Klimawandel und Umweltschutz in der Jugendliteratur. Ökologische Bildung und Förderung der Lesemotivation im Rahmen Sozialer Arbeit
Literaturvermittlung mit der Methode des Book-Slams
Abstract
Der Artikel untersucht die Bedeutung von Jugendliteratur im Kontext von Klimawandel und Umweltschutz und deren Einfluss auf die ökologische Bildung und Lesemotivation junger Menschen. Er hebt dabei die Rolle der Jugendbewegung „Fridays for Future“ hervor und verdeutlicht, wie gesellschaftliche Diskurse in literarischen Werken reflektiert werden. Unterschieden wird dabei zwischen literarischen Texten, die Wissen vermitteln bzw. aufklären wollen, sowie dystopischen Erzählungen. Zudem wird die Methode des Book-Slams als innovative Möglichkeit zur Literaturvermittlung in der Jugendarbeit vorgestellt.
Das Jahr 2018 war laut Meteorologen das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Europa. Dieser Sachverhalt veranlasste die fünfzehnjährige schwedische Schülerin Greta Thunberg dazu, sich am ersten Schultag nach den Sommerferien 2018 vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm zu postieren und für mehr Umweltschutz zu demonstrieren. Was daraus resultierte, ist weitbekannt: Auch in vielen anderen Ländern folgten Schüler*innen ihrem Beispiel und starteten regelmäßige Demonstrationen unter dem Motto ‚Fridays for Future‘, welche zum Teil aufsehenerregende Ausmaße angenommen haben. Greta Thunberg entwickelte sich zu einem Vorbild für viele Jugendliche. Sie forderte die internationale Politik dazu auf, Verantwortung für die Umwelt und damit für eine gesicherte Zukunft zu übernehmen. Medienwirksam sensibilisierte sie die Gesellschaft für Klima- und Umweltfragen (vgl. Mikota/Pecher 2020, S. 8). Greta Thunberg hat mit ihrem Engagement einen Diskurs ins Leben gerufen, den auch der Buchmarkt erkannt und aufgegriffen hat. Insbesondere seit 2019 erscheinen viele unterschiedliche Kinder- und Jugendbücher, die sich mit dem Klimawandel und dem Umweltschutz beschäftigen (vgl. ebd., S. 9).
Mit den Protesten der Umweltbewegung ‚Fridays for Future‘ hat sich auch die Einschätzung der Gesellschaft zum politischen Interesse von Jugendlichen grundlegend geändert. Wurden Jugendliche bis dahin als „im Wesentlichen unpolitisch, egozentriert [und] konsumorientiert“ (Milbrand 2020, S. 3) angesehen, gelten sie jetzt als ernstzunehmende Akteur*innen im politischen Geschehen. Nicht zuletzt zeigt sich das auch in Protesten gegen Polizeigewalt, Rassismus sowie die EU-Urheberrechtsreform, an denen sich Jugendliche beteiligen (vgl. ebd., S. 3). Explizit jugendliche Akteur*innen sind in den letzten Jahren verstärkt politisch sichtbar geworden. Dieses Phänomen stellt nicht nur die Politik vor neue Herausforderungen, sondern auch in der Jugendliteratur müssen aktuelle Themen, wie in diesem Fall der Klima- und Umweltschutz, angeboten werden.
Spezifische Wahrnehmungen und Deutungen, die junge Menschen bezüglich des Umweltthemas entwickeln, müssen nicht nur von der Politik ernstgenommen werden, sondern sie sind auch für die Literaturvermittlung von Bedeutung, da diese eine Schnittstelle zwischen Lernenden und Lehrenden darstellt. So kann der Trend des Buchmarktes, verstärkt Literatur zum Thema Umweltschutz zu veröffentlichen, nicht als rein konsumorientiert betrachtet werden, sondern es werden auch Anreize für die Ausbildung von Selbstständigkeit, Reflexion der eigenen Haltung und einer angestrebten Vorbildfunktion bei Jugendlichen gesetzt (vgl. Mikota/Pecher 2020, S. 10).
