Ins Ungewisse. Entwerfen als transformative Strategie
Abstract
In einer Welt, die von Wandel und zunehmender Ungewissheit geprägt ist, gewinnt die Fähigkeit, tentativ und flexibel auf Veränderungen zu reagieren, an Bedeutung. Entwerfen bietet dabei eine aussichtsreiche Strategie, um sich mit komplexen und dynamischen Herausforderungen auseinanderzusetzen und Ungewissheit als Ressource zu begreifen. Es eröffnet Unbestimmtheitsräume, in denen bestehende Wirklichkeiten hinterfragt, neue Perspektiven entwickelt und Handlungsmöglichkeiten erprobt werden können. Das hier vorgestellte Instrument „Forschend Lernen und Gestalten“ (FLuG) wurde entwickelt, um diese Potenziale für den Bildungsbereich nutzbar zu machen. Es unterstützt Lernende dabei, eigene Fragen zu entwickeln, in forschenden Gestaltungsprozessen Lösungen zu erproben und ihre Lebenswelt aktiv mitzugestalten. Dabei evoziert es die Auseinandersetzung mit komplexen Zusammenhängen sowie die Entwicklung von Reflexions- und Handlungsfähigkeit im Ungewissen. Im Zentrum stehen iterative Prozesse, die sich in den drei Dimensionen des Entwerfens orientieren: Untersuchen, Ordnen und Verändern. Diese Herangehensweise wird durch Schlüsselfragen gelenkt, die sowohl die individuelle als auch die kollektive Reflexion anregen. Besondere Bedeutung kommt der Offenheit für Unbestimmtheit sowie der Bereitschaft zu, Irritationen und Veränderungen zuzulassen. Entwerfen wird so zu einer transformativen Bildungsstrategie, die nicht nur kreative Potenziale freisetzt, sondern auch die Fähigkeit stärkt, in einer sich ständig wandelnden Welt reflektiert zu agieren. Das Instrument FLuG bietet eine fundierte Grundlage, um solche Lern- und Bildungsprozesse in Schule und anderen Kontexten zu fördern und weiterzuentwickeln.
Einleitung
Transformation ist ein zentrales Merkmal unserer Zeit. Technologische Entwicklungen, gesellschaftliche Veränderungen und ökologische Herausforderungen prägen eine Welt, die sich in einem ständigen Zustand des Wandels befindet. Dabei gehen Stabilität und Planbarkeit zunehmend verloren, ein Kontrollverlust stellt sich ein und Ungewissheit wird zur bestimmenden Konstante (vgl. Engel und Kerres 2023). Diese Dynamik stellt Individuen sowie Bildungssysteme vor neue Fragen. Dementsprechend verändern sich Bildungsanliegen und Anforderungen an das Bildungssystem: Lernende sollen in die Lage versetzt werden, mit Ungewissheit und Mehrdeutigkeit produktiv umzugehen und ihre eigenen Handlungs- und Orientierungsmöglichkeiten in komplexen und dynamischen Lebenswelten zu erweitern. Ein zentrales Ziel ist es dabei, dass Lernende ihre Lebenswelt nicht als gegeben hinnehmen, sondern sie als gestaltet und gestaltbar wahrnehmen (Park 2016:41). Nach Björn Kraus (2006) wird Lebenswelt als die subjektiv erlebte und konstruierte Welt verstanden, geprägt durch individuelle Wahrnehmungen, Erfahrungen und Interpretationen der Mitwelt, welche ihrerseits von sozialen, kulturellen und historischen Kontexten beeinflusst wird. Aus der Perspektive der postdigitalen Bildung wird von Juliane Engel und Michael Kerres (2023) die Forderung erhoben, Bildungsprozesse so auszurichten, dass sie Herausforderungen durch Ungewissheiten und Kontrollverluste wirksam begegnen können. Dabei wird die Eröffnung von Unbestimmtheitsräumen als zentrale Denkfigur betrachtet. Die Unbestimmtheitsräume beziehen sich auf die bildungstheoretischen Überlegungen bei Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki (2009:19). Sie verstehen diese als offene, nicht festgelegte Kontexte, in denen Lernende mit Ungewissheiten konfrontiert sind. Diese Räume zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine eindeutigen Lösungen oder Antworten bieten, sondern vielmehr Lern- und Entwicklungsprozesse anregen, die auf Reflexion, Kreativität und Selbstverantwortung zielen. Unbestimmtheitsräume fordern Lernende heraus, mit Unsicherheiten und Ambivalenzen umzugehen. Die entsprechende suchende Haltung, die auf dem Bewusstsein der Relativität und Vorläufigkeit der eigenen Weltsicht beruht, bezeichnen sie als Tentativität: “Wir finden oder erfinden dabei Regeln, die für uns etwas zunächst unverständliches Neues zu etwas Verstehbarem machen” (Jörissen und Marotzki 2009:19). Diese Regeln oder Ordnungsschemata, mit denen wir die Welt strukturieren, werden in diesen Vorgängen selbst verändert.
