Kulturelle Bildung in Freiwilligendiensten
Begriffsbestimmung und Entstehungsgeschichte
Freiwilligendienste sind eine besondere Form bürgerschaftlichen Engagements vor allem junger Menschen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren (siehe Kerstin Hübner „Kulturelle Bildung im freiwilligen/bürgerschaftlichen Engagement“). Definiert werden sie im Gesetz zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG), in dem auch das kulturelle Einsatzfeld ausdrücklich benannt wird (JFDG §3, Abs.1). Anfang und Ende, Dauer und Umfang, Inhalt, Aufgaben, Ziel, Ort und Art der freiwilligen Tätigkeit sind festgelegt, ebenso der finanzielle und organisatorische Rahmen und die rechtliche wie soziale Absicherung.
Seit 2011 ist es auch Menschen über 27 Jahren möglich, einen gesetzlich geregelten Freiwilligendienst, den Bundesfreiwilligendienst zu leisten. Der Bundesfreiwilligendienst orientiert sich vielfach an den Regelungen im FSJ, steht jedoch allen Generationen offen und lässt auch das Engagement in Teilzeit (20,5 Wochenstunden) zu (BMFSFJ 2011b).
Rahmenbedingungen im FSJ Kultur
Gesetzlich geregelte Freiwilligendienste junger Menschen gibt es in Form des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) seit 1964 (BMFSFJ 1998:35), das Freiwillige Soziale Jahr in der Kultur (FSJ Kultur) existiert seit 2001. Das FSJ Kultur ist offen für alle jungen Menschen die sich für Engagement einerseits und Kultur andererseits interessieren. Es geht zurück auf eine Initiative der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), die anfangs mit Trägern in fünf Bundesländern ein Modellvorhaben mit 125 Plätzen durchführte (BKJ 2011d, Kulturelle Bildung 7:6). Im Jahrgangszyklus 2012/13 haben bundesweit über 1.400 Freiwillige ihren Freiwilligendienst aufgenommen. Mit den Formaten FSJ Schule, FSJ Politik und internationale kulturelle Jugendfreiwilligendienste differenzieren sich im Trägerverbund Freiwilligendienste Kultur und Bildung der BKJ die Angebote weiter aus.
In 2009/10 waren laut Statistik des Bundesarbeitskreises FSJ im FSJ Kultur 38 % der Freiwilligen männlichen, entsprechend 62 % weiblichen Geschlechts. 97,5 % der Freiwilligen waren über 18 Jahre alt, 94,6 % verfügten zumindest über die Fachhochschulreife. Von den Freiwilligen wiesen 4,3 % einen Migrationshintergrund auf (Bundesarbeitskreis FSJ 2010).
Die Mindestdauer jedes Jugendfreiwilligendienstes beträgt sechs Monate, die Höchstdauer 18 Monate, in der Regel werden Vereinbarungen über 12 Monate geschlossen(JFDG § 5). Freiwillige engagieren sich ganztägig in einer am Gemeinwohl orientierten Einsatzstelle und leisten vorwiegend praktische Tätigkeiten. Sie haben im Jahreslauf Anspruch auf 25 Bildungstage und erhalten nach einem Jahr ein detailliertes Zertifikat.
Freiwillige, Träger und ein besonderer Bildungsmix
Die Freiwilligen werden in der Einsatzstelle und durch den Träger pädagogisch begleitet. Jugendfreiwilligendienste wie das FSJ Kultur definieren sich als ein Ort der (Selbst-)Bildung unter dem Zugangsprinzip der Freiwilligkeit (BKJ 2011j). Sie werden vom Gesetz als Bildungs- und Orientierungszeit deklariert (BMFSFJ 2011a:8). Es gilt, die sozialen, kulturellen und interkulturellen Kompetenzen, das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl und die Bildungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Freiwilligen zu fördern (JFDG §3). Für die Umsetzung insbesondere des Bildungsauftrags sind die Träger verantwortlich (JFDG § 10). Referenzrahmen bildet für sie das Kinder- und Jugendhilfegesetz.
Allgemein strukturieren die Träger ein non-formales Bildungsangebot, da sie zahlreiche begleitende und reflektierende Angebote aufbieten. Zudem beinhalten die Jugendfreiwilligendienste – vorrangig im Praxiseinsatz – Anteile des informellen Lernens (BKJ 2011j:7). Ein wichtiges Instrument ist hierbei das eigenverantwortliche Projekt der Freiwilligen, das gemeinsam vereinbart und im Rahmen der Tätigkeit in der Einsatzstelle realisiert wird. Gerade die Kombination aus informellen und non-formalen Aspekten trägt dazu bei, dass ein ganzheitlicher Bildungsauftrag umgesetzt wird. Dazu werden verschiedene Konzepte aus den Bereichen der Kulturellen Bildung, der sozialen Bildung, der politischen Bildung, der werteorientierten Bildung und der beruflichen Bildung genutzt.