Klimawandel und Umweltschutz in der Jugendliteratur
Jugendliteratur kann niemals als „Sprachrohr der Umweltschützer” (Brendel-Perpina/Lägel 2019, S. 39) verstanden werden, bietet aber immer eine spezifische Sicht auf Werte und Normen, die von Relevanz in der Gesellschaft sind und gibt den Leser*innen somit eine Orientierung, ihr ökologisches Bewusstsein zu schärfen. In der Literatur, in der Umweltschutz und Klimawandel thematisiert werden, kann man zwei Kategorien von Texten unterscheiden. Zum einen sind Texte zur ökologischen Aufklärung zu nennen, in denen die Autor*innen ihre Leser*innen für den Umweltschutz sensibilisieren möchten und handlungsleitende Empfehlungen geben, inwieweit sich das Individuum selbst proaktiv am Umweltschutz beteiligen kann. Zum anderen lassen sich hiervon ökologische Dystopien abgrenzen, die aufzeigen, was passieren kann, wenn man nicht richtig handelt. Den Leser*innen wird eine düstere Zukunft vermittelt. Dystopien warnen vor einer negativen Entwicklung der Welt und ihrer Gesellschaft (vgl. ebd., S. 40).
Seit den 1970er Jahren erscheinen Texte zur ökologischen Aufklärung, die einen Beitrag zum Wissenserwerb der Leser*innen leisten. Probleme bezüglich Klimawandel und Umweltzerstörung werden in den Fokus gerückt und regen die Leser*innen zum Nachdenken an (vgl. Brendel-Perpina/Lägel 2019, S. 41). Einen wahrhaftigen Aufschwung erlebten Publikationen mit dem Schwerpunkt Klimawandel und Umweltschutz jedoch nach Greta Thunbergs legendärem Auftritt beim UN-Klimagipfel in New York und der Jugendbewegung ‚Fridays for Future‘. Das 2019 erschienene Jugendbuch ‚Mein Name ist Greta‘, welches von Valentina Giannella verfasst wurde, erzählt nicht ausschließlich, wie der Titel vermuten lässt, die Geschichte von Greta Thunberg, sondern klärt auf eine wissenschaftliche Art und Weise über wesentliche Aspekte zum Verständnis des Klimawandels auf. Begriffe wie globale Erwärmung, Treibhauseffekt und Biodiversität werden verständlich erklärt. Zudem wird aufgezeigt, was jeder Einzelne zum Klimaschutz beitragen kann (vgl. Giannella 2019).
Auf eine einfache Lösung verzichten Jugendromane in ihrer Aufklärung und bieten ihren Leser*innen somit komplexere Zusammenhänge an. Das Jugendbuch ‚Brennendes Wasser‘ von Lukas Erler, welches 2015 mit der ‚Segeberger Feder‘ ausgezeichnet wurde, setzt Umweltzerstörung mit Öko-Terrorismus in einen Bezugsrahmen und gibt somit vielschichtige Fragen zur Diskussion an die Hand (vgl. Mikota/Pecher 2020, S. 16). Zufällig werden die drei jugendlichen Protagonisten dieser Geschichte Zeugen einer Hausexplosion. Während die drei Teenager noch rätseln, was der Grund für diese Explosion gewesen sein könnte, sorgt diese bei einem großen Energiekonzern in Kanada für Aufregung, denn dieser hat in dem Gebiet des explodierten Hauses Fracking-Probebohrungen durchgeführt. Aus Sorge um ein Millionengeschäft, welches durch die Erkenntnisse der drei Jugendlichen in Gefahr geraten könnte, setzt der verantwortliche Mitarbeiter des Energiekonzerns einen Auftragskiller auf die Jugendlichen an, um diese zum Schweigen zu bringen. Der Autor bietet seinen Leser*innen somit einen spannenden Roman, indem über das brisante Thema des Frackings aufgeklärt wird (vgl. Erler 2014).