Um diesen Ansprüchen und Herausforderungen zu begegnen, stellt das Entwurfshandeln einen möglichen Weg dar. Laut Wolfgang Welsch (1990) ist Entwerfen eine zentrale Strategie, um „die Rahmen-Bedingungen unserer Lebensverhältnisse zu verändern“ (Welsch 1990:266) und aktiv zu gestalten. Entwerfen wird in verschiedenen Kontexten als transformatorische Handlung beschrieben, die bestehende Wirklichkeiten hinterfragt und neue Möglichkeiten gestaltet. So wird Entwerfen nicht als rein lösungsorientierter Planungsansatz verstanden, sondern als grundlegend menschliche Kulturtechnik (Gethmann 2009:9). Entwerfen wird als Probehandeln (Kretz 2020:43) und als handlungsorientierte Tätigkeit (vgl. Greiner-Petter 2020:11) aufgefasst, die bestehende Wirklichkeit untersucht, dabei Fragen stellt und Vorstellungen bildet. Elisabeth List beschreibt Entwerfen als „die Fähigkeit, Künftiges, noch nicht Gesagtes und Gedachtes zu denken, Ungestaltetes zu gestalten“ (2009:327). In diesem Sinne eröffnen Entwurfsprozesse nicht nur praktische Gestaltungsräume für das Herstellen des Möglichen (Aicher 1991:196), sondern führen auch zur Konzeption imaginärer Welten, die neue Perspektiven auf mögliche Zukünfte bieten. Im Kontext von Bildung ist Entwerfen nicht nur ein individueller Prozess, sondern auch eine kulturelle Praxis, welche die Fähigkeit stärkt, auf gesellschaftliche Herausforderungen zu reagieren und kreative Lösungswege zu entwickeln. Besonders in der Kulturellen Bildung eröffnet die Strategie des Entwerfens neue Perspektiven, um Lern- und Bildungsprozesse als gestaltbare, dynamische Systeme zu verstehen und flexibel auf die Anforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft zu reagieren. In diesem Beitrag wird Entwerfen als zentrale Handlungspraxis in der Kulturellen Bildung verortet, die Lern- und Bildungsprozesse nicht nur als Wissensaneignung, sondern als konstruktiven Umgang mit Ungewissheit begreift. Es schafft Räume, in denen das Unbestimmte als Ressource genutzt wird, um bestehende Realitäten zu hinterfragen, Zukunftsbilder zu entwerfen und Lernende als aktiv Gestaltende ihrer Lebenswelt zu stärken. Die Untersuchung des Entwurfshandelns erfolgt aus der Perspektive der Lehrpersonenbildung, wobei zentrale Fragestellungen zur Bewältigung aktueller Bildungsherausforderungen und für das didaktische Handeln thematisiert werden:
Wie kann Entwerfen als transformative Strategie eingesetzt werden, um Lernende in dessen Unbestimmtheitsräumen zu befähigen, mit Ungewissheit umzugehen und aktiv Veränderungen in ihrer Lebenswelt zu gestalten? Wie kann dieses Potenzial des Entwerfens für den schulischen Kontext didaktisch gefasst und verhandelbar gemacht werden?
In der theoretischen Auseinandersetzung mit diesen Fragen sowie im Rahmen eines Lehrentwicklungsprojektes mit Studierenden und Schüler:innen ist ein Instrument entwickelt worden, das zur Reflexion und Orientierung in ergebnisoffenen Entwurfsprozessen genutzt werden kann. Das Instrument wird im Abschnitt Forschend Lernen und Gestalten erläutert. Zunächst wird das Entwerfen vertieft betrachtet, wobei der Zusammenhang zwischen Welt-Selbstverhältnissen sowie der Unbestimmtheit als Ressource für das Entwurfshandeln im Fokus steht.
