Kulturelle Bildung und Partizipation: Semantische Unschärfen, regulative Programme und empirische Löcher
Vortrag im Rahmen eines Expertenworkshops der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung. „Denkfutter" zur Vorbereitung der Fachtagung „Illusion Partizipation – Zukunft Partizipation. (Wie) macht Kulturelle Bildung unsere Gesellschaft jugendgerecht(er)?“ von BKJ und bpb am 13./14.11.2015 in Berlin.
Abstract
Im Folgenden geht es um begriffliche Klärungen und die mit Partizipation und Kultureller Bildung verbundenen Ansprüche und Hoffnungen. Es geht um pädagogische und nicht um politische oder ethische Problematisierungen und kritische Perspektiven zum Zusammenhang von Partizipation und Kultureller Bildung und zum Bildungsauftrag der Moderne. Den Schluss bildet ein Fazit, das die Ergebnisse der Überlegungen mit weiterführenden Gesichtspunkten verbindet.
Einleitung
Zunächst ein Befund: „Partizipation“ findet sich als Sachverhalt oder als Forderung mittlerweile in allen pädagogischen Feldern: von der Früherziehung über die Schule bis hin zur Altenbildung und von der Organisationspädagogik über die Interkulturelle Erziehung bis hin zur Heil- und Sonderpädagogik – die uns in jüngster Zeit zudem mit einem verwandten Begriff, dem der Inklusion vertraut gemacht hat. Natürlich fehlt hier auch das Feld der Kulturpädagogik bzw. das der kulturellen Bildung nicht; zu diesem Feld gibt es mittlerweile auch schon einschlägige Veröffentlichungen zur Partizipation – erinnert sei hier an den Artikel „Partizipation“ im Handbuch Kulturelle Bildung (von Schwanenflügel/Walther 2012), an die jüngsten Veröffentlichungen des Rates für Kulturelle Bildung, etwa „Schön, dass ihr da seid“ (2014) oder auch an die Reihe „Kunst Pädagogik Partizipation“ aus dem kopaed Verlag (seit 2012). In diesen Veröffentlichungen ist schon vieles, wenn nicht alles gesagt.
Man kann das Bestreben nach Partizipation in der kulturellen Bildung in der jüngeren Geschichte seit den 1970er Jahren und der Debatte um eine Soziokultur ansetzen, die sich auf Chancengleichheit und Mitbestimmung in der Kulturpolitik und der kulturellen Praxis und damit auf die konkreten Interessen der Betroffenen bezog (vgl. Zirfas 2015). Ziel dieser neuen Kulturpolitik sollte es sein, „die Mitbestimmung des Individuums durch Mitbestimmung in und an der Gemeinschaft […] in den Spielräumen der Kultur“ einzuüben (Glaser/Stahl 1974:141). Damals ging es schon, und das sei in Erinnerung gerufen, um eine Kultur für alle (Hoffmann 1981), d.h. um eine Demokratisierung von Kultur und um eine Erleichterung der Zugänge zu traditionellen und modernen Formen der Hochkultur; es ging zweitens um eine Kultur von allen, d.h. um eine Kultur, die die Autonomie kultureller Eigentätigkeiten, etwa der Alternativszene mit ihren freien Künstlergruppen und Geschichtsinitiativen, in den Mittelpunkt rückte; und schließlich ging es auch um einen neuen Kulturbegriff, der alles als Kultur verstand, d.h. um ein Kulturverständnis, das neue Ausdrucks- und Darstellungsformen ohne qualifizierende Differenzierungen generierte und zuließ. Nicht nur die Kunst-Kultur, sondern auch die Sub-Kulturen, die Stadtteil-Kulturen, oder auch die Musik-, Sprache-, Jugend-, Ess-, Trinkkulturen etc. wurden im Zuge dieser Entwicklung bedeutsam – und dann bis heute noch einmal um die Faktoren der Migrations- und Medienkulturen multipliziert.
Mit dem Blick auf Partizipation kann und muss man wohl noch einen Schritt zurückgehen, auf den Anfang der Moderne im 17. Jahrhundert, in dem Comenius forderte, alle Menschen mit allen Sachverhalten allumfassend zu bilden (vgl. Comenius 1991): Omnes, omnia, omnino – oder in den Kontext der Kulturellen Bildung übersetzt: alle Menschen sollen sich mit und in allen kulturell bedeutsamen Sachverhalten, vor allem in und mit den Künsten, in qualitativ hochwertiger Form bilden (können). Von seinem Anspruch her dürfte sich diese comenianische Forderung cum grano salis in allen modernen Überlegungen zur Kulturellen Bildung wiederfinden lassen.
Im Folgenden geht es ausschließlich um den begrifflichen Zusammenhang von Kultureller Bildung und Partizipation und die damit verbundenen Ansprüche und Hoffnungen. Das heißt, dass ich nicht die Diskurse und Realitäten der Partizipation auf den Feldern der Kulturpolitik, oder der Museums-, der Theater-, der Musik-, der Spiel- oder auch der Medienpädagogik usw. in den Blick rücken möchte. Es geht hierbei um eine pädagogische, und nicht um eine politische oder ethische, Problematisierung des Zusammenhangs von Kultureller Bildung und Partizipation. Dabei werden vier Sachverhalte in den Blick genommen: die Begriffe „Partizipation“ und „kulturelle Bildung", der Bildungsauftrag der Moderne, die Problematiken und Fragenstellungen zur Partizipation und kritische Perspektiven auf Partizipation. Den Schluss bildet ein Fazit, das die Ergebnisse der Überlegungen mit weiterführenden Gesichtspunkten verbindet.
Vorab möchte ich auch klarstellen, dass ich es für sinnvoll halte, wenn Menschen so früh als möglich mit Kunst und Kultur in Verbindung kommen, also ein Instrument lernen, Theater spielen oder sich theoretisch und praktisch mit der Bildenden Kunst auseinandersetzen, und dass sie dabei möglichst selbst- und mitbestimmt vorgehen können sollen – auch wenn diese Perspektive durch meine kritischen Bemerkungen gelegentlich in den Hintergrund zu geraten droht.
Begrifflicher Zugang
Unter dem Begriff Partizipation – wie unter seinen teils übereinstimmend, teils aber auch differenzierend gebrauchten Ersatzbegrifflichkeiten wie Anteilnahme, Austausch, Beteiligung, Einbeziehung, Integration, Inklusion, Kooperation, Mitbestimmung, Mitgesamttätigkeit (Schleiermacher), Öffentlichkeit, Selbstverwaltung, Teilhabe, Teilnahme, Zugang, Zugehörigkeit und Zusammenarbeit – kann und wird häufig etwas sehr Unterschiedliches gemeint. Ganz allgemein bezieht er sich auf die Möglichkeit bzw. Wirklichkeit der Selbst- oder der Mitbestimmung gemeinschaftlicher Belange des Zusammenlebens, wobei unter Bestimmung Beratung (Mitsprache), Entscheidung (Mitwirkung) und Umsetzung (Mitbestimmung) gemeint sein kann. Partizipation ist damit per se ein Vermittlungsprinzip zwischen den Individuen und den allgemeinen, sozialen oder politischen Institutionen. Idealiter wäre dann das politische Ganze (das totum einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, eines Staates etc.) im Einzelnen (pars) und jedes Einzelnen im Ganzen repräsentiert; damit erscheint die Repräsentation – auch im Sinne einer direkten Selbst(re)präsentation im Sinne Rousseaus – als Grundvorgang der Partizipation (vgl. Gerhard 2007, Kap.1).