Der 2016 erschienene Jugendroman ‚Der lange Weg zum Wasser‘ von Linda Sue Park kombiniert das Thema Umweltzerstörung mit den Themen Armut und Flucht und schafft somit einen aktuellen Zusammenhang (vgl. Mikota/Pecher 2020, S. 16). Der nach wahren Begebenheiten verfasste Roman handelt von zwei Kindern, die in Afrika in Armut leben. Der elfjährige Salva muss vor einem Angriff auf sein Dorf fliehen und erlebt daraufhin eine jahrelange Fluchtgeschichte. Salva wird auf seiner Flucht von seiner Familie getrennt und muss lernen, sich fremden Menschen anzuschließen und Vertrauen zu diesen zu gewinnen. Der Familie des Mädchens Nya aus dem Sudan fehlt vor allem die lebenswichtige Ressource Wasser. Nya muss deshalb mehrere Stunden am Tag laufen, um Wasser aus einem weit entfernten und zunehmend verseuchten Tümpel zu beschaffen. Die beiden Perspektiven rücken den alltäglichen Kampf um das Überleben in den Mittelpunkt. Der Roman klärt darüber auf, wie Kriege die Umwelt zerstören, Wasserstellen versucht werden und somit Menschen, die ohnehin in großer Armut leben, ein Schicksal erleiden, welches für Mitteleuropäer kaum vorstellbar ist. Jugendliche können somit etwas über das Leben Gleichaltriger in Afrika erfahren und bekommen die Gelegenheit, eigene Wertvorstellungen zu reflektieren (vgl. Sue Park 2016).
Dystopische Jugendliteratur spielt dagegen in der Zukunft und veranschaulicht „(post)apokalyptische Weltentwürfe globalen Ausmaßes“ (Brendel-Perpina/Lägel 2019, S. 42). Im Mittelpunkt der ökologischen Dystopien stehen folgenschwere Themen, in denen die Welt z.B. durch eine Umweltkatastrophe zerstört wird. Dystopien lehnen sich an aktuelle Ereignisse sowie gesellschaftliche Diskurse an. So verwundert es nicht, dass auch Themen wie Klimawandel und Umweltschutz, die seit einigen Jahren diskutiert werden, von Autor*innen dramatisch und mit spektakulärem Ausgang beschrieben werden (vgl. ebd., S. 42).
Das Jugendbuch ‚2084. Noras Welt‘ ist bereits 2013 und somit vor der Jugendbewegung ‚Fridays for Future‘ erschienen. Der norwegische Autor Jostein Gaarder erzählt in seinem Buch von einem Mädchen namens Nora, das sich als Jugendliche Sorgen um den Klimawandel macht. Da Nora sich gut mit Klimawandel und Artensterben auskennt, konstruiert sie sich in ihrer Fantasie ein Bild davon, wie die Welt sich verändern könnte, wenn wir weitermachen wie bisher. In ihren Träumen begegnet sie ihrer Urenkelin und sieht, in welchem erbärmlichen Zustand sich die Erde befindet. Diese Erkenntnisse spornen Nora dazu an, sich für die Umwelt einzusetzen. Sie gründet mit ihrem Freund Jonas eine Initiative, um die Natur zu retten. Dieser Roman bietet verschiedene Denkanstöße, wie man sich mit Klimawandel und Umweltschutz beschäftigen kann. Somit hat er das Potential, jugendliche Leser*innen, die zudem das Jahr 2084 mit großer Wahrscheinlichkeit erleben werden, zu mehr Umweltbewusstsein zu motivieren und ihr Denken und Handeln entsprechend anzupassen (vgl. Mikota/Pecher 2020, S. 13 f.).
