Kulturelle Erwachsenenbildung
Kulturelle Erwachsenenbildung (EB) hat eine lange Tradition bei verschiedenen Trägern. Sie erhielt in der Weimarer Republik ihren spezifischen Platz in den EB-Einrichtungen, speziell in den Volkshochschulen (siehe Hans-Hermann Groppe „Kulturelle Bildung an den Volkshochschulen“), und zwar bereits damals als „Kultur für alle“ (siehe Hilmar Hoffmann/Dieter Kramer „Kultur für alle. Kulturpolitik im sozialen und demokratischen Rechtsstaat“). Kulturelle Bildung findet sich in den klassischen EB-Institutionen ebenso wie in neuen organisatorischen Konzepten als beigeordnete Bildung angekoppelt an die klassischen Kulturinstitutionen (Museen, Theater etc.), aber auch bei kommerziellen Institutionen (z.B. Bücherläden und bei diversen Vereinen). Stets stehen dabei Formen der Präsentation und Interpretation von Kunst und künstlerischen Produkten im Mittelpunkt.
Positionierungen zur Kulturellen Erwachsenenbildung
Kulturelle EB wird nach dem Kulturbericht der Bundesregierung in einem erweiterten Sinne als Förderung von Schlüsselqualifikationen verstanden, nicht nur für „Beschäftigungsfähigkeit“, sondern auch für „Gesellschaftsfähigkeit“ (Deutscher Bundestag 2007b:400). Sie unterstützt kulturelle Handlungs- und biografische Gestaltungskompetenz. Kulturelle Bildung wirkt dabei im Dreiklang von historisch-systematischer Kunstaneignung, selbsttätig-kreativer Gestaltung und interkulturell-kommunikativer Beschäftigung mit Lebensstilen. Richard Stang (2010) formuliert als zentrale Aufgaben der Kulturellen EB dementsprechend:
>> „ [...] die Förderung gestalterischer, kreativer Fähigkeiten,
>> die Sensibilisierung für die verschiedenen Formen künstlerischen Ausdrucks,
>> die Erweiterung von kulturellen und kommunikativen Kompetenzen, u.a. der Medienkompetenz,
>> die Sensibilisierung für soziokulturelle und interkulturelle Lebenszusammenhänge (interkulturelle Bildung)“ (Stang 2010:176).
Der Kulturellen EB wird in den offiziellen Papieren zur Kulturpolitik konzeptionell Raum gegeben, so z.B. 2007 im Positionspapier des Kulturrates: „Kulturelle Bildung befähigt den einzelnen Menschen, komplexe Veränderungen nicht nur zu begreifen, sondern sich darin zu orientieren und sie aktiv zu gestalten. Kunst und Kultur sind, wie im Bereich der Kulturellen Kinder- und Jugendbildung vielfach nachgewiesen, zentrale Sozialisationsfaktoren, ‚Werkzeuge des Weltzugangs‘ und Basis für den Erwerb von ‚Schlüsselkompetenzen‘ und als Brücke zur Teilhabe an gesellschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten“ (Kultur und demografischer Wandel 2007:7). In der Stellungnahme des Kulturrates von 2009 wird Kulturelle EB unter kultureller Daseinsvorsorge behandelt, um eine breite Beteiligung der Bevölkerung zu erreichen (Deutscher Kulturrat 2009:409). Um die bisherigen Offerten und das breite Spektrum zu Kunst, Kultur und künstlerisch-kreativem Gestalten zu erhalten und weiter zu entwickeln (ebd.:410/411), wird eine flächendeckende und kommunale Verankerung der Kulturellen Bildung durch die Weiterbildungsgesetze gefordert. Denn Kulturelle Bildung, so die Argumentation des Kulturrates, „ist ein elementarer Teil lebensbegleitenden Lernens und schafft Zugänge zu neuen Lern-, Lehr- und Arbeitsformen“ (ebd.:413; siehe ebenfalls Zimmermann/Schulz 2009, ebenso Fuchs 2009). In der Bildungspolitik, niedergelegt in den Gesetzesnovellierungen der Länder, gelten selbsttätig-kreativ gestalterische Angebote, wie z.B. Malen und Zeichnen, jedoch nicht mehr als förderwürdige Bereiche. Die gegenwärtige Nachfrage durch die Bevölkerung liegt aber gerade besonders im selbsttätig-kreativen Bereich (VHS-Statistik), auch als Gegenpol zum gelenkten Arbeitsleben. Zudem erwarten TeilnehmerInnen in den EB-Institutionen zusätzlich Konzepte und Kurse, die anschlussfähig zur medialen gesellschaftlichen Eventwelt sind.
