Kulturelle Schulentwicklung und Sport – eine unmögliche Allianz?!
Lange Zeit war die Kulturelle Bildung Sache außerschulischer Bildungs- und Kultureinrichtungen. Das hat sich mit der Einführung des Ganztags an Schulen und als Reaktion auf das schlechte Abschneiden deutscher Schulen durch PISA deutlich geändert. Außerunterrichtliche Arbeitsgemeinschaften, Projekttage oder -wochen sowie profilbildende Maßnahmen liefern einen bis dato nicht geahnten Impuls zur Schulentwicklung. Hinzu kommen zahlreiche Förderprogramme des Bundes und der Länder, die mit den Mitteln der Künste und mit Hilfe von KünstlerInnen einen innovativen Umgang mit den verschiedensten Gegenständen des Lernens, SchülerInnen sowie außerschulischen Partnern in Gang setzen (Haenisch 2013). Während Theater, Musik und Bildende Kunst dabei als etablierte Sparten des außerschulischen Kunst- und Kulturbetriebs im Zentrum stehen, spielen Bewegung, Spiel und Sport eine weniger nennenswerte Rolle. Dabei bietet das Körper- und Bewegungsfach Sport Potentiale sinnlicher Erfahrungen, spielerischer Probehandlungen und produktiver Gestaltungsmöglichkeiten, die fruchtbar gemacht werden können (Klinge 2014). Sieht man einmal von der dominanten Wettkampforientierung des Sports ab, umfasst das Fach Möglichkeitsräume, die nicht nur dem Ansatz Kultureller Bildung entgegenkommen, sondern auch einen eigenen Beitrag zur Schulentwicklung leisten können.
Schulentwicklung
Der Ausbau von Ganztagsschulen bezog sich in seinen Anfängen zunächst auf Übermittagsbetreuungen sowie Angebote am Nachmittag, die von externen, mehr oder weniger qualifizierten Fachkräften, ÜbungsleiterInnen, KünstlerInnen, SozialpädagogInnen oder auch Eltern übernommen wurden. Mit den außerunterrichtlichen Angeboten waren und sind nicht nur organisatorische Veränderungen und Absprachen notwendig, vielmehr rückt die Frage nach dem Auftrag von Schule in den Vordergrund. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich Schule allein aufgrund der zeitlichen Ausweitung nun „des größten Teils der Lebenszeit junger Menschen“ (Duncker 2015:135) bemächtigt. Viel deutlicher als in der Halbtagsschule treten damit die pädagogischen und gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen hervor: neben einer Aktualisierung des Verständnisses von Lernen und Bildung muss auch das Verhältnis von Schule den Heranwachsenden gegenüber geklärt werden (ebd.). Solche zentralen Fragen betreffen dabei nicht nur Schulleitung und SchulentwicklerInnen, sondern alle Akteure, die in einer Schule versammelt sind, externe Bildungspartner einbezogen. Schulentwicklung ist nicht nur ein derzeit präsenter Begriff im allgemeinen Schuldiskurs, sondern auch ein Programm, dem sich jede Schule stellen muss. In fast allen Bundesländern ist Schulentwicklung gesetzlich verankert als „eine bewusste und absichtsvolle Veränderung […], die von den Mitgliedern der Einzelschulen selbst vorgenommen wird“ (Rolff 2007:6). Sie umfasst alle Ebenen des Lernens: die des Unterrichts auf der Ebene der Fächer, die der Qualifizierung auf der Ebene der beteiligten Personen (Lehrkräfte wie außerschulischen ExpertInnen) und schließlich die der organisatorischen Ermöglichung und Absicherung der Angeboten (Rolff 2007).
Letztendlich hat Schulentwicklung das „ultimative Ziel, die Lerngelegenheiten der Schülerinnen und Schüler zu verbessern“ (Rolff 2010 in Dedering 2012:7).
Wohin sich eine Schule entwickelt, ist abhängig vom jeweiligen Leitbild, das sie sich gibt. Während sich Schule im Zuge von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung vor allem als Ort der Wissensvermittlung und Qualifizierung verstand bzw. versteht, eröffnen sich mit der Profilbildung der Einzelschule die Möglichkeiten der Entfaltung individueller Schwerpunkte und Stärken. So stehen naturwissenschaftliche, sogenannte MINT-Profile neben Schulen mit einem wirtschaftlichen, sportiven, musisch-ästhetischen oder kulturellen Schwerpunkt.