Obwohl Partizipation sich auf unterschiedliche Sachverhalte und Praxen beziehen kann, d.h. auf soziale, kulturelle, ökonomische, technische oder auch pädagogische Angelegenheiten, hat sie im Kern eine politische Grundierung. Denn Partizipation verfolgt generell das Ziel, durch das gemeinsame Mitwirken das Leben einer Gesellschaft und ihrer Mitglieder zu gestalten. Nicht umsonst gilt Partizipation als Prinzip, Form, Gegenstand und Effekt moderner, auf repräsentativen Formen des Parlamentarismus beruhender, demokratischer Staaten. Denn diese zeichnen sich erstens dadurch aus, dass sie die Partizipation zu ihrer Begründungstruktur zählen (z.B. durch spezifische politisch-partizipative Legitimationsverfahren). Darüber hinaus ist es bedeutsam, dass sich die Bürger in Demokratien in vielfacher Hinsicht – politisch, sozial, moralisch, ökonomisch, pädagogisch – beteiligen müssen, sich darüber mit demokratischen Institutionen identifizieren (sollen); insofern integrieren und stabilisieren sich diese Staaten über Partizipationsverfahren. Partizipation in der Bildung soll in diesem Sinne dazu beitragen, das politische Interesse zu erhöhen, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten. Gerade moderne pluralistische Staaten brauchen – trotz Neutralitätsgebots des Unterrichts – im Grunde ein Schulsystem, das die eigenen demokratischen Grundlagen stetig zu regenerieren in der Lage ist.
Was aber meint Kulturelle Bildung? Im aktuellen „Kinder- und Jugendplan des Bundes“ (KJP-Richtlinien) vom Januar 2012 heißt es dazu: „Kulturelle Bildung soll Kinder und Jugendliche befähigen, sich mit Kunst, Kultur und Alltag phantasievoll auseinander zu setzen. Sie soll das gestalterisch-ästhetische Handeln in den Bereichen Bildende Kunst, Film, Fotografie, Literatur, elektronische Medien, Musik, Rhythmik, Spiel, Tanz, Theater, Video u.a. fördern. Kulturelle Bildung soll die Wahrnehmungsfähigkeit für komplexe soziale Zusammenhänge entwickeln, das Urteilsvermögen junger Menschen stärken und sie zur aktiven und verantwortlichen Mitgestaltung der Gesellschaft ermutigen.“
Kulturelle Bildung wird dabei als eine Form der Allgemeinbildung verstanden, die (im Rahmen kulturpädagogischer Arbeitsformen) mit kulturellen und künstlerischen Mitteln individuelle und soziale Entwicklungsprozesse in vielfacher, nämlich ästhetischer, körperlicher, politischer, ethischer und biographischer etc. Hinsicht möglich macht. Diese oder ähnliche lautende Definitionen finden sich auch in anderen Publikationen, wobei i.d.R. davon ausgegangen wird, dass Kulturelle Bildung vor allem die Bildung in und durch die Künste meint (daher wird auch im Folgenden häufig auf die Künste fokussiert).
Der Bildungsauftrag der Moderne
Aus einer partizipationsorientierten Sicht erscheint die Moderne als das Zeitalter, im dem sich für alle Beteiligten die gleiche Möglichkeit bieten muss, sich an Formen der Selbst- und Mitbestimmung zu beteiligen. Anders formuliert meint dies, dass prinzipiell jede und jeder Zugang zu allen sozialen und pädagogischen Funktionssystemen haben sollte, denn erst dann würde die Partizipation wirklich eigenständig erfolgen. Insofern sind pädagogische Institutionen dann als problematisch einzuschätzen, wenn sie spezifische Formen der Partizipation nicht ermöglichen.
Ein zweiter Gesichtspunkt: Man sollte sehr genau zwischen der Partizipation als politischem Prinzip, d.h. der faktischen Mitgestaltung einer Gemeinschaft, und der Partizipation als pädagogischer Form des sozialen oder politischen Lernens unterscheiden; diese beiden Formen stehen in einem Spannungsverhältnis, denn die pädagogische Frage nach den Partizipationskompetenzen verhindert die Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen und die Vernachlässigung der kompetenten Voraussetzungen kann wiederum die politische Wirksamkeit beeinträchtigen (vgl. Bettmer 2008; Richter 2012). Politische Partizipation ist aber erziehungswissenschaftlich nicht per se, sondern immer nach Maßgabe von pädagogischen und didaktischen Überlegungen sinnvoll (vgl. Liebau 1999). Die folgenden Grenzen etwa sind bei der Teilhabe an Arbeit zu beachten: „Schulisch initiierte Teilhabe an der Erwerbsarbeit findet ihre Grenze einerseits spätestens dort, wo die Gefahr der ,Kinderarbeit‘, also der ökonomischen Ausbeutung des kindlichen und jugendlichen Arbeitsvermögens auftaucht, andererseits spätestens dort, wo die Arbeitsanforderungen die Kompetenzen der Schüler überfordern“ (Liebau 1999:56). Auch kommt aufgrund der anthropologischen Gegebenheiten und der humanen Ontogenese keine pädagogische Theorie der Partizipation ohne ihr Gegenstück, der pädagogischen Stellvertretung, aus; und dieser Sachverhalt wird vielleicht nirgendwo deutlicher als im Bereich der Sonderpädagogik (vgl. Ackermann/Dederich 2011; Prosetzky 2009).
Partizipation im (demokratischen) politischen Sinne ist auf pädagogische Kontexte angewiesen, in denen das (praktische) Wissen um die Bedeutung von Repräsentativität, Regeln, Recht, Öffentlichkeit, Diskurs etc. entwickelt wird; doch sind diese pädagogischen Kontexte selbst in einem bestimmten Ausmaß nicht demokratisch und partizipativ.
Als fast allgemeinverbindliches Programm von Erziehung und Bildung lässt sich das Konzept der Partizipation so fassen, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeit bekommen sollen, selbst ihre Umwelt- und Lernbedingungen mitzugestalten bzw. dass sie Bedingungen vorfinden sollen, in denen sie lernen können, diese Bedingungen mitzugestalten (vgl. Betz/Gaiser/Pluto 2010). Dieser Bildungsauftrag der Moderne zielt also auf eine Ausgestaltung von Teilhabekompetenzen in allen relevanten Lebensbereichen, seien es Alltag, Politik, Wissenschaft, Arbeit, Religion und eben auch Kultur und Ästhetik.
Die Pädagogik der Partizipation schließt dabei an die zentralen neuzeitlichen Leitlinien der Erziehung (der Aufklärung), der Bildung (des Neuhumanismus) und der Entfaltung (der Romantik) an, die als politische und soziale Mündigkeit, lebenslange Selbstbildung, die Entfaltung von Subjektivität, von Traditionswürdigkeit, Gegenwartsberücksichtigung und Zukunftsfähigkeit ausbuchstabiert wurden. Diesem Partizipationskonzept korrespondiert die soziale und politische Idee der Chancengleichheit, die als pädagogisches Konzept von Gerechtigkeit ausformuliert werden muss (vgl. Burghardt/Zirfas 2013). Es geht darum, pädagogisch gerechte Institutionen zu gestalten, die Kindern und Jugendlichen aktive Teilhabemöglichkeiten bieten. Wer Menschen zu aktiven Mitgestaltern moderner Demokratien erziehen möchte, muss deren Partizipationskompetenzen schon in den pädagogischen Institutionen entwickeln.
