daher ist anzunehmen, dass hier nicht gilt: Ist die Erwachsenen*-Generation kulturinteressiert, gibt sie dies an ihre Kinder weiter. Sondern vielmehr gilt, dass Eltern ihre Kinder mit Behinderung aus diesen exklusiven Räumen fernhalten, um sie Vorurteilen und Zuschreibungen nicht auszusetzen.

„Eltern [...] haben das Gefühl entwickelt, ihre Kinder schützen zu müssen. Solche verständlichen Ängste können zu einer Abschottung des Kindes mit Behinderung und der Familie führen.“ (Eltern helfen Eltern e. V./Aktion Mensch et al. 2015: 91)

Kulturvermittlung ist in den Kulturinstitutionen häufig aus dem audience development (vgl. Mandel 2008) entstanden, das neue Zielgruppen für die bestehenden Inhalte heranbilden und somit erschließen wollte. Viele kulturpädagogische Konzepte in Theatern, Museen und im musikalischen Bereich zielen daher noch immer darauf ab, die Besucher*innen für die Theateraufführung, das Konzert, die Ausstellung auf den benötigten Wissensstand zu bringen, mit dem diese das Kunsterlebnis dann verstehen und wertschätzen können.

Solche Konzepte sehen nicht vor und können es nicht leisten, individuelle Zugänge für Menschen mit verschiedenen Voraussetzungen zu eröffnen. Aber genau dies, individuelle Zugänge für Menschen mit verschiedenen Voraussetzungen zu eröffnen, ist mit den inhaltlichen und pädagogischen Dimensionen von Barrierefreiheit gleichzusetzen.

Im Kontext Museum hat die Auseinandersetzung mit Barrierefreiheit auch zur Beschreibung von inhaltlichen und pädagogischen Ansätzen für Kinder und Jugendliche mit den Förderbedarfen „Lernen“, „Geistige Entwicklung“ und „Soziale und emotionale Entwicklung“ geführt (vgl. Wichelhaus 2007: 208ff.).

Dass die Erwartung, Wissen vermittelt zu bekommen, auch bei Menschen mit Behinderung vorhanden ist, zeigt eine Untersuchung aus Tübingen im Jahr 2014 (vgl. Fingerhut 2014: 19). Kathrin Hohmaier konnte in ihren Studien „ein hochgradig präsentes Gefühl der sozialen Exklusion im musealen Raum“ bei manchen museumspädagogischen Angeboten feststellen. Sie vermutet, dass Museumsvermittler*innen statt Wissen über die Kunst zu vermitteln, Kinder und Jugendliche* ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund ausschließlich selbst malen lassen. Damit wurde ihnen aber „ihre eigene Bildungsferne [...] noch stärker ins Bewusstsein gerufen“ (Hohmaier 2015).

Systemisch betrachtet stehen Kulturinstitutionen noch immer für ein exklusives Publikum zur Verfügung, das Kinder und Jugendliche* mit Behinderung noch nicht mit einschließt. Inklusion würde hier vor allem bedeuten, die Inhalte und Vermittlungsstrategien so zu gestalten, dass sie Menschen mit Behinderungen und mit ihren spezifischen Bedürfnissen einschließen.

Angebote in Institutionen und Initiativen der Kulturellen Bildung orientieren sich an Prinzipien wie Interessensorientierung, Stärkenorientierung und Fehlerfreundlichkeit, d. h. die Inhalte müssen für jede Gruppe neu und gemäß der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Teilnehmer*innen gestaltet werden. Oft finden diese Angebote in Kleingruppen statt, um eine individuelle Begleitung aller Teilnehmer*innen zu gewährleisten. Diese Faktoren korrelieren mit der Umsetzung einer inhaltlichen und pädagogischen Barrierefreiheit.

Bei Angeboten der Kulturellen Bildung sind die Zugänge aber anders gestaltet als bei Kulturinstitutionen. Zum einen gibt es die Kurse und Veranstaltungen der Musik-, Tanz- und Kunstschulen, zum anderen die Angebote in Vereinen und Verbänden, die ehrenamtlich getragen sind. Übliche Zugänge sind hier, dass Kinder und Jugendliche* von ihren Freund*innen über die Angebote erfahren und dann mit diesen mitgehen.

Dieser Weg erscheint schwer oder unmöglich, wenn Kinder und Jugendliche* mit Behinderung in einer speziellen Schule unterrichtet werden, die in einer anderen Stadt oder einem anderen Stadtteil ist, als sie selbst leben, und ggf. gar keine Freund*innen außerhalb dieser Schule haben.