Handeln im Ungewissen
Entwurfshandeln ist geprägt von Suchbewegungen und einem iterativen Vorgehen, zudem arbeiten Entwürfe mit Komplexität und Vielfalt und kultivieren einen Umgang mit Wandel (Baum 2018:9). Entwerfen kann dabei nur als Prozess verstanden werden. Günter Figal betrachtet diesen näher und vergleicht ihn mit der Geste des Werfens. Die im Wort Entwurf evozierte Bewegung des Werfens verbindet die Absicht auf eine Zielrichtung mit der Unkontrollierbarkeit. „In diesem Sinne kann Entwerfen so verstanden werden, dass etwas absichtlich in Gang gebracht wird, was dennoch nicht absehbar ist“ (Figal 2014:25). Zu Beginn steht eine gewisse Vorstellung, welche durch Ausprobieren und Abwägen variiert und revidiert wird. „Entwürfe sind Erkundungen eigener Art; sie sind Klärungs- und Entdeckungsmöglichkeiten dessen, was noch nicht da ist“ (Figal 2014:26). Entwerfen spielt sich deshalb, ausgehend vom Bestehenden, immer im Möglichen ab und ist so lange offen, wie der Entwurfsprozess nicht als abgeschlossen gilt. Jeder Entwurfsmoment enthält einen wirksamen „Möglichkeitsimpuls – die Intuition, dass etwas sein kann, ein Impuls, der sich immer wieder neu mit der Absicht verbindet, etwas das sein soll, zu ermöglichen und hervortreten zu lassen“ (Figal 2014:27). Während Figal das Potenzial des Entwerfens für die Erkundung neuer Möglichkeiten betont, hebt Felix Greiner-Petter (2020) die Bedeutung des Aushaltens von Unbestimmtheit hervor. Im Verlauf eines Entwurfsprozesses zeigen sich Räume des Unbestimmten und gerade in der Unbestimmtheit verbirgt sich das Potenzial für Neuerungen. Um Handlungsmöglichkeiten offen zu halten, ist es entscheidend, vorschnelle Urteile zu vermeiden, stattdessen Unterscheidungen, Werte und Normen wahrzunehmen. Dazu bedarf es Vertrauen in den Prozess, um für eine gewisse Zeit kein Urteil zu fällen. Dieses bewusste Hinauszögern von Entscheidungen eröffnet ein Feld, in dem Optionen in der Schwebe bleiben, flüchtig sind und dadurch Raum für weitere Möglichkeiten schaffen. Es kann als eine Fähigkeit zum ergebnisoffenen Denken und Handeln betrachtet werden (Greiner-Petter 2020:149). Dieser Prozess erfordert ein Erproben, Scheitern und Weiterentwickeln. Die „Offenheit für Unbestimmtheit“ (Greiner-Petter 2020:150) benötigt Entschlossenheit und Hartnäckigkeit und drängt schlussendlich doch zu einer Entscheidung, die im Prozess zu einer vorläufigen Bestimmtheit, einer „Jeweiligkeit“ (Greiner-Petter 2020:154) führt. Wie Donald Schön (2013) betont, bildet jede Handlung innerhalb der Zyklen des Suchens und Findens eine Transformation, die einen Unterschied zum vorhergehenden Versuch darstellt und somit erfasst und bewertet werden kann. Entwurfshandeln übersetzt Ungewissheiten in einen produktiven Prozess. Dies ermöglicht, neue Wege zu erkunden, ohne bereits vollständige Klarheit über das Ergebnis zu haben.
Weltentwurf und Selbstentwurf
Im Bildungskontext eröffnet Entwurfshandeln die Möglichkeit, sich in einem reflektierenden und handelnden Prozess mit äußeren Gegebenheiten und der eigenen Position in der Welt auseinanderzusetzen. Im Prozess des Entwerfens setzt sich die entwerfende Person gestaltend mit der Welt auseinander. Der Ausgangspunkt des Entwurfshandelns liegt in den Welt- und Selbstverhältnissen der Person, die „als Ganzes, mit allen Sinnen, allen Fähigkeiten, all ihren Erfahrungen und all ihrer kulturellen Prägung präsent“ ist (Gänshirt 2021:87). Dieses Handeln macht die eigene Stellung in der Welt sowohl für die entwerfende Person selbst als auch für andere wahrnehmbar und wird so zu einem möglichen Gegenstand kritischer Reflexion. Simon Kretz beschreibt: „Entwerfend werden (...) nicht nur mögliche Zukünfte und bestehende Wirklichkeiten untersucht, sondern im weitesten Sinne auch die Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung“ (Kretz 2020:23). Günter Figal erweitert diese Perspektive, indem er Entwerfen zugleich als „Weltentwurf“ und „Selbstentwurf“ versteht „Durch das Entwerfen von Welt öffnen sich Möglichkeiten des Tuns, welche als Möglichkeiten des je eigenen ‚Seinkönnens‘ verstanden werden können“ (Figal 2014:21). Damit wird deutlich, dass Entwerfen nicht nur eine Gestaltung äußerer Gegebenheiten umfasst, sondern auch eine aktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein in der Welt darstellt.