Wenn man unter Partizipation im Kern den Sachverhalt der Selbst- und Mitbestimmung versteht, so fällt es pädagogisch zunächst nicht schwer bildungstheoretische Anschlüsse herzustellen. Erinnert werden soll hier exemplarisch an Wolfgang Klafki, der in seiner Rekonstruktion der Pädagogik der Aufklärung und des Neuhumanismus den Bildungsbegriff als Antwort auf die und als Chance für die mit der Moderne verbundenen Probleme konzipiert hat (Klafki 1996). In seiner Zusammenfassung des klassischen Bildungsgedankens, der humanistische, aufklärerische und kritische Potentiale enthält, werden folgende Grundelemente von Bildung identifiziert:
- die Befähigung des Individuums zu vernünftiger Selbstbestimmung in Lebensbeziehungen und Sinndimensionen,
- die Befähigung des Individuums zur vernünftigen Mitbestimmung, Partizipation und Verantwortung und
- die Befähigung zur Solidarität, zum Eintreten für andere Menschen. Partizipation ist in diesem Sinne nur ein anderer Begriff für Bildung (vgl. Fuchs 2008, vor allem Kap. 4 u. 5).
Dabei ist zu vermuten, und dann wiederum auch zu problematisieren, dass Selbst- und Mitbestimmung im Kindergarten etwas anderes ist als Partizipation in der Erwachsenenbildung, und dass sich ein partizipativer Zeichenunterricht vermutlich von einer partizipativen Zirkuspädagogik in wichtigen Aspekten unterscheiden lässt. Im Einzelnen ist zu klären, inwiefern mit den unterschiedlichen pädagogischen Arbeitsfeldern und den unterschiedlichen Semantiken des Begriffs Partizipation auch theoretische oder praktische Differenzen einhergehen. Denn es macht einen Unterschied – und zwar einen ums Ganze – ob man sich nur irgendwie dazugehörig fühlt, oder ob man in irgendeiner Form symbolisch teilnimmt oder ob man realiter an etwas teilhat. Wenn es eine Verbindlichkeit in diesen polyvalenten Semantiken und in den unterschiedlichen Feldern gibt, dann den schlichten Sachverhalt, dass man glaubt, mit Partizipation „gehe alles besser“ – bei den individuellen und strukturellen Voraussetzungen, bei der Vermittlung und Aneignung und schließlich auch bei den internen und externen Effekten kultureller Bildung. So wird im erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Diskurs oftmals auf die positive Bedeutung von Partizipation für das Wohlbefinden, die Lernbereitschaft oder auch die demokratische Einstellung von Kindern und Jugendlichen oder für die Stabilität und Integration der diversen pädagogischen Gemeinschaften abgehoben.
Problematiken und Fragestellungen
Betrachtet man vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund den Zusammenhang von Kultureller Bildung und Partizipation, so müsste man wohl zunächst die grundlegende Frage bearbeiten, warum und zum welchen Ziele man überhaupt an Kultureller Bildung intensiv partizipieren will oder soll, und etwa nicht an politischer, religiöser, sportlicher, technischer etc. Bildung. Zu dieser Legitimationsfrage, die sich, wenn man so will, für jede einzelne Kunst noch einmal je besonders stellt, gibt es anthropologische, bildungstheoretische, kulturgenerative, sozialkompensatorische oder auch transferpolitische und gelegentlich auch kunstbezogene Argumentationen, die ich allerdings hier nicht diskutieren möchte.
Bleibt man auf der Ebene des Zusammenhangs von Kultureller Bildung und Partizipation selbst, so zeigen sich zunächst eher Probleme und Paradoxien (Ahrens/Wimmer 2012:20ff.): Denn zum einen sind kulturelle Lernprozesse selbst immer schon in irgendeiner Form Prozesse der Teilnahme (an Kultur), zum anderen sind Partizipations- und Mitwirkungsprozesse in einem gewissen Umfang wohl auch immer kulturelle Lernprozesse. Insofern macht es kaum Sinn zu sagen, das man lernen kann, am kulturellen Lernen teilzuhaben, denn man kann kulturelles Lernen nur lernen, wenn man schon am kulturellen Lernen teilhat: Man lernt Schreiben durch Schreiben.
Etwas anders gelagert ist natürlich die Frage, ob alle Menschen, die z.B. Theater spielen lernen wollen, es auch können; und noch anders die Frage, ob alle Menschen, die Theater spielen lernen können, es auch sollen. Anders formuliert, muss die Frage nach dem Zusammenhang von Partizipation und Kultureller Bildung im Prinzip mindestens drei bzw. sechs Momente klären: Einerseits müsste geklärt werden, welche partizipativen Voraussetzungen bzw. Partizipationspassungen für die Kulturelle Bildung bestehen bzw. bestehen sollen; sodann, welche Partizipationsmöglichkeiten es in der Kulturellen Bildung gibt bzw. geben soll; und schließlich, welche Teilhabefähigkeiten sich durch die Kulturelle Bildung ergeben bzw. ergeben sollen.
Hierbei kann man die oftmals gemachte Differenz von formaler, non-formaler und informeller Bildung hinzuziehen. Dann wird deutlich, dass es fast allen erziehungswissenschaftlichen Autoren in partizipativer Hinsicht nur um zwei Formen der Bildung geht, nämlich um die formale und die non-formale. Denn man kann davon ausgehen, dass mit Sozialisation und Enkulturation immer, unvermeidlich und wohl i.d.R. lebenslang Prozesse des informellen kulturellen Lernens bzw. der informellen Kulturellen Bildung einhergehen, und dass alle Menschen immer schon an (Alltags-)Kultur und Bildung in unbewusster, mimetischer und ritueller Form partizipieren. Und da man sich seit den 70er Jahren von einem normativen Kulturbegriff weitgehend verabschiedet hat, fällt es schwer, Menschen vorzuwerfen, sie partizipierten an der „falschen“ Kultur. Wenn es denn in den Diskursen um Kulturelle Bildung um das informelle kulturelle Lernen geht, dann nur um mangelnde „Passung“ und insofern um mangelnde Partizipation: entweder passen die informellen Lernmuster nicht zu den formalen oder non-formalen kulturellen Bildungseinrichtungen oder vice versa. Doch festzustehen scheint, dass man keinen professionellen Einfluss auf diese informellen familiären oder Peergroup bezogenen Prozesse hat, so dass diese einfach hingenommen werden müssen.
In formaler Hinsicht geht man einerseits davon aus, dass durch die schulischen Bildungssysteme ein Minimum an formaler ästhetischer und kultureller Bildung für alle bereitgestellt wird; und andererseits diskutiert man das Ausmaß und die Qualität an bereitgestellter Kultureller Bildung und kritisiert, dass Schülerinnen und Schüler in biographischer Hinsicht nicht länger, in zeitlicher Hinsicht nicht umfassender und in didaktischer Hinsicht nicht besser an Kultureller Bildung partizipieren können. Man stellt also nicht nur individuelle, sondern auch strukturelle Defizite an Partizipationsmöglichkeiten fest; und konstatiert gleichzeitig, dass es ein „schwarzes Loch“ an empirischer Forschung in Bereich der kulturellen Grundversorgung in Schulen gebe (Rat für kulturelle Bildung 2014:36).
