„Ihre dunklen Augen glitzern“. Zur Konstruktion des Fremden und zur Darstellung von Diversität im Kinderbuch- eine rassismuskritische Analyse

Artikel-Metadaten

von Clarissa Heisterkamp

Erscheinungsjahr: 2017

Peer Reviewed

Das Kinderbuch wird in dieser Arbeit dem Bereich der Kulturellen Bildung zugeordnet und die Darstellung diverser Identitätsentwürfe sollte schließlich auch dort einen Platz finden (Kübler 2013:62-69). Folgt man der Aussage Olaf Zimmermanns, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, das Handlungsfeld Kulturelle Bildung bilde „Zugänge zur Welt“ (Olaf Zimmermann:4) und fördere die „Auseinandersetzung mit der Gesellschaft mittels der Künste“ (ebd), so stellt sich die Frage danach, welche Zugänge die Kulturelle Bildung liefert und an wen diese adressiert sind. Die Grenze zwischen der Darstellung von kultureller Diversität und der Ausstellung von dem „Fremden“ scheint, wie die Fallbeispiele dieser Arbeit kennzeichnen, eng. Alltäglicher Rassismus wird schließlich auch durch ästhetische Mittel transportiert. Die Herausforderung diese zu durchschauen haben die Professorinnen Annita Kalpaka und Nora Räthzel in „Die Schwierigkeit nicht rassistisch zu sein“ formuliert. Die Fragestellung nach der impliziten Thematisierung von Fremdheit im Kinderbuch erscheint demzufolge im Hinblick auf Alltagsrassismus und Pädagogik relevant. Jedoch ist sie ebenso aus ästhetischer Perspektive interessant. Nach dem Künstler und Bildwissenschaftler Jens Thiele bestimmt sich ein Bild —in Abgrenzung zu einem Text— in seiner Direktheit, da sich sein Inhalt nicht durch eine zeitliche Aneinanderreihung von Buchstaben zu Worten und Sinnzusammenhängen erschließt wie beim Lesen (Jens Thiele:40). Daraus resultierend lässt sich behaupten, dass ein Bild einerseits keinen Standpunkt verbal artikuliert, diesen andererseits jedoch durch seine offenen Interpretationsmöglichkeiten und durch seine Standbildhaftigkeit, besonders deutlich äußern kann, was für eine ästhetische Sensibilisierung dieser Wirkungsweise spricht. Dieses Spannungsfeld soll im vorliegenden Artikel am Beispiel von Kinderbüchern betrachtet werden. Die Analyse beruft sich überwiegend auf den rassismuskritischen Fragenkatalog aus „Fremde Welten“ (Erklärung von Bern, Hrsg. 1999). Auch wenn, nach Thiele, ein Bild immer ein Standbild ist, so kann, wenn man dem Fragenkatalog folgt, dennoch von einer Leserichtung beim Rezipieren von Bildern gesprochen werden. Der Fragenkatalog bezieht sich auf genau diese Leserichtung und stellt Kriterien wie „Wem wird die rechte Seite als Blickfang gewährt? (ebd.:Punkt 5) aber auch „Werden Angehörige von Minderheiten individualisiert oder sind sie Repräsentanten ihrer Kultur/Nation? (ebd.:Punkt 2) auf. Dieser Artikel schließt mit einer kurzen Konklusion der Untersuchung ab und versucht, einen Vorschlag zum kritischen Umgang mit dem Medium Kinderbuch zu formulieren.