Diese doppelte Ausrichtung des Entwerfens – auf die Welt und das Selbst – zeigt enge Parallelen zum transformatorischen Bildungsverständnis. Nach Hans-Christoph Koller (2023) sind Bildungsprozesse stets von einem dynamischen Verhältnis zwischen Welt-Selbstverhältnissen geprägt. Bildung wird dabei nicht als bloßer Wissenserwerb verstanden, sondern als eine transformative Auseinandersetzung, die die Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung der Welt ebenso umfasst wie die Reflexion und Veränderung des eigenen Selbst. Durch die Konfrontation mit Fremdheit und Irritationen entstehen Räume, in denen Welt-Selbstverhältnisse neu ausgehandelt werden können. Bildung wird so zu einer transformierenden Erfahrung, die sich nicht nur auf das Verstehen der Welt, sondern auch auf die eigenen Handlungs- und Reflexionsfähigkeit auswirken kann. Die von Simon Kretz (2020) beschriebenen Dimensionen des Entwerfens – untersuchend, ordnend und verändernd – bieten eine konkrete Grundlage, um diese Bildungsanliegen praktisch umzusetzen: die untersuchende Dimension umfasst das Wahrnehmen und Analysieren von Situationen, die ordnende das Sammeln und Verknüpfen von Informationen, und die verändernde Dimension konzentriert sich auf die Entwicklung und Erprobung neuer Ideen. Diese Handlungsräume ermöglichen es, sowohl eigenständig als auch gemeinschaftlich Gestaltungsprozesse zu erleben, die komplexe Zusammenhänge erfassen und reflektieren. Nach Marshall McLuhan (1995:50) „besteht alles gemeinsam und steht gleichzeitig und gegenseitig in Wechselwirkung zueinander“. Diese Wechselwirkungen im Entwurfsprozess verdeutlichen, wie Möglichkeitsräume für Veränderungen entstehen. Insbesondere in einem Bildungskontext ist dies von Bedeutung: Es geht nicht nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern Handlungskompetenzen zu fördern, die es ermöglichen, in einer sich ständig wandelnden Welt aktiv und reflektiert zu agieren.
Die zuvor beschriebenen Prozesse des Entwerfens stehen in engem Zusammenhang mit den eingangs ausgeführten Bildungsanliegen, insbesondere der Aufforderung zum Eröffnen von Unbestimmtheitsräumen. Solche Räume erlauben es, Mitwelt und Lebensführung aktiv wahrzunehmen und zu gestalten. Bildungsarbeit, die solche Räume eröffnet, sollte daher die Frage nach der Wirklichkeit und der eigenen Position in der Welt ins Zentrum rücken (Schilling 2020). Dabei wird die Fähigkeit, „das Bestehende anders zu denken und das Bewährte anders zu tun“, als essenzielle schöpferische Ressource hervorgehoben, die für eine Gesellschaft unverzichtbar ist (Park 2020:46). Um die Welt als gestaltet und somit gestaltbar wahrzunehmen, müssen Gewissheiten und Denkstrukturen infrage gestellt werden, damit die Lebenswelt nicht als gegeben, sondern als konstruiert (Kraus 2006:152) erfahren werden kann. Dies bedingt eine tentative Haltung: Als pädagogischer Ansatz für die Erkundung der Lebenswelt kann das Forschende Lernen herangezogen werden, wobei dieser Ansatz einen Raum eröffnet, in dem die eigene Lebenswelt erkundet, hinterfragt und neu gedacht werden kann. Entwerfen knüpft daran an, indem es Handlungsspielräume schafft. Die verändernde Dimension kann hierbei vielfältig interpretiert werden. Für einen produktiven Umgang im schulischen Kontext wird im vorgestellten Instrument das gestalterische Tun fokussiert.
Forschend Lernen und Gestalten
Bei unserem Anliegen, Entwurfshandeln als transformative Strategie in einem Instrument für die Schule aufzuzeigen und für den Unterricht handhabbar zu machen, stützen wir uns im Kern auf theoretische Quellen und die Erkenntnisse aus einem Lehrentwicklungsprojekt an den Pädagogischen Hochschulen von St. Gallen und Zürich.