Aber auch die Rede von einem (unbedingten) Anspruch auf ein kulturell-ästhetisches Bildungsminimum bleibt durchaus prekär, kann doch dieses Minimum kaum garantiert werden. Denn einerseits wäre zu klären, was man genau darunter zu verstehen habe (Kanon- und Kompetenzdebatte); denn die Schulen (aber auch die non-formalen Bildungsinstitutionen) werden nicht alle Künste und nicht alle in gleicher Weise fördern können; und andererseits gibt es trotz verpflichtender Vorgaben (Schulbesuch) aufgrund des sogenannten pädagogischen „Technologiedefizits“ oder des „Curriculums des Unwägbaren“ keine Produkthaftung für ein solches Bildungsminimum. Bildungsangebote garantieren keine Bildungserfolge – selbst bei umfassenden Partizipationsmöglichkeiten der Schülerschaft. Auch das resultatorientierte kulturelle Bildungsminimum bleibt also ein regulatives Ziel.
Zudem gibt es habituelle Defizite. Denn nicht alle SchülerInnen können im gleichen Ausmaß an Kultureller Bildung in der Schule partizipieren, weil die habituelle Passung zwischen Schüler- und Lehrerschaft nicht gegeben ist. Denn die Schule pflegt, und das belegen alle empirischen Untersuchungen einer qualitativen Bildungsforschung, eine spezifische Form der „Gleichbehandlung“, nämlich jene, die sich am Habitus der sozialen Mittelschicht orientiert (vgl. z.B. Bourdieu/Passeron 1973). Um ein Wort von Bourdieu abzuwandeln: Man unterrichtet nur diejenigen, die schon partizipieren können. Diese unterrichtliche Gleichbehandlung aller kann deshalb als problematisch empfunden werden, weil sie nur einen speziellen Teil der Klasse, eben jenen der sozialen Mittelschicht, fördert.
In der jüngsten Veröffentlichung des Rats für Kulturelle Bildung mit dem Titel „Horizonte“ (2015) heißt es dazu ernüchternd: „Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern haben zum Ende ihrer Pflichtschulzeit hochwahrscheinlich weniger Kenntnisse und Interessen in kulturellen Bereichen als Kinder aus Akademikerhaushalten; Interesse und Engagement der Jungen sind dabei erheblich niedriger als bei den Mädchen. Das im Schnitt geringere Kulturinteresse der Eltern in bildungsfernen Milieus prägt die Heranwachsenden wesentlich, sie besuchen zudem häufiger Schulen mit niedrigeren Abschlüssen, in denen das kulturelle Angebot im Schnitt weniger umfänglich ist. Überdies fällt der Unterricht dort in den künstlerischen Fächern häufiger aus als an Gymnasien.“
Soll man nun schulische Didaktiken und Methoden entwickeln, die dem Habitus aller Schüler gerecht werden (vgl. Bourdieu 2001)? Soll man schulischerseits andere – nicht mittelschichtfokussierte – Wissensformen stärker beachten und berücksichtigen? Führt diese Beachtung zur besseren Integration und Partizipation aller Schülerinnen und Schüler oder wieder zu neuen Formen der Benachteiligung und zu anderen hegemonialen Partizipationsformaten? Soll man die Orientierung am Mittelschichthabitus beibehalten, der wiederum entscheidend für den Erfolg in den Feldern Beruf, Politik und Kultur zu sein scheint? D.h. wohl auch: Soll man sich mit der Selektionsfunktion von Schule einfach abfinden? Und damit auch indirekt eingestehen, dass manche Schülerinnen und Schüler einfach „zu wenige“ oder „die falschen“ Partizipationskompetenzen haben?
Jedenfalls stellt man mittlerweile resigniert (?) fest, dass die Schule nicht in der Lage ist soziale und kulturelle Benachteiligungen zu kompensieren und damit den weit gespannten gesellschaftspolitischen Erwartungen eines partizipativen Bildungssystems für alle nachzukommen, reicht doch zum einen der Einfluss der sozio-kulturellen Einbettung wesentlich weiter als die schulischen Einwirkungsmöglichkeiten und wirkt zum zweiten die Schule als Reproduktionsfaktor bestehender sozial ungleicher Verhältnisse. Nicht nur für die Kulturelle Bildung, sondern auch für Partizipation gilt, holzschnittartig formuliert: Was man nicht in der Familie gelernt hat, das wird auch kaum außerhalb der Familie praktiziert. So wie man durch Herkunft und Schule bildungspraktisch doppelt benachteiligt wird, so auch partizipationspraktisch. Beteiligungserfahrungen in der Familie sind Voraussetzungen für Beteiligungsmöglichkeiten in der Schule und die Beteiligungskultur in der Familie korreliert mit dem sozioökomischen Status (vgl. Winklhofer 2008:80f.); zu berücksichtigen ist dabei, dass hierbei neben der Familie auch die Medien und die Peergroup eine wichtige Rolle spielen.)
Kritische Perspektiven
Nun lässt sich folgern, dass jemand, der sich längerfristig und intensiv mit Kultur und Kunst beschäftigt hat, und der dabei seine Lernziele und -wege, seine Lernzeiten und -orte selbst- bzw. mitbestimmten konnte, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten der kulturellen oder ästhetischen Wahrnehmung, des Verstehens, des Darstellens und Inszenierens wahrscheinlich verbessern wird. Das erscheint nun wiederum nicht unplausibel, wenn nicht trivial – und trifft natürlich in dieser Allgemeinheit auf alle Bildungsformen zu. Etwas anders gelagert sind die Fragen, ob die Kulturelle Bildung generell ein Mehr oder ein hohes Maß an Partizipation zum Gelingen braucht? Oder auch: Ob Kulturelle Bildung – im Vergleich zu anderen Bildungsformen – ein höheres Maß an Partizipationskompetenz zu vermitteln in der Lage ist? Wir befinden uns dann einerseits im Kontext der Freiheitsspielräume und Autonomiemöglichkeiten, die die Kunst gegenüber anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, resp. die Kulturelle Bildung gegenüber anderen Bildungsformen besitzt bzw. besitzen soll; und anderseits im Kontext einer vergleichenden Transferforschung, die anhand von Indikatoren, den Zugewinn an Partizipationskompetenz durch Kulturelle Bildung zu klären hätte. Wenn sich diese Fragen überhaupt klären lassen, dann wohl letztlich nur empirisch. Hierbei werden etwa die Freiheitsspielräume in den unterschiedlichen Formen (formal etc.) unterschiedlich ausfallen und wahrscheinlich in der Schule noch am geringsten sein: Denn hier bleibt die Problematik, dass die individuellen, je partikularen Überzeugungen und Werte und die je unterschiedlichen Partizipationsmöglichkeiten, gerade durch die Institution der Schule homogenisiert werden sollen; und insofern können durch das gemeinsame Einüben von allgemeineren Denk- und Handlungsformen auch nur sehr spezifische Formen der Partizipation praktiziert werden.
Allerdings erscheint die Schule – jedenfalls aus Sicht der SchülerInnen, aber auch aus dem Blickwinkel der kritischen Schulforschung – ohnehin als nur eingeschränkt partizipationsfähig (vgl. Bohnsack 2003:87ff.). Das oft auftauchende Beispiel lautet hier: Wenn etwa die aktive Mitwirkung – konkret etwa in der Schülerselbstverwaltung – nicht zu konkreten Ergebnissen führt, sondern „nur“ zu Zwecken der Beruhigung veranstaltet wird, kann diese nur als pädagogisch kontraproduktiv und bedenklich eingestuft werden.
