Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen – Impulse aus der kritischen Raum- und Landforschung
Abstract
Im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ nahmen 21 Projekte von 2019 bis 2024 die Forschung in verschiedenen ländlichen Regionen auf. Obwohl die Untersuchungen in sehr unterschiedlichen Gegenden durchgeführt wurden, lassen sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Überschneidungen ausmachen, die charakteristisch für ländliche Räume sind. Wir gehen auf ausgewählte Aspekte näher ein, indem wir die Erkenntnisse der Förderprojekte in den Kontext aktueller Diskurse der Kritischen Raum- und Landforschung stellen. Neben der Frage, welche raumtheoretische Auseinandersetzung sich für eine (kritische) Beschäftigung mit ländlichen Räumen anbietet, gehen wir auf zentrale Herausforderungen ein, mit denen strukturschwache ländliche Räume zu tun haben. Im Rahmen dessen konzentrieren wir uns primär auf die strukturellen Eigenschaften von Ländlichkeit. Vor dem Hintergrund eines relationalen Raumverständnisses geht es demnach nicht nur um Bedingungen der Schaffung und Etablierung kultureller Bildungsangebote, sondern ebenso um die Frage, wie diese auf die Konstitution des Raumes rückwirken.
Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen
Die Ausprägung regionaler Disparitäten wird im Bildungsbericht 2018 als zentrale Herausforderung für das deutsche Bildungssystem und damit auch für den Bereich der Kulturellen Bildung benannt (vgl. BMBF 2024). Dies bildete den Ausgangspunkt für die Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Im Rahmen dieser Förderrichtlinie wurden 21 Projekte gefördert, die sich aus unterschiedlichen Forschungs- und Praxisperspektiven mit verschiedenen Aspekten Kultureller Bildung in ländlichen Regionen in Deutschland befassten. Die Erkenntnisse der Einzelprojekte wurden in einem Sammelband zusammengeführt und veröffentlicht (Kolleck/Fischer 2023). In Anbetracht des Umstandes, dass empirische Forschung zu Kultureller Bildung in ländlichen Räumen nach wie vor große Leerstellen aufweist (vgl. das Literaturreview von Büdel/Kolleck 2023), leistet der publizierte Sammelband einen bedeutenden Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke. Von kleinteiligen Analysen regionalspezifischer Gemeinden über Tradierungsprozesse bis hin zu Stadt-Land-Vergleichen werden Merkmale, Eigenschaften und Lebensweisen der untersuchten ländlichen Gebiete aufgegriffen und mitunter explizit verhandelt. Für die Raumklassifizierung wird in den Projekten überwiegend auf das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) oder den Thünen Landatlas zurückgegriffen. Auf relationale Raumverständnisse wird lediglich am Rande hingewiesen. Diese spielen in keinem der Beiträge eine zentrale Rolle. Es wird außerdem deutlich, dass es keine einheitliche Begriffsverwendung gibt. Die Projekte nutzen die Begriffe ländliche Räume, ländliche Regionen und (sehr) periphere Räume. Dieser Beitrag entsteht im Nachgang zu unserer Tagung „Kulturelle Bildung und Demokratie: Chancen und Herausforderungen für ländliche Räume“, die im März 2024 an der Universität Potsdam stattfand. Daher werden auch Aspekte aufgegriffen, die auf der Tagung thematisiert wurden.
Die zentrale Frage des vorliegenden Beitrags lautet: Mit welchen Herausforderungen sind strukturschwache ländliche Räume konfrontiert und welche raumtheoretische Auseinandersetzung bietet sich für eine (kritische) Beschäftigung mit ländlichen Räumen an? In einem ersten Schritt fassen wir zusammen, wodurch sich die unterschiedlichen Regionen, in denen die Forscher*innen ihre Untersuchungen durchführten, auszeichnen, welche Merkmale vor dem Hintergrund des jeweiligen Untersuchungsgegenstands relevant waren und darauf aufbauend, welche Gemeinsamkeiten sich ausfindig machen lassen. In einem zweiten Schritt nehmen wir Bezug auf ausgewählte Diskurse der kritischen Raumforschung, die sich im deutschsprachigen Raum seit Kurzem ebenfalls einer vermehrten Auseinandersetzung mit ländlichen Räumen annimmt. Abschließend diskutieren wir die Folgen lokaler Strukturschwäche für die betroffenen Regionen, aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen sowie damit verbundene Bedingungen der Durchführung und Etablierung kultureller Bildungsangebote.
Praktische Erkenntnisse aus der empirischen Forschung
Die Erkenntnisse der Forschung offenbaren, dass eine Auseinandersetzung mit Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen der Umsetzung und Etablierung kultureller Bildungsangebote in ländlichen Räumen nicht zu trennen ist von einer Betrachtung lokaler Gegebenheiten und Besonderheiten. Im Folgenden stellen wir – basierend auf dem zweiten gemeinsamen Sammelband der Förderrichtlinie – sowohl Gemeinsamkeiten als auch spezifische Erkenntnisse und Beobachtungen heraus.