Notwendige Voraussetzung für die Profilschärfung ist der Diskurs über ein gemeinsames Bildungsverständnis und die Frage, welchen Beitrag die Fächer und ihre VertreterInnen zum gewählten Profil leisten können und wollen. So muss geklärt werden, wie das Fach bzw. sein Gegenstand verstanden und ausgelegt wird, eine Grundsatzfrage, die nicht selten divergierende Vorstellungen zu Tage bringt und demzufolge auch Konfliktpotenzial mit sich führt.
Entwicklung von Schule mit kulturellem Profil
Schulen, die ein kulturelles Profil entwickeln wollen, orientieren sich am Leitbild Kultureller Bildung. Dies stellt die ästhetische Dimension von Lernen als Ergänzung zur kognitiven Aneignung von Wissen und Fertigkeiten in den Mittelpunkt (Liebau 2014; Liebau/Zirfas 2009; Ackermann et al. 2015; Duncker 2015).
Ästhetisches Lernen, Lernen mit allen Sinnen schließt anderes Lernen, andere „Modi der Weltbegegnung“ (Baumert hat eine Grundstruktur der Bildung entwickelt und unterscheidet dabei verschiedene Formen der Weltbegegnung, wobei keine durch eine andere ersetzt werden kann. Er zählt dazu die kognitiv-instrumentelle Modellierung der Welt, die ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung, die normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft und die Grundfragen bzw. Probleme konstitutiver Rationalität, BMBF 2007) nicht aus, sondern ist als komplementärer und zugleich nicht ersetzbarer Zugang zur Welt zu verstehen. Die Akzentuierung ästhetischen Lernens geht auf die Beobachtung zurück, „dass die Dimension ästhetisch-expressiver Erfahrung in der alltäglichen Lebenswelt und in der schulischen Bildung zu kurz kommt“ (Ackermann et al. 2015:11). Im Vordergrund steht die Wahrnehmung, die sinnliche Erfahrung von Gegenständen, Situationen und Themen der Welt, sie ist ergebnisoffen und prozessorientiert und stellt die individuelle Suche, das Erforschen und Ausprobieren von Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt. Ästhetisches Lernen vollzieht sich sowohl in rezeptiver (beobachtender und aufnehmender Weise) wie auch produktiver (gestaltender, aktiv teilnehmender) Auseinandersetzung mit einem Gegenstand und ist nicht an die Künste oder künstlerischen Fächer gebunden. Vielmehr wird Kulturelle Bildung als querliegendes Prinzip von Schule und Schulentwicklung verstanden. Demzufolge bezieht sie sowohl nicht-künstlerische Fächer wie Erdkunde, Englisch, Mathematik oder Sport, die Gestaltungen des Schulalltags (wie z.B. die Auflösung des 45-Minuten-Takts) wie auch von Schulräumen und Materialien (Klassenzimmern, Räumen der Stille, Aufenthaltsräume und Mobiliar) mit ein.
Studien zur kulturellen Schulentwicklung belegen, dass die einzelne Schule als Akteur mit ihren Ressourcen in den Blick genommen werden muss (Fuchs 2013; Ackermann et al. 2015). So sind die vorhandenen Konzepte, Ideen und Maßnahmen zur Kulturellen Bildung immer auf die jeweiligen strukturellen Bedingungen, personalen wie sozialräumlichen Voraussetzungen der einzelnen Schule zu beziehen und herunter zu brechen. Vor allem muss die Entwicklung der Schule gewollt sein, mögliche Irritationen, Unruhen oder auch Konflikte müssen antizipiert und als notwendiger Bestandteil von Entwicklung akzeptiert werden. Die zahlreichen Landes- und Bundesprogramme sowie Wettbewerbe zur Unterstützung der Kulturellen Bildung an Schulen leisten wichtige Impulse hin zur sogenannten Kulturschule, nicht nur durch eine finanzielle, sondern inhaltlich-konzeptionelle und personelle Unterstützung. Diese wird vor allem durch den Einsatz außerschulischer ExpertInnen aus Kunst und Kultur erwartet. So zum Beispiel in den Projekten „Kultur macht Schule“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V., „Mixed-up“, einem bundesweiten Wettbewerb, dem Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ der Mercator-Stiftung und der Kulturstiftung des Bundes oder „Kultur.Forscher!“, einem Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung sowie der PwC-Stiftung „Kultur.Forscher!“ .