So kann der Mangel an partizipativen schulischen Strukturen sich etwa daran bemessen lassen, dass es kaum vorhandene Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten in Bezug auf Lernmaterialien, Lerntempi, MitarbeiterInnen und Aufgabenstellungen gibt. Etwa die Hälfte aller SchülerInnen antwortet auf die Möglichkeiten der Partizipation im Unterricht daher auch: „trifft eher nicht zu“ und „trifft gar nicht zu“ (Kötters et al. 2001, S. 95). Fragt man etwas anders danach, ob die Lehrer nach der Meinung der SchülerInnen bei Entscheidungen fragen, so antworten „nur“ 26%: „trifft gar nicht“ bzw. „trifft eher nicht zu“ (vgl. Grundmann et al. 2000:261ff.; Böhme/Kramer 2001).
Dieser Sachverhalt der sehr eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten könnte bei den ästhetischen Unterrichtsfächern deshalb anders sein, weil diese häufiger in projektorientierten Beteiligungsformen praktiziert werden; insofern könnten Inhalte, Sozialformen, Methoden, Lernwege, aber auch räumliche und zeitliche Bedingungen im höheren Maße durch die SchülerInnen mitbestimmt werden. Ein Indiz für ein „Mehr“ an Partizipation könnte sein, dass die ästhetischen Fächer i.d.R. zu den beliebteren Unterrichtsfächern gehören (vgl. Behnken u.a. 2005:10).
In „der“ Schule lässt sich insgesamt eine Fülle von Strategien einer „verordneten“, einer „simulierten“, einer „disziplinierenden“, einer „instrumentalisierten“ und einer „kontrollförmigen“ Partizipation finden (vgl. Helsper et al. 2001; Budde 2010), die daran zweifeln lassen, ob man es hierbei überhaupt noch mit Partizipation oder eher wohl mit ihrer Ideologie zu tun hat: Die mit der Partizipation verbundenen Antinomien, Widersprüche und Strukturprobleme werden in „schulischen Handlungszusammenhängen symbolisch bearbeitet, in imaginären Entwürfen sinnstiftend bewältigt und in konkret symbolisch ausgeformte Strukturprobleme und deren Bewältigung im Sinne spezifischer Anerkennungsverhältnisse für einzelne Schulen überführt“ (Helsper 2001:39).
Noch schärfer gefasst: „Partizipation kann leider auch als Unterwerfungsgeste und als Akt der Unterdrückung [...] verstanden werden“ (Muñoz 2012:68). In diesem Sinne erstaunt es nicht, dass sich fast 60% der SchülerInnen für ihre Schule nicht verantwortlich fühlen und dass sie die Schule nach Unterrichtsschluss nicht mehr sehen wollen.
Mittlerweile weiß man, dass asymmetrische und strategische Machtkalküle die Bereitschaft zur substantiellen Partizipation ebenso zerstören wie die Unterdrückung von Opposition und der Ausschluss von Minderheiten; positive Einflüsse auf Engagement und Partizipation sind dagegen in der Wahrnehmung einer effektiven schulischen Gremienarbeit, in der erfolgreichen Mitarbeit bei schulischen Verhaltensnormen, bei Mitbestimmung im Unterricht und schließlich bei der Gestaltung der Schule und der Klassenräume zu erwarten (Bohnsack 2013:95f.). Kurzum, pädagogische Partizipation macht erst dann Sinn, wenn sie nicht nur auf eine politische Partizipation zielt, sondern selbst politisch verstanden wird. Hartnuß und Maykus (2008:85ff.) listen für diesen Sachverhalt folgende 13 Bedingungen erfolgreicher Partizipation auf: Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit, Wirksamkeit, Nachhaltigkeit, Lebensweltorientierung, Altersorientierung, Differenzierungen (Geschlecht, Kultur etc.), Qualifizierung, pädagogische Begleitung, Sicherstellung finanzieller Ressourcen, Querschnittsaufgabe, Schaffung einer politischen Lobby, (Weiter-)Entwicklung einer Kultur der Beteiligung, die man auch als Qualitätskriterien von Partizipation verstehen lassen. Das bedeutet, dass es den professionellen Pädagogen in der didaktischen Interaktion gelingen muss, den fachlichen Unterricht mit den Bedürfnissen der SchülerInnen nach Selbst- und Mitbestimmung (so weit als möglich) mit Blick auf diese Kriterien zu vermitteln.
Auf der anderen Seite, und auch dafür gibt es eine Reihe von Belegen in der Schulforschung, nutzt das selbstorganisierte, partizipative Lernen nur denjenigen, die schon selbstorganisiert sind; diese lernen dann ihr Lernen noch strukturierter, kreativer und effektiver zu gestalten. Den lernschwächeren Schülern helfen eher die nicht so partizipativ strukturieren Unterrichtsformen mit stärkeren Anleitungen und Hilfestellungen; ihnen werden dann die Entscheidungen, was, wann, wie und woraufhin gelernt wird, in höherem Maße abgenommen.
Kann man nun Partizipation im Rahmen Kultureller Bildung lernen? Wenn, dann verfängt man sich natürlich in formalen und non-formalen Bildungseinrichtungen in dem bekannten pädagogischen Paradox, jemanden zu etwas aufzufordern, was er oder sie noch nicht kann und ihn oder sie kontrafaktisch als jemanden zu begreifen, der er noch nicht ist: „Du kannst das schon“, „Bring dich doch mehr ein“, „Das schaffen wir nur gemeinsam“ usw. Die Aufforderung zur Partizipation klingt dann auch nicht anders als die Aufforderung zur Selbsttätigkeit: Allerdings wird das Subjekt dabei nicht emanzipiert, sondern „partizipiert“. Auf jeden Fall konstatiert man einen Mangel an Partizipationsfähigkeiten bzw. -fertigkeiten, der dann durch Kulturelle Bildung behoben werden soll. Das kann dann in den Vorwurf der mangelnden Partizipation münden, oder auch in die resignierte Feststellung, dass der pädagogische Adressat die partizipative Entwicklung nicht erfolgreich abgeschlossen hat; aber da man aus dem Projekt „Partizipation“ kaum aussteigen kann, denn Partizipation umfasst nicht das Recht auf Nicht-Partizipation, bleibt hier der Vorwurf des Paternalismus.
Es erstaunt daher nicht, dass Partizipation als ein politischer und pädagogischer Grundbegriff erscheint, der mit durchweg positiven Konnotationen wie Mitbestimmung, Engagement, Legitimation und Inklusion einhergeht, während Nichtpartizipation dagegen oftmals als ein durchaus negativ besetztes Konzept mit Desinteresse und Verachtung, aber auch mit Exklusion in Verbindung gebracht wird. Doch diese vordergründige Dichotomie verkennt, dass es auch kritikwürdige Formen der Partizipation geben kann – wie sie z.Zt. im Kontext neoliberaler Debatten diskutiert werden, in denen Partizipation ganz eng mit ökonomisch-utilitaristischen Interessen kurz geschlossen werden (vgl. Schröer 2012) oder auch im Kontext machtkritischer Diskussionen, in denen von der „Technokratie“ oder der „Tyrannei“ (vgl. Cooke/Kothari 2001) der Partizipation die Rede ist. Partizipation kann dann auch als eine pädagogische oder politische Strategie verstanden werden, SchülerInnen und BürgerInnen in Verantwortlichkeiten einzubinden, die sie eigentlich nicht verantworten können bzw. sie für Aufgaben in die Pflicht zu nehmen, die im Kern von pädagogischen oder staatlichen Institutionen erfüllt werden sollten. Denn mit dem Rückzug des Wohlfahrtstaates und der Hinwendung zum Neoliberalismus findet auch eine Verschiebung vom Recht zur Pflicht auf Teilhabe statt. Diese Entwicklung kann Formen eines gouvermentalen Selbst erzeugen, das sich nicht nur ökonomisch konform, sondern auch sozial exklusiv verhält, insofern es das Ziel verfolgt, am Markt oder in der Schule zu bestehen, was etwa damit einhergeht bzw. einhergehen kann, seinen Mitbürgern und Mitschülern nicht den gleichen Handlungsspielraum einzuräumen.
