Improvisieren bei „i can be your translator“ als Alternative für den Dramentext und die Schauspielerei
Abstract
i can be your translator (icbyt) ist ein Theaterkollektiv aus Dortmund, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung beteiligt sind. Ihr Vorgehen verläuft oftmals quer zu üblichen und konventionellen Arbeitsweisen. Es mögen z.B. einige von ihnen keine Dramentexte, wollen keine Figuren verkörpern oder eine Geschichte erzählen. Ebenso hat keine*r von ihnen eine Ausbildung als Schauspieler*in.
Welche Ansätze können also herangezogen werden, um mit diesen Voraussetzung Stücke aufzuführen, ohne zu dilettieren? Improvisieren spielt bei icbyt eine ganz wichtige Rolle, wird in manchen Szenen zur Grundlage, um überhaupt auf der Bühne zu agieren. Die zwei Modi des Improvisierens – auf Unvorhersehbares zu reagieren oder durch Improvisieren Unvorhersehbares zu erzeugen –, kommen bei ihnen zum Einsatz, aber auch hier anders als bei Schauspieler*innen. icbyt arbeiten mit Spielregeln und ziehen Erinnerung sowie Erfahrung heran, um ich-selbst auf der Bühne zu sein und dabei Sprache, Haltungen oder Gestimmtheiten zu schaffen. Anhand von zwei Beispielen werden Praktiken des Improvisierens vorgestellt und diese jeweils – zur herleitenden Unterstützung – an theaterwissenschaftliche Diskurse angebunden.
Seit 2013 bin ich Teil der Theatergruppe i can be your translator (icbyt). Bis heute haben wir vier Theaterproduktionen auf die Beine gestellt, waren zu Festivals eingeladen, haben im deutschsprachigen Raum Gastspiele gegeben und Preise gewonnen. Für viele ist die Besonderheit unserer Gruppe, dass wir eine gemischte Gruppe sind, in der Menschen mit und ohne Behinderung aktiv sind. In vielen Zusammenhängen werden wir als inklusive Gruppe beschrieben. Wir hingegen sehen uns erst einmal als Theaterkollektiv, in dessen Zentrum in den letzten Jahren der Anspruch gerückt ist, auf Augenhöhe gemeinsam Stücke – von der Idee, über die Konzeption bis zur Umsetzung – auf die Bühne zu bringen. Dabei nimmt selbstverständlich unsere Heterogenität in der Themenwahl, der Methodik, Stücke zu entwickeln, und der Wahl ästhetischer Formen einen großen Stellenwert ein.
Die Arbeit von icbyt läuft auf vielerlei Weise quer zu üblichen Arbeitsweisen anderer Theaterschaffender. Das hat nicht allein mit unserer Heterogenität zu tun, sondern überwiegend mit anderen Aspekten, von denen ich die wesentlichen nennen will: Wir greifen für unsere Stücke nicht auf Dramentexte zurück, weder zur Auseinandersetzung mit, noch zur Aneignung von Themenfeldern. Grund dafür ist, dass einige von uns sich in herkömmlichen Dramen nicht wiederfinden. Außerdem setzen Dramen in der Regel voraus, dass man Figuren verkörpert, Erzählungen und Konflikte darstellt, was ein handwerkliches Können – vielleicht auch normativ gesetztes Talent – vorsieht, das wir beides definitiv nicht haben. Daher wollen einige von uns keine Figuren verkörpern und keine Geschichten erzählen, die zwischenmenschliche Handlungen und Konflikte als Basis haben. Wir sind eben keine ausgebildeten Schauspieler*innen, weshalb wir Als-ob-Situationen meiden und alternative Formate für Ich-Selbst-Situationen erschaffen. Dabei orientieren wir uns an Spielen, Reportagen oder Dokumentationen. Die Distanzierung zu Text und Dramen hängt auch damit zusammen, dass für einige von uns die Entwicklung von Themen durch abstrakte Konzeptgespräche und Textlektüre herausfordernd ist. Auch deshalb erweist sich das Drama nicht als geeignete Grundlage für Inszenierungen und ist eher unbeliebt.
All diese Widerstände und die Suche nach Alternativen treffen nicht nur auf eine Teilgruppe von uns zu oder sind Rücksichtsmaßnahmen. Im Gegenteil: Die Vorlieben und Widerstände verteilen sich. Sie sind, wie eben schon anklang, von Lust, Interessen, Können, Einschätzung, aber auch künstlerisch-ästhetischen Vorlieben und Geschmack getrieben. Bei allen Abwägungen und der Suche nach Alternativen steht ein Aspekt im Zentrum: Wie können wir als Performer*innen auf der Bühne stehen und bestehen? Wir wollen mit Sprache, Musik, Darstellung oder auch der Vermittlung von Inhalten arbeiten und dennoch nicht dilettieren. Was aber genau macht Dilettieren aus, woran kann das gemessen oder ermittelt werden? Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage, weshalb ich meine Betrachtungen an den Praktiken des Theaters und den dort etablierten Funktions- und Wirkungsweisen orientieren werde. Insofern gehe ich in diesem Text der Frage nach, welche Mittel bei icbyt eingesetzt werden, um als Performer*innen zu bestehen. Der Fokus liegt dabei auf der Betrachtung von Theaterkonventionen, ihre Erweiterung, Umdeutung und Anpassung. Und – nicht überraschend – ein Mittel der Wahl ist das Improvisieren.