Die Konstruktion von Rassismus

Doch wie entsteht zunächst überhaupt Rassismus? Nach Prof. Dr. Birgit Rommelspacher, Professorin für Psychologie mit dem Schwerpunkt Interkulturalität und Geschlechterstudien, entsteht Rassismus mit der Konstruktion von Rasse (Birgit Rommelspacher:27-28). Bei der Rassenkonstruktion werden tatsächliche und willkürliche körperliche Merkmale als Kennzeichen einer Gruppe definiert und diese Merkmale werden mit bestimmten Verhaltens- und Lebensweisen (zum Beispiel religiösen Überzeugungen) verknüpft (Kalpaka/Räthzel:13). Basierend auf dieser Konstruktion entstehen Hierarchien und Machtverhältnisse. Äußern sich diese Machtverhältnisse zum Beispiel in Unterdrückung und werden mit der Rassenkonstruktion gerechtfertigt, so sind sie rassistisch (ebd.:14). „[…]Wenn die Gruppe, die eine andere als minderwertige 'Rasse' konstruiert, auch die Macht hat, diese Konstruktion durchzusetzen, kann von Rassismus gesprochen werden“ (ebd.). Rassismus tritt global auf unterschiedliche Art und Weise auf. Er wird außerdem unterteilt in Kategorien wie positiver und negativer Rassismus, individueller und institutioneller Rassismus (ebd:12). Der Begriff „Rassismus“ hat sich im deutschen Wortschatz jedoch sehr spät bis noch gar nicht manifestiert (Paul Mecheril/Claus Melter:13). Bis in die 1990er Jahre wurde der Begriff durch „Kultur“ (ebd.) oder „Ausländerfeindlichkeit“ (Kalpaka/Räthzel:12) ersetzt, was allerdings sehr schwammige und „verschleiernde“ (ebd.) Synonyme sind (Mecheril/Melter:13, sowie Kalpaka/Räthzel:22). Eine kritische Aufarbeitung von Rassismus ist mit dem Kulturbegriff —der häufig als statisch und unveränderlich gesehen wird (ebd.:15)— nicht möglich, da dieser strukturelle Ungleichheiten mit dem Argument der Kultur aufhebt, so Mecheril und Melter (ebd.). Mecheril stellt deshalb weiterhin die polarisierende Behauptung auf, dass „der Begriff 'Kultur' ( —im Kontext interkultureller Pädagogik— ) den Begriff der 'Rasse' ersetze“ (siehe: Paul Mecheril „Kulturell-ästhetische Bildung. Migrationspädagogische Anmerkungen“). Auch Kalpaka und Räthzel appellieren an eine stärkere Etablierung des Rassismusbegriffs, um die spezifische Kritik in der Debatte zu schärfen. Resümierend wird im Folgenden ebenfalls der Begriff Rassismus verwendet.

Annäherung an die Begriffe „Eigen“, „Fremd“ und „Anders“

Auch die Begriffe „Fremd“, „Eigen“ und „Anders“ bedürfen einer genaueren Betrachtung und Sensibilisierung. Als etwas Anderes betrachtet der Philosoph Bernhard Waldenfels etwas objektives Differentes und zieht einen illustrierenden Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen heran. Diese beiden Früchte besitzen „gar kein wechselseitiges Einander“, denn: „Das eine ist schlichtweg das andere des anderen, wenn wir es als dieses oder jenes bestimmen“ (Waldenfels:21). Er setzt für diese Unterscheidung zum Anderen ein „Allgemeines“ voraus, unter dem differenziert wird (ebd.). Fremdes und Eigenes hingegen sind bei Waldenfels ineinander verflochten „wie die Vorderseite und Rückseite eines Gewebes“(ebd.:42). Der Unterschied zum Anderen liegt bei ihm darin, dass sich das Fremde selbst vom Eigenen unterscheidet, weil es, sozusagen, in ihm immanent ist (ebd.:21). Auch hier unterstreicht Waldenfels seinen Gedanken mit einem Beispiel: „Es gibt keinen neutralen >dritten Menschen<, der voraussetzungslos zwischen Mann und Frau unterscheiden könnte, da doch zunächst der Mann sich von der Frau und diese sich vom Mann unterscheidet“ (Ebd.:21). Das Urteil über die Fremdheit und Eigenheit geschieht daher immer selbstreflexiv und relativ zu „Ort“, „Art“ und „Besitz“ (ebd.:21-23). Diese Herstellung vom Fremden und Eigenen geschieht sowohl individuell als auch gemeinschaftlich (ebd.:22). In letzterem Fall —so Waldenfels— bedeutet Fremdheit: „Nichtzugehörigkeit zu einem Wir“ (ebd.). Hier lässt sich eine erste Problematik herauslesen, und zwar die Herstellung von Normativität im Zuge von Fremd- und Eigenkonstruktion. Waldenfels beschreibt folglich, dass zu der Fremdheit und Eigenheit ein Wertesystem geschaffen wird, das aus einer „unaufhebbaren Präferenz des Eigenen“, heraus entsteht (ebd.:74). Hier decken sich Waldenfels' Überlegungen teilweise mit dem aus der Orientalistik (Said) und postkolonialen Theorie (Spivak) geprägten Begriff des Othering (Mecheril:2). Othering steht stellvertretend, so von Paul Mecheril beschrieben, für ein Konstruktionsverfahren, in dem Machthabende (Kolonialmächte), „Andere zu Anderen machen“(ebd.). Dadurch erzeugen sie ein „kollektives Selbstbild“(ebd.). Schließlich bemerken auch Kalpaka und Räthzel die stetige Mitbestimmung des Selbst bei der Herstellung des Fremden (Kalpaka/Räthzel:16). Beim Othering vermischt sich Waldenfels' Anderes mit dem Fremden und das erforderliche Mitdenken der „relativen Indifferenz“ (Waldenfels:74) in der Fremdheit, verschwindet. Genau diese Schwierigkeit lässt sich in Bezug auf den Forschungsgegenstand beobachten. Wird das kulturelle 'Andere' im Kinderbuch also explizit thematisiert, so formuliert dies gleichzeitig eine Norm: das scheinbar kulturelle 'Nicht-Andere'. Aber auch implizit tappt man, besonders auf ästhetischer Ebene, schnell in die Falle. Der Versuch, gleichberechtigte Diversität darzustellen wandelt sich oft unbewusst dahin um, eine kulturelle Norm und diffamierte Nicht-Norm darzustellen.