Auf der anderen Seite kann es durchaus sinnvolle Formen der Nichtpartizipation geben, die spezifische Grenzformen der Partizipation betreffen, wenn etwa Fragen der Repräsentativität nicht geklärt erscheinen, wenn (kognitive) Überforderung droht, wenn (zeitliche oder interessenbezogene) Ressourcen zu begrenzt sind oder wenn es zu bewussten Ablehnung von Partizipation kommt. Und natürlich lassen sich auch negative Effekte des Partizipationsdiskurses benennen, wenn z.B. der Idealtypus des partizipativen Schülers zur Diffamierung von Menschen führt, die ein bestimmtes Beteiligungsniveau nicht erbringen können (oder wollen), wenn Partizipation per se als sinnvoll gesehen wird oder schlicht mit Kompetenz verwechselt wird (Schwarmintelligenz vs. Schwarmdummheit; liquid participation), wenn es zu einer Überschätzung von Verwirklichungskompetenzen und zu einer Unterschätzung von Ziel- und Methodenbestimmungen oder auch wenn es zu sehr unterschiedlichen Erfahrungen der Partizipationsmöglichkeiten in unterschiedlichen sozialen Feldern kommt. Hierbei ist z.B. der Unterschied zu beachten, der mit den Partizipationsmöglichkeiten im Schulunterricht und in der schulischen Peergroup zu tun hat; denn die unterschiedlichen Vergemeinschaftungsformen mit ihren asymmetrischen bzw. symmetrischen Logiken ermöglichen auch unterschiedliche Realisierungen von Selbst- und Mitbestimmungen.
Fazit
- Die Forderung nach Partizipation ist eine alte Forderung der Pädagogik der Moderne, die immer wieder eine Renaissance erlebt: In der Zeit der Aufklärungspädagogik, der Reformpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in den neueren reformpädagogischen Bemühungen seit den 1960er Jahren und im Zeitalter der Kinderrechte (1989) und des KJHG (1991) sowie der Inklusion (UN Behindertenrechtskonvention 2006) werden Stimmen nach Partizipation verstärkt erhoben und zugleich rechtlich gerahmt (vgl. Baacke/Brücher 1982).
- Der Begriff Partizipation ist semantisch unscharf und deckt eine Fülle von normativen Programmatiken und deskriptiven Phänomenen ab; daher ist er sehr anfällig für Instrumentalisierungen oder für Inszenierungen pädagogischer Symbolpolitik. Der pädagogische Kern der regulativen partizipativen Prinzipien im Rahmen der Kulturellen Bildung ist die Möglichkeit einer Teilhabe an einer Grundversorgung an Kunst und Kultur im Lebenslauf; was die Realitäten der Kulturellen Bildung anbelangt, so gibt es – sowohl im informellen, aber auch im non-formalen und formalen Bildungsbereich – noch einige empirische Löcher.
- Der pädagogische Kern des Partizipationsgedankens ist der Gedanke der Selbst- und Mitbestimmung. Unter Partizipationsgesichtspunkten verweist dieser Ansatz auf der theoretisch-normativen Ebene auf eine vollständige Symmetrie der Beteiligten und auf der praktischen Ebene auf das Prinzip „Eine Stimme für jeden“ für gemeinsame Entscheidungs- und Konfliktreglungsprozeduren. Die Frage nach der pädagogischen Möglichkeit von Teilhabe und Teilnahme lässt sich, so die fast durchgängige Argumentation, nur im Rekurs auf die Frage nach den Bedingungen von pädagogischen Institutionen entscheiden, in denen die dafür nötigen demokratischen Dispositionen gebildet und erworben werden können; diese müssen unterstützt, gefördert, erfahren und angewandt werden können. Erst die gemeinsame Teilhabe sichert die wechselseitige Teilnahme und fördert das Interesse am Sozialen. Eine Pädagogik der Teilhabe (Liebau) verweist auf die Entwicklung von pädagogischen Institutionen, in denen Kinder und Jugendliche eine Logik der Dispositionen erwerben können, die sie wiederum dazu befähigt, die gesellschaftlichen Bedingungen der Partizipation und Demokratie zu erlernen und zu praktizieren. Es sind gerade die reformpädagogischen Ansätze, die die partizipative Praxis innerhalb eines pädagogischen Gemeinwesens (Schule) in den Mittelpunkt ihrer Argumentation rücken; (implizite) Modelle der Partizipation finden sich dementsprechend nicht nur bei Kohlberg, sondern auch bei John Dewey, Hartmut von Hentig und Eckart Liebau.
- Mit dieser Fokussierung sind eine Fülle von pädagogischen Problemen und Paradoxien verknüpft, die sich zunächst auf die berühmte Fragestellung Kants, wie man die Freiheit beim Zwange kultivieren könne, zurückführen lassen. Pädagogisch betrachtet wird Partizipation in asymmetrischen Machtverhältnissen ein- und ausgeübt. In diesem Sinne kommt eine Pädagogik der Partizipation nicht umhin, die „Ambivalenz der Partizipation“ (Reichenbach 2006:59) zu ertragen und die Partizipationsperspektive entweder zu temporalisieren, d.h. mit einer noch zu erlangenden Kompetenz zu verbinden, die erst eine symmetrische Beziehung zwischen den Partizipierenden möglich, und damit das pädagogische Verhältnis überflüssig macht, oder aber zu dichotomisieren, d.h. für bestimmte Bereiche Partizipationsmöglichen zu gewährleisten (z.B. Mittel oder Bewertung Kultureller Bildung), sie in anderen Fällen aber zu versagen (z.B. Ziele und Rahmenbedingungen Kultureller Bildung).