Explizit ist das FSJ Kultur ein Vorhaben im Kulturbereich. Kulturnutzung und -gestaltung spielen eine wichtige Rolle im Leben junger Menschen; sie können im FSJ Kultur diesem Interesse nachkommen. Das FSJ Kultur ist zudem verwurzelt in der Kulturellen Bildung. Damit ist es eng rezeptiv wie produktiv mit der Teilhabe am kulturellen Leben und mit künstlerischer Praxis verknüpft. Im Rahmen der Kulturellen Bildung geht es um die kulturelle Integration und die Entwicklung kultureller Identität etwa durch die Schulung der Sinne und Wahrnehmungsfähigkeit, durch die Erweiterung der eigenen Ausdrucksmöglichkeit (unter anderem künstlerische Gestaltungs-, Aktions- und Artikulationsmöglichkeit), durch die Entwicklung von Kreativität und Fantasie (BKJ 2011j:6f.).
Das FSJ Kultur erschließt Jugendlichen ein facettenreiches Einsatz- und Erfahrungsfeld mit ästhetischen (Kultur als Kunst), künstlerisch-kreativen (Kultur als Ausdruck und aktives Handlungsangebot), politisch-gesellschaftlich-sozialen (Kultur als Werte und Normen) und historischen (Kultur als Tradition und Geschichte) Dimensionen. Kulturvermittlung und -management sind weitere wichtige Inhalte. Die pädagogische Begleitung legt ein besonderes Augenmerk darauf, dass sowohl im Praxiseinsatz als auch in der begleitenden Bildungsarbeit kulturelle Begegnungen ermöglicht wie auch künstlerisch-kreative Erfahrungen gesammelt werden. So ist beispielsweise die Qualität der Seminararbeit durch Methoden der Kulturellen Bildung bestimmt (BKJ 2011j:6f.).
Einsatzstellen und Motivationen
Diese vielfältigen Merkmale spiegelt das Einsatzstellenspektrum wider. Einrichtungen der Kulturellen Bildung, Hoch- und Breitenkultur, Soziokultur, Kinder- und Jugendkulturarbeit und anverwandter Felder bieten den Jugendlichen Einsatzmöglichkeiten. Voraussetzung zur Anerkennung als Einsatzstellen sind eine engagementfreundliche Haltung, gemeinwohlorientierte Aufgabenfelder sowie ein Angebotsprofil, in welchem die jungen Freiwilligen kulturelle Praxis im Alltag und in Projekten erleben und gestalten können (BKJ 2011j:5). Für 76,9 % der Einsatzstellen formulieren die Träger in einer internen Evaluation entsprechend, dass sie Freiwillige bei sich aufnehmen, „weil sie neue Impulse geben“. Bei 58,3 % schätzen sie ein, dass sie eine „Unterstützung der Arbeit“ benötigen. Nicht die unmittelbare Entlastung der Beschäftigten ist – so die Beobachtung – vorherrschendes Argument, sondern der Anspruch, eigenes Handeln zu befragen, ist Ausgangspunkt für die Beteiligung von Einsatzstellen.
Eine Entsprechung findet dies in der Charakterisierung der Motivationslagen von Freiwilligen, die sich für ein FSJ Kultur bewerben. Bei 80,8 % wird durch die interne Trägerevaluation konstatiert, dass sie durch das FSJ Kultur Einblicke in kulturpädagogische und kulturelle Arbeitsfelder erhalten, also umfassend an Prozessen beteiligt werden. Bei 70,2 % wird davon ausgegangen, dass sie Erfahrungen für den beruflichen Alltag sammeln. Die Zahlen belegen eine hohe konzeptionelle Schlüssigkeit und beidseitige Gewinnsituation für die Zielgruppe der Freiwilligen und Einsatzstellen, die sich im FSJ Kultur einstellt.
Trotz der Erweiterung und Ausdifferenzierung im Spektrum der Jugendfreiwilligendienste wird das FSJ Kultur von Jugendlichen nach wie vor stark nachgefragt. Statistisch konkurrieren vier BewerberInnen und sieben Bewerbungen bundesweit um einen Platz. Dieses Verhältnis zu relativieren ist abhängig von der Gewinnung weiterer und neuer geeigneter Einsatzstellen.
Die Jugendfreiwilligendienste stehen dabei in ihrem Qualitätsmanagement vor der Aufgabe, die Teilhabemöglichkeiten junger Menschen mit schwächeren Bildungsabschlüssen zu erhöhen. Auch die Zahl von Freiwilligen mit Migrationshintergrund entspricht nicht ihrem Bevölkerungsanteil. Während die (berufs-)orientierende Ausrichtung für Freiwillige eine Präferenz darstellt, ist für die Entwicklung der Jugendfreiwilligendienste bedeutsam, dass es gelingt, den Eigensinn des Engagements in seiner zivilgesellschaftlichen Dimension sichtbar zu machen.