Rassismus und Kolonialgeschichte im Kinderbuch

Die Spuren von Kolonialgeschichte und Eurozentrismus sind auch in der Kinder- und Jugendliteratur sowie im Schulbuch zu finden. Ihre Aufarbeitung gewann in den Jahren 2009 und 2013 als „Kinderbuchdebatte“ mediale Präsenz (Brilling/Sharifi:2014). Sogenannte Kinder- und Jugendbuch-Klassiker wie Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ oder Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ wurden in der Diskussion als rassistisch gedeutet (ebd.). Ein Blick auf den aktuellen Buchmarkt kennzeichnet deutlich, das die sogenannte Kinderbuchdebatte Wirkung gezeigt hat. So wurde beispielsweise 2009 eine überarbeitete Version von Lindgren's „Pippi Langstrumpf“ veröffentlicht. Ebenso strich der Thienemann-Verlag in seiner neuen Version von Preußler's „Die kleine Hexe“ das Wort 'Neger'.

Oft sind es gerade Bücher, die die heutigen Eltern und ErzieherInnen in ihrer eigenen Kindheit begleiteten und eine Trennung davon scheint schwer (Kübler:65). Ein unreflektierter und unkritischer Umgang mit solchen Inhalte führt allerdings zum Erhalt und zur Reproduktion von Fremdbildern, welche die Welt- und Wirklichkeitsauffassung von Kindern enorm beeinflussen können. Besonders in dem Alter zwischen drei und sechs Jahren wird dem Bilderbuch eine stark prägende Wirkung zugesprochen (Gabriele Lieber/Stefan Schnell:103). Gerd E. Schäfer spricht in seinem Beitrag „Aisthetisches Denken. Über die Bedeutung von Bildern im frühkindlichen Bildungsprozess“ davon, dass Bilder in den ersten Entwicklungsjahren von Kindern eine Art Vorreiterfunktion des Denkens einnehmen (Schäfer:31-42). Das eigene Gestalten von Bildern und das Wahrnehmen der umgebenden Bildwelt stehen dabei in wechselseitiger Resonanz zueinander und bedingend sich gegenseitig (ebd.). Begegnet ein Kind also in seinem Umfeld rassistischen Erzählungen und Konstruktionen des Fremden —wie zum Beispiel dem „Sarotti-Mohr“, dem „Manneken“ eines Schweizer Schokoladenherstellers: Es ist als schwarzes, traditionell indisch gekleidetes Männchen dargestellt, das ein Tablett mit den Schokoladen trägt. Diese Darstellung verweist explizit auf Sklavenarbeit und exotisiert die indische Kultur. — kann dies als Wirklichkeit verinnerlicht werden. Auch wenn diese später als konstruiert erkannt wird, scheint ein kritisches Augenmerk darauf relevant.