Das Label „Kulturschule“ ist ein noch nicht vereinheitlichter Begriff. Er wurde für Schulen gewählt, die bereits ein umfassendes kulturelles Profil entwickelt haben und als Modellschulen ausgezeichnet werden konnten (so z.B. in Hamburg, Hessen, NRW). Charakteristisch ist, dass „in allen Dimensionen und Bereichen von Schule die Rolle des Ästhetischen gestärkt wird“ (Fuchs 2013:263). Und dies im regelmäßig und qualifiziert erteilten Fachunterricht in den künstlerischen Fächern sowie nichtkünstlerischen Fächern, in künstlerischen Arbeitsformen in, durch Angebote an außerunterrichtlichen kulturellen Aktivitäten wie Schulorchester und -chor, Theater- und sonstigen AGs und schließlich durch regelmäßige Kooperationen mit Kultureinrichtungen und KünstlerInnen-Projekte in der Schule. „Auch die gegenständliche und soziale Umgebung sollen eine solche Dimension aufweisen“ (ebd.).
Entsprechende Programme und Projekte treffen auf motivierte Schulleitungen und Lehrkräfte, die auf der Suche nach einem eigenen Schulprofil, veränderten Strukturen, innovativen Unterrichtsmethoden sowie einem zufrieden stellenden Schul- und Berufsalltag sind. Kulturelle Schulentwicklung ist letztlich – und auch darin sind die Studien sich einig – dann erfolgreich, wenn sie den Unterricht erreicht, ihn verändert und verbessert. Hier setzen die folgenden Überlegungen an und fragen danach, wie das Fach Sport, das zu den nicht-künstlerischen Fächern zählt, an diesem Prozess der kulturellen Schulentwicklung aktiv teilnehmen kann.
Der Beitrag des Faches Sport zur kulturellen Schulentwicklung
Den Schulsport unter einer kulturellen oder ästhetischen Perspektive zu betrachten, geht auf eine sportpädagogische Tradition zurück, die dem musisch-schöpferischen Handeln des Menschen einen zentralen Stellenwert zuordnete (Hanebuth 1961). Dabei stand nicht der gesellschaftliche Sport im Zentrum des Unterrichts, sondern die Erziehung des Leibes. Der philosophischen Anthropologie folgend wurde der Leib als Mittler zwischen Ich und Welt und damit als Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen zugrunde gelegt. Spätestens mit den Olympischen Spielen 1972 in München verlagerte sich der Fokus vom ‚beseelten und belebten‘ Leib auf den funktionierenden Sportkörper. Das Schöpferische verkümmerte zur sogenannten B-Note in den Kompositionssportarten und beschränkte sich auf Kreativität und Originalität in der Bewegungsausführung. Mit der Einführung von Tanz in den Schulsport (Kultusminister des Landes NRW 1980:132) sollte sich das bis dahin dominante Sportartenlernen öffnen. Materiale und leibliche Erfahrungen erhielten einen neuen, wiederentdeckten Stellenwert. Orientierung lieferte die von der Kunsterziehung geprägte Leitidee der Ästhetischen Erziehung, die neben tanzpädagogischen Konzepten (wie z.B. von Ursula Fritsch 1989) auch MitstreiterInnen außerhalb der Tanzdidaktik nach sich zog (z.B. Jürgen Funke 1987). Schließlich ist es sogar auf der Ebene der Lehrpläne gelungen, eine der sechs pädagogischen Perspektiven auf das Ästhetische und Expressive von Bewegung zu beziehen – gleichberechtigt neben Bewegungserfahrung, Leistung, Kooperation, Gesundheit und Wagnis. Unter der Perspektive „Sich körperlich ausdrücken, Bewegung gestalten“ erhielt die Vielfalt des Sich-Bewegens über das instrumentell Zweckmäßige hinaus einen sichtbaren Platz. Ausdrücklich geht es darum, mit der Bewegung zu spielen, sich über Bewegung auszudrücken, Bewegung zu erproben, nachzugestalten und eigene Bewegungsideen auszuformen (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014:10).
