Kindermuseen – und Museumspädagogik
Die Kindermuseen im deutschsprachigen Raum heute finden sich – neben einer eigenen langen kunst- und museumspädagogischen Geschichte seit Lichtwark und Kerschensteiner (Lichtwark 1896/97, 1917; Kerschensteiner 1917/1999) – in der Tradition der amerikanischen Kindermuseen, der neuen Kulturpolitik, der Soziokulturbewegung und der Kultur- und Museumspädagogik der nach-68er-Jahre (Hermann Glaser, Hilmar Hoffmann, Klaus Weschenfelder, Wolfgang Zacharias).
Diese Museumspädagogik mit dem Ziel „Museum für alle“, formulierte Ansprüche, die Sammlungen nicht nur einem vorgebildeten Publikum zugänglich zu machen. Um dies zu erreichen, waren neue pädagogisch-didaktische bzw. methodisch-organisatorische Prinzipien und Vorgehensweisen notwendig, speziell für Kinder und Familien (und insbesondere auch außerhalb von Schule): mit einer Akzentsetzung auf spielerisch, experimentell und interaktiv.
Kinder im Museum unterlagen – und unterliegen nach wie vor – zumeist denselben Regularien wie Erwachsene: Es musste Abstand zu den Objekten gehalten werde, es hatte ehrfurchtsvolle Stille im Raum zu herrschen und ein Museumswächter sorgte oft eher barsch für die Durchsetzung der Regeln. Informationen boten Texte – als Übersichtstexte oder als Objektbeschriftungen – eher für Fachpublikum formuliert als für Laien. Ganz zu schweigen, dass für Kinder sowohl Objekte wie Texte in „falscher Höhe“ angebracht waren. Insgesamt stellten sich Museumspräsentationen inhaltlich eher langweilig-belehrend dar, ohne Chance Zusammenhänge zu erkennen, eigene Aktivität und Kreativität zu entfalten.
Die Museumspädagogik erkannte diese Mängel und versuchte sie zu beheben, stieß aber in konventionellen Museen meist an Grenzen: DirektorInnen und KuratorInnen waren mehr der hochkulturellen Fachwissenschaftlichkeit als einer Vermittlung „für alle“ verbunden. Dementsprechend standen die wissenschaftliche Forschung und deren Präsentation in den ständigen Sammlungen wie auch in Sonderausstellungen im Vordergrund jeder Vermittlung. Die „normale“ Reihenfolge zur Erstellung von Präsentationen war – und ist es ggf. bis heute: fachwissenschaftliche Texte zu Themen bzw. Objekten werden erstellt, von GestalterInnen in Ausstellungspräsentationen umgesetzt und von Führungskräften respektive MuseumspädagogInnen, in Führungen, mit erklärendem Hintergrundwissen versehen, vermittelt – heute auch oft mittels Audioguides.
Aus meiner Anfangszeit als Museumspädagogin erinnere ich mich an den eher makabren Ausspruch: Aus jeder schlechten Ausstellung lässt sich eine gute Museumspädagogik machen. Dies besagt eigentlich nur, dass die Museumspädagogik nicht gleichberechtigt in den Prozess der Umsetzung von Fachwissenschaft zu Publikumspräsentation einbezogen war, sondern erst im Nachhinein als zusätzliche, ergänzende Profession zum Zuge kam und das „Unverständliche“ einer Präsentation in etwas „Verstehbares“ übersetzen half. Die Museumspädagogik als Krücke und Hilfestellung war für diejenigen, die ihre Aufgabe im Verfügbarmachen der fachwissenschaftlichen und ästhetischen Informationen „für alle“ sahen, äußerst unbefriedigend: sie war partizipations- und interaktionsabstinent.
Ganz besonders unbefriedigend war diese Situation in der Vermittlungsarbeit mit Kindern. Waren erwachsene MuseumsbesucherInnen mit verbalen Ausführungen zu Präsentationen durchaus zufrieden zu stellen, so war engagierten MuseumspädagogInnen klar, dass für Kinder und Jugendliche andere Methoden, Haltungen und Erlebnisangebote wesentlich motivierender sein könnten – doch der „Musentempel“ verweigerte sich dem zumeist, die Vermittlung blieb dem Schulunterricht nahe (Spickernagel/Walbe 1984).