Die EB-Institutionen sind unter Vermarktungsaspekten und Finanzierungsengpässen herausgefordert, einen weiten Wissensbegriff, der für Lebenslanges Lernen (LLL) eine Voraussetzung ist, theoretisch zu begründen und ihm neue Schubkraft zu geben, zumindest was die Programmentwicklung und die Vernetzung mit Kultur- und Bildungsinstitutionen in der Region betrifft. Denn Kulturelle Bildung (bzw. kulturelles Wissen) erfährt nur dann eine selbstverständliche Akzeptanz, wenn sie in Kulturerlebnisse eingebettet ist oder darauf vorbereitet.
Angebote und Nachfrage
Für Managementfragen der Kultur- und Bildungsinstitutionen sind Besucherbewegungen von Interesse. Was die Museumsforschung als milieuspezifisches Kulturmarketing betrifft, liegt hierzu eine große Anzahl von Untersuchungen vor (siehe z.B. Überblick Klein 2008). Besucherforschung, bildungswissenschaftlich betrachtet als Partizipationsforschung, benötigt jedoch vertiefende Zugänge, um die Bildungsherausforderungen im Partizipationsverhalten sichtbar zu machen. Aktive Programmgestaltung, die auf kulturelle Entwicklung und Innovationen eingeht, beginnt damit. Die Kulturmarketingforschung sorgt zwar für eine Besucherbindung, aber über Lernentwicklungen, das Gewinnen neuer Perspektiven durch kulturelle Erlebnisse und/oder das Kennen neuer Praktiken wissen wir noch zu wenig, um die gegenwärtigen Fragen nach den Wirkungen auf die BesucherInnen beantworten zu können.
Die Frage nach der Partizipation und den nachgefragten Themenschwerpunkten beantwortet die neue Vielzahl an Weiterbildungsstatistiken im Sinne eines Monitoring: Nach der VHS-Statistik von 2010 hat der Bereich ‚Kultur – Gestalten‘ gegenüber dem Vorjahr zugelegt, was die Belegungen und die Unterrichtsstunden betrifft (Huntemann 2011). Im Trendbericht des Adult Education Survey (AES) von 2010 wird festgestellt, dass der klassische Anteil der Allgemeinen EB mit einem Viertel des Angebots relativ stabil ist. Für die Bereiche ‚Sprachen‘, ‚Kultur‘ und ‚Politik‘ wird hingegen ein Rückgang konstatiert (BMBF 2011b:14ff.). Dieser Rückgang kann damit erklärt werden, dass der Aspekt ‚künstlerische Selbsttätigkeit – Gestalten‘ in der Klassifikation des AES fehlt. In der Weiterbildungsstatistik im Verbund der öffentlich unterstützten Träger von 2009 nimmt ‚Kulturelle Bildung‘ als Angebotseinheit nach ‚Gesundheit‘ und ‚Sprachen‘ den dritten Platz, bezüglich der Unterrichtsstunden sogar nur den vierten Platz ein (Weiß/Horn 2011:28ff.). Bei Einzelveranstaltungen, auch wenn sie über drei Stunden gehen, nimmt der Bereich ‚Kultur und Gestalten‘, allerdings auch was die Teilnehmerfälle betrifft, den Spitzenplatz mit 30 % ein. Jede dieser Statistiken gibt andere Auskünfte über die Platzierung, aber verweist auf die Präsenz der Kulturellen Bildung bei den Weiterbildungsträgern.
Nachfrageverhalten und subjektive Entfaltung
Empirisch betrachtet lassen sich die nachfragebezogenen Angebote in der Kulturellen EB nach drei bildungskonzeptionellen Ausrichtungen, besser nach drei Portalen zur Kulturellen Bildung unterscheiden: 1. systematisch-rezeptive Zugänge, 2. selbsttätig-kreative Zugänge, 3. interkulturell-kommunikative Zugänge. Eine weiterführende Theorie Kultureller EB hat diese Dimensionen in ihren bildungswirksamen Bedeutungen auszudifferenzieren (Gieseke u.a. 2005b).
Dabei erweist sich das Angebot in den Institutionen der öffentlich verantworteten Weiterbildung im interkulturell-kommunikativen Bereich eher als marginal. Die Institution mit dem differenziertesten und verlässlich kontinuierlichsten Angebot ist die Volkshochschule. Einen Eindruck über die Spannbreite der Angebote in der Kulturellen EB gibt die ländervergleichende Regionalstudie über zwei europäische Nachbarländer, die nachstehend zu sehen ist (Berlin/Brandenburg und Warschau/Lubuskie).