Was passieren kann, wenn plötzlich und unerwartet die Ressource Wasser ausgeht, beschreibt der Jugendroman ‚Dry‘ der im Jahr 2019 erschienen ist. Der 2020 von der Jugendjury für den Deutschen Literaturpreis nominierte Roman von Neal und Jarrod Shusterman regt zum Nachdenken an und zeigt auf, wie dramatisch sich unser Leben verändern kann, wenn das Wasser knapp wird. Der Roman erzählt, wie aufgrund der globalen Erwärmung in Amerika die Wasserversorgung komplett zusammenbricht. Davon ist auch die in Kalifornien lebende Alyssa betroffen. Sie muss erkennen, dass ihr Leben ohne Wasser in Gefahr ist. Einzig die Familie ihres Schulfreundes Keldon hat sich für den Ernstfall mit genügend Wasser und anderen lebenswichtigen Dingen ausgestattet. Für Keldons Familie gehören zu den überlebensnotwendigen Utensilien auch Waffen. Die Leser*innen können in diesem Roman eine Idee davon bekommen, wie weit der Mensch in extremen Situationen zu gehen bereit ist. Der Fokus des Buches liegt auf dem Verhalten der Jugendlichen, wie sie diese Extremsituation meistern und zu verantwortungsvollem Handeln finden (vgl. Lison 2020, S. 45 ff.).
Jugendliteratur und Literaturpädagogik in der Praxis der Sozialen Arbeit
Ein wichtiges Handlungsfeld der Sozialen Arbeit ist die Kinder- und Jugendhilfe. Die offene Jugendarbeit bildet hierbei eines der größten Arbeitsfelder. Ihr Auftrag ist es, „Heranwachsende zu einer eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Lebensführung“ (Farrenberg/Schulz 2021, S. 85) anzuleiten. Die Lebensphase Jugend hat sich auf eine Zeitspanne von 15 Jahren ausgedehnt und umfasst junge Menschen in einem Alter von zwölf bis 27 Jahren. In unserer „offenen, emanzipierten und demokratischen Gesellschaft“ (Hurrelmann/Quenzel 2013, S. 50) haben junge Menschen in dieser Lebensphase umfangreiche Möglichkeiten der Entfaltung. Sie müssen jedoch im Laufe dieser Phase eine Persönlichkeitsstruktur entwickeln, die sie zu vollwertigen Erwachsenen macht (vgl. ebd., S. 10 f.). In der offenen Kinder- und Jugendhilfe werden Jugendlichen niederschwellige Angebote in Jugendtreffs, Jugendzentren oder auch Jugendclubs geboten, die von Professionellen der Sozialen Arbeit geleitet werden. Angebote der offenen Jugendarbeit sollen ihre Adressat*innen bilden, gesellschaftlich integrieren sowie individueller Benachteiligung entgegenwirken (vgl. Farrenberg/Schulz, S. 85 ff.).
Angebote zur Literaturvermittlung können hervorragend in den Bereich der offenen Kinder- und Jugendhilfe, also im außerschulischen Bereich, in Form von Projekten sowie regelmäßigen Aktivitäten integriert werden. Verschiedene Methoden stehen für die außerschulische Literaturvermittlung zur Verfügung. Unterscheiden lassen sich diese danach, ob an Literatur herangeführt oder Literatur vertieft werden soll. Um Jugendliche an Literatur heranzuführen, sind beispielsweise Buchpräsentationen nennenswert oder auch die Methode des Book-Slams, auf welche später noch detaillierter eingegangen wird. Um vertiefende Erfahrungen mit Literatur machen zu können, bietet sich die Methode des Darstellenden Spiels an (vgl. Jentgens 2012, S. 474 ff.). Um Projekte der außerschulischen Literaturvermittlung in der offenen Jugendarbeit erfolgreich umsetzen zu können, bietet es sich an, Literaturpädagog*innen hinzuzuziehen, denn diese sind im Bereich der außerschulischen Literaturvermittlung sachkundig. Mit Hilfe einer solchen professionellen Unterstützung können Angebote für Jugendliche hervorgehoben werden und erhalten somit eine besondere Wertigkeit. Insbesondere in den letzten Jahren haben sich Agenturen und Ich-AGs gegründet, die professionell im Feld der Literaturvermittlung tätig sind. So wie sich in den 1980er Jahren die Theaterpädagogik entwickelt hat, differenziert sich aktuell die Literaturpädagogik aus (vgl. ebd., S. 477).