Bei der Vermittlung von Entwerfen als Handlungsstrategie liegt der Fokus darauf, über konkrete Methoden oder Entwurfstechniken hinauszugehen. Es erfordert spezifisches Wissen über Entwerfen selbst, seine Prozesse, deren Handlungen und Dimensionen (Gänshirt 2021). Auf dieser Basis entwickelten wir das Instrument „Forschend Lernen und Gestalten“ (FLuG). Lernende aller Schulstufen sollen damit unterstützt werden, sich in forschenden Gestaltungsprozessen zu verorten.
Das Instrument FLuG zeigt wesentliche Aspekte des Entwerfens auf, ausgehend von der entwerfenden Person in ihrer Lebenswelt (Pöhl und Zgraggen 2024). Es kann handlungsleitend im Prozess oder als Reflexionsinstrument genutzt werden, um konkrete persönlich relevante Fragestellungen, Probleme oder Themenfelder zu verfolgen. Nächste Schritte können mit einem Blick auf die Darstellung angeregt und abgeleitet werden. Lehrpersonen kann das Instrument dazu dienen, bei der Planung und Durchführung des Unterrichts eine entsprechende Rahmung zu setzen, um solche Prozesse zu initiieren und zu unterstützen und mit den Lernenden die jeweiligen Tätigkeiten zu besprechen. Wesentlich in der Begleitung solcher Prozesse ist es, eine ergebnisoffene Herangehensweise einzunehmen sowie die dynamische Wechselwirkung zwischen der eigenen Situiertheit der Lernenden und ihrer Interaktion mit der Welt zu thematisieren. Zudem gilt es, das Erkennen von Zusammenhängen sowie die im Prozess auftretenden Irritationen gezielt zu bearbeiten. Dies eröffnet Unbestimmtheitsräume, die den Lernenden ermöglichen, neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu erkunden und zu entwickeln. Der Ansatz FLuG setzt an der alltäglichen Lebenswelt der Lernenden und deren Fragen an, denn in Gestaltungsprozessen ist es möglich, sich mit eigenständigen Problem- und Aktionsbereichen (Greiner-Petter 2020) zu befassen. Insbesondere alltagsrelevante Fragestellungen fördern nachhaltig die Motivation, neue Fähigkeiten zu entwickeln und Verbindungen zu erkennen, was wiederum den Wunsch zu Können verstärkt (Eger 2014).
Das Forschende Lernen bietet sich in diesem Kontext als geeigneter Ansatz an. Der Begriff des Forschenden Lernens wird mit Eigenaktivität, Experimentieren, Problemlösen und dem Erwerb neuer Erkenntnisse verbunden, er bezieht sich auf eine selbsttätige, zielgerichtete Auseinandersetzung mit einem neuen Thema oder Problem (Roth und Weigand 2014). Aufbauend auf John Deweys (1916) pragmatischem Lernkonzept, das Lernen als ein Produkt direkter Erfahrung und Interaktion mit der Umwelt begreift, wird eine Haltung des Suchens, der Offenheit und Neugier als essenziell betrachtet. Im Rahmen dieses Verständnisses sind fragende Denk- und Handlungsweisen bedeutsam für das Forschende Lernen. In Abgrenzung zum Entdeckenden Lernen ist das systematische, strukturierte Vorgehen entscheidend (Bönsch 2000; Messner 2009). Es existiert jedoch kein einheitlicher Ansatz für erfolgreiches Forschendes Lernen, es kann als vielschichtig und offen betrachtet werden (Roth und Weigand 2014). Dieser Offenheit begegnet Johannes Reitinger (2013), indem er vier Kriterien beschreibt, die Forschendes Lernen ausmachen:
a) das erfahrungsbasierte Hypothetisieren (Vermuten) als Generierung von persönlich relevanten Fragestellungen, Vermutungen und Konzepten,
b) das authentische Explorieren (Untersuchen) als konzeptualisiertes Entdecken und Erarbeiten von Lösungen,
c) der kritische Diskurs (Miteinander reden) im Sinne von kollaborativen Gesprächen des Arbeitsverlaufs und der kritischen Reflexion der Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse sowie
d) der konklusionsbasierte Transfer (Anwenden) als Verbreitung persönlicher Überlegungen und Konzeptionen zur Lösungsfindung und der Anwendung der Entdeckungen.