Die Reaktionen der Kinderbuchverlage auf Rassismusvorwürfe in ihren Publikationen verdeutlichen, dass es in vielen Fällen keine beabsichtigen Diskriminierungen sind. Gerade die implizite Marginalisierung bestimmter Personengruppen deutet auf ein strukturell und institutionell zu verortendes Phänomen hin.

Dieses Phänomen findet sich allerdings nicht nur im (Kinder)Buch, sondern zieht sich durch viele Gattungen der Unterhaltungs- und Bildungsindustrie. Im Bereich des Kinderfilm erlangten die sogenannten Disney Klassiker „Das Dschungelbuch“ und „Tarzan“ hohe politische Präsenz. Othering sowie positive und negative Diskriminierungen machen sich bei der Darstellung der medialen Heldenfiguren schnell bemerkbar (Cohen, Phillip:128-129). Diese kennzeichnen sich dort zum Beispiel durch die Verherrlichung des „Wilden Dschungel“, dem Dschungelkind „Moglie“ oder der Figur „King Louie“. Der Affenkönig „King Louie“ spricht als einzige Figur im Dschungel keine klare Sprache, sondern einen scheinbaren „Straßenslang“, was als Abwertung der Schwarzen interpretiert werden kann (Marco Mewes:2016). Dies ist nur ein Beispiel von rassistischen Zügen in der Unterhaltungs- und Bildungsindustrie und fällt vielen RezipientInnen möglicherweise gar nicht auf, da diese Formate in erster Linie an ein weißes Publikum gerichtet sind. Sie verdeutlichen den stark gesellschaftlich verwurzelten, impliziten Alltagsrassismus, den es zu durchbrechen gilt (Cohen:128-129).

Bei der Debatte um implizite Diskriminierung im Kinderbuch geht es jedoch nicht nur um die Frage wie das kulturell Andere als „anders“ oder „fremd“ problematisiert wird, sondern auch ob überhaupt. Seit den 1960er Jahren entwickelt sich in der Bundesrepublik Deutschland langsam ein Umdenken in Bezug auf Kinderbücher und die Abbildung von realistischen Lebensumwelten (Thiele:44-45). Thiele zufolge werden jedoch auch heute noch viele Themen im Kinderbuch ausgelassen, „da sie mit dem Mythos der unbelasteten Kindheit kollidieren“ (ebd.:48). In äußerst wenigen Kinderbüchern finden sich außerdem alternative Familienmodelle zur klassischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation. Geistig oder körperlich eingeschränkten Kindern gehören nur selten die Bildseiten und People of Color tauchen als handelnde ProtagonistInnen in den wenigsten Geschichten auf. Wenn, dann weil es explizit um diese geht. Das ist zum Beispiel bei Michael Endes Geschichte von Jim Knopf zu beobachten. In „Jim Knopf ist nicht Schwarz“ von Prof. Dr. Heidi Rösch werden Rassismus und Antirassismus als eng verstrickte Phänomene in der Pädagogik beobachtet. In einer transkulturellen Gesellschaft (Welsch), in der kulturelle und soziale Diversität immer durchmischter wird, liefern die meisten Kinderbücher also ein veraltetes Abbild der Gesellschaft. Diesem Phänomen bedarf es an einer Aufarbeitung und reflexiven Handhabung. In Institutionen wie Schulen oder Kindergärten scheint das Augenmerk auf diese Problematik besonders wichtig. Schließlich gelten diese als „Einrichtungen, die Gleichberechtigung behaupten“ (Mecheril/Melter:14). Das Bilderbuch ist in vielen Bildungsinstitutionen schließlich, besonders seit den 1960er Jahren, ein beliebtes pädagogisches Instrument (Rösch:11). Ludwig Duncker schreibt sogar, das Bilder und ästhetische Erfahrung unser „Verhalten und Handeln steuern“ (Duncker:24). Seine Argumente bestärken die Relevanz eines bewussten Umgangs mit Bildern, da in deren Rezeption bereits sehr früh Symbole und Wertigkeiten geschaffen werden (Ennemoser, Marco/ Kuhl, Jan:12). Für die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins und zur Anregung eigener Identitätsentwürfe ist die Identifizierung mit handelnden Charakteren bei der kindlichen Bildrezeption zentral (Kübler:63). Sind also in Kinderbüchern nur weiße ÄrztInnen zu sehen, kann sich ein schwarzes Kind weniger mit ihnen identifizieren und erfährt sich gegebenenfalls als übersehene Minderheit (ebd.). Es stellt sich die Frage, welche Form des kritischen Umgangs dieser Alltagsbilder mit Kindern geübt werden kann. Eine Untersuchung von Kinderbüchern aus den vergangenen zehn Jahren soll in diesem Artikel Zeugnis über die stetige Reproduktion von Vorurteilen und Rassismen ablegen. Es wurden zum Vergleich zwei Bücher aus der Stadtbücherei Hildesheim herangezogen. Diese sind Beide dem Regal mit der, von der Stadtbücherei gekennzeichneten, Kategorie „Schule“ entnommen (Stadtbibliothek Hildesheim:08.2016). Diese Kategorie beinhaltet Bücher mit Leseempfehlung ab fünf Jahren, die sich inhaltlich mit der Schule und dem Schulalltag aus SchülerInnenperspektive befassen.