Literaturpädagogik definiert sich als eine „Erziehung mit und zur Literatur“ (Jentgens 2016, S. 16) sowie zum sprachlichen Ausdruck. Die Beschäftigung mit Literatur ist hier der Dreh- und Angelpunkt, um Kreativität sowie selbstständiges und kritisches Denken zu fördern. Des Weiteren eröffnet die Beschäftigung mit Literatur einen Zugang zu sozialen Kompetenzen wie der Teilhabe an Bildungsprozessen, die Fähigkeit seine eigene Meinung zu äußern sowie Werte zu entwickeln (vgl. ebd., S. 16 f.). Voraussetzung, um sich mit Literatur auseinandersetzen zu können, sind die Kompetenzen des Zuhörens, des Verstehens sowie insbesondere die des Lesens. Diese Fähigkeiten werden hauptsächlich in der Schulzeit erworben. Literaturpädagogik setzt jedoch bereits in früher Kindheit an und erstreckt sind in Form von außerschulischen Aktivitäten über alle Lebensphasen hinweg bis ins hohe Lebensalter hinein (vgl. ebd., S. 17f).
Das Leseverhalten von Jugendlichen wird im Rahmen der JIM-Studie empirisch untersucht. Festgestellt wurde, dass sich aktuell 32 Prozent der Jugendlichen aus eigenem Antrieb mit gedruckten Büchern beschäftigen. Im Jahr 2020 waren es noch 35 Prozent und im Jahr 2017 gaben 40 Prozent der Jugendlichen an, in ihrer Freizeit Bücher zu lesen. Für ein Drittel der Jugendlichen ist Lesen also ein fester Bestandteil in ihrer Freizeitbeschäftigung. Mit ansteigendem Alter nimmt die Leseaktivität jedoch kontinuierlich ab (vgl. Feierabend et al. 2021, S. 20 f.). Es besteht zwar kein Grund, „den Untergang der Buchkultur zu beschwören“ (Jentgens 2016, S. 187), jedoch untätig dabei zuzusehen, wie die Lesebegeisterung bei Jugendlichen abnimmt, kann ebenso wenig akzeptiert werden. Hier schließt sich die Frage an, wie die Literaturpädagogik auf die nachlassende Lesebegeisterung reagieren kann. Grundsätzlich muss konstatiert werden, dass Heranwachsende selten von sich aus Büchereien oder andere Orte der Literaturvermittlung aufsuchen. Es bedarf der Vermittlung. Es müssen Angebote geschaffen werden, mit denen Jugendliche Bücher auf Medien nutzen können, die sie ohnehin in ihren Alltag integriert haben, z.B. Smartphones und Tablets. Peer-to-Peer Angebote, bei denen buchaffine Jugendliche interessante Lektüren an Gleichaltrige vermitteln, sind im Kontext der Lesemotivation hervorzuheben. Buchempfehlungen von Erwachsenen sind in der Regel wirkungslos. Die Entscheidung, was in der Freizeit gelesen wird, treffen Jugendliche immer selbst. Die Literaturpädagogik sollte zudem mit partizipativen Angeboten reagieren, an denen Jugendliche sich aktiv beteiligen können (vgl. ebd., S. 187).