Des Weiteren führen die Befunde zu der nachstehenden Grafik. Allerdings ist festzuhalten, dass eine reine Nachfrageorientierung oder eine Steuerung durch sehr gut finanzierte Highlights einer Vereinseitigung in der Kulturellen EB Vorschub leistet. Dieses zeigt sich hier für Kunstgeschichte sowie Malen/Zeichnen und Tanzen. Jede Programmentwicklung verlangt als Handlungsspielraum eine Gegensteuerung, um eine Vielfalt im Angebot zu sichern.
Für den Vergleich mit Polen:
Ort und Zeit der Untersuchung |
Rezeptive |
Kreative |
Interkulturelle |
Berlin (1996 / 2001) |
41,6% / 35,6% |
53,3% / 60,1% |
5% / 4% |
Warschau (2001-2002) |
51,2% |
48,8% |
- |
Płock (2003) |
41,83% |
45,62% |
12,55% |
W. Lubuskie (2001) |
18,91% |
76,68% |
4,39% |
Brandenburg (1996 / 2001) |
39% / 35,4% |
50,4% / 55% |
11,5% / 9,8% |
(Solarczyk 2005: 169)
Theoretische Ansätze zur Kulturellen Erwachsenenbildung
Bildungstheorien geht es darum, die Angebots-Nachfrage-Entwicklung beschreiben und erklären zu können. Des Weiteren geht es darum, Anschlussprozesse zu identifizieren, sie mit den verschiedenen Ausläufen neuer kultureller Diskurse zu verbinden und die speziellen Bildungsherausforderungen sichtbar zu machen (Gieseke/Opelt 2005b:321).
Man kann von folgenden Veränderungen in den theoretischen Diskussionen ausgehen, die für den Bildungsdiskurs wirksam waren und sind: Galt in den 1950er Jahren noch eine Einheit von Kultur und Bildung, wobei gesellschaftlich abgewandte Perspektiven dominierten, überwogen in den 1960er/1970er Jahren Diskurse zur Kultur in der Demokratie, d.h. Fragen des selbsttätigen Gestaltens sowie der Anspruch, auch in der Kulturellen Bildung „Bildung für alle“ zu realisieren. In den 1980er Jahren verknüpften sich dann Ansätze der Kulturellen Bildung mit Selbstfindung, Selbstaktivierung, Persönlichkeitsfindung und neuer Erlebnisfähigkeit. Kulturelle Bildung suchte dabei eine Nähe zu den sozialen, ökologischen Bewegungen (Holzapfel 2002). Parallel zu dieser Entwicklung differenzierten sich Angebote aus: Einerseits bestimmten Kunst und Kultur bis in die 1990er Jahre dieses Angebot, was auch im neuen Jahrzehnt anhält. Andererseits verblasst der Bildungsaspekt gegenüber kulturwirtschaftlichen Neupositionierungen mit den verschiedensten Eventkonzepten und öffentlicher medialer Aufmerksamkeit. Gleichzeitig treten durch die Globalisierung interkulturell-kommunikative Interessen nach vorne und neue Lebensstile, neue hybride Strukturen entstehen. Gesellschaftliche Interessen und Bildungsvorstellungen werden einem cultural turn (Reckwitz 2006) untergeordnet. Gegenwärtig werden durch neurobiologische Grundlagenforschung Zusammenhänge bzw. Entgrenzungen zwischen Körperlichkeit und Emotionalität, Kognition und Lernen, Kreativität und auch Gesundheit sichtbar, die auch in der Nachfrage erkennbar sind. Neue Perspektiven in der Betrachtung von Kultureller Bildung eröffnen sich.
Was meint Kulturelle Bildung vor diesem Hintergrund? Kulturelle Bildung nach Max Fuchs bleibt „[…] eine aktive Disposition des Menschen zur Selbstgestaltung. Und sie leistet dieses mit künstlerischen Formen“ (Fuchs 1999a:217). „Kulturelle Bildung als mit künstlerischen Mitteln erzeugte Bildung unterscheidet diese von anderen Möglichkeiten der Entwicklung von Bildung“ (ebd.:221). Diese Definition gibt eine Erklärung dafür, warum so viele Menschen ganz und gar freiwillig an Kultureller Bildung partizipieren. Eine empirische Auswertung von Interviews mit PlanerInnen der Kulturellen Bildung ergibt, dass es der Kulturellen Bildung um Lebenstüchtigkeit, -bewältigung, -gestaltung, Identität, interkulturelle Erfahrung, um Kunst- und Werkverständnis im Sinne der Interpretation von Welt, um Selbstausdruck, Suche nach Techniken, Können, Nachempfinden und Wahrnehmen geht (Stock 2005). Kulturelle Bildung meint nicht inhaltlich angereicherte Geselligkeit, sondern meint Berührung, Muße, Tiefe, Grenzziehung und Verbindung sowie Können, Wissen und Verstehen. Nicht umsonst wird Kulturelle Bildung auch für die berufliche Weiterbildung mit Kreativitätsforderung in Verbindung gebracht. Nur so kann der/die Erwachsene statt als fertiges Produkt, als ein im Prozess befindliches aktives Lebewesen betrachtet werden.