Von dieser Situation ausgehend entwickelten sich da und dort Initiativen, meist aus kunst- und museumspädagogischer Herkunft und vernetzten sich. Es fand sich eine Gruppe kunstpädagogisch, kinder- und jugendmuseumsaffin Interessierter aus Deutschland, Österreich, der Schweiz u.a. in regelmäßigen Gesprächsrunden, den „Museumspädagogischen Privatgesprächen“. Dort diskutierten sie Ideen und Vorstellungen, wie „Lernformen mit Dingen“ anders aussehen könnten. Inspiration holten sie sich bei Dewey, Reichwein, Montessori, in Summerhill oder in Schweden, in den Kindermuseen der USA und bei neuen kultur- und spielpädagogischen Experimenten. Ihr Ziel war eine Umakzentuierung, weg vom „Diener der Sammlung, der Kunsthistoriker oder Kuratoren“ hin zu einer eigenen Stimme der Pädagogik, Bildung und Vermittlung im Museum, zu einer kinderakzentuierten Museumspädagogik, beispielsweise in der Kunstvermittlung (Münchner Literatur der 80er ). Dazu gehörten auch Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen, die, miteinander vernetzt, begannen, Kinder- und Jugendmuseen zu starten. Mit Gründung des BJKE 1983 – des Bundesverbandes der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen – fand diese Gruppe einen Verband, unter dessen Dach sie ihre Vorstellungen von Museumspädagogik vorantreiben konnte. Dabei war den ProtagonistInnen der Bewegung klar, dass zur Umsetzung ihrer Ideen ein eigener, imageträchtiger kulturpädagogischer Ort von Wichtigkeit sein würde, um entsprechend der Macht der gesetzten Museen und deren verengter Museumspädagogik ein Gegengewicht zu bilden und das vor allem durch Methoden der Vermittlung und Inszenierung: „Kindermuseum“ schien dafür, angelehnt auch an das angelsächsische „Children’s Museum“, der richtige Begriff (Kolb 1983, Clever ). Ganz glücklich war er nicht gewählt, denn in den Anfangsjahren sahen sich die Kindermuseen immer der ironisch gestellten Frage ausgesetzt, ob sie etwa Kinder ausstellen würden! Auf längere Sicht führte der Begriff auch dazu, dass zwar der Gattungsbegriff „Kinder- und Jugendmuseum“ eingeführt blieb, eine einheitliche Bezeichnung im Namen sich aber nicht durchsetzte. So gibt es heute die Kinderakademie, das Kinderreich, das Museum für Kinder, das Kindermuseum und das Jugendmuseum nebeneinander. Nach wie vor stehen diese Bezeichnungen für denselben Inhalt: Es sind Orte kinderakzentuierter Lern- und Erfahrungsformen mit Dingen, die den Museumsgattungen (historische Museen, Naturkundemuseen, Kunstmuseen etc.) schwerpunktmäßig unterschiedlich verbunden sind, immer mit der Botschaft „hier wird gelernt, aber anders!“: Das Kindermuseum, verstanden als neues, eigenständiges Format am Ort Museum in einem erweiterten Kontext von Kultur und Bildung, Spielen und Lernen, Experimentieren und Interagieren.
Die Gruppe „Museumspädagogische Privatgespräche“ konnte in den 1990er Jahren über den BJKE Gelder für das Modellprojekt „Kinder- und Jugendmuseum: ein neues Konzept in der Jugendhilfe?“ auf Bundesebene akquirieren. In der Dokumentation, herausgegeben von Nel Worm (Worm 1998) finden sich die Ergebnisse, veranschaulicht unter anderem in Projekten und Initiativen, wie „Das Museum im Koffer“ in Nürnberg, „Kaleidoskop“ in Frankfurt, die KJM-Initiative in Hamburg, das „Neue Universum“ in Berlin. Zumeist in eingetragenen Vereinen suchten engagierte Menschen unterschiedlicher beruflicher Herkunft das Prinzip „Kindermuseum“ zu etablieren; es entstanden die ersten Konzeptionen für eigenständige Kindermuseen in eigenständigen Häusern: z.B. 1990 das Konzept „Kindermuseum München“ oder 1991 für ein Kindermuseum in Berlin-Ost.
In dieser Zeit wurde auch ein eigenes Kapitel „Das Kindermuseum: Museum für, mit, von Kindern“ in der erweiterten 3. Auflage des „Handbuch für Museumspädagogik“ aufgenommen (Weschenfelder/Zacharias 1992:413ff ), durchaus auch im Gefolge der 1989 verabschiedeten UN-Kinderrechtskonvention, die Kindern ein Recht auf Kultur, Bildung, Spiel festschrieb (UN-Kinderrechtskonvention, verabschiedet bei der UN 1989 ratifiziert von der Bundesrepublik Deutschland 1992).