In etlichen Beiträgen werden ländliche Regionen in ein Verhältnis zum Städtischen gesetzt. Das passiert entweder auf abstrakter Ebene. Etwa wenn darauf verwiesen wird, dass „ländliche Räume als Gegenteil zu urbanen Räumen wahrgenommen“ (Hasselhorn et al. 2023:32) werden oder dass „[l]ändliche Räume […] sich nicht zwangsläufig auf die gleiche Weise wie urbane Räume“ (Irmer et al. 2023:165) entwickeln. Oder der Stadt-Land-Vergleich wird konkret. In diesem Fall wird nach spezifischen Unterschieden zwischen ‚dem Ländlichen‘ und ‚dem Urbanen‘ gefragt. Als besonders prägend wird dabei die vergleichsweise defizitäre Infrastruktur ländlicher Räume hervorgehoben. Vor allem, was Fragen der Mobilität bei zugleich größeren Distanzen betrifft (vgl. Flasche et al. 2023:64; Gittermann et al. 2023; Grunert et al. 2023; Krüger/Schön 2023:101; Stutz 2023:277f.). Dazu halten Cathleen Grunert et al. (2023) mit einem gesonderten Blick auf Jugendliche fest: „Dies erzeugt deutliche Differenzen in den kulturellen Teilhabemöglichkeiten von Jugendlichen in ländlichen Regionen zwischen den städtischen Zentren und dem ländlichen Umland“ (ebd.:119). Neben dem öffentlichen Nahverkehr wird unzureichende Infrastruktur auch auf dem Gebiet (non)formaler Bildungsangebote selbst (vgl. Kühn et al. 2023:178) sowie mit Blick auf die „geringe Angebotsdichte und die prekären kulturpolitischen Strukturen“ (Gittermann et al. 2023:238) genannt (siehe auch: Brigitte Schorn/Birgit Wolf „Chancen für junge Menschen: Kulturelle Bildung zwischen Schule und Verein, Daheim und Welt“). Überdies werden die Bevölkerungszusammensetzung (vgl. Otte et al. 2023:95), die Bevölkerungsdichte (vgl. Grunert et al. 2023:110; Kopp/Lehmann-Wermser 2023:136) sowie eine „bildungsstrukturelle Rückständigkeit von ländlichen Räumen“ (Flasche et al. 2023:63) vor dem Hintergrund voranschreitender Digitalisierung (vgl. ebd.) als entscheidende Differenzfaktoren markiert. Ulrich Klemm (2023) hält passend dazu fest: „Die ländlichen Räume sind nach wie vor eher »Rest-Räume« aus Sicht der Stadt. Sie werden nur selten bzw. gar nicht auf Augenhöhe mit urbanen Räumen politisch wahrgenommen“ (ebd.:320). Bei der Klassifizierung der untersuchten Regionen spielte – nicht zuletzt mit Verweis auf die Kriterien des BBSR – der Faktor Peripherie in Abgrenzung zum Faktor Zentralität eine bedeutsame Rolle (exemplarisch Hasselhorn et al. 2023:32; Kühn et al. 2023:178). Ebenso wie die Auswirkungen einer demografischen Alterung der Gesellschaft, die sich in ländlichen Räumen besonders drastisch widerspiegelt (vgl. Bons et al. 2023:213; Gumz et al. 2023:302; Kopp/Lehmann-Wermser 2023:138). Sozioökonomische Variablen finden zwar in einigen Beiträgen Erwähnung, werden hinsichtlich ihrer Auswirkungen aber kaum ausgeführt. Demnach wird auch auf Strukturschwäche als typisches Merkmal ländlicher Räume nicht weiter eingegangen. Lediglich in dem Beitrag von Nele Gittermann et al. 2023 wird auf den zunehmenden Wegfall von „Räume[n] für gemeinschaftlichen Austausch“ (ebd.:237) als Folge eines Strukturwandels hingewiesen. Darüber hinaus werden vereinzelt Themen wie Migration und Fremdheit adressiert. Etwa in dem Beitrag von Michael Retzar et al. (2023), der sich mit „Bleibe- und Abwanderungsverpflichtungen von Jugendlichen mit Migrationshintergründen an ländlichen Schulen in Ostdeutschland“ beschäftigt und auf den Umstand verweist, dass „die teilweise geringere Heterogenität der Bevölkerungszusammensetzung in ländlichen Gebieten […] in kleinräumigen Strukturen Fremdheit mitunter stärker“ (ebd.:150) markiert. Um Fremdheit im Verhältnis zur eigenen Regionalität geht es auch bei Saskia Bender et al. (2023). Die Autor*innen halten fest: „Kulturelle Bildung wird […] regionsübergreifend zumindest in den ersten Bezugnahmen als das Nicht-Regionale markiert und damit tendenziell dem Fremden zugeschlagen, worüber sich wiederum das regional Eigene als regionale Einflussstruktur mitkonstituiert“ (ebd.:260). Und obwohl Fremdheitskonstruktionen im Kontext der Konstitution des ‚Eigenen‘ eine Rolle spielen, bleiben Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in ländlichen Räumen nahezu unerwähnt.