Weitere Zugänge werden über die üblichen Formen der Öffentlichkeitsarbeit ermöglicht. Hier sind die Ansprechpartner*innen die Eltern. Eltern von Kindern und Jugendlichen* mit Behinderung stellen manchmal eine weitere „Barriere“ dar, weil sie, wie oben beschrieben, ihre Kinder beschützen möchten und daher unbewusst abschotten.

Übliche Öffentlichkeitsarbeit kann somit nicht ausreichen, um diese Gruppe zu erreichen. Ein gezieltes Zugehen auf Familien mit Kindern und Jugendlichen* mit Behinderung oder die Einbeziehung von Pädagog*innen mit eigener Behinderung könnten Wege sein, diese Vorbehalte auszuräumen.

Ein Weg, dies zu tun, könnte sein, die stärkenorientierten, fehlerfreundlichen und interessensorientierten Ansätze der Kulturellen Bildung noch stärker kenntlich zu machen und in gezielten Informationskampagnen an die Eltern von Kindern und Jugendlichen* mit Behinderung zu kommunizieren. Solche Kampagnen gab es bisher nicht.

Exkurs: Angebote der Kulturellen Bildung in Einrichtungen der Behindertenhilfe

Angebote der Kulturellen Bildung sind in vielen Einrichtungen der Behindertenhilfe inzwischen selbstverständlich. Hier spielen Kinder und Jugendliche* mit Behinderung Theater, schreiben Texte, machen Musik, malen, tanzen oder machen Zirkus. In vielen Angeboten werden die spezifischen künstlerischen und kreativen Zugänge von Menschen mit Behinderung sichtbar (vgl. Braun 1999).

Aber auch diese Angebote sind meist nicht inklusiv, denn hier fehlen in der Regel die Menschen ohne Behinderung (Betreuungspersonen und Anleitende ausgenommen), sei es, weil sie nicht angesprochen werden oder weil sie sich nicht angesprochen fühlen. Hier zeigt sich, dass auch das System der Behindertenhilfe mit seinen eigenen Regelungen und Zugängen dem Ideal der Inklusion noch nicht entspricht.

Kooperationen

Da alle Kinder in die Schule gehen, werden Kooperationsprojekte zwischen Schulen und Kulturinstitutionen bzw. Akteur*innen der Kulturellen Bildung häufig als Möglichkeit beschrieben, die Zugangshindernisse für Kinder und Jugendliche* mit Behinderung auszuräumen oder zumindest zu minimieren.

Kooperationen sind immer geprägt von den handelnden Personen, ihrem jeweiligen Auftrag und ihrer Rolle im System und im Projekt (vgl. z. B. Hopfengärtner/Widmaier 2010: 14ff.). Dies gilt auch für Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen/Akteur*innen der Kulturellen Bildung. Sprich: In Kooperationen können bestimmte systemische Mechanismen nicht ohne weiteres ausgehebelt werden.

Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen bzw. Akteur*innen der Kulturellen Bildung erreichen dann Kinder und Jugendliche* mit besonderem Förderbedarf, wenn die Kooperationen mit entsprechenden Sonder- oder Förderschulen oder mit Inklusionsklassen von Regelschulen stattfinden. Das Lehrpersonal hier wird meist von Sonderpädagog*innen gestellt, die in ihrem Studium weniger ein Schulfach und seine Didaktik erlernen, sondern sich Wissen in verschiedenen sonderpädagogischen Handlungsfeldern aneignen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2015: 2).

Während die Menschen mit sinnlichen, körperlichen oder geistigen Behinderungen meist bereits durch äußerliche Indikatoren wie Rollstuhl, Hörgerät, Blindenstab oder die physischen Spezifika z. B. der Trisomie 21 als Menschen mit Behinderung erkannt werden können – und entsprechende Zuschreibungen erfolgen – können Kinder und Jugendliche*, die durch entsprechende Testungen zu „Schüler*innen mit spezifischem Förderbedarf“ gruppiert werden, durch äußerliche Faktoren meist nicht von Gleichaltrigen* unterschieden werden. Beide Gruppen sind durch die Art und Weise, wie seit vielen Jahren, insbesondere hinsichtlich ihrer Beschulung, mit ihnen umgegangen wird, vom Rest der Gesellschaft exkludiert. Ein Resultat dieser langjährigen Exklusion ist eine große Unkenntnis und damit einhergehend Unsicherheit über diese Gruppen und ihre Möglichkeiten, Fähigkeiten und Bedürfnisse. Dies trifft auch für die Mehrzahl der Kulturpädagog*innen aus Kulturinstitutionen und aus dem Bereich der Kulturellen Bildung zu. Denn sie kommen als Expert*innen für eine Kunstform und ihre Vermittlung in die Schule, nicht als Sonderpädagog*innen.