Die postmoderne Position von Wolfgang Welsch (1998a) schafft daneben eine interessante Rahmung, die verschiedenen Zugänge zur Kulturellen Bildung, auch die differenten europäischen Positionen, in Bezug zueinander bringen. Der Ästhetik-Diskurs kann über Wahrnehmungsfähigkeit und Erkenntnisbereitschaft geschärft werden, indem Ästhetik und Anästhetik als Kontrastpunkte postmodern verschränkt werden.
Gleichzeitig hat Kulturelle Bildung den Anspruch, Methodenerwerb zur kreativen Selbstentäußerung, katharsische Funktionen und Wahrnehmungsschärfung aufeinander zu beziehen bzw. zu ermöglichen. Für die systematisch-rezeptive Perspektive liegt die Arbeit von Karla Görner-Schipp (2012) vor. Neben der Erschließung persönlicher ästhetischer Zugänge zur Wirklichkeit sind es gerade diese auf Selbsterfahrung und Kreativität orientierten menschlich-leiblich-emotionalen Ressourcen, die sich in der Kulturellen Bildung auftun. Nach Georg Peez (1993), einer der wenigen, der sich intensiv mit den bildenden Prozessen selbsttätig-kreativer Kultureller Bildung beobachtend beschäftigt, zeigt sich, wie sich bei den Individuen eine kreative intrapsychische Kommunikationsfähigkeit herausbildet, die zu einer ausdifferenzierten ästhetischen Kompetenz beiträgt. Eine ästhetische Bildung sichert die emotionale Differenzierungsmöglichkeit der Person, und dieses geschieht am besten über weitreichendere und tiefere Kenntnisse von Verfahren und Methoden. Kulturelle Bildung ist dann kreatives Probehandeln zur Befreiung, zum Ausgleich, zum Neuanfang. Dabei wechseln die Techniken auch im Kunsthandwerklichen mit den Ansprüchen und mit dem Lebensgefühl der Nachfragenden. Besonders deutlich ist dieses an sich wandelnden Frauenbildern und dem sich daraus ergebenden veränderten Interessen auch im kunsthandwerklichen Bereich zu sehen.
Mode und Tanz sind unverständlicherweise die Reizthemen in der aktuellen Kulturellen Bildung, vielleicht weil sie am deutlichsten Lebensstile, Beziehungsformen auch zwischen den Geschlechtern als Suche nach neuen Symbolformen darstellen. Zudem sind die wechselseitigen Wirkungen von Körper und Geist bzw. von Emotion und Kognition in der neurobiologischen Forschung untersucht und belegt worden (Dinse 2008).
Die fehlende Innenbetrachtung kultureller Bildungsprozesse, die sich in den Veröffentlichungen von Hermann Glaser (1999) und Hilmar Hoffmann (2010) als Nichtthematisierung von Bildung ankündigt, ist die Herausforderung der Gegenwart, um dem LLL in diesem thematischen Feld milieuübergreifend neue Impulse zu geben. Eine offene, mobile Gesellschaft mit breiten, sich ausdifferenzierenden kulturellen Offerten bei einer neuen Vielfalt der Kontexte für Kulturelle Bildung steht vor der Herausforderung, sich zu fragen, wer, warum und wie an Kultureller EB partizipiert, mit welchen Interessen und Lernwegen und wodurch sich milieuüberschreitende Gewohnheiten herausbilden. Sich auf Bildungsbewegungen zwischen den Milieuinteressen (siehe Barz/Tippelt 2004; Tippelt u.a. 2008) einzulassen und sie bildungswissenschaftlich zu verstehen und zu erklären, ist ein anstehendes theoretisches und empirisches Interesse in der Kulturellen EB.
Schlussbemerkung
Die starke Nachfrage nach selbsttätiger Bildung differenziert sich unabweisbar als Folge indirekter Verwertung und Kompensation für den Alltag in Familie und Beruf aus. Sie bestätigt die These von zivilgesellschaftlichen Fluchtpunkten mit individueller stützender Funktion. Bildung sucht Kultur. Für zukünftige Entwicklungen bleibt der Anspruch, die Veränderungen in der Wissensgesellschaft in eine fließende, mitgehende Praxis zu bringen und für die Nachfrage offen zu halten, d.h. aufklärerisch, ästhetisch betrachtend, erlebend, selbsttätig auslegend, also lebendig kulturaktiv zu sein.