Neben objektiven Faktoren, anhand derer ländliche Räume charakterisiert werden, wird auch auf eine Reihe subjektiver Faktoren hingewiesen, die als typisch für ‚den‘ ländlichen Raum gelten und positiv assoziiert werden. Etwa Gefühle der besonderen Verbundenheit zu einer Region (vgl. Gittermann et al. 2023:237; Retzar et al. 2023:149; Sebening et al. 2023) oder von Gemeinschaft (vgl. Bender et al. 2023:258; Gittermann et al. 2023:237; Retzar et al. 2023:149). Wobei Retzar et al. (2023) auch auf die Kehrseite dessen hinweisen und Mechanismen sozialer Kontrolle benennen, die für ländliche Räume ebenso typisch seien (vgl. ebd.:149).
Erweiterte Perspektiven auf ländliche Räume und regionale Disparitäten
Die Forschung zu Kultureller Bildung in ländlichen Räumen hat eine Reihe an Erkenntnissen über die Beschaffenheit der beforschten Regionen hervorgebracht sowie über die Bedingungen, unter denen Kulturelle Bildung vor Ort angeboten wird. Trotz aller Vielfalt zeichnen sich die verschiedenen Regionen über eine Reihe an Gemeinsamkeiten und Überschneidungen aus, die als charakteristisch für ländliche Räume angenommen werden können. Wir wollen ausgewählte Aspekte vertiefen, indem wir auf aktuelle Erkenntnisse aus der Kritischen Raum- und Landforschung zu sprechen kommen und diese mit den praktischen Erkenntnissen der Förderprojekte verknüpfen. Demnach gehen wir neben der Frage, welche raumtheoretische Auseinandersetzung sich für eine (kritische) Beschäftigung mit ländlichen Räumen anbietet, auf zentrale Herausforderungen ein, denen sich ländliche Räume ausgesetzt sehen. Wir schließen mit einem Ausblick, in dem es auch um Anknüpfungspunkte für die Kulturelle Bildung geht.
Stadt versus Land – Raum in der Tradition kritischer Gesellschaftstheorie
Zur Bestimmung ländlicher Räume existieren verschiedene etablierte Raumtypisierungen, die auf unterschiedlichen Kriterien basieren. In mehreren Projekten fanden die Raumtypisierungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (siehe Flasche et al. 2023; Grunert et al. 2023; Gumz et al. 2023; Hasselhorn et al. 2023; Kühn et al. 2023), des Thünen-Instituts (siehe Grunert et al. 2023; Wölfl 2023) oder des BIK-Instituts für Marktforschung (siehe Otte et al. 2023) Anwendung. Das BBSR (2023) orientiert sich bei seiner Einteilung ausschließlich an der Siedlungsdichte der Stadt- und Landkreise (ebd.:7). Die BBSR-Raumtypisierung wurde auch in der Ausschreibung der Förderrichtlinie des BMBF (2024) angewendet. Die Klassifikation des Thünen-Instituts berücksichtigt neben siedlungsstrukturellen Faktoren auch die sozioökonomische Lage der Kreise und unterscheidet vier Typen ländlicher Kreisregionen, die sich aus der Kombination der Dimensionen Ländlichkeit (sehr ländlich/eher ländlich) und sozioökonomischer Lage (gute/weniger gute sozioökonomische Lage) ergeben (vgl. BBSR 2023:14f.). Die BIK-Regionen hingegen unterteilen die Stadt-Umland-Beziehungen auf Gemeindeebene in Ballungsräume, Stadtregionen sowie Mittel- und Unterzentren – basierend auf den Bevölkerungsfortschreibungen der Statistischen Landesämter (vgl. Behrens et al. 2019:115).
Lediglich in den Beiträgen von Saskia Bender et al. (2023) und Heike Gumz et al. (2023) wird in Anlehnung an Martina Löw (2001) (zusätzlich) auf ein weiter gefasstes, relationales Raumverständnis verwiesen. Mit eben diesem wollen wir uns im Folgenden näher auseinandersetzen.