Rassismuskritische Buchanalyse

1. Titel: „Endlich Schule. Die wilden Schulzwerge“, Verlag: Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2015. AutorInnen: Meyer; Lehmann; Schulze. Illustratorin: Tine Schulz.

Die Handlung: Das Kinderbuch „Endlich Schule“ gehört zu der Bücherreihe „Die wilden Schulzwerge“ aus dem Klett Kinderbuch Verlag in Leipzig und ist 2015 dort erschienen. Die Handlung dreht sich um eine Schulklasse, die sich aufgrund der langweiligen Aufgaben ihrer Klassenlehrerin „Frau Schrock“, „wie im Kindergarten“ (Meyer/Lehmann/Schulze :17) fühlt. Zudem echauffieren sich die ErstklässlerInnen über die dominante Anwesenheit von Erwachsenen —beziehungsweise überwiegend Müttern— im Klassenzimmer. Obwohl sich alle SchülerInnen über die Sympathie mit Frau Schrock einig sind, spitzt sich der Missmut gegenüber ihrem Unterricht zu. Die Klasse äußert ihren starken Leistungsdrang schließlich mit einer eigeninitiierten Demonstration und äußert auf Plakaten die Forderungen: „Hopp! Hopp! Hopp! Langeweile stopp!“, „Tschüss Morgenkreis“ und „Zahlen statt Malen“ (ebd.:30). Beim Schreiben der Plakate ist ihnen der Hortmitarbeiter, der aufgrund seiner muskulösen und großen äußerlichen Erscheinung von allen Kindern „Tarzan“ genannt wird, behilflich. Frau Schrock geht auf die Forderungen der SchülerInnen ein und kündet eine Klassenarbeit an, die schließlich die ganze Klasse mit Bravour besteht. Am Ende sind alle Beteiligten zufrieden und es wird der Kompromiss geschlossen, viel zu lernen, jedoch nur noch für „ganz wichtige Sachen wie für eine Gummiebärchenspendemaschine“ (ebd.:44) zu demonstrieren. Frau Schrock äußert außerdem großes Lob und Respekt gegenüber der Klasse für ihren Mut und die kollektive Durchsetzungskraft. Auf der letzten Seite kommt jedoch noch die kritische Stimme einer Mutter zur Sprache. Sie ist empört über den Leistungsdrang und über die Klassenarbeit. Die Geschichte endet damit, dass sie Frau Schrock anrufen möchte.