Sodann scheint sich die Forderung nach Selbst- und Mitbestimmung auch in pädagogisch-ethische Diskurse der Gerechtigkeit und Selbstachtung zu verwickeln, und die Fragen danach aufzuwerfen, inwieweit man alle gleich oder alle ungleich behandeln muss: Sollte es einen kulturellen Bildungskanon für alle geben? Oder sollte es positive Diskriminierungen im Sinne von Förderungen für kulturell benachteiligte Risikogruppen in der Kulturellen Bildung geben? Und schließlich wäre im Einzelfall zu klären, wie man die Partizipation innerhalb eines Feldes Kultureller Bildung pädagogisch strukturell verortet bzw. verorten kann; hier lassen sich graduelle Formen der Nicht-Beteiligung, von denen der Schein-Beteiligung und denen der mehr oder weniger übertragenen Beteiligung unterscheiden (vgl. Schurr 2001:1336f.); und es wäre wiederum im Einzelfall zu klären, welche verfassten oder nicht-verfassten, direkten oder indirekten Partizipationsformen als angemessen bzw. pädagogisch sinnvoll gelten können (ebd.:1337f.). Formen der Nicht-Beteiligung an Entscheidungen und ihren Umsetzungen lassen sich allerdings als Formen der Missachtung verstehen, die die Selbstachtung der Beteiligten und ihre soziale Integrität bedrohen können. - Denkt man Partizipation von der Kunst bzw. Kultur her, so stellt sich die Frage, was es für die Kultur bzw. auch das kulturelle Produkt bedeutet, wenn es für jeden anschlussfähig ist? Was verliert die Kulturelle Bildung, die nach Nietzsche ja aus dem „Pathos der Distanz“ erwächst, wenn sie jeglichen Distinktionsgewinn eingebüßt hat? Müssen wirklich alle alles allumfassend (Comenius) kulturell und ästhetisch verstehen und praktizieren (können)? Oder geht es „nur“ um kulturelle Chancengleichheit im Sinne einer umfassenden Anerkennung aller kulturellen und ästhetischen Wertigkeiten in formalen und non-formalen Bildungssystemen? Oder darum, dass spezifische gesellschaftliche Sphären wie Ökonomie und Politik die Sphäre des Kulturellen und Ästhetischen nicht dominieren? Geht es um ein kulturell-ästhetisches Kerncurriculum, das alle Schülerinnen und Schüler absolviert haben müssen? Dient der Begriff der kulturellen Partizipation dazu, das Spiel mitspielen zu können – und damit auch ggf. zu wissen, dass man sich gegenüber anderen MitspielerInnen in einer subalternen oder superioren Position befindet – oder bedeutet Partizipation nicht auch und vor allem, Partizipation neu und ggf. anders zu verhandeln, d.h. das bisherige Spiel außer Kraft setzen zu können? Bildet man also einen Teil eines realen, symbolischen oder imaginierten Ganzen (der Kultur) oder partizipiert man an einem Diskurs bzw. einer Praxis, die darüber debattiert, welchen Teil man wie und in welchem Ganzen spielen möchte? Suggeriert Partizipation Konsens – bzw. vielleicht auch die Ideologie des Konsenses – oder geht es nicht eigentlich um die Aushandlung von Dissens?
- Mit diesen Fragen wird die latente Konsens- oder Versöhnungsformel Partizipation problematisch, die per se Demokratie, Gemeinschaft und Einverständnis zu versprechen scheint. Gelegentlich ist nämlich im Miteinander auch weniger zu erreichen, als dem Einzelnen möglich ist (vgl. Rat 2014:56). Partizipation lässt sich konsequent wohl nur als ein offenes Programm formulieren, als Arena des Streits über angemessene Formen der Selbst- und Mitbestimmung, über adäquate Teilhabe- und Repräsentationsmöglichkeiten. Und nur eine festgelegte und festlegende Partizipationstheorie führt zur Exklusion von neuen und anderen Formen von Partizipation. Partizipation erfordert eine Form der Repräsentativität, die permanent ihre eigenen Begründungen, Inhalte, Formen und Effekte diskutiert. Denn man sollte sich darüber bewusst sein, dass der Begriff Partizipation nicht die Bedingungen seiner eigenen Anwendung regelt: Weder schreibt der Begriff der Partizipation vor, wie die Repräsentativität bzw. die Teilhabemöglichkeiten konkret ausgestaltet werden müssen, noch fixiert die Selbstbestimmung genaue Vorschriften für ein entsprechendes Verhalten bzw. ihr entsprechende Verhältnisse. Zu erinnern ist auch daran, dass eine größere Repräsentativität durch umfangreichere Partizipationsmöglichkeiten nicht automatisch auch eine gerechtere Gesellschaft bzw. Gemeinschaft impliziert, können doch entsprechende Maßnahmen auch dazu führen, die schon Privilegierten noch stärker zu privilegieren (vgl. Blandow/Gintzel/Hansbauer 1999:20).
- Partizipation ist nicht der Titel für die Orte, an denen jeder Dissens geschlichtet werden kann (vgl. Heil/Hetzel 2006). Es ist eher ein Titel für die Voraussetzungen und Resultate von kontingenten Anerkennungs- und Kommunikationsprozessen, in denen entschieden wird, was als Begründung, Form, Inhalt und Effekt von Kultureller Bildung überhaupt in Frage kommt. Partizipation ist in Sachen der Kulturellen Bildung vor allem ein Regulativ, ein Versprechen und eine Forderung, die darauf abzielt, kulturelle Bildungsmöglichkeiten allen Menschen während des ganzen Lebenslaufs in qualitativ hochwertiger Form zur Verfügung zu stellen. Insofern ist sie vor allem ein bildungspolitisches Programm, das auf die energische und konsequente Verfolgung in der theoretischen und praktischen Ausgestaltung bestehender partizipativer Strukturen und in der Öffnung und Weiterentwicklung von neuen Partizipationsmöglichkeiten in der Kulturellen Bildung besteht.
- Insofern ist die semantische Unschärfe des Begriffs auch eine Stärke: Indem der Begriff unscharf bleibt, und selbst seine qualitätsbezogenen Operationalisierungen keine Eindeutigkeiten bieten, bleibt die Debatte um Partizipation virulent und offen. Der Begriff fordert – wenn man so will – eine permanente Auseinandersetzung seiner eigenen Realisierung; er verlangt die Bedingungen von Selbst- und Mitbestimmung im Rahmen der Kulturellen Bildung stetig neu auszuhandeln. Dabei werden Macht- und Ressourcenfragen thematisch; es werden aber auch kreative und experimentelle Formen der Aushandlung und Umsetzung von Partizipation gefragt, für deren Erarbeitung gerade die Kulturelle Bildung ein besonders geeignetes Feld zu sein scheint. Partizipation bleibt für die Kulturelle Bildung eine Aufgabe im doppelten Sinne: Ein regulativer Auftrag, an dem sie sich orientieren muss; und eine prekäre Angelegenheit, die strukturell vom Scheitern bedroht ist.
- Dabei fällt auf, dass Partizipation bislang immer noch stark entweder individuell oder strukturell gedacht wird: spricht man strukturell von Partizipation, dann geht es um Zugangsmöglichkeiten, Nichtdiskriminierung, Ressourcen, aber auch um das Bereitstellen von qualitativ hochwertiger Kultureller Bildung; der individuelle Diskurs hebt vor allem auf die Partizipationsmöglichkeiten oder -kompetenzen bzw. auf den partizipativen Habitus ab. Beide Perspektiven sind miteinander verschränkt: Wenn strukturelle Voraussetzungen für Kulturelle Bildung gegeben sind, obliegt dem Einzelnen die Selbstinklusion; sind die Voraussetzung für die Selbstinklusion gegeben, dann braucht man nur die entsprechende kulturelle Infrastruktur bereitzustellen.
In diesem Zusammenhang kommen die personen- und strukturunabhängigen verhältnis- und kontextbezogenen Aspekte gelegentlich etwas zu kurz. Ein relationistischer Blick auf Partizipation an bzw. in der Kulturen Bildung könnte etwa verdeutlichen, dass fehlende bzw. gelingende Passungen nicht nur von individuellen oder strukturellen, sondern auch von relationalen Gegebenheiten gedacht werden können (vgl. Clemens 2015): Dann rücken im partizipativen Blickwinkel etwa der Einfluss von Cliquen und Freundschaften von Kindern und Jugendlichen für die Zugänge zur Kulturellen Bildung oder auch die sozialen Beziehungsstrukturen in der Kulturellen Bildung stärker ins Bewusstsein. - Partizipation ist von der Pädagogik her zu denken. Versteht man als den inhaltlichen Kern Kultureller Bildung die Auseinandersetzung mit den Künsten, so ist Partizipation von dieser Auseinandersetzung her didaktisch zu denken und zu entwickeln. Hierbei wäre zu klären, welche Partizipationsformen und -prozesse sich je nach künstlerischem Gegenstand und Bildungsziel als sinnvoll herausstellen. Denn wie es nicht nur eine Kunst und ein pädagogisches Ziel, sondern viele gibt, so gibt es nicht nur eine Partizipationsform, sondern ebenso viele.