Löws Konzept hat im deutschsprachigen Raum maßgeblich zur Etablierung eines dynamischen und relationalen Verständnisses von Raum beigetragen. Im Kern besagt ihr Konzept, dass Raum als Produkt sozialer Beziehungen und Praktiken zu verstehen ist. Entscheidend ist ihre Auffassung von der Entstehung des Raumes. „Raum ist eine relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“ (ebd.:271). Das heißt, Raum ist weder als statischer noch als rein physischer Ort zu verstehen, sondern wird erst durch die Beziehungen und Interaktionen zwischen Lebewesen (Menschen) und sozialen Gütern (Gebäude, Straßen, Gegenständen usw.) geschaffen. Dabei spielt deren (An)Ordnung eine zentrale Rolle, da sie Ausdruck sozialer Prozesse ist und bestimmt, wie der Raum wahrgenommen und genutzt wird. Folgerichtig sind die Beziehungen zwischen Menschen und sozialen Gütern dynamisch und prozessual und unterliegen ständigen Veränderungen (siehe auch: Siglinde Lang „Raum im Raum schaffen. Kunst, Ortsspezifität und Teilhabe als Ingredienzen kultureller Entwicklungsprozesse“; Kerstin Hübner/Viola Kelb „Kulturelle Bildung und Sozialraumorientierung: Kontexte, Entwicklungen und Herausforderungen“).
Während Löw also einen Ansatz verfolgt, bei dem der Fokus vorwiegend auf alltäglichen sozialen Interaktionen und Praktiken liegt, wollen wir im Folgenden auf die Raumtheorie Henri Lefebvres (1974) eingehen. Lefebvre betont in seinem Konzept die sozialen, ökonomischen und politischen Machtverhältnisse und Prozesse, die den Raum formen und hebt hervor, dass Raum ein Produkt dialektischer Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Raumdimensionen ist. Damit ist seine Theorie stark in der marxistischen Theorie verwurzelt und geht stärker auf die strukturelle Ebene ein.
Lefebvre entwickelte schon früh eine umfassende Theorie des Raumes, mit der er der bis dato vorherrschenden Auffassung von Raum als Gefäß bzw. Container ein Verständnis von Raum als soziales Produkt entgegensetzte. Zentral bei Lefebvre (1991 [1974]) ist die Beschreibung von Raum als dreidimensionales Konzept, bestehend aus „räumliche[r] Praxis“, „Repräsentation des Raumes“ und „Räumen der Repräsentation“ (ebd.:33). Diese drei räumlichen Dimensionen werden an anderer Stelle auch als „Der wahrgenommene Raum“, „Der konzipierte Raum“ und „Der gelebte Raum“ bezeichnet (ebd.:38f.). „Der wahrgenommene Raum ist auf die materielle Basis des Raumes bezogen“ (Vogelpohl 2020:32; Kursivsetzung im Original). Es geht also um die Frage, wie die physische Realität des Raumes (Gebäude, Straßen, öffentliche Plätze etc.) durch sinnliche Erfahrung und unmittelbare Nutzung wahrgenommen wird. Im wahrgenommenen Raum findet die direkte Interaktion zwischen Menschen und ihrer Umgebung statt. „Der konzipierte Raum besteht aus der bewusst hergestellten Darstellung von Räumen durch Worte oder Abbildungen, aus denen auch Interessen ablesbar sind“ (ebd.; Kursivsetzung im Original). Damit beschreibt Lefebvre also den theoretischen und geplanten Raum, wie er etwa von Stadtplaner*innen und Politiker*innen entworfen wird. „Der gelebte Raum steht für den subjektiv imaginierten oder gefühlten Aspekt des Raumes“ (ebd.; Kursivsetzung im Original). Es ist der Raum der menschlichen Erfahrungen, Erinnerungen und Gefühle, der durch kulturelle und symbolische Bedeutungen geprägt wird. Lefebvre macht also „drei räumliche Dimensionen aus, die sich gegenseitig beeinflussen und so den stetig voranschreitenden Prozess der Raumproduktion begründen“ (Zimmer 2022:267).
„Um konkrete Räume zu untersuchen, sind die spezifischen wechselseitigen Beziehungen zwischen den Dimensionen entscheidend. Dann ist der Raum weder das Gebäude noch das Leitbild noch die subjektive Erinnerung – sondern die Beziehung zwischen diesen Dimensionen“ (Vogelpohl 2020:32).