Der Book-Slam als literaturpädagogische Methode
Buchvorstellungen können wesentlich dazu beitragen, Jugendlichen Bücher zu präsentieren und sie somit zum Lesen anzuregen. Sie können aber auch eine Qual sein, denn endlos lange Buchvorträge, die alle gleich aufgebaut sind und mit dem Satz ‚In meinem Buch geht es um…‘ einleiten, wirken einschläfernd. Jugendliche sind in einem solchen Fall schnell nicht mehr aufnahmefähig. Viel aufregender ist dagegen ein Book-Slam! Entwickelt wurde der Book-Slam im Jahr 2000 an der Akademie Remscheid von Stephanie Jentgens und stellt damit eine recht neue Methode der Literaturvermittlung dar. Das englische Wort ‚to slam‘ bedeutet übersetzt so viel wie zuschlagen oder zuknallen. Als Vorbild dient dem Book-Slam der Poetry-Slam, ein Autorenwettstreit, bei dem die Autor*innen selbstgeschriebene Texte präsentieren. Bewertet wird jeder einzelne ‚Slam‘ vom Publikum, das wie beim Eiskunstlauf Noten von eins bis zehn vergibt. Zehn stellt dabei die höchste Bewertung dar. Zusätzlich kann zu dieser Bewertung ein ‚Applausometer‘ eingesetzt werden, bei dem die Lautstärke des Beifalls des Publikums zur Gesamtwertung hinzufließt (vgl. Jentgens 2008, S. 8 f.). Besonders gut lässt sich ein Book-Slam als mehrwöchig stattfindendes Projekt ausgestalten, an dem Jugendliche freiwillig teilnehmen können. Um ein solches Projekt erfolgreich planen und durchführen zu können, müssen im Vorhinein einige Aspekte geklärt werden. Wird ein Bedarf für ein bestimmtes Themenfeld festgestellt – etwa wie im vorliegenden Beitrag das Themenfeld Klimawandel und Umweltschutz –, und ist eine Zielgruppe, die sich hiervon angesprochen fühlt vorhanden, kann mit der Planung des Projekts begonnen werden (vgl. Jentgens 2016, S. 210).
Zu Beginn der Planung muss Klarheit über die Gruppe der Teilnehmer*innen geschaffen werden. Im Idealfall weisen die Teilnehmer*innen eine homogenen Altersstruktur auf, damit Inhalte und Darbietungen für alle gleichermaßen verständlich sind. Zudem ist es von Vorteil zu wissen, wie vertraut die teilnehmenden Personen miteinander sind. So kann geplant werden, wie viel Zeit in Beziehungsarbeit und Kennenlernen investiert werden muss. Eine Auswahl von zum Thema passenden Büchern wird im Vorhinein von dem*der Kursleiter*in getroffen. Dabei sollte die Auswahl so groß sein, dass jede*r Jugendliche ein Buch seiner*ihrer Wahl auswählen kann und niemand gezwungen ist, das zu nehmen, was übrigbleibt. Nur so kann die Motivation aufrechterhalten werden und die Akteur*innen haben Spaß an der Vorbereitung ihres Beitrags. Von Vorteil kann es sich erwiesen, einen Kooperationspartner zu finden, der die zu vermittelnden Bücher für den Zeitraum des Projekts zur Verfügung stellt, um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten (vgl ebd., S. 210 f.). Das Ziel des Projekts wird in der Projektplanung definiert. Beim Book-Slam ist das Ziel, einander Bücher auf möglichst individuelle und spektakuläre Art und Weise vorzustellen und somit andere Teilnehmer*innen zum Lesen der verschiedenen Bücher zu motivieren sowie – um beim Beispiel zu bleiben – Interesse für die Themen Klimawandel und Umweltschutz zu generieren. Der Zeitrahmen des Projekts muss gut durchdacht werden, denn die Teilnehmer*innen sollten genügend Zeit zur Findung und Umsetzung ihrer Ideen haben. Als ideal stellt es sich für den Book-Slam heraus, nach der Einführung in das Thema mindestens vier Termine zur Vorbereitung zuzüglich Präsentation zu veranschlagen. Auch ansprechende Räumlichkeiten tragen zu einem gelingenden Projekt bei. Der Book-Slam gehört auf eine Bühne. Sollte keine Bühne vorhanden sein, kann ein entsprechender Bereich mit Trennwänden und Vorhängen so gestaltet werden, dass die Vorträger*innen einen würdigen Rahmen für ihre Darbietungen vorfinden. Je nach Zeitkontingent kann die Gestaltung der Präsentationsfläche mit den Teilnehmer*innen zusammen durchgeführt werden. Für die Gestaltung der Bühne und der Vorträge sind zudem Materialien wie Pappe, Stifte, CD-Player oder Beamer notwendig. Die Kosten hierfür müssen berechnet und entsprechende Gelder beschafft werden (vgl. ebd., S. 212).