Dennoch tut sich die Praxis des Schulsports bei der Umsetzung ästhetischer Bewegungspraxen schwer. Zu dominant ist das Verständnis eines wettkampforientieren Sports, das sowohl von den Sportlehrkräften getragen wie auch von den SchülerInnen erwartet wird. Das Ästhetische wird an den Tanz delegiert oder als Beurteilungskriterium des ‚Schönen‘, ‚Kreativen‘ und ‚Wirkungsvollen‘ in Bewegung, Spiel und Sport eingesetzt. Die ästhetische Dimension des Lernens bleibt damit ein relativ bedeutungsloses Beiwerk des Schulsports.
Nicht nur durch die Öffnung von Schule hin zu einem kulturellen Profil, sondern auch angesichts der neuen jugendkulturellen Bewegungsformen (wie Parcours, Skaten, BMX-Fahren, Streetdance oder Akrobatik), rückt die ästhetisch-expressive Dimension von Bewegung in den Vordergrund (Gugutzer 2004) und erhält einen bildungs- wie kulturpolitisch neuen Stellenwert. In der Ausübung der Körper- und Bewegungskünste im Trendsport wird – so Gugutzer (ebd.:226) – die ästhetische Dimension des Sports aktualisiert und als leibliche Selbsterfahrung präsent, die durch weitere Formen der Selbstdarstellung und -inszenierung in ihrer Intensität gesteigert werden kann. Allianzen von Schulen mit außerschulischen ExpertInnen (aus Jugendzentren, Vereinen, Kultureinrichtungen und KünstlerInnen) tragen zur Verschmelzung ehemals getrennter Lernbereiche bei und beeinflussen die Schulkultur und mit ihr die Entwicklung des Faches. Neben der damit verbundenen Öffnung für neue Themen sowie verschiedene Interessen ist auch eine methodische Öffnung verbunden. Beides setzt eine weite Auslegung des Faches voraus, die den Gegenstand Sport auf seine anthropologischen Ursprünge Körper, Bewegung und Spiel zurückführt und von ihnen ausgehend Zugänge für sinnliche Erfahrungen und ästhetisch-expressive Auseinandersetzungen mit sich und der Welt eröffnet.
Diese Ausweitung des Lerngegenstands schließt damit sowohl an eine sportpädagogische Debatte an, die den Körper bzw. Leib als Vermittler zwischen Ich und Welt und „unverzichtbare Erkenntnisquelle“ (Beckers 2014:41) herausstellt als auch an aktuelle jugendkulturelle Praxisformen, die eine neue Verbindung sportiver Elemente mit ästhetischen, kreativ-spielerischen und erlebnis- bzw. eventorientierten Elementen aufweisen (Schwier 2008; Gugutzer 2004). Die Spezifik des Faches Sport geht unter diesen Perspektiven über das im engen Sinne Sportliche hinaus und verweist auf die ästhetische, kreativ-spielerische und symbolisch-darstellerische Dimension von Sport, mit der kreativ-künstlerische Aneignungsweisen und Verfahren in den Blick geraten. Dabei hat jede dieser Dimensionen ihre spezifische Bedeutung.
Die ästhetische Dimension Sport
Im Zentrum stehen die „sinnlich wahrnehmbaren ästhetischen Eigenschaften sportlicher Aktivitäten“ (Witt in Nebelung 2008:58), die auf das Leibliche und das besondere Erfahrungspotential von Bewegung, Spiel und Sport verweisen. Das Bewegungserlebnis wird als Wahrnehmung bewusst und eröffnet damit eine neue, ggf. andere Sichtweise auf sich und die Welt. Nicht nur in Bewegungstrends wie Slacklinen, Skaten, Surfen, Snowboarden oder Bouldern wird diese ästhetische, erlebnisbezogene Dimension von Bewegung, Spiel und Sport sichtbar, sondern auch in Praxisformen, die künstlerische, virtuose oder artifizielle Formen der Bewegungsführung zeigen. Streetball, Breakdance, Free Running oder Parcours veranschaulichen diese Form der Ästhetisierung sportiver Bewegungshandlungen. An die Stelle einseitiger Siegorientierung treten Elemente wie Virtuosität, kreatives Samplen, Stylen, Eventorientierung und Selbst-Darstellung (Schwier 2008). Zentral ist das Suchen und Ausprobieren neuer Spielarten, die Wahrnehmung neuer Bewegungsräume und -formen sowie eine eher gegenwarts-, denn ergebnisorientierte Bewegungspraxis.