- Und weil es unterschiedliche Rahmenbedingungen, Spielräume und Qualitäten Kultureller Bildung gibt, gibt es auch demensprechend unterschiedliche Formen und Qualitäten der Partizipation. Hierbei werden bislang folgende fünf Bedingungen als Qualitätsstandards diskutiert (Bettmer 2008:214): 1. Die Inklusion aller Betroffenen; 2. Chancengleichheit der Teilnahme; 3. gleiches Stimmrecht; 4. gleiches Recht zur Bestimmung der Themen (und Verfahren); 5. eine ähnliche Informationsbasis. Dabei sollte beachtet, dass auch das regulative Ziel der Vollinklusion aller in die Kulturelle Bildung wohl letztlich wieder eine Differenz erzeugt, nämlich von denjenigen, die erfolgreich partizipieren und denjenigen, die nicht so erfolgreich partizipieren wollen oder können.
- Unter dem Aspekt des Zugangs zur Kulturellen Bildung ist zu überlegen, ob und inwiefern man die vier Strukturelemente des Rechts auf Bildung, die man im Rahmen der Menschenrechtspädagogik erarbeitet hat, nicht auch auf die Frage nach der Kulturellen Bildung übertragen kann bzw. sollte (vgl. Motakef 2007): Es geht hierbei um das sogenannte 4-A-Schema, das zunächst die allgemeine Verfügbarkeit (availability) von Kultureller Bildung benennt; d.h. dass Kulturelle Bildung in ausreichendem Maße (in formalen wie non formalen Bildungssystemen) zur funktionsgerechten Verfügung steht und dass genügend Material und ausgebildete PädagogInnen und KünstlerInnen vorhanden sind. Der zweite Gesichtspunkt betrifft den diskriminierungsfreien Zugang (access) zur Kulturellen Bildung. Es darf keine rechtlichen, faktischen oder wirtschaftlichen Einschränkungen dieser Bildung geben. Drittens geht es um Annehmbarkeit (acceptability) der Formen und Inhalte Kultureller Bildung, die sich an den Lebenslagen der pädagogischen AdressatInnen, aber auch an wissenschaftlichen Standards und pädagogischen Intentionen bemessen lassen müssen. Und schließlich gehört auch die Adaptierbarkeit (adaptibility) zu diesem Kriterienkatalog; sie zielt auf die Erfordernisse von veränderten Lebenslagen der Gesellschaften, Kulturen und AdressatInnen. Das Recht auf Kulturelle Bildung wird durch availability und access, die Rechte in der Kulturellen Bildung durch acceptability und adaptibility gesichert; und die Rechte durch die Kulturelle Bildung kommen durch die adaptibility zum Tragen.
- Zum vorläufigen Schluss soll noch kurz auf die Frage eingegangen werden, inwieweit man durch Kulturelle Bildung politische und soziale Partizipation fördern kann. Ohne die Strategie einer Instrumentalisierung der Kulturelle Bildung für außer ihr liegende Ziele betreiben zu wollen, stellt sich die funktionalistische Frage, ob sich durch den rezeptiven wie produktiven Umgang mit Kunst und Kultur eine Bildung zur Partizipation sinnvoller gestalten lässt?
Zunächst einmal wirkt diese Frage merkwürdig, weil der Beschäftigung mit Kunst gelegentlich ein Eskapismus von der Wirklichkeit und häufiger auch eine gewisse Distanzierung von ihr attestiert wird. Folgen wir etwa Dieter Henrich (2001:132), so vergegenwärtigt uns die Kunst „Prozesse des bewußten Lebens in einem wirklichen Vollzug und zugleich doch so, daß sie nicht auch schon wirklich von uns vollzogen sind. Die Distanz in der Betrachtung wird also nicht aufgehoben. Aber sie wirkt nunmehr dahin, daß deren Gehalte uns ergreifen können.“ Indem wir uns also mit den Künsten auseinandersetzen, entfernen wir uns von unserer Lebenswelt, allerdings so – und hier kommt die Partizipation ins Spiel –, dass wir uns ihr im spielerisch geschaffenen distanzierten Raum der Möglichkeiten umso intensiver wieder widmen können. Künste sind dialektische Orte der Distanzierungen und Bezugnahmen, in denen wir auch ein kritisches Verhältnis zur partizipativen Wirklichkeit lernen können. Insofern kann das Feld der Kulturellen Bildung kritisch-experimentelle Formen der Aushandlung und Umsetzung von Partizipation einüben und praktizieren.
KünstlerInnen, darauf hat Hans Dielemann (2008:117-142) hingewiesen – und wir nehmen diese Hinweise hier auch für die Frage nach der Partizipation durch Kulturelle Bildung auf – können in vielfacher Hinsicht zu einem kritisch-konstruktiven Verständigungsprozess (etwa auch über Partizipation) beitragen: indem sie eine ästhetische Kritik der Kunst und Symbolik, des Designs und der Zeichen (von Partizipation) anregen; indem sie eine heuristische Kritik der alltäglichen (partizipativen) Lebensstile und Alltagsroutinen vornehmen; indem sie einer Ganzheitlichkeit von Wahrnehmung, Wissen und Sein den Weg bereiten oder indem sie durch eine professionelle Reflexivität neue und ungewohnte, hybride und vernetzte Sichtweisen von Partizipation ausprobieren. In diesem Sinne lassen sich gesellschaftliche, politische etc. Strukturen gerade artistisch und ästhetisch befragen und in Frage stellen: „Dafür eignet sich in besonderer Weise die Auseinandersetzung mit künstlerischen Phänomenen, die es darauf anlegen, eingeübte Rezeptionsweisen zu unterlaufen, Irritation hervorzurufen und damit die Imaginationskraft einer umfassend entwickelten Persönlichkeit zu stärken“ (Wimmer 2007:30). Kulturelle Bildung könnte insofern als analytisches Instrument, als kritisches Korrektiv oder auch als normatives Regulativ von Formen und Prozessen der Partizipation, aber auch von Formen und Prozessen der Verhinderung von Partizipation fungieren (vgl. Klepacki 2014). Denn Kulturelle Bildung soll zur Relativierung, zur Skepsis, zur Ironie und zur Kritik, aber auch zur Artikulation, zur Selbstvergewisserung, zum Experiment, zum Vernetzen – und nicht zuletzt zur kulturellen Komplexitätssteigerung beitragen. - Aber auch hier bleibt theoretisch und empirisch offen, inwiefern die partizipative Elementarbildung in der Kulturellen Bildung auch die spätere Partizipation an den verschiedenen Sphären des Sozialen verbürgt. Empirisch müsste geprüft werden, ob die Kulturelle Bildung durch die Ausbildung eigener Sphären nicht gerade eine verstärkte Hegemonie und damit eine Verhinderung egalitärer Partizipation herbeiführt.