Zu Beginn des Projekts stellt der*die Kursleiter*in optional einen eigenen Beitrag für einen Book-Slam vor. So werden die Teilnehmer*innen auf das Thema eingestimmt (vgl. Jentgens 2008, S. 8). Alternativ kann ein fertig produzierter Book-Slam gezeigt werden. Auf der Plattform ‚YouTube‘ sind viele Beispiele zu finden. Zudem können die Teilnehmer*innen dort Videos mit wertvollen Tipps zur Vorbereitung ihres Beitrags finden. Die Integration dieses Internetportals hat das Potential, die Motivation und Arbeitsbereitschaft der Jugendlichen zusätzlich zu steigern. Danach werden die zur Verfügung stehenden Bücher vorgestellt und die Teilnehmer*innen suchen sich ein Buch aus, mit dem sie sich beschäftigen möchten. Das Vorbereiten und Präsentieren eines Beitrags für einen Book-Slam ist möglicherweise nicht für jede*n Jugendliche*n eine einfache Aufgabe. Partizipativ sollten diese deshalb in den Prozess des weiteren Vorgehens miteinbezogen werden. Fragen danach, ob es einzelne Präsentationen geben soll oder ob sich die Teilnehmer*innen in kleine Gruppen aufteilen, werden gemeinsam entschieden. Wichtig ist, dass die Begeisterung und die Lust am Projekt erhalten bleiben. In der nächsten Phase bereiten die Jugendlichen ihren Beitrag vor. Nach dem Motto ‚alles ist erlaubt nur keine Langeweile‘ wählen die Teilnehmer*innen bzw. Kleingruppen ihre Form der Präsentation aus. Das ausgewählte Buch kann beispielsweise als Rap, Werbespot, Quiz oder auch als Rollenspiel dargeboten werden und darf ein Zeitfenster von drei Minuten nicht überschreiten. Die Teilnehmer*innen haben die Aufgabe, sich zu überlegen, welche Art der Darbietung zum Buch, aber auch zu ihrer Persönlichkeit passt. Außerdem soll der Fokus auf die wesentlichen Inhalte und Aspekte des Buchs gelegt werden (vgl. Jentgens 2016, S. 189 f.). Nachdem die Präsentationen im Peer-Kontakt probehalber vorgestellt und gegebenenfalls überarbeitet wurden, folgt im nächsten Schritt der Book-Slam. Zunächst wird die Reihenfolge der Beiträge gemeinsam festgelegt. Anschließend erklärt der*die Moderator*in des Book-Slams die Regeln: Jede Darbietung erhält drei Minuten Zeit und wird direkt im Anschluss vom Publikum bewertet. Es sollte betont werden, dass es darum geht, herauszufinden, welches Buch am besten gefällt und nicht welche Präsentation. Die Bewertungskarten mit den zu vergebenden Punkten, die in den Vorbereitungen erstellt wurden, liegen dem Publikum für die Abstimmung bereit. Auf einem Flipchart oder einer Tafel werden die Bewertungen festgehalten. Am Ende wird das Gewinnerbuch ermittelt und alle Präsentationen werden nochmals gewürdigt. Nun sollte noch genügend Zeit zur Verfügung stehen, damit alle Anwesenden in den Büchern blättern können, denn erst dadurch kann die Veranstaltung nachhaltig wirken. Eine Liste, auf der alle vorgestellten Buchtitel aufgeführt sind, wird den Teilnehmer*innen zur Verfügung gestellt. Optimalerweise können die Bücher im Nachgang des Projekts von den Jugendlichen ausgeliehen werden (vgl. ebd., S. 189 f.).