Die kreative-spielerische Dimension von Sport
Als vom ‚Ernst des Lebens‘ entlasteter Raum (Alkemeyer 2012:118) bietet das Spielerische des Sports eine weitere Dimension für ästhetische Erfahrungen. „Wenn wir spielen, lassen wir uns ganz auf die Gegenwart ein. Wenn wir ästhetisch spielen, lassen wir uns ganz auf die Anschauung einer Gegenwart ein“ (Seel in Nebelung 2008:118). In dieser Sphäre von Zweckfreiheit können sinnliche Erlebnisse und Erfahrungen erprobt und vertieft werden. Das Spielen bildet die Basis dafür, andere Wirklichkeiten, „neue Assoziations- und Beziehungsordnungen“ (Sutton-Smith 1987:89) zu erfahren, Veränderungen wahrzunehmen und das Kunstförmige von der sozialen Wirklichkeit zu unterscheiden. Sanktionen sind nicht zu befürchten, Um- und Irrwege erlaubt, Verunsicherungen und Grenzerfahrungen möglich sowie Zufälliges und vermeintlich Fehlerhaftes ausdrücklich erwünscht. Analogien zu künstlerischen Zugängen sind hier offensichtlich. Bewegung, Spiel und Sport stellen das „Experimentier- und Lernfeld des Handelns unter Unsicherheit“ (Alkemeyer 2012:118) bereit, in dem die Widerständigkeit, die in den Dingen, im Körper, in der Bewegung liegt, wahrgenommen werden kann. Neue Qualitäten des Miteinanders oder Gegeneinanders, des Artistischen oder Artifiziellen, des Kraftvollen oder Kämpferischen treten auch hier neben die etablierten, gebundenen Formen des Sports.
Die symbolisch-darstellende Dimension von Sport
Ob bewusst oder unbewusst enthält Sport immer auch eine darstellende Ebene, auf der nicht nur die verschiedenen Umgangsweisen mit dem Körper präsent werden, sondern auch der gesellschaftliche Kontext, in dem sich das Körperliche abspielt. Eingeübte Techniken und Verhaltensweisen, Bewegungs- und Spielformen oder Sportarten verweisen auf den gesellschaftlichen Zusammenhang. In ihnen offenbart sich sowohl die Leistungs- und Erfolgsorientierung unserer Gesellschaft als auch das kreative und innovative Potential menschlichen Handelns auf gesellschaftliche Krisensituationen. So können sportive und bewegungskulturelle Praxen nicht nur als Spiegel sozialer Strukturen gelesen werden, sondern auch als Indikatoren gesellschaftlichen Wandels. Gleichermaßen liefern sie den Akteuren einen Spiel- und Übungsraum für individuelle Ausdrucks- und Gestaltungsformen. Ob Streetball, urbane Bewegungskünste oder Körperskulpturen im öffentlichen Raum (wie z.B. die als Interventionen gedachten Performances „Bodies in Urban Spaces“ von Willi Dorner, http://www.ciewdorner.at/index.php?page=work); sie alle nutzen den Körper, um sich oder etwas darzustellen. Damit erweist sich auch die präsentativ-symbolische Dimension als Möglichkeitsraum für neue individuelle wie gesellschaftliche Perspektiven, die nicht nur Ungewohntes erkunden, sondern auch auf Ungewöhnliches, Irritierendes und Neues aufmerksam machen.