Bevor ich unseren Ansatz vorstelle und exemplarisch darlege, will ich auf die in meinem Text gemachte Unterscheidung zwischen Schauspieler*in, Performer*in und Akteur*in hinweisen. Wenn ich von Schauspieler*innen spreche, meine ich an Schauspielschulen ausgebildete Personen, die meist in Stadttheatern arbeiten, ebenso bei Film und Fernsehen. Sie spielen und verkörpern Figuren. Als Performer*innen verstehe ich Personen, die auf der Bühne erst einmal sie-selbst sind. Viele Performer*innen beschreiben ihre Kunstform als eine, in der jegliche als-ob Situationen auf der Bühne vermieden werden. Wenn ich von Akteur*innen spreche, geht es darum, Menschen (manchmal auch Gegenstände) zu benennen, die auf einer Bühne, in einer Inszenierung in Erscheinung treten. Letztlich vereint der Begriff Akteur*in Schauspieler*in und Performer*in.
Improvisieren als Erzeugen von Unvorhersehbarem und Reagieren auf Unvorhersehbares
Als ein Mittel, um mit fehlender Ausbildung, Verzicht auf Dramentexte oder klassischem Narrativ einen Umgang zu finden, nutzt icbyt unter anderem das Improvisieren. Das Improvisieren wird als Alternative zum Auswendiglernen von Texten herangezogen. Es wird dafür herangezogen, anstelle des Dramatextes die persönliche Erfahrung und das Erlebnis zu setzen. Es wird herangezogen, um auf Stimmungen in Anlehnung an diese Erfahrungen und Erlebnisse zuzugreifen, um sie auf der Bühne zu reproduzieren. Es wird aber auch dazu herangezogen, Haltungen als Alternative zur Verkörperung von Figuren zu finden. Improvisieren schafft zudem Orientierung und Sicherheit – sowohl für die Performer*innen als auch für das Publikum. Darin ersetzt es in Anteilen das Drama, das für die Schauspieler*innen und das Publikum die Funktion hat, Vorlage und roter Faden für eine Erzählung zu sein. Was aber meine ich, wenn ich von Improvisieren spreche?
Einsteigen will ich mit einem Zitat aus dem Artikel „Improvisieren: eine Eröffnung“ von Hans-Friedrich Bormann et al. (2010). Beim Improvisieren geht es demnach um „eine Praxis des Umgangs mit dem notwendig und immer schon Unvorhersehbaren.“ (Bormann et al.:14). Im Zentrum steht also das Unvorhersehbare, wobei in der Regel zwei Modi auszumachen sind: Erstens ein intendiertes Erzeugen von (reproduzierbar) Unvorhersehbarem und zweitens die Reaktion auf Unvorhersehbares. Beide Male geht es darum, dass ein oder mehrere Subjekte – im Theater Akteur*innen – Unvorhersehbares intendiert erzeugen oder darauf reagieren.
Im ersten Modus schafft Improvisieren ein (produktiv) Unvorhersehbares. Ein*e Akteur*in sagt und macht Dinge, die nicht im Skript stehen oder geprobt wurden. Im besten Falle ist das produktiv und erzeugt einen Effekt der Spontaneität (ebd.:7). Als Beispiele nennen die Autor*innen Commedia dell’arte oder die Vortragkunst der Rhetorik, bei denen über klare Regelsysteme und eng gesetzte Grenzen Freiräume für ein Improvisieren geschaffen werden.
Im zweiten Modus geht es um die Fähigkeit, auf Unvorhersehbares zu reagieren. Die Gefahr ist groß, diesen Ansatz gleichzusetzen mit einem Retten defizitorientierter Situationen wie Textvergessen, technische Pannen oder andere Missgeschicke. Bormann et al. zielen darauf ab, dass solche Situationen letztlich als ästhetisches Mittel vorgesehen sein können, sofern Inszenierungen Freiräume für sie zulassen und damit Improvisieren zum intendierten Prinzip wird, das sich nicht nur aus der Not des Unfalls ereignet, sondern den Unfall konzeptionell vorsieht.
Für beide Modi sind Regeln wichtig, die Rahmen abstecken und Grenzen setzen. Denn nicht nur schaffen sie Freiräume innerhalb ihrer Regeln, sondern ermöglichen auch Regelbrüche, die „dann neue Formen und neue Spielräume des Handelns“ (Bormann et al. 2010:9) ermöglichen. „Das Besondere improvisatorischen Agierens hätte dann immer auch eine subversive Komponente: im Aussetzen oder Über-Spielen von Normen – ohne dass der Wert dieser Aktion schon ausgehandelt wäre (wie dies im Befolgen eines ästhetischen Konzepts oder einer Regel-Poetik der Fall ist). Es kann mithin auch etwas ästhetisch Zweifelhaftes herauskommen: z.B. Mist.“ (ebd.:9).