Im Anschluss an ein Projekt wird dieses evaluiert. Erfahrungen werden beschrieben und bewertet, damit sie zukünftig systematisch für die Praxis genutzt werden können. Hierfür werden Daten erhoben und ausgewertet. Die Ergebnisse tragen dazu bei, das Handeln in der Praxis zu verbessern. Aufgrund dieser können Entscheidungen getroffen bzw. Veränderungen herbeigeführt werden (vgl. Jentgens 2016, S. 213 f.). Um optimal auf Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen zu können, sollten diese im Nachgang zu ihrer Meinung und ihren Erfahrungen im Rahmen des Book-Slams befragt werden. Das kann z.B. mit Hilfe eines Blitzlichts geschehen, in dem die Teilnehmer*innen ihre Meinung zum Book-Slam mitteilen. Erfahrene Literaturpädagog*innen können den gemachten Aussagen zusätzliche Informationen wie Spaß, Motivation und das Wohlfühlen in der Gruppe entnehmen. Relevant sind die Ergebnisse der Evaluation für zukünftige literaturpädagogische Projekte, denn sie geben Hinweise auf „Freiwilligkeit, Selbsttätigkeit, sinnliche Zugänge und eine positive Atmosphäre“ (ebd., S. 215), die für ein gelingendes Angebot von erheblicher Bedeutung sind (vgl. ebd., S. 214 f.).
Schlussfolgerungen
Das Jahr 2022 ist ein weiteres Jahr, in dem Meteorologen Höchstwerte der Temperaturen in Europa feststellen mussten. In Großbritannien wurden Rekordtemperaturen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gemessen. Neben zu hohen Temperaturen häufen sich andere katastrophale Ereignisse wie eine Wasserknappheit in Italien, verheerende Waldbrände in Brandenburg und Südeuropa sowie ein Gletscherunglück in den Dolomiten. Der Klimawandel ist im vollen Gange und in der Politik wird noch immer debattiert und abgewogen, welche Maßnahmen die Richtigen sind, um diesem entgegenzuwirken. „Business as usual in der Klimakrise“ lautet die Überschrift des Klima-Updates der Website ‚fridaysforfuture‘ im Juli 2022. Der Ernst der Lage ist laut Ansicht der Autor*innen, denen das Retten der Umwelt nicht schnell genug geht, bei den politischen Entscheidungsträger*innen noch nicht angekommen (vgl. fridaysforfuture.de 2022).
Der Bedarf an Aufklärung bezüglich des Klimawandels und Umweltschutzes scheint ungebrochen. Hierzu kann die Literaturpädagogik einen wesentlichen Beitrag leisten, denn mit ihren Angeboten erreicht sie bereits die Jüngsten. Viele Autor*innen schreiben aufklärende bzw. dystopische Jugendbücher, die auf unterschiedliche Art und Weise den Klimawandel und den Umweltschutz in den Mittelpunkt rücken. Verknüpfungen mit Themen wie z.B. Armut und Flucht eröffnen den Leser*innen weitere Reflexionsebenen. Bei einigen Jugendlichen, die Interesse an der Klimakrise zeigen und für diese sensibilisiert sind, ist eher die Hürde zu nehmen, diese überhaupt zur Beschäftigung mit Büchern anzuregen. Ein Book-Slam stellt eine hervorragende Möglichkeit dar, Jugendliche zur Auseinandersetzung mit Büchern anzuregen und für diese zu begeistern. Wie in dieser Arbeit exemplarisch an Klimawandel und Umweltschutz gezeigt, sind zudem viele andere Themen auf diese Art und Weise in der Umsetzung denkbar. Partizipativ können junge Menschen an einem Book-Slam-Projekt beteiligt werden und dieses kreativ mitgestalten. Zudem kann mit Hilfe eines Book-Slams ein Gruppengefühl erzeugt bzw. gefestigt werden. Die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, eine Präsentation spielerisch, unkonventionell und insbesondere ohne Leistungs- und Notendruck zu planen und darzubieten. Nicht zuletzt können sie im Rahmen ihrer Präsentation eigene Werte und gesellschaftliche Normen reflektieren. Diese Potentiale fördern neben der Freude und Begeisterung an Büchern die Einsatzbereitschaft für existenzielle gesellschaftliche Themen.