Lerngelegenheiten des Faches Sport
Mit der Erweiterung des Sportbegriffs um seine ästhetische Dimension, als Experimentier- und Spielfeld sowie Plattform für den Ausdruck individueller wie sozialer Erfahrungen wird sein grundsätzlich offener Charakter hervorgehoben. Er knüpft unmittelbar an die Prinzipien Kultureller Bildung bzw. ästhetischen Lernens an. Neben der Ergebnisoffenheit stehen die Erfahrungen, sinnlichen Erkundungen und Auseinandersetzungen mit sich und der Welt im Vordergrund. Dabei geht es nicht um das Kunst-Schöne, die perfekt und spektakulär inszenierte Bewegung, sondern um die Erkundung des Verhältnisses von Körper und Bewegung zur Welt. Der unmittelbare Kultur-Raum Schule, die unterschiedlichen Fachkulturen sowie verschiedenen Lebensstile der Individuen und Gruppen liefern vielfältige Gelegenheiten für ästhetisches Lernen ausgehend vom Fach Sport. Fragen an den Raum, seine Beschaffenheit und Qualität, seine Ecken und Kanten, Orte wie Unorte, Funktionen sowie Potentiale von Schulräumen und -wegen werden mit den Mitteln des Körpers erkundet und beantwortet. Themen zur Geschichte der Region, der Schulentwicklung oder des kooperierenden Vereins lassen sich im Verbund mit dem Fach Geschichte erarbeiten. Historische Spiele oder Spiele anderer Länder und Kulturen bieten sich für Projekte mit den Fächern Geschichte, Politik und/oder Erdkunde an. Neben der Literatur- und Materialrecherche können ‚fremde‘ Spiele nachgespielt werden und damit körperlich nachempfunden und ‚gelesen‘ werden. Schließlich eröffnet eine fokussierte Wahrnehmungsschulung ungeahnte Fähigkeiten und Fertigkeiten für bislang nicht thematisierte Erfahrungen – ob im Rahmen ausgewählter Bewegungstrends, Tänze, Bewegungs- oder Spielformen. In Schulprojekten mit außerschulischen ExpertInnen wie TänzerInnen, BewegungskünstlerInnen, AkrobatInnen und PerformerInnen lernen alle Beteiligten voneinander: die SchülerInnen „erhalten ein unpädagogisiertes Feedback eines eher schulfremden Berufsgruppenvertreters“ (Ackermann et. al. 2015:227), die Lehrkräfte beobachten Vorzüge alternativer methodischer Zugänge und erlangen eine mitunter neue Sicht auf ihre SchülerInnen. Externe Partner lernen, dass ihre Arbeit nicht mit der Vermittlung von Kunst aufhört, sondern im Rahmen von Schule immer auch pädagogisch ist und damit bildend wirksam ist.
Die Gelegenheiten ästhetischen Lernens und Forschens in und um Schule sind vielfältig. Sie zu erkunden und mit allen Sinnen zu entdecken, setzt Neugierde und Mut voraus, das Unbekannte finden zu wollen, sich an (Disziplin-)Grenzen heranzutasten sowie implizite Normen zu überschreiten, um neue, individuell sinnvolle wie sozial verträgliche Formen als Beitrag zur Schulentwicklung auszuarbeiten.
Der Beitrag des Faches Sport ist dabei ein Baustein neben vielen anderen im Gesamtprojekt kultureller Schulentwicklung. Er liefert in der hier dargelegten ästhetischen, kreativ-spielerischen und symbolisch-darstellenden Dimensionierung ebenso Impulse zur Entwicklung von Schule wie die sonst an erster Stelle genannten künstlerischen Fächer. Die Erfahrungs- und Ergebnisoffenheit, die allen ästhetisch-kulturellen Zugangsweisen zugrunde liegt, impliziert den „‘Shift‘ der Schule hin zu einem größeren Erlebnisraum“ (Ackermann et. al. 2015:222). „Formale und informelle Bildungsprozesse greifen jetzt in der Schule stärker ineinander“ (ebd.) – so ein Ergebnis der Evaluationsstudie in drei Modellschulen in Hessen. Kulturschule zu sein, sei für die Programmschulen sinnstiftend. „Sie gewinnen darüber eine Identität und ein orientierendes Leitbild für ihre weitere Entwicklung […]. Über die Zielsetzung KulturSchule setzt eine Verständigung im ganzen Kollegium ein […]. Die Zusammenarbeit der Lehrpersonen intensiviert sich gewissermaßen ‚zwangsläufig‘ durch diese Anlässe. Das Selbstverständnis der Schule wird öfter zum Thema gemacht und ebenso die Frage, wie jeder seinen Unterricht verändern könnte, ohne dass dies als bedrängend angesehen wird“ (ebd.:223).
Angesichts solcher Erfolgsmeldungen stellt sich die Frage, warum Schule und ihre Akteure nicht schon längst damit begonnen haben, ihre Schule im Hinblick auf ein kulturelles Profil zu entwickeln. Dass das Fach Sport einen Beitrag dazu leisten kann, wollte dieser Beitrag deutlich machen.