Ebenso sind für beide Modi Können eine wichtige Bedingung – oft mit dem Anspruch eines normativen Könnens, das Schauspieler*innen in ihrer Ausbildung erlernen. Das Können dient als Sicherheitsanker, um im Ungewissen zu navigieren und mit dem Ungewissen einen Umgang zu finden. Das aktive wie reaktive Improvisieren beruht laut Georg W. Bertram, „auf Erfahrung, Geistesgegenwart und eintrainiertem Vorgehen“ (Bertram 2021:15). Eine Ableitung kann daher sein, dass Improvisieren eine Praxis ist, die ein deutliches Können voraussetzt, das Musiker*innen, Tänzer*innen oder Schauspieler*innen zum Beispiel im Rahmen ihrer Ausbildung erworben haben.
Wenn ich jetzt noch einmal auf den Anfang dieses Abschnitts zurückkomme, so ergeben sich im Abgleich zwischen den Ansätzen von icbyt – letztlich vielen Akteur*innen der freien Szene – und dem vorgestellten Verständnis von Improvisieren Widersprüche, die einer Klärung bedürfen. Einerseits wollen icbyt nicht die Vorteile tradierter Theaterkonventionen wie das Drama, die Erzählung, die Schauspielerei oder Verkörperung von Figuren nutzen. Im Gegenteil, sie wollen diese umgehen und berufen sich dabei auf das Improvisieren. Andererseits fehlt Ihnen aber auch eine wesentliche Voraussetzung für das Improvisieren, sie sind keine ausgebildeten Schauspieler*innen. Ihnen fehlt also das Können. Insofern stellt sich die Frage, auf welcher Basis sie Theater machen und dann zusätzlich darin improvisieren? Um dieser Frage nachzugehen, werde ich zwei Perspektivwechsel vorstellen. Zum einen will ich mich mit der Konvention des Dramas, der Verkörperung von Figuren sowie der Erzählung befassen und etablierte Alternativen aufzeigen. Zum anderen werde ich mich mit Realität als Fremdkörper auf der Bühne auseinandersetzen und wie dieser auf sehr unterschiedliche Weise begegnet wird. Beide Perspektivwechsel sind mit Ansätzen von icbyt und deren Umgang mit Improvisieren verbunden.
Perspektivwechsel
Das Drama, die Figuren und die Erzählung
Bis heute ist der Text und die mit ihm verbundene Erzählung eine wesentliche Grundlage des Theaters. Die jahrtausendealte Tradition des Dramentextes ist prominenter Stellvertreter davon. Die Vorteile sind nachvollziehbar. Das Drama ermöglicht es, eine Erzählung auf ein kompaktes Maß durchzukomponieren, das dann als Vorlage für eine Inszenierung herangezogen wird. Hierbei kommen erprobte und kulturell verankerte Strukturen zum Einsatz, wie der dramaturgische Verlauf des Fünfakters. Im Drama werden aber auch – orientiert an unserem Alltagsleben – Erzählungen in Worte gefasst, in denen zwischenmenschliche Beziehungen durch Figuren, Konflikte und Dialoge dargestellt werden. Letztlich gibt es kein Medium neben dem Theater, welches das Leben so lebenswirklich darzustellen vermag.
Das führt zu den Schauspieler*innen, deren Aufgabe im klassischen Theaterverständnis es ist, das Drama auf der Bühne zu verkörpern, durch Präsenz, Stimme, Haltung, Bewegung etc. Sie stehen als Hamlet oder Ophelia auf der Bühne und sprechen Texte, die aus der Feder von William Shakespeare stammen. Dafür sind schauspielerische Kunstfertigkeit und handwerkliches Können erforderlich. Das hochgradig selektive Ausbildungssystem für Schauspieler*innen geht davon aus, dass ein großer Teil Talent ist, das zusätzlich durch eine handwerkliche Ausbildung wie Stimmbildung, Sprechtechniken, Körpertraining, Improvisation, Rollen- und Charakterstudien etc. geformt wird. Innerhalb des Systems von Schauspielschulen und (Stadt-)Theatern wird ein bestimmter Typus von Schauspieler*innen ausgebildet, der auf das Drama als Grundlage für Inszenierungen und die Verkörperung von Figuren bestens vorbereitet ist.