Um die Subjektorientierung und die Erforschung der Lebenswelt zu betonen, werden diese vier Kriterien im Instrument FLuG integriert (Pöhl und Zgraggen 2024; vgl. Abbildung 1).

Ausgehend von der jeweiligen Lebenswelt der Lernenden, symbolisiert durch die gestrichelte Linie in der Darstellung, führen Zugänge in den iterativen Gestaltungsprozess. Dies können persönliche Interessensfelder und Fragestellungen der Lernenden oder von der Lehrperson vorgegebene Themen sowie offene Aufgabenstellungen sein. Die Zugänge sollen persönliche Anknüpfungspunkte bieten, um sich intensiv mit dem Themenfeld auseinanderzusetzen und eigene Ideen, Fragen und Vermutungen zu untersuchen. Allfällige Aufgaben sind ergebnisoffen angelegt und betonen die Unbestimmtheit der Lösungswege. Ungewissheit wird dabei nicht als Hindernis, sondern als produktive Herausforderung verstanden.
Um das konkrete Tun im Entwerfen zu fassen, beziehen wir uns auf das Leitprinzip „Forschen und Gestalten“ von Dorothée Bauer, Karin Jarausch und Andreas Mikutta (2020). Dabei wird ausgehend von einer Aufgabenstellung ein iterativer Gestaltungsprozess initiiert, der auf forschenden Tätigkeiten aufbaut. Die Tätigkeiten im iterativen Prozess sind in Felder gebündelt. Für FLuG werden diese in adaptierter Form übernommen: Wahrnehmen/ Beobachten, Sammeln/Analysieren, Experimentieren/Erproben, Planen/Organisieren, Realisieren/Umsetzen und Dokumentieren/Präsentieren. Diese Tätigkeiten sind nicht sequenziell zu verstehen; ihre Reihenfolge hängt von den Lernenden und der Logik der bearbeiteten Sache ab. Die Tätigkeiten des Wahrnehmens und Beobachtens sowie des Sammelns und Analysierens zielen darauf ab, die bestehende Wirklichkeit zu explorieren und kritisch zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang bedeutet explorieren, die bestehende Wirklichkeit systematisch zu erforschen, zu erkunden und genauer zu untersuchen. Im Experimentieren und Erproben werden mögliche Lösungen und Ideen durch aktives Handeln getestet, wobei neue Ansätze entstehen und bestehende Vorstellungen überprüft werden. Das Planen und Organisieren der nächsten Schritte sind wichtig, weil es den Prozess strukturiert und die Umsetzung konkreter Ideen ermöglicht. Realisieren und Umsetzen gehen über das bloße Ausführen hinaus und wandeln abstrakte Ideen in greifbare Ergebnisse oder praktikable Lösungen. Im Dokumentieren und Präsentieren steht die Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse im Vordergrund, sei es durch Texte, Bilder oder andere Ausdrucksformen. Diese Tätigkeit schafft die Grundlage für den Austausch mit anderen und bietet während dem Prozess Raum für Reflexion und Weiterentwicklung.
Für ein tieferes Verständnis der Sache und deren Zusammenhänge werden die Lernenden im Verlaufe des Prozesses dazu angehalten, sich mit Schlüsselfragen in den drei Dimensionen des Entwerfens (untersuchen, ordnen und verändern) auseinanderzusetzen. Im Rahmen des Untersuchens und Ordnens stellen sich die Fragen, wie sie die Situation, den Artefakt, das Objekt oder das Problem selbst sehen („Wie sehe ich es?“). Mit der Frage („Wie sehen es andere?“) wird im Austausch mit anderen die Selbst- und Fremdwahrnehmung verglichen. Weiter analysieren die Lernenden ihr eigenes Verständnis der Sachlage („Wie verstehe ich es?“) und werden dazu aufgefordert, die Zusammenhänge und Beziehungen innerhalb des betrachteten Themas oder Problems und des nächstgrößeren Kontextes zu identifizieren („Wie hängt es zusammen?“). Mit den Fragen („Was wäre wünschenswert?“) und („Wie könnte es anders sein?“) wird das Nachdenken über die Möglichkeiten der Veränderung angesprochen. Die Schlüsselfragen sind im Modell im äußeren Ring (gestrichelte Linie) der Lebenswelt verortet.