Die explizite Interpretation: Das Buch soll —nach Aussage der Herausgeber— zum ersten Lesen anregen und ist in der Kategorie „Schule“ (Stadtbibliothek Hildesheim:08.2016) eingeordnet. Explizit thematisiert es die unterschiedlichen Auffassungen von Lernen und Leistung, was im Kontext von PISA und Schulreformen ein hochaktuelles Thema ist. Es zeigt dabei den schwierigen Spagat, dem sich Lehrende zwischen den differenzierten Vorstellungen seitens der SchülerInnen, Eltern und Institutionen ausgesetzt sehen und der zur leichten Überforderung der Lehrkräfte tendiert. Die Geschichte ermutigt die Kinder —also die Hauptzielgruppe des Buches—, zu solidarischem und kollektivem Widerstand gegenüber erwachsener Dominanz in Bildungseinrichtungen.
Des Weiteren wird durch die Kinder Mabu und Selin versucht, einen vertrauten Umgang mit migrantischen Kindern aufzuzeigen. Diversität soll —so erscheint die Intentionen der AutorInnen—, als Bestandteil einer Klassengemeinschaft gedacht werden. Dieser Versuch scheitert jedoch an der Art und Weise, wie die beiden in der Geschichte agieren und auf ihre nationalen Identitäten reduziert werden. Im Folgenden wird auf den impliziten Handlungsstrang und die Konstruktion des kulturell Fremden eingegangen.

Die Bildanalyse eines impliziten Handlungsstrangs durch die Konstruktion eines kulturellen Fremden und die Darstellung von Diversität: (In den folgenden Beispielen finden sich ebenfalls zahlreiche Beispiele für stereotypisierte Darstellungen und Konstruktionen von Geschlechtszuschreibungen. Eine Untersuchung der ausgewählten Bücher unter dem Blickwinkel der Geschlechtergleichstellung würde allerdings den Umfang dieser Arbeit sprengen und wurde deshalb ausgeblendet.)
Auf dem farbenfrohen Cover des Buches ist ein Klassenzimmer abgebildet in dem vier Kinder (zwei Jungen und zwei Mädchen) an beigen Tischen sitzen. Aquarellfarben, Pinsel und Papier liegen vor ihnen. Die Blicke der SchülerInnen richten sich in unterschiedliche Richtungen, aus denen sich Ratlosigkeit und Langeweile heraus lesen lassen. Dabei zeichnen sich die Augen aller Kinder als besonders groß im Verhältnis zur Nase und zum Mund heraus. In ihrer äußeren Erscheinung vertreten sie, durch blondes, rotes und braunes Haar sowie differenzierte Farbnuancen der Gesichter, kulturelle Vielfalt im Klassenzimmer. Einen weiteren Hinweis für kulturelle Vielfalt liefern die Namensschilder um die Hälse der SchülerInnen. Neben Anton und Mara —Namen deutscher Herkunft— ist dort auch Selin —ein türkischer Vorname (Rodriguez:101)— zu lesen. So werden potentielle KäuferInnen und Kinder migrantischer Wurzeln durch das Cover adressiert. Auf Seite vier im Buch wird Selin dann in die Geschichte eingeführt: „In diesem Moment kommt Selin um die Ecke gesaust. Ihre dunklen Augen glitzern“ (Endlich Schule:4). Dieses positive Adjektiv romantisiert, in Verbindung mit ihrem Namen, ihre türkische Herkunft und reproduziert die Stereotype eines orientalischen „Fremden“. Auf dem Weg zur Schule treffen Anton und Selin dann auf Mabu. Mabu ist ein schwarzes Kind. Aufgrund der kontrastreichen Farbwahl der Illustratorin sticht seine dunkle Hautfarbe im Verhältnis zu dem weißen Hintergrund, den weißen Zähnen und großen weißen Augen, besonders hervor. „Am ersten Schultag haben sie gehört, dass er als ganz kleines Baby mit seinen Eltern aus Nigeria gekommen ist“ (Endlich Schule:7). An dieser Stelle wird deutlich, dass es scheinbar einer zusätzlichen Erklärung für Mabus Hautfarbe bedarf. Diese stellt ihn implizit und zusätzlich zur Bildebene als jemand „fremdes“ und „nicht von hier“ auf der Textebene heraus. Das weder die Herkunft der anderen Kinder vorgestellt wird, noch Mabus Herkunft für den eigentlichen Handlungsstrang der Geschichte relevant ist, verstärken diese Interpretation. Auch die Tatsache, dass „nur“ Mabus Herkunft —als People of Color— und nicht auch Selins Migrationsgeschichte erläutert wird, belegen die von Annita Kalpaka und Nora Räthzel aufgestellte These eines differenzierten Rassismus. Das konstruierte Fremdbild von Selin und Mabu festigt sich im Laufe der Geschichte. Als alle Kinder von ihrem ersten Schultag erzählen sollen, berichtet Mabu davon, dass es Apapafubu gab. Eine traditionelle nigerianische Erdnussuppe. Wie alle anderen Kinder jedoch hat auch Mabu, der deutschen Tradition zufolge, einer Schultüte erhalten. Dies kann als „gelungene Integration“ in normative Verhaltensordnungen gelesen werden. Als die SchülerInnen ihren ersten Schultag malen sollen, ist es Selin zu anstrengend „...die vielen Leute zu malen, die bei ihnen im Garten waren. Das waren ja sicher über hundert“ (ebd.:18). Hier wird erneut das Bild der heiteren, großen migrantischen Familie aufrechterhalten. Die Interpretation kann dabei, im Sinne eines positiven Rassismus romantisierend beladen sein. Sie lässt ebenfalls negative rassistische Interpretationsmöglichkeiten, wie den diskriminierenden Vorwurf der „Masseneinwanderung“ oder der „Vermehrungskultur“ offen. Auf der Bildebene wird das Buch dem hier untersuchten Anspruch der Darstellung kultureller Diversität gerecht. Alle Rassismusvorwürfe sind deshalb im Verhältnis zu den Redebeiträgen der restlichen Schulkinder zu interpretieren. Das Buch ist abwechselnd ganzseitig oder zu einem Drittel illustriert und in seiner Farbigkeit sehr kontraststark. Es gibt ein einigermaßen realistisches Abbild einer Schulklasse im Jahr 2015 wieder. Laut dem Statistischen Bundesamt lag die Anzahl ausländischer SchülerInnen in deutschen Grundschulen im Jahr 2014/2015 bei 7,1 Prozent und im Jahr 2015/2016 bei 8,4 Prozent. Auch unter den Kindern mit deutschen Namen wie Lara-Maria oder Mara wird, durch die Wahl der Haar- und Hautfarbe, ein Angebot an Diversität gezeigt. Sprachlich weist das Buch jedoch viele rassismusbeladene Reproduktionen von Fremdheit auf. Zwar gehören die SchülerInnen Selin und Mabu zu den ProtagonistInnen der Geschichte. Ihre Redeanteile reduzieren sich jedoch einzig auf die Erklärung ihrer biologischen Herkunft oder sind an diese angeknüpft.