Studiengänge, wie die Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und ähnlich ausgerichtete in Hildesheim sowie Bochum gehen hingegen andere Wege. Hier werden seit den 1980er Jahren Ansätze, Konzepte und Techniken entwickelt, die nicht Schauspieler*innen und Dramentexte zur Voraussetzung machen, sondern – etwas pathetisch formuliert – die Menschen, das Leben und die gemeinsame Anwesenheit von Akteur*innen und Publikum im Raum des Theaters. Einher geht mit dem letzten Aspekt auch ein Rechnen mit Unvorhersehbarem. Nicht nur wird hier das Drama als Fundament infrage gestellt, sondern letztlich die Gegenwärtigkeit – mit allen Unberechenbarkeiten – des Theaters ins Zentrum gerückt. Auch wenn diese Orientierung nicht erst in den 1980ern beginnt, sondern sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa auf unterschiedlichste Weise abzeichnet, will ich den Fokus auf die von Hans-Thies Lehmann begrifflich erfasste Entwicklung des postdramatischen Theaters (Lehmann 1999) legen. Nach Lehmann rückt die innerszenische Spannung, die durch das Drama, die Erzählung sowie die von Schauspieler*innen verkörperten Figuren erzeugt wird, im postdramatischen Theater in den Hintergrund. Dafür rücken die gemeinsame Anwesenheit im Raum des Theaters, die face-to-face Situation und die daran gekoppelte Spannung zwischen der Bühne und dem Publikum in den Vordergrund. Neben den Figuren und ihrem Verhältnis zueinander – so Lehmann weiter – treten als rezipierbare Wirklichkeiten die Realitäten auf der Bühne in Erscheinung. So werden die Körper, Stimmen, Makel der Schauspieler*innen, Zeit und Dauer, reale Handlungen und Objekte zu Akteur*innen (Lehmann 1999:22). Für das Medium Theater werden dessen Materialitäten und ästhetischen Potenziale zum wesentlichen Gegenstand erhoben. Bernd Stegemann, Kritiker des postdramatischen Ansatzes, beschrieb diesen Perspektivwechsel mit den folgenden Worten: „Das postdramatische Theater hat also zwei unterschiedliche Dimensionen: Es versteht sich nicht mehr als Inszenierung des dramatischen Textes, und es negiert die Struktur der dramatischen Situation für die Darstellung des Schauspielers.“ (Stegemann 2008:2)
Dieser Perspektivwechsel von der Dramendarstellung hin zu einer Ästhetisierung von Realität verrückt im gewissen Sinne die Bedeutung und Funktion des Improvisierens. Denn wenn schon die reine Präsenz von Dingen und Personen auf der Bühne als Theater und theatrale Handlung anerkannt wird, ist das schauspielerische Können keine erforderliche Voraussetzung, um auf der Bühne zu bestehen. Wenn aber auch das Drama als Orientierung und Leitfaden für alle vorhergesehenen und unvorhersehbaren Handlungen auf der Bühne – Sprache, Verkörperung, Inszenierung etc. - entfällt, dann stellt sich die Frage, innerhalb welcher Rahmung eigentlich eine Aufführung und entsprechend auch ein Improvisieren stattfinden? Ich will das an einem Beispiel von icbyt aufzeigen.
Es geht um das Spielprinzip, das sich „Einige von uns...“ nennt. icbyt nutzen dieses, um performativ in Proben Themen zu verhandeln. Dieses Prinzip kommt aber auch als szenisches Mittel auf der Bühne zum Einsatz. Kennengelernt haben icbyt „Einige von uns...“ bei einem Workshop mit „She She Pop“, die 2015 in Stuttgart am Schauspielhaus darauf basierend ein Stück mit Mitarbeitenden der städtischen Bühnen entwickelt hatten (She She Pop:2015).
Das Spielprinzip ist einfach: Alle Akteur*innen stellen sich in einer Reihe nebeneinander. Eine Person startet und läuft einige Schritte nach vorne. Dort angekommen sagt sie eine auf sich zutreffende Aussage, z.B. „Einige von uns tragen eine Brille.“ Jetzt kommen alle, auf die diese Aussage zutrifft, nach vorne gelaufen und stellen sich neben die Person. Nach einer kurzen Zeit ergreift eine neue Person das Wort. Entweder sie steht bereits vorne oder kommt dafür nach vorne. Erneut sagt sie: „Einige von uns...“. Wieder verhalten sich alle Akteur*innen zu der neuen Aussage und stehen – wenn es zutrifft – vorne oder stehen – wenn es nicht zutrifft – hinten. Das Ganze kann inhaltlich offen sein, aber es können auch Themenfelder festlegt werden: Wie wollen wir zusammenarbeiten? Welche Emotionen hattest Du gestern? etc. Auf dieser Basis können Themen erkundet werden oder – so setzen es icbyt in ihrem Stück „Das Konzept bin ich“ ein – das Publikum lernt die Performer*in der Gruppe ein wenig kennen und auch ihr Verhältnis zueinander.