Das Zentrum des Instruments steht für reflexive und diskursive Prozesse. Diese können wiederum durch Schlüsselfragen in den drei Dimensionen des Entwerfens unterstützt werden: „Wo bin ich am Fragen und Vermuten (untersuchend), am Urteilen und Entscheiden (ordnend), am Vorstellen und Imaginieren (verändernd)?“ Sie helfen, die Unbestimmtheit in den jeweiligen Situationen zu erfassen, um das darin liegende Potenzial für Neuerungen sowie das Hinterfragen von Normen und Werten zu erkennen. Darüber hinaus sollen diese Fragen auch in Diskussionen mit Lehrpersonen oder Mitschüler*innen aufgegriffen werden: Der reflektierende Blick auf den eigenen Prozess unterstützt dabei, mit dem Gefühl von Überforderung und Kontrollverlust umzugehen, Inspiration in anderen Perspektiven und Zusammenhängen zu finden und aktiv nächste Schritte zu planen, zu organisieren, zu realisieren und umzusetzen.
Irritationen sind wichtige Treiber im Prozess und spielen eine wesentliche Rolle. Sie können in Form von unerwarteten Ergebnissen oder kritischen Rückfragen usw. auftreten. Sie können den Prozess produktiv „stören“ und erfordern Offenheit. Irritationen sind jedoch nicht verfügbar, sie können nicht absichtlich hergestellt werden (Bähr u. a. 2019). In der Irritation steckt ein Moment der Verunsicherung, des Umbruchs und der Subversivität. Elisabeth List beschreibt diesen Prozess als eine Bewegung „von der Konvention zur Konfusion, von der Irritation zur Kreation“ (List 2009:328), in der das Vertraute aufgebrochen und Neues ermöglicht wird. Dieser Moment der Verunsicherung ist auch bildungstheoretisch ein relevanter Punkt und eine weitere Interferenz. In der Irritation ist das Zurückgreifen auf bewährte Handlungsmuster unterbrochen, eine Neuorientierung wird lanciert und die Irritation birgt die Chance sich auf Neuland einzulassen und dadurch Erfahrungen zu ermöglichen, welche ein verändertes Verständnis von Welt provoziert. Irritation als Bildungsmoment ist in der Kulturellen Bildung als Differenzerfahrung ein wirkmächtiges Mittel (vgl. Bereswill und Freytag 2019; Günther 2017:67), bedingt jedoch, dass Subjekte Irritation und Veränderung zulassen (Reinwand-Weiss 2023).
Die vier Kriterien Forschenden Lernens sind so in der Darstellung eingebettet, dass sie in den iterativen Schlaufen berücksichtigt werden. Das erfahrungsbasierte Hypothetisieren ist sowohl in den jeweiligen Zugängen aus der Lebenswelt und im diskursiven Kern enthalten. Das authentische Explorieren ist in den Tätigkeiten und der kritische Diskurs ist im Austausch mit anderen bei der Bearbeitung der Frage („Wie sehen es andere?“) und beim Diskutieren über Erkenntnisse und mögliche Lösungen enthalten. Schließlich zeigt sich der konklusionsbasierte Transfer in den Anwendungen. Diese Anwendungen äußern sich im Laufe des Prozesses in Form von Produkten, Ideen, Konzepten und Erkenntnissen, die wiederum in den Kreis der Lebenswelt führen. Wenn dabei Artefakte entstehen, können sie als vorläufige Jeweiligkeiten betrachtet werden – temporäre Lösungsvorschläge oder Modelle, die zum Weiterdenken und -entwickeln führen.
Wie die Schritte vollzogen werden, ist individuell und hängt von der jeweiligen Situation, den spezifischen Kontextbedingungen und dem Verlauf des Prozesses ab. Das Instrument erweist sich dabei als flexibel und anschlussfähig an unterschiedliche methodische Ansätze sowie an sich verändernde Rahmenbedingungen.
Im Rahmen des Lehrentwicklungsprojekts erarbeiteten Schüler*innen und Studierende gestalterische Vorhaben. Persönlich relevante Fragen dienten als Ausgangspunkt für den iterativen Prozess, beispielsweise: „Was ist Fantasie, und wozu benötigen wir sie?“ oder „Wie sind Räume gestaltet, in denen ich mich wohlfühle, und wie sieht ‚mein Raum‘ aus?“ Es zeigte sich, dass sowohl die Kinder als auch die Studierenden den Ansatz des forschenden Lernens als wertvoll empfanden. Er ermöglichte ihnen, sich sowohl mit eigenständigen Problem- und Aktionsfeldern als auch mit ihrem eigenen Lernprozess auseinanderzusetzen. Das Verorten der Tätigkeiten des eigenen Entwurfshandelns im Reflexionsinstrument erwies sich als wertvolles Hilfsmittel zur Strukturierung des Prozesses – insbesondere für die Kinder, denen dies besonders leichtfiel. Ziel war es, die Herangehensweisen im iterativen Prozess transparent zu machen, indem die Beteiligten ihre Erfahrungen und Aktivitäten innerhalb der definierten Tätigkeitsfelder reflektierten.