Dagmar von Kathen und Wolfgang Zacharias nennen als Begründung für Kinder- und Jugendmuseen „zeitgemäße Spielarten von Kultur und Bildung“ (von Kathen /Zacharias 1993:o.S.). Eine regelrechte Aufbruchstimmung initialisierte ein internationaler Kongress zur Thematik in Berlin 1993 (Worm 1994), organisiert vom BJKE, an dem alle ProtagonistInnen aus der Bundesrepublik teilnahmen und der durch ReferentInnen aus Übersee Gewicht und Flair erhielt. So bescherten denn auch die 1990er Jahre dem Kindermuseum einen Gründungsboom an eigenständigen Häusern: 1991 Kinderakademie Fulda, 1992 Kinder-und Jugendmuseum (heute MACHmit! Museum) Berlin, 1995 Kinder- und Jugendmuseum München, 1996 Klick in Hamburg etc. Nicht immer gelang die Etablierung der neuen Lernformen am eigenen Ort sofort. Dann behalf man sich mit kreativen Möglichkeiten und startete im „Museumsbus“ oder mit einem „Museum im Koffer“, im Bauwagen, mit Projektvorhaben auf der grünen Wiese oder wechselnden Ausstellungen an gemieteten Orten! Dies kann durchaus als eine frühe Form des Prinzips „outreach“ gesehen werden: ein flexibler, sozialräumlicher Start, der in die „Sesshaftigkeit“ führte – und manchmal auch nicht. Mit der Gründung eines eigenen Bundesverbandes der deutschen Kinder- und Jugendmuseen 1997 verband sich die Hoffnung auf mehr Einfluss und Wahrnehmung in der Szene.
Um 2000 verlangsamte sich der Gründungsboom eigenständiger Häuser aufgrund der allgemeinen veränderten wirtschaftlichen Situation und eines fehlenden politischen Willens. Stattdessen werden seit der Jahrtausendwende wieder verstärkt Kindermuseen als Abteilungen in etablierten Museen gegründet und in der Museumspädagogik vermehrt „modernisierte“ Vermittlungsformen eingesetzt – nicht zuletzt aufgrund des Erfolgs der Kindermuseen und des gleichzeitigen Drucks, BesucherInnen zu generieren. Zahlreiche Neugründungen von Museen in den 1990er Jahren veränderten auch da den Stellenwert von Besucherorientierung grundlegend: Viele Museen integrierten nun neue Formate, Methoden und besuchergerechtere museumspädagogische Praktiken in ihre Arbeit, zunächst mit dem Schwerpunkt Schulklassen, ausgeweitet dann auf Familien und nun Senioren etc..
Kindermuseen sind heute akzeptierte Orte der Kulturellen Bildung für außerschulisches Lernen, wie es auch der Schlussbericht der Enquetekommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ 2008 (Deutscher Bundestag 2008) festschrieb.
Kindermuseen waren und sind Vorreiter und Experimentierfeld für museumspädagogische Methoden für Kinder in Museen. Als eigenständiger Ort unterscheiden sich Kindermuseen von Kinderabteilungen etablierter, auf Erwachsene fokussierte Museen nach wie vor.
Kinder- und Jugendmuseen
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sind lediglich ihrer Besuchergruppe, den Kindern und Jugendlichen, verpflichtet, wenngleich sich diese Zielgruppe häufig auf die Familie erweitert hat und damit Eltern resp. begleitende Erwachsene berücksichtigt
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sind vorrangig keinen Sammlungsinhalten und -leitern verpflichtet und somit frei in der Themenwahl, wenngleich auch Kinder- und Jugendmuseen eigene Sammlungen anlegen
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beziehen sich per Definition nicht nur auf das originale Objekt, wenngleich sie es nicht negieren und nach Möglichkeit und Zielsetzung einsetzen
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nutzen Lernprinzipen wie Hand’s on, Mind’s on, Interaktion und Lernen mit allen Sinnen, agieren interdisziplinär, sowie subjektorientiert analog den Prinzipien Kultureller Bildung.
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können auf gesellschaftliche Anforderungen rasch und umfassend reagieren, seien es interkulturelle oder sozialräumliche Anforderungen, Neue Medien oder web 2.0, Forderungen nach lokalen Bildungslandschaften, Kinderrechten, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder Inklusion (Kelb 2014, Zacharias 2010, BNE – UN-Dekade 2004 -2014).
Hinter all dem steht die personelle Begegnung mit dem Kind auf Augenhöhe in vielfältigen Lernformen und in seinem alltäglichen Umfeld, mit allen Dingen deren man habhaft werden kann und in der Freude am Miteinander im Tun.