Dieses Spielprinzip rückt das Improvisieren ins Zentrum. Zum einen haben wir es mit leicht erlernbaren und rahmenden Spielregeln zu tun. Und weil es eben Spielregeln sind und keine Schauspielregeln, entstehen alle Aktionen und Reaktionen der Performer*innen situativ improvisierend und basieren auf keiner Als-ob-Situation. Deshalb geben die Regeln auch vor, ehrliche und zutreffende Aussagen zu machen. Beide anfangs eingeführten Modi des Improvisierens kommen hier vor. Oftmals überlegen sich die Performer*innen Aussagen, mit denen sie die anderen überraschen. Das wiederum führt dazu, dass die Kolleg*innen aus Überraschung lachen müssen, verwundert sind oder schlagfertig kontern. All dies entspricht ganz dem am Theater üblichen Improvisieren.
Zum anderen schafft das Prinzip aber auch die Möglichkeit mit Sprache auf der Bühne zu arbeiten, ohne dass dafür eine Figur oder Erzählung und daran orientiert ein auswendig zu lernender Text vorliegen. Was nämlich Grundlage zur Erzeugung von Sprache bildet, ist ein thematisches Wissen, gegenwärtige Wahrnehmung oder Erinnerungen an Erlebnisse. icbyt arbeiten als Gruppe daher auch in der Entwicklung von Stücken so, dass sie gezielt Erfahrungen sammeln, um Erinnerungen zu schaffen. Sie besuchen Orte, tauschen sich mit Menschen aus oder nehmen an Workshops teil. Was sie auch machen ist, thematisch passende Erinnerungen zu vergegenwärtigen.
Ich war am Anfang des Abschnitts mit dem Ziel angetreten, neben der Darstellung, welche Funktion und Bedeutung Drama, Figuren und Erzählung für Theater einnehmen, auch alternative Ansätze aufzuzeigen, die sich von diesen lösen. Dies habe ich mit der Einführung des postdramatischen Theaters angestoßen. Für meine Betrachtung wichtig ist hier vor allem die Bedeutung der Gegenwärtigkeit und die Möglichkeit des Theaters Realität – dazu gleich mehr – und nicht nur Als-ob-Situationen auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu bringen. Dieser Perspektivwechsel bringt gänzlich andere szenische und ästhetische Ergebnisse hervor als das tradierte Schauspiel. Improvisieren ist dabei ein Mittel, um ohne Drama, ohne Text dennoch mit Sprache arbeiten zu können. Die Spielregeln schaffen dafür einen Rahmen, der auch bei den Performer*innen – trotz des Spiels mit Unvorhersehbarem – die Sicherheit bringt, nichts falsch machen zu können. Gleichzeitig schafft die Erzeugung von und der Rückgriff auf Erinnerungen eine Grundlage für das Improvisieren.
Wirklichkeit und der Einbruch von Realität
Die Erweiterung von Theaterformen über das dramatische Theater hinaus hat in jedem Fall eine große Wirkung und auch einen Mehrwert für die Involvierung von Menschen mit Behinderung im Theater gebracht. Vergleicht man Positionen aus den 1980er Jahren mit der heutigen Praxis, so liegen Welten dazwischen. Der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier hatte 1985 zur Premiere von George Taboris Stück „M“, bei dem Peter Radtke als Rollstuhlfahrer mitspielte, die Kritikfähigkeit seines Spiels infrage gestellt. Stadelmaier schrieb: „Er befindet sich außerhalb jeder Theaterkritik“ (Stadelmaier, zit. nach Radtke 1997). Stadelmaiers Ansinnen war laut Radtke vor allem die Idee von Theater zu verteidigen, die deutlich an „die Perfektion des Als-ob“ (ebd.) gebunden war. Radtke umschreibt seinen Auftritt als störenden Einbruch von Realität auf der Bühne, auf der eigentlich Fiktionen erschafft werden sollen (ebd.). Und heute? 2013 wird Theater Hora zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen (Berliner Festspiele 2013), wird 2016 mit dem wichtigsten Schweizer Theaterpreis (Hora 2016) ausgezeichnet; die Kammerspiele München (Kammerspiele München) verfolgen seit 2020 institutionalisierte Inklusionsstrategien und die Kulturstiftung des Bundes initiiert 2023 ein Tandemprogramm von inklusiven Gruppen und städtischen Bühnen, bei dem auch das Schauspiel Dortmund und icbyt beteiligt sind (Kulturstiftung des Bundes 2023).
Diese kurze Entwicklungsgeschichte ist mir wichtig, weil sie zweierlei aufzeigt: Theater war und ist einerseits stark von Konventionen abhängig, die aber eben auch keine starren Normen oder Naturgesetze sind. Die Frage danach, was es ist, was es braucht, wer auftreten darf und welche Grenzen wann überschritten werden, unterliegen dem Zeitgeist und gesamt-gesellschaftlichen sowie sozio-kulturellen Veränderungen. In den letzten Abschnitten hat sich andererseits gezeigt, dass die Bestimmung von Theater nicht nur Konventionen berücksichtig, sondern sich auch an den für die Produktion notwendigen Gegenständen orientiert: das Drama, die Schauspieler*innen, die Materialitäten, Körper, Stimme etc. Genau davon will ich mich entfernen und eine andere Perspektive vorstellen, eine phänomenologische Bestimmung von Theater, die von der Anwesenheit im Raum des Theaters ausgeht. Bei dieser Betrachtung werde ich auch auf die eben angesprochene Differenz von Wirklichkeit und Realität eingehen, um darauf basierend ein zweites Beispiel von icbyt zum Improvisieren anzuführen.