2. Titel: „Komm mit in die Schule“, Verlag: Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 1995. Autorin: Frauke Nahrgang Illustratorin: Siglint Kessler.

Die Handlung: In „Kommt mit in die Schule“ berichtet Annika, ein dunkelhaariges Mädchen aus einer Familie mit einem Vater, einer Mutter und einem Bruder, von ihren ersten Erlebnissen in der Schule. Die Geschichte startet an ihrem ersten Schultag mit der Begrüßung der Rektorin. Als nächstes führt Annika ihre LeserInnenschaft mit in den Klassenraum. Anschließend erzählt sie von der Errungenschaft, endlich ohne Erwachsene den Schulweg zu gehen. Auf jeder Seite geht es um eine neue Aktivität in oder um ihren Schulalltag: Bastelstunden mit dem Klassenlehrer Herr Lehnard, Turnen, der erste Geburtstag in der Schule und auch kleine Streitereien unter den SchülerInnen. Als letztes erzählt Annika von einem Fest, bei dem die Schulklasse etwas aufführt. Aus diesem Ereignis kann das Ende eines Schuljahres abgeleitet werden.

Die explizite Interpretation: Das Buch folgt keinem konkreten Handlungsstrang sondern umschreibt ein Allgemeinbild einer durchschnittlichen ersten Schulklasse, ohne dabei Anmerkungen zu Ort und Zeit zu machen. Durch die direkte Ansprache der Protagonistin Annika lässt sich ableiten, dass dieses Buch einen illustrierenden Einstieg in den Schulalltag liefern möchte. Die Schuleindrücke Annikas werden außerdem von Bemerkungen über ihren jüngeren Bruder Paul untermalt. Dieser ist noch nicht in der Schule und es wird ein kleines hierarchisches Konkurrenz- beziehungsweise Neidverhältnis zwischen den Geschwistern aufgemacht. Dies äußert sich vor allem auf einer Doppelseite, in der Paul über alle Hausaufgaben von Annika malt.