(siehe auch: Susanne Karow „Local Art – Transformative Perspektiven in der partizipativen Museumsarbeit“). Raum wird demnach nicht nur durch soziale Praktiken, sondern ebenso durch Machtverhältnisse und ökonomische Prozesse hergestellt (siehe auch: Angela Dreßler/Stefanie Kiwi Menrath „In Bewegung setzen – Ethnographie im Feld des Urbanen Lernens“). „Insofern ist es auch die Aufgabe einer Geographie, die sich an Lefebvre orientieren möchte, statt den Raum an sich, den Prozess der Produktion des Raumes zu untersuchen“ (Vogelpohl 2020:32). Lefebvres Raumtheorie ist vor allem in der kritischen Stadt- und Humangeographie breit rezipiert worden und wurde vorrangig für die Analyse städtischer Räume angewendet. Überhaupt gilt, „dass die kritische Theoriebildung im Anschluss an Marx, Engels und die von ihnen begründete Tradition im deutschsprachigen Kontext seit den 1980er-Jahren nur selten das Land thematisiert“ (Belina et al. 2021:405) hat. Die Anwendung auf ländliche Kontexte gewinnt jedoch zunehmend an Bedeutung. So haben jüngst auch im deutschsprachigen Raum Wissenschaftler*innen damit begonnen, sich unter dem Schlagwort der Kritischen Landforschung vermehrt mit der Analyse und Kritik der sozialen, ökonomischen, politischen und ökologischen Prozesse in ländlichenen Räumen zu beschäftigen (exemplarisch die Sammelbände von Belina et al. 2022; Maschke et al. 2021; Mießner et al. 2024).
Im angloamerikanischen Raum entwickelte Keith Halfacree bereits 2007 in Anlehnung an Lefebvres Raumkonzept das Konzept des „dreifachen ländlichen Raumes“. Darin macht er drei Dimensionen aus, die an der Produktion des ländlichen Raumes beteiligt sind: „Rural Locality“ (ebd.:127) bezieht sich auf die physische Umgebung und die soziale Struktur ländlicher Gebiete. „Formal Representations of the Rural“ (ebd.) bezieht sich auf die Art und Weise, wie ländliche Räume dargestellt werden, u.a. durch politische, kulturelle oder wirtschaftliche Institutionen. Und „Everyday Lives of the Rural“ (ebd.) bezieht sich auf lokale Erfahrungen und Praktiken der Menschen, etwa lokale Bräuche und Traditionen. Halfacree „fordert, die Vorstellungen und Imaginationen von Räumen mit den konkreten materiellen räumlichen Strukturen vor Ort analytisch zu verbinden und zu schauen, wie aus dem Zusammenspiel beider eine konkrete ländliche Lokalität hergestellt wird“ (Redepenning 2022:73). Demnach verfolgt auch Halfacrees Modell den Anspruch eines ganzheitlichen Verständnisses ländlicher Räume.
„Halfacrees Ausdeutung des Verhältnisses der drei Räumlichkeiten bietet die Möglichkeit, den Ansatz vor allem für empirische und anwendungsorientierte Arbeiten offen zu halten. Er erinnert daran, die Räumlichkeit des Ländlichen nicht automatisch als harmonisch, sondern potenziell konfliktgeladen (dann als Ergebnis fehlender Kohärenz der drei Räumlichkeiten) hinsichtlich aktueller, aber eben auch zukünftiger ländlicher Entwicklungen zu betrachten. Damit ist ein Fundament gelegt, auch die politischen und sozialen Ungleichheiten, die sich im Zusammenspiel zwischen exogenen und endogenen Einflüssen auf ländliche Orte ergeben, zu behandeln“ (ebd.:75).
Austeritätspolitik, regionale Disparitäten und Strukturschwäche als zentrale Herausforderungen ländlicher Räume
Wie wir zu Beginn des Beitrags mit Verweis auf die Erkenntnisse der Förderprojekte bereits darlegten, befinden sich unter den untersuchten Gebieten Regionen, die als strukturschwach bezeichnet werden können. Strukturschwäche ist oft das Resultat einer Austeritätspolitik, die sich in besonderem Maße auch auf ländliche Räume niederschlägt (vgl. Belina et al. 2021:406f.) und Folge eines Standortwettbewerbs ist, in deren Konsequenz sparpolitische Maßnahmen bisweilen zu einer fatalen Abstiegsspirale führen (vgl. ebd.; Dudek 2021:418f.). „Diese Politik blockiert gerade in ländlichen Räumen mit ihren spezifischen Infrastrukturbedarfen dringend notwendige Investitionen, erschwert die Erbringung freiwilliger kommunaler Leistungen und nimmt wachsende räumliche Ungleichheiten billigend in Kauf“ (Belina et al. 2021:407). Auswirkung dieser Form der Politik ist eine mangelhafte Daseinsvorsorge in den betreffenden Regionen und tangiert nicht zuletzt den Bildungssektor (vgl. Dudek 2021:423f.). Dass die Sparpolitik ländliche Räume besonders trifft, verdeutlicht auch der Kulturfinanzbericht von 2022. Zwar stiegen die Kulturausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden von 116,6 Millionen Euro im Jahr 2010 auf 174,5 Millionen Euro im Jahr 2020 an (vgl. Kulturfinanzbericht 2022:82). Diese Summe wird jedoch nicht gleichermaßen auf die Bevölkerung verteilt. Großstädte erhalten für den Bereich Kultur pro Einwohner*in deutlich mehr finanzielle Mittel als ländliche Gegenden. Und diese Schieflage hat sich im Laufe der letzten Jahre weiter zugespitzt. Je kleiner eine Stadt oder Gemeinde, desto geringer die laufenden Grundmittel für Kulturausgaben. Das lässt sich anhand der folgenden Zahlen sehr konkret nachvollziehen: In Städten mit mehr als 500.000 Bewohner*innen beliefen sich die Ausgaben pro Einwohner*in für das Jahr 2010 auf 137,50 Euro und für das Jahr 2020 auf 191,52 Euro (ein Zuwachs von 39,29 %) (vgl. ebd.:87). Mittelstädte mit 20.000 bis 100.000 Einwohner*innen verfügten 2010 über ein Budget von 38,82 Euro pro Kopf und 2020 über 50,00 Euro pro Kopf (ein Zuwachs von 28,80 %) (vgl. ebd.). Gemeinden mit weniger als 3.000 Einwohner*innen hingegen standen 2010 gerade mal 4,31 Euro pro Einwohner*in zur Verfügung, 2020 waren es 5,35 Euro (ein Zuwachs von 24,13 %) (vgl. ebd.).