Meiner These nach basiert der Raum des Theaters auf einem Schnitt durch den Raum (Rodatz 2010). Diesen Schnitt erzeugen Theaterbauten mit materiellen Mitteln. Durch eine architektonisch hergestellte Anordnung von Publikums- und Bühnenraum wird ein zeitgleiches Zusammenkommen von Publikum und Akteur*innen ermöglicht. Auf der Bühne treten Inszenierungen in Erscheinung, im Publikumsraum werden diese erfahren und rezipiert. Dieser Schnitt lässt sich aber auch als einer beschreiben, der sich als Phänomen im Raum leiblicher Anwesenheit (Handlungs-, Wahrnehmungs- und Stimmungsraum) herausbildet. Er befindet sich als atmosphärisches Zwischen zwischen dem Gegenstandspol einer Erscheinung sowie Stimmung (Personen und Dinge auf der Bühne) und dem Ich-Pol (Publikum) (Rodatz 2010:130).
In meinem Buch lege ich aus, dass der phänomenale Schnitt durch den Raum des Theaters die Grundlage dafür bildet, dass Theater – auch jenseits des Theaterbaus und der Kunstform – sich kontinuierlich in unserem Alltag ereignet; nur übergehen wir diese Situationen meistens, weil wir im Alltag unser Handeln fortsetzen. Komme ich aber in eine handlungsentlastende Position – ich stehe an einer Ampel und warte – und trifft meine Wahrnehmung auf eine Situation, der ich gewahr werde – zwei Radfahrende fahren vorbei und erzählen sich einen Witz – und entsteht ein gemeinsamer Stimmungsraum zwischen Radfahrenden und mir – eine durch den Witz erzeugte Aufmerksamkeit und Spannung –, dann haben wir es mit einer Situation zu tun, die einen Raum des Theaters für wenige Sekunden etabliert. Die wesentliche Differenz zwischen der beschriebenen Situation und dem tradierten Theater ist, dass diese nicht als Theater mit einer geplanten Dauer intendiert ist. Und dennoch enthält sie inszenatorische Elemente. Nicht also das Drama, die Figur oder die Erzählung bilden in diesem Ansatz das Fundament von Theater, sondern letztlich eine bestimmte Situation leiblicher Anwesenheit im Raum (Rodatz 2010:129ff).
Das bedeutet also, dass man, obwohl seit Jahrtausenden das Drama, Figuren und die Erzählung, wesentlicher Teil von Theater sind, auch ohne sie auskommt– zumindest im Rahmen dieser phänomenologischen Bestimmung. Dagegen rückt die leibliche Anwesenheit und darin der Handlungs-, Wahrnehmungs- und der Stimmungsraum ins Zentrum. Zur Schaffung eines Raums Theater ist die Etablierung einer weitest gehenden Handlungsentlastung für das Publikum wesentlich. Daher sind für das Theater, aber auch für den Film der Sessel und der verdunkelte Raum so wichtig. Denn dadurch kann ich mich ganz dem Wahrnehmungs- und Stimmungsraum auf der Bühne widmen. Genau dieses Gefüge ist Grundlage dafür, dass im Theater eine Wirklichkeit geschaffen werden kann, die sich von der Realität ablöst. Ich will das in Anlehnung an Gernot Böhme ausführen, der zwischen Wirklichkeit und Realität die folgende Differenz benennt: „Das Wirkliche ist für die Ästhetik primär das Gegenwärtige, die spürbare Anwesenheit. […] Wirklich ist in diesem Sinne nur das in aktueller Wahrnehmung Gegebene, real, was dinglich dahinterstehen mag.“ (Böhme 2001:56f). So erscheinen dem Theaterpublikum die Gesamtinszenierung, also die Figuren Hamlet und Ophelia als Wirklichkeit. Real hingegen sind die zwei Schauspieler*innen, die sie verkörpern, ihre Körper, die Stimme oder die Requisiten. Böhme konstatiert, dass das Theater in der Lage sei, die Wirklichkeit von der Realität abzutrennen. „Die Welt des Theaters ist gegenüber unserer Lebenswelt abgetrennt, und insofern wir in sie eintreten, befinden wir uns im handlungsentlasteten Raum.“ (ebd.:117) Und etwas weiter im Text schreibt er: „Auf dem Theater wird gespielt, das Theater isoliert institutionell die Wirklichkeit von der Realität.“ (ebd.:118) Aber nicht nur im klassischen Theater, in dem ein Drama durch spielende Schauspieler*innen aufgeführt wird, trifft das zu, sondern eben auch in unserem Alltag. Gerate ich in eine handlungsentlastete Situation und tritt dabei eine Szene in Erscheinung, die ich wahrnehme und deren Stimmung ich erfahre, befinde ich mich potentiell in einem Raum des Theaters. In diesem erfahre ich eine Wirklichkeit, die sogar wie beim Erzählen eines Witzes inszeniert ist. Und auch wenn die Realität dieser Szene mich unmittelbar umgibt, betrifft sie mich dennoch nicht, weil mein Fokus ganz auf der Wirklichkeit liegen kann.