Methodologische Betrachtung
Im Zusammenhang mit der Frage der 15. Tagung Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung “Wie machen wir’s?“ und der Aufforderung, Methoden Kultureller Bildung zu überdenken, ergeben sich für die methodologische Betrachtung des Entwerfens klare Konsequenzen. Eine zentrale Erkenntnis aus der Entwicklung des Instruments FLuG ist, dass methodisches Handeln nicht unabhängig von den zugrunde liegenden Haltungen und Zielen betrachtet werden kann. Es bestätigt sich, dass Methoden nicht isolierte Werkzeuge sind, sondern eine dynamische Praxis in jeweils einzigartigen Situationen (vgl. Koller 2021:11) verkörpert, die sich stets im Spannungsfeld von Kontexten, Akteur:innen und Bildungsabsichten bewegt. In solchen Aushandlungsprozessen gilt es, normative Muster sichtbar zu machen und reflektierte Entscheidungen für pädagogische Rahmenbedingungen von Lern- und Bildungsprozesse zu treffen. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen ist in Bezug auf die Wahl der Methoden wesentlich, von den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Gegenstands auszugehen.
Es ist dabei entscheidend, die zugrundeliegenden Haltungen und Absichten genau zu kennen. Im Entwerfen, hier gefasst als „Forschend Lernen und Gestalten“, ist dies eine spezifische Haltung, die sich durch Offenheit, die Fähigkeit zum Aushalten von Unbestimmtheit, und die Bereitschaft, sich auf Irritationen und Ungewissheit einzulassen, auszeichnet. Diese Haltung wird durch ein fundiertes Wissen über Entwurfsprozesse, ihre Dimensionen und Handlungsfelder gestützt. Aus pädagogischer Perspektive kommt das Abstecken eines Rahmens, der für die Lernenden Sicherheit bietet, dazu. Ein solcher Rahmen, der als eine Art Labor verstanden werden kann, wird durch gezielte Strukturierung – etwa mithilfe des Instruments FLuG – und durch entsprechende Begleitung realisiert. Auf diese Weise entsteht eine Grundlage fürs Ermöglichen von gestaltenden, reflexiven und transformatorischen Lern- und Bildungsprozessen, die normative Muster zu durchbrechen und Veränderungen aktiv zu gestalten vermögen.
Fazit
Die Verbindung von theoretischen, philosophischen und praxisorientierten Ansätzen zeigt, dass Entwerfen weit über individuelles Probehandeln hinausgeht. Die zentrale Strategie des Entwerfens besteht darin, durch iterative Prozesse Räume des Unbestimmten zu eröffnen. Solche Räume erlauben es, bestehende Wirklichkeiten kritisch zu hinterfragen, neue Perspektiven zu entwickeln und innovative Handlungsmöglichkeiten zu erschließen. Es ist eine transformative Strategie, die sowohl persönliche Lernprozesse als auch gesellschaftlich relevante Entwicklungen unterstützt. Dabei wird deutlich, dass das Entwerfen unterschiedliche Dimensionen, Bezüge und Perspektiven integriert. Diese Verbindung macht es zu einem vielversprechenden Ansatz für die Kulturelle Bildung, indem es reflexive, forschende und gestalterische Prozesse vereint. Gleichzeitig regt das Entwerfen die Reflexion über machtvolle Vorannahmen und Muster an. Es ermöglicht das Hinterfragen bestehender Denkmuster und das Entdecken neuer Möglichkeiten der Welt- und Selbstgestaltung. Mit FLuG wurde ein Instrument vorgestellt, das diese Reflexions- und Gestaltungsprozesse systematisch fasst. Durch die drei Dimensionen des Entwerfens – untersuchend, ordnend und verändernd – bietet es eine Orientierung im Umgang mit Ungewissheit und unterstützt die Gestaltung dynamischer Lern- und Bildungsprozesse.
In einer Welt des ständigen Wandels wird Entwurfshandeln zu einem bedeutsamen Werkzeug und zeigt sich in der Kulturellen Bildung als Handlungsansatz, der zugleich individuelle Potenziale freisetzt und kollektive Perspektiven eröffnet – eine Strategie, die in Bildungsprozessen der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen kann.