Vor dem Hintergrund solcher Umstände und Entwicklungen haben mehrere Autor*innen in Anlehnung an Lefebvre bzw. als Ausweitung seines Konzepts des „Recht auf Stadt“ die Forderung eines „Recht auf Dorf“ formuliert (exemplarisch Barraclough 2013; El Nour et al. 2015; Purcell 2006). Womit im Kern ein Recht „auf emanzipierte, partizipative und freie Teilhabe an der Gesellschaft“ (Unthan et al. 2022:228) gemeint ist. Dabei hat eine nicht ausreichende Daseinsvorsorge in Folge zunehmender Struktur- und Finanzschwäche noch weitere Folgen als fehlende Dienstleistungen und Infrastrukturen. Die
„sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leerstellen ländlicher Wohngebiete haben eine Schwächung der demokratischen Zivilgesellschaft zur Folge und bieten eine ideale Gelegenheitsstruktur für rechtspopulistische und rechtsextreme Akteur_innen und ihre Angebote“ (Berg/Üblacker 2020:12f.).
Dies zeigen auch Erkenntnisse aus der Förderrichtlinie. Heike Gumz betonte hierzu auf unserer Tagung „Kulturelle Bildung und Demokratie: Chancen und Herausforderungen für ländliche Räume“, dass es im Grunde keine Leerstellen in ländlichen Räumen gebe. Diese Leerstellen bleiben nicht leer, sondern werden von Antidemokraten und Rechtsextremen gefüllt. Dabei verweist sie auch auf nicht vorhandene Netzwerke, wodurch diese Entwicklung begünstigt wird (vgl. Selz 2024:31).
Das sich rechtsextreme Tendenzen in den letzten Jahren verstärkt in ländlichen Regionen zeigen, geht aus aktuellen Studien hervor (exemplarisch Belina 2022; Bund der deutschen Landjugend e.V. 2018; Förtner et al. 2019; Kallert/Dudeck 2019; Simon 2020; Üblacker/Berg 2020) und wurde nun einmal mehr durch die Ergebnisse der aktuellen Europawahlen bestätigt. Dabei bleibt es umso wichtiger, einen differenzierten Blick auf ländliche Räume nicht zu verlieren. So verweisen Bernd Belina et al. (2021) darauf, „dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Ländlichkeit und Erfolgen des autoritären Populismus gibt“ (ebd.:407). Demnach plädieren auch wir für einen Zugang, der sich primär mit den sozialstrukturellen Rahmenbedingungen aktueller Entwicklungen auseinandersetzt und so den Verkürzungen eines einseitigen Stadt-Land-Dualismus entgeht. Das bedeutet einerseits, dass die Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnissen spezifische lokale Kontexte nicht unberücksichtigt lassen darf. Das gilt auch mit Blick auf mögliche Gegenstrategien, in deren Rahmen die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle spielt. Andererseits müssen solche Entwicklungen immer auch als Ausprägungen eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens begriffen werden (vgl. Mullis/Miggelbrink 2022). In Anbetracht dessen scheint es mehr denn je vonnöten, sich mit der Konstitution ländlicher Räume auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen kapitalistischer Gesellschafts- und Produktionsverhältnisse sowie neoliberaler Politik auseinanderzusetzen.
Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen – den Bedingungen zum Trotz
Extrem rechte Akteure konzentrieren sich seit geraumer Zeit auf strukturschwache ländliche Gebiete, in denen sie ansiedeln und eine Art nationalistische Basisarbeit leisten. Andrea Röpke und Andreas Speit (2019) bezeichnen dieses Vorgehen als „völkische Landnahme“. Diese Taktik wird auch im Kulturbereich angewendet. Also vor allem da, wo Kultur auf dem Rückzug ist. So ist in vielen ländlichen Regionen der Rechtsextremismus längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Parallel ist der öffentliche Sektor von massiven Budgetkürzungen betroffen, die auch Einrichtungen der Kulturellen Bildung hart treffen. Diese Einsparungen gehen mit gravierenden Folgen für ländliche Regionen einher. Zumal die Pandemie und die Inflation bereits erhebliche Herausforderungen mit sich brachten, die zu Schließungen bzw. Einschränkungen führten. Die Forschung der letzten Jahre zeigt, wie zerbrechlich die Kulturelle Bildung in ländlichen Gebieten ist. Sie ist oft von wenigen Institutionen oder Einzelpersonen abhängig (vgl. Kolleck/Fischer 2023). Wenn diese seltenen kulturellen Einrichtungen aufgrund fehlender Förderung verschwinden oder die wenigen engagierten Menschen aus den mitunter äußerst peripheren Gegenden wegziehen, dann verschwindet auch die vielfältige Kulturelle Bildung aus den ländlichen Räumen.
„Durch die Bindung von öffentlichen Mitteln an größere Gemeinden oder einzelne Kultureinrichtungen wird die Lage in kleinen Gemeinden zusätzlich verschärft. Dort gibt es keine bzw. nur sehr wenige Mittel, um außer institutionell, projekt- und anlassbezogen Kulturförderung zu betreiben. In Kombination mit einer oftmals defizitären finanziellen Lage der Privathaushalte ergibt sich eine prekäre Situation für Kulturschaffende“ (siehe: Norbert Sievers „Kulturpolitik für ländliche Räume“).
Auch im Rahmen der Förderrichtlinie zeigt sich, dass besonders in kleinen dezentralen Orten die Problemlagen der kulturellen Träger im Vergleich zu kleinstädtischen Zentren verstärkt auftreten (vgl. Grunert et al. 2023:113). Birgit Reißig betonte dazu auf unserer Tagung, dass Kulturelle Bildung in ländliche Räume nicht nur mit Herausforderungen, sondern mit „knallharten Problemen“ konfrontiert sei (Selz 2024:18). Neben Finanzierungsproblemen verschärfen fehlende Mobilität, Personalmangel und mangelnde Digitalisierung die Problemlage weiter (vgl. ebd.:18f.). Es entstehen Lücken, die stattdessen mit einem nationalistischen Kulturverständnis gefüllt werden, welches einer vielfältigen Kulturellen Bildung entgegengestellt wird.
Der Umstand, dass kulturelle Bildungsangebote in ländlichen Räumen äußerst prekär finanziert sind und oft nur noch von Einzelpersonen aufrechterhalten werden, impliziert neben dem Bedrohungsszenario, das solche Angebote gänzlich wegfallen, allerdings auch, dass sich nach wie vor Personen finden, die den widrigen Bedingungen zum Trotz Kulturarbeit leisten und somit nach Möglichkeiten der Vergemeinschaftung fernab autoritärer und nationalistischer Verlockungen suchen. Überdies gibt es in vielen ländlichen Regionen durchaus emanzipatorische (Kultur-)Projekte, die sich einem erstarkenden Rechtsextremismus vehement entgegenstellen und trotz aller Schwierigkeiten und Risiken unbeirrt weiter machen (z.B. Polylux e.V.).
Fazit und Ausblick
Lokale Disparitäten bildeten den Ausgangspunkt für die BMBF-Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“. Wir haben dies zum Anlass genommen, um uns diese Disparitäten genauer anzuschauen. Im vorliegenden Beitrag haben wir die Projektergebnisse aus den letzten vier Jahren Forschung auf die Offenlegung konkreter Gegebenheiten und Bedingungen ländlicher Räume untersucht. Dabei wurde deutlich, dass sich ländliche Räume einerseits durch objektive Faktoren wie geringe Bevölkerungsdichte, demografische Alterung, mangelnde Infrastruktur sowie geringe (kulturelle) Angebotsdichte auszeichnen. Andererseits durch subjektive Faktoren wie ausgeprägte Gefühle von Verbundenheit und Gemeinschaft, aber auch verstärkte soziale Kontrolle. Wir haben uns vorrangig auf das Merkmal Strukturschwäche konzentriert und uns neben der Annäherung an relationale Raumverständnisse mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen diese für ländliche Räume hat.