Das heißt aber, dass die Realität immer Teil des Raums des Theaters ist. Das ist im Kino gänzlich anders. Denn die Realität des Kinos sind die Leinwand, der Projektor oder die Lautsprecher. Die Figuren auf der Leinwand und der gesamte inszenierte Actionfilm erscheinen hingegen als Wirklichkeit. Alles, was sich darin abspielt, kann mir nichts anhaben, es sei denn der Projektor streikt. Daher ist das Theater auch so anfällig dafür, dass dort die Realität einbricht. Denn hier sind echte Akteur*innen, hier wird gebrüllt, hier treten auch mal Akteur*innen von der Bühne und kommen ins Publikum. In all diesen Fällen bricht Realität in den Publikumsraum ein und wird physisch spürbar. Jedes Mal wird vor allem die Handlungsentlastung gestört, als Zuschauer*in erschrickt man, spürt physisch die Lautstärke als Schmerz oder ist mit handelnden Akteur*innen konfrontiert. Aber auch auf der Bühne selbst, zwischen den Akteur*innen gibt es Situationen, in denen Realität einbricht. Immer dann, wenn Schauspieler*innen aus der Rolle fallen, Unfälle geschehen, den Text vergessen oder es technische Probleme gibt. Das sind dann auch die Momente, in denen Improvisieren ins Spiel kommt. Schauspieler*innen haben das oben angesprochene Können, mit dem sie solche Realitätseinbrüche auffangen können. Sie improvisieren innerhalb ihrer Figur, im Sinne der Erzählung oder Stile des Dramas etc., und erhalten eine Wirklichkeit über ein improvisiertes Als-ob aufrecht. Anders verhält es sich aber bei Gruppen, die sich nicht auf dramatische Konventionen berufen, wie icbyt. Sie müssen überhaupt erst einmal eine Wirklichkeit mit ihrem Ich-selbst schaffen. Neben dem beschriebenen Schnitt durch den Raum sind die oben genannten rahmenden Spielregeln und der Rückgriff auf Erinnerungen und Erfahrungen dabei hilfreich. Nur ist es so, dass der Rückgriff auf Erfahrung und Erinnerung, das Improvisieren voraussetzt, weil nicht auf einen auswendig gelernten Text zurückgegriffen werden kann. Das will ich an einem zweiten Beispiel aufzeigen.
Das Stück „Das Konzept bin ich“ behandelt die Euthanasie im Nationalsozialismus. In ihm werden Fakten zu den Euthanasiemorden vermittelt, von Mahnmal- und Gedenkstätten-Besuchen erzählt und auch über dokumentarische Elemente die gleichberechtigte Zusammenarbeit in der Gruppe thematisiert. Das Stück – wollte man es in ein Genre einordnen – ist eine Mischung aus dokumentarischem Theater und Reportage.
Um einen Umgang mit der Unvorstellbarkeit der Gräueltaten zu finden, haben wir während der zwei Jahre andauernden Recherchearbeit, Konzeptentwicklung und Umsetzung die Entscheidung getroffen, uns dem Thema möglichst wenig abstrakt anzunähern, dafür viele konkrete Erfahrungen zu machen. Das führte uns dann in den Tötungskeller von Hadamar, zum T4 Gedenkort in Berlin oder zum Holocaust Denkmal. Durch diese Erlebnisse haben alle Performer*innen von icbyt eigene Erfahrungen und Erinnerungen gesammelt, auf die wir jederzeit Zugriff haben und die wir für die Entwicklung unterschiedlicher Szenen genutzt haben.
Ich will ein Beispiel vorstellen. Die Performerin Linda Fisahn erzählt auf der Bühne von ihrem Erlebnis im Tötungskeller von Hadamar. Gemeinsam mit Lina Jung steht sie auf der leeren und recht dunklen Bühne. Weil Lina an der Exkursion nach Hadamar nicht teilnehmen konnte, erzählt Linda ihr von ihrem intensiven und emotional aufwühlenden Erlebnis im Tötungskeller. Und so berichtet sie über die Funktionen der Räume und führt ihre Kollegin von der Treppe über den Umkleideraum in den Vergasungsraum. Von dort aus geht es weiter zum Ofen, der zum Einäschern der Leichen genutzt wurde. Den Text, den Linda erzählt, hat sie nicht auswendig gelernt, sondern sie orientiert sich jedes Mal an ihrer Erinnerung und der räumlichen Erfahrung.