Arbeiten Kulturpädagog*innen aus Kulturinstitutionen oder aus Einrichtungen der Kulturellen Bildung in Schulen, haben sie meist einen spezifischen Auftrag, der von ihrer Institution formuliert wird. Dies reicht von der Vor- und Nachbereitung eines Besuchs in der Kulturinstitution bis hin zur Umsetzung von künstlerischen Projekten in Form von Projekttagen, Projektwochen oder eines fortlaufenden Angebots.

Je nach Auftrag kommen die dem jeweiligen System innewohnenden Exklusionsmechanismen zum Tragen. Geht es z. B. um die Vor- oder Nachbereitung eines Besuchs in einer Kulturinstitution, können nicht vorhandene bauliche Barrierefreiheit oder der Inhalt der Veranstaltung, die besucht werden soll, bereits exkludieren. Dies wird wahrscheinlich relativ selten der Fall sein, weil die Lehrer*innen eine solche Veranstaltung wahrscheinlich nicht auswählen würden.

Am besten gelingt die passende Ansprache der Kinder und Jugendlichen* dann, wenn die Behinderung nur bei der Gestaltung des Rahmens und der Struktur (Pausen, Materialien, die trotz der Einschränkungen gut genutzt werden können, etc.) eine Rolle spielt, aber nicht beim inhaltlichen Arbeiten. Dies bedeutet, dass die Kooperationen unabhängig von den jeweiligen Arbeitsweisen im jeweiligen System und genau passend für die jeweilige Gruppe von Schüler*innen konzipiert und umgesetzt wird.

Anders gesagt: Wenn Kooperationen entstehen, in denen die Sonderpädagog*innen der Schulen ihr Wissen um die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler*innen einbringen und die Kulturpädagog*innen ihr Wissen um die Gestaltung von künstlerischen Prozessen und beide Aspekte miteinander kombiniert werden, dann sind diese Projekte barrierefrei.

Aber auch solche Kooperationen sind letzten Endes exklusiv, denn wenn ein*e Kulturpädagog*in mit der Klasse einer Förderschule arbeitet, fehlen Schüler*innen ohne Behinderung. Dies bringen die Exklusionsmechanismen im System Schule mit sich. So gesehen können nur in Inklusionsklassen echte inklusive kulturelle Kooperationsprojekte in der Schule entwickelt und umgesetzt werden. Exklusionsmechanismen der Schule können auch dadurch ausgehebelt werden, dass mit außerschulischen Gruppen kooperiert wird, in denen Kinder und Jugendliche* (mit und) ohne Behinderung teilnehmen. Diese Gruppenkonstellationen sind aber seltene Ausnahmen.

Fazit

Das Ideal von Inklusion ist eine Vision, deren Realisierung noch eine Weile dauern wird. Dies betrifft das System Schule ebenso wie die Systeme der Kulturinstitutionen und der Kulturellen Bildung. Die Mechanismen, die Inklusion verhindern, sind aber von System zu System verschieden. Um sie auszuräumen, muss jedes System andere Dinge ins Auge fassen und bearbeiten. Dass dies funktioniert, zeigt die sehr gute inklusive Praxis, die wir auch heute bereits an vielen Stellen im schulischen und außerschulischen Kontext der Kulturellen Bildung antreffen.

Kooperationen von Kulturschaffenden* mit Schulen können gesamtgesellschaftlich gesehen einen Beitrag zur Inklusion leisten, denn sie eröffnen Kindern und Jugendlichen* mit Behinderung und auch solchen, die aus anderen Gründen exkludiert sind, einen Zugang zu bestimmten Themen und Kunstformen, den diese sonst nicht hätten.

Das ideale inklusive Projekt ist in jeder Hinsicht barrierefrei und wird mit einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen* mit und ohne Behinderung umgesetzt.

Verwendete Literatur

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    Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

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Anmerkungen

Zitieren

Gerne dürfen Sie aus diesem Artikel zitieren. Folgende Angaben sind zusammenhängend mit dem Zitat zu nennen:

Susanne Rehm (2018): Kulturpädagogik inklusive: Inklusion in kulturellen Kooperationsprojekten – Eine systemische Annäherung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/kulturpaedagogik-inklusive-inklusion-kulturellen-kooperationsprojekten-systemische (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.264.

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