Neben einer knappen Auseinandersetzung mit einem relationalen Raumverständnis nach Martina Löw, wie es auch in ausgewählten Beiträgen des Sammelbandes adressiert wird, sind wir auf die Raumtheorie Henri Lefebvres eingegangen, dessen Konzept der sozialen Produktion von Raum stärker die strukturelle Ebene in den Blick nimmt. Beide Theorien betonen die soziale Konstruktion von Raum und bieten Werkzeuge, um die komplexen Prozesse und Dynamiken ländlicher Gebiete unter unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen zu analysieren. Zusätzlich helfen sie zu verstehen, warum ländliche Räume trotz aller Gemeinsamkeiten auch unterschiedliche Entwicklungspfade aufweisen und unterschiedlich wahrgenommen und genutzt werden. Dabei ist es gerade die Raumtheorie Lefebvres, die ungeachtet ihres hohen Erklärungspotenzials und trotz eines zunehmenden Interesses an ländlichen Räumen in der (empirischen) Forschung zu Kultureller Bildung weitgehend unbeachtet bleibt. Folglich kann der vorliegende Beitrag als Impuls verstanden werden, sich den dringenden Fragen ländlicher Entwicklung(en) vermehrt aus kritischer Perspektive anzunehmen. Auch und nicht zuletzt angesichts aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen.
Auf die hohe Bedeutung des Engagements Einzelner wiesen wir bereits hin. Speziell in strukturschwachen Gegenden, in denen es wenig Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement und (kulturellen) Bildungsangeboten gibt. Angesichts der dadurch entstehenden Leerstellen ist es Antidemokraten und Rechtsextremisten ein Leichtes, die Deutungshoheit über den Raum zu übernehmen. Umso stärker fällt auf, dass Rechtsextremismus in keiner der Forschungen der Förderrichtlinie thematisiert wird.
Die hohe Relevanz eines differenzierten Blicks, der dem Fallstrick eines verkürzten Stadt-Land-Dualismus entgeht, betonten wir in diesem Beitrag ebenfalls. Strukturschwäche ist kein Merkmal, das sich auf ländliche Räume beschränkt. Zugleich können Peripherisierungsprozesse, die häufig mit Strukturschwäche einhergehen, ebenso in urbanen Zentren entstehen und sind mit den gleichen Risiken verbunden wie in ländlichen Gebieten. So wiesen bereits Karl Marx und Friedrich Engels auf
„Wege aus der Verabsolutierung der Kategorien Stadt und Land […] (ohne bestehende Unterschiede zu negieren), indem sie beide konsequent als aufeinander verwiesene soziale Verhältnisse und nicht als feststehende Siedlungs- und Raumtypen begreifen“ (Belina et al. 2021:400).
Das spricht einmal mehr für ein relationales Raumverständnis in der Tradition kritischer Gesellschaftstheorie. Dazu gehört jedoch auch, die Konsequenzen einer Politik wahrzunehmen, von der ländliche Räume in besonderem Maße betroffen sind. Passend dazu schreiben Lisa Maschke et al. (2021): „Häufig sind hier [in ländlichen Räumen] gesellschaftliche Umbrüche viel unmittelbarer erfahrbar und führen zu einer oft sehr kleinräumigen Ausdifferenzierung ländlicher Entwicklungen“ (ebd.:13). Somit wirken auch (fehlende) kulturelle Bildungsangebote auf die Konstitution des Raumes, die ihrerseits wieder Einfluss auf die Bedingungen zur Umsetzung und Etablierung von Bildungsangeboten nehmen. Daran anschließend stellt sich die Frage, inwiefern Kulturelle Bildung zu einer Wiederaneignung und aktiven Mitgestaltung des Raumes beitragen kann und welche Anknüpfungspunkte sich an ein „Recht auf Dorf“ ausmachen lassen. Nils Unthan et al. (2022) halten fest: „Das lokale Initiativen, aus der Nische heraus, hegemoniale soziale Praktiken beeinflussen und verändern, bleibt in unserem Fall eine theoretische Annahme“ (ebd.:228). Umso wichtiger ist es, solcherlei Annahmen stärker in den Fokus empirischer Forschung zu rücken. Klar ist, dass Kulturelle Bildung auf vielfältige Weise in ländlichen Räumen existiert. Eine funktionierende Kulturförderung, gute Strukturen und Netzwerke sowie engagierte Einzelpersonen tragen wesentlich dazu bei, die Zivilgesellschaft zu stärken. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen. Dabei
„ist es eine wichtige Aufgabe kritischer Wissenschaft, Konzepte beizusteuern, mit denen die Transformationen ländlicher Räume besser verstanden werden können, sowie Perspektiven für eine emanzipatorische Politik auf dem Land zu benennen“ (Maschke et al. 2021:13).
Zugleich wird in diesem Beitrag deutlich, dass Kulturelle Bildung kein Allheilmittel sein kann. Strukturelle Probleme müssen auf struktureller Ebene gelöst werden. Kulturelle Bildung kann jedoch eine unterstützende Wirkung haben und zu positiven Effekten vor Ort führen, etwa indem sie Selbstwirksamkeit, Zugehörigkeit und (kulturelle) Offenheit fördert.