Insert Coin? Computerspiele und Klassismus (Videovortrag)

Artikel-Metadaten

von Christian Huberts

Erscheinungsjahr: 2023

Peer Reviewed

Abstract

Computerspiele bedienen als Massenkultur unterschiedlichste Ansprüche und Interessen. Aus klassistischer Perspektive zeigen sich in Spielkonzepten und Darstellungsweisen von Mainstream-Games strukturelle Verzerrungen und diskriminierende Stereotypen, insbesondere in der Repräsentation von Klassenzugehörigkeit und sozialen Aufstiegserzählungen. Kulturelle Bildung ist hier gefordert, Gaming-Kultur ernst zu nehmen, sie zu erproben, zu erforschen und sie praktisch und offen in kulturelle und digitale Medienbildung einzubringen. Dieser Beitrag, ein Videovortrag von Christian Huberts, ist Teil des Dossiers „Klassismus und Kulturelle Bildung“.

Autor:in: Christian Huberts

Beitragsdauer
00:16:16

Computerspiele sind Massenkultur, die allein in Deutschland von mehr als einem Drittel der Bevölkerung, über alle Alters- und Geschlechtergruppen hinweg regelmäßig konsumiert wird. Sie bilden weniger eine homogene Spielekultur als heterogene Subkulturen, die unterschiedlichste Ansprüche sowie Interessen bedienen und digitale Spiele ebenfalls als Mittel des künstlerischen Ausdrucks oder gesellschaftspolitischen Kommentars einsetzen. Damit nehmen sie eine wichtige Rolle für Kulturelle Bildung und gesellschaftliche Teilhabe ein. Insbesondere im kulturellen Mainstream des Mediums dominieren jedoch, trotz vieler Verbesserungen in den vergangenen Jahren, noch Spielkonzepte und Darstellungsweisen, die von strukturellen Verzerrungen und diskriminierenden Stereotypen geprägt sind – insbesondere, wenn es um die Repräsentation von Klassenzugehörigkeit und Armut geht.

Von Armut betroffene und obdachlose Menschen bleiben in populären Computerspielen zumeist passive Figuren, die virtuellen Stadtbildern – auch in Form satirischer oder abwertender Darstellungen – Glaubwürdigkeit, beziehungsweise Lokalkolorit, verleihen sollen oder aktive Interventionsmöglichkeiten für die Spieler*innen bieten. So beginnen die Protagonist*innen vieler digitaler Spiele ihre Karrieren in prekären Lebenswelten. Der soziale und materielle Aufstieg ist jedoch in Narration und Spiellogik zumeist fest angelegt, wird nicht durch strukturelle Hürden verhindert und kann nur selten sinnvoll subversiv unterlaufen werden. Dabei werden klassistische Deutungsmuster reproduziert und weitergetragen. Selbst dort, wo digitale Spiele sich ernsthaft durch ihre Regelsysteme mit den Folgen und Ursachen von Armut auseinandersetzen, bewirkt die Selbstwirksamkeitserfahrung im Spielverlauf aus vielfältigen Handlungsoptionen auswählen zu können, dass die Spielenden ihre Entscheidungen als individuell verantwortet erleben und nicht durch die Spiellogik forciert (vgl. Roussos et al. 2016).

Klassismus setzt sich beim Computerspiel als kommerzielles Produkt fort. Vollpreis-Computerspiele kosten viel Geld und sind durch die Bindung an digitale Distributionssysteme oft nicht mehr gebraucht oder zum Verleih erhältlich. Die Teilhabe an der Spielekultur wird so insbesondere für Menschen erschwert, die über geringe finanzielle Ressourcen verfügen und auf Angebote wie öffentliche Bibliotheken angewiesen sind. Wo digitale Spiele kostenlos sind, werden Sie durch optionale, für den Spielverlauf aber durchaus vorteilhafte Mikrotransaktionen gegenfinanziert. Zwar betragen diese real anfallenden Kosten für z.B. spielinterne Währungen oder virtuelle Gegenstände oft nur wenige Cent, summieren sich aber durch niedrige Kaufhürden oder Mengenrabatte schnell zu größeren Beträgen. Selbst wenn z.B. kosmetische Gegenstände (wie ausgefallene Kleidung o.Ä.) für die eigene Spielfigur in der Regel keine direkten Spielvorteile bieten, markieren sie doch soziale Hierarchien, erhöhen den Konsumdruck und erschweren damit die gleichberechtigte Teilhabe. Künstliche Knappheit oder Zufallsmechaniken beim Erwerb von virtuellen Gütern zielen dabei zusätzlich auf das Risikoverhalten besonders vulnerabler Gruppen. So sind Rabattaktionen oder exklusive Spielgegenstände oft nur zeitlich begrenzt erhältlich und einige digitale Spiele erlauben lediglich den Kauf sogenannter „Lootboxen“, deren Inhalt per Zufall bestimmt wird. Nicht selten wird dieser Prozess in einer Weise dargestellt, die eindeutig an Glücksspielautomaten erinnert und so für Menschen mit pathologischem Spielverhalten besonders problematisch ist (vgl. Close/Lloyd 2021).

Weil sich Entwicklerstudios an den Bedürfnissen und Wünschen der zahlungskräftigsten Kunden – sogenannten „Walen“ – orientieren, zeigen sich klassistische Machtstrukturen auch in der Spielentwicklung. Verstärkt wird dies durch die bislang noch hohen Zugangsschranken für Berufsausbildungen im Kontext der Spielentwicklung. Ähnlich wie in anderen Kulturbereichen auch ist die Spielekultur so von spezifischen sozialen Milieus geprägt, die sich die Ausbildung an den meist privaten Hochschulen sowie Praktika in Entwicklerstudios leisten können, und blendet damit prekäre Perspektiven aus.

Nicht zuletzt sind Computerspiele ein globaler Marktplatz für technologische Innovationen und finanzielle Spekulation. So deuten die Implementierung von Blockchain-basierten Cryptowährungen und so genannten Non-Fungible-Tokens (NFTs) in Spielsystemen auf eine Verschärfung sozialer Ungleichheit in der Spielekultur hin (vgl. Jannot 2022). Darüber hinaus bedrohen die volatilen Kurse und unsichere Infrastruktur von Blockchain-Anwendungen den prekären Lebensunterhalt der Arbeiter*innen, die, u.a. auf den Philippinen oder in El Salvador, virtuelle Werte im Dienst wohlhabender Investoren generieren (vgl. McGregor/Gordon 2022).Damit Games auch in Zukunft eine konstruktive Rolle in der kulturellen Bildung erfüllen können, müssen sie möglichst frei von klassistischen Stereotypisierungen, wirtschaftlichen Interessen und strukturellen Hürden bleiben. Nur so ermöglichen sie umfassende und vorurteilsfreie Teilhabe an einer vielfältigen digitalen Spielkultur mit all ihren sozialen Kommunikationsräumen, kooperativen Gestaltungsprozessen sowie künstlerischen und gesellschaftspolitischen Diskursen. Die Kultur des Gaming ist Kultur und muss als solche ernst genommen werden (vgl. Zimmermann/Falk 2020). Das heißt, sie muss praktisch und offen in der kulturellen Bildungsarbeit erprobt und erforscht, ihre Hürden kritisiert und nach Möglichkeit überwunden werden. Ein Freispiel statt „Insert Coin“.