Auch in diesem Beispiel ersetzen wir Funktionen des Dramas durch Erfahrung und Erinnerung. Auch wenn die Szene inszeniert ist und Linda den Ablauf immer gleich umsetzt und genau weiß, wo sie wann zu sein hat, sind bis heute – nach mehreren Aufführungen – ihre Formulierungen jedes Mal ein wenig anders, weil sie ihre Worte aus ihrer Erinnerung abruft. Bei jeder Aufführung ist Linda emotional stark ergriffen. Daher gibt ihr die Orientierung an der Erinnerung und den Räumen Halt, führt aber auch zu einer Rückkopplung, die die Emotionen verstärkt. Auch wenn die Szene letztlich festgelegt ist, improvisiert Linda dennoch jedes Mal den nicht auswendig gelernten Text. In den ersten Aufführungen hat sie oftmals weinen müssen. Ihre Emotionen werden ausschließlich über die Erinnerung und die Erzählung getriggert, sie nimmt keine Als-ob Haltung ein. Linda ist es wichtig, diese Szene zu spielen, auch wenn sie sie emotional belastet und ihre echten Emotionen auf der Bühne offengelegt werden.
Die Szene funktioniert in ihrer Erscheinung wie eine klassische Theaterszene. Neben den Bildern, die durch die Erzählung der Erlebnisse für das Publikum erfahrbar werden, findet auch eine Externalisierung innerer Gefühle statt, weil Lindas Emotionen vor allem durch ihre Mimik und vibrierende Stimme sicht- und spürbar werden. Böhme beschreibt diese Externalisierung von Gefühlen als explizite Aufgabe des Theaters: „Auf dem Theater müssen die Gefühle, die im gewöhnlichen Leben ein Mensch in sich hat, äußerlich wahrnehmbar, d.h. atmosphärisch spürbar werden.“ (Böhme 2001:120) Und man kann ergänzen: als Wirklichkeit in Erscheinung treten.
In diesem letzten Abschnitt habe ich einen weiteren Umgang mit Improvisieren von icbyt vorgestellt. Im Zentrum stand hier ein Perspektivwechsel, der über eine phänomenologische Bestimmung des Theaters vollzogen wurde. Im Zentrum dieser Bestimmung steht die leibliche Anwesenheit und darin spezifische Situationen, die Grundlage für die Herausbildung eines Raums des Theaters sind. Dabei ist es wichtig, dass Zuschauer*innen in eine handlungsentlastete Situation kommen bzw. versetzt werden und sich dabei wahrnehmend und Stimmungen spürend einem Geschehen zuwenden können. Für den Raum des Theaters ermöglichen solche Situationen, dass sich dort die Wirklichkeit von der Realität abtrennen kann. Das, was sich auf der Bühne real ereignet, erzeugt Wirklichkeiten, die eine Inszenierung in Erscheinung treten lassen. Gruppen wie icbyt erzeugen eine solche Wirklichkeit nicht über Schauspielerei, sondern darüber, dass sie in gerahmten Situationen agieren und sich dabei als Alternative zum Dramentext und zur Figur auf Erinnerungen und Erfahrungen beziehen. Daher ist Improvisieren Voraussetzung für ihre Stücke, erzeugt der Rückgriff auf Erinnerungen jedes Mal andere gesprochene Worte und schafft sowie aktiviert Unvorhersehbares und fordert einen Umgang damit ein.
Improvisieren benötigt ein Setting. Dieses können das Drama oder die Schauspielerei bereiten. Aber bei Gruppen, die sich dem Drama und der Schauspielerei entziehen, wie icbyt, sind andere Rahmungen hilfreich und vielfach auch notwendig, wie beispielweise Spielregeln oder aber auch Erinnerungen und Erfahrungen. Improvisieren ist dann nicht nur ein Werkzeug, um einen an Konventionen angelehnten Umgang mit dem Unvorhersehbaren zu haben, sondern es ist, wie am letzten Beispiel aufgezeigt, die methodische Voraussetzung für ein Handeln auf der Bühne. Hier kommen die ganz am Anfang des Textes erwähnten Modi des Improvisierens gleichermaßen zum Einsatz. Mit dem Rückgriff auf Spielregeln – wie im ersten Beispiel – gehen die Performer*innen von icbyt in die aktive Erzeugung von Unvorhersehbarem. Sie überraschen dabei vor allem ihre Mitspieler*innen, die gleichermaßen mit Unvorhersehbarem reagieren. Im zweiten Beispiel spielen ebenso beide Modi eine Rolle, hier aber finden sie in einer Durchmischung beider bei der Performerin statt. Weil sie innerhalb einer Szene, in der der Ablauf und die Positionen klar inszeniert sind, ihre Formulierungen jedes Mal neu aus der Erinnerung herausfinden muss, improvisiert sie und schafft für sich und das Publikum Unvorhersehbares.
Improvisieren wird am Beispiel von icbyt zu einem Prinzip, das den Verzicht auf das Drama und den fertigen Text gestattet und das die Erzeugung einer für das Theater wichtigen Wirklichkeit auch ohne schauspielerisches Können ermöglicht.