Die Bildanalyse eines impliziten Handlungsstrangs durch die Konstruktion eines kulturellen Fremden und die Darstellung von Diversität: Das Titelbild zeigt vier Mädchen und vier Jungen. Sie tragen jeweils eine farbige Schultüte in ihren Armen. Ihre Körper werfen auf dem braunen Boden, welcher als einziger Hintergrund definierbar ist, schmale Schatten. Die Kinder laufen alle aus der hinteren rechten und hinteren linken Bildecke auf die vordere rechte Bildseite zu. Diese dynamische Darstellung suggeriert Bewegung und untermalt den Titel, welcher in dunklem Blau auf der linken, oberen Seite platziert ist. Das hintere Mädchen auf der linken Seite hat die Hand zu einem Winkgruß gehoben. Ganz vorne und damit am größten ist Annika abgebildet. Sie trägt ebenfalls eine große, grüne Schultüte im Arm und einen violetten Rucksack auf dem Rücken. Die dargestellten Kinder wirken fröhlich, da sie mit geöffneten, lächelnden Mündern und großen Augen gezeichnet sind. Sie haben jeweils entweder hellblondes, dunkelblondes, hellbraunes, dunkelbraunes, rotes oder schwarzes Haar. Es ist außerdem ein Mädchen mit dunkler Hautfarbe abgebildet. Dieses befindet sich in der hinteren rechten Bildseite.
Das Buch liefert durchgehend ganzseitige Bilder, welche die Geschichte phantasievoll ergänzen. Die Illustrationen folgen einer bunten Farbatmosphäre, dies lässt sich auch auf die Darstellung der Schulkinder feststellen. Sie kommen dem Anspruch eines Abbildes einer diversen Gesellschaft insofern sehr nahe, als das unterschiedliche Haut- und Haarfarben ihre Bildberechtigung erhalten, ohne jedoch sprachlich besonders hervorgehoben oder thematisiert zu werden. Einzig die Namen „Ali“ und „Oli“ unterstreichen die kulturelle Diversität auf der Textebene. Diese Merkmale sprechen für einen gelungen Ansatz impliziter Darstellung von Diversität die —im Sinne der vorangegangenen Diskussion— keine kulturelle Fremdheit konstruiert.

Zusammenfassung

Die Analysen verdeutlichen einerseits den Versuch seitens der Verlage und AutorInnen, kulturelle Diversität im Kinderbuch zu integrieren. Damit wird allerdings auch die immer noch als überwiegend weiß definierte Zielgruppe von Kinderbüchern (vgl. Mecheril:174) deutlich. Eine transkulturelle Gesellschaft (Welsch) jedoch verlangt, Diversität auch auf der rezeptionellen Ebene zu denken. Integration setzt außerdem —nach Mecheril— ein hegemoniales Pendant voraus, das keiner Integration bedarf (Mecheril:4). In dem zuvor analysierten Buch „Endlich Schule“ sind das zum Beispiel die restlichen SchülerInnen der Schulkasse die, außer Mabu und Selin, als Selbstverständlich in der Klasse gelten.

Ferner belegen die Bücher „Komm in die Schule“ (1995) und „EndlichSchule“ (2015) ein Umdenken im Diskurs über MigrantInnen. Während in dem Buch „Komm mit in die Schule“ ein diverses Publikum angesprochen wird, kulturelle Diversität bildhaft impliziert wird, und People of Color ganz selbstverständlich in den Klassenraum gehören, so wird bei „Endlich Schule“ der Versuch unternommen, diese explizit in den Klassenraum zu integrieren. Dies führt jedoch zu einer erneuten Stigmatisierung von Fremdheit. Auch wenn die Anzahl der Untersuchung nicht repräsentativ ist, so lässt sich abschließend dennoch feststellen, dass sich auch in der impliziten Darstellung rassistische Strukturen finden lassen.

Konklusion und Ausblick

Die Betrachtungen stärken allgemein die Relevanz einer Sensibilisierung im Umgang mit Bildern und der impliziten Konstruktion eines kulturellen Fremden im Kinderbuch. Die Sensibilisierung wendet sich dabei einerseits an IllustratorInnen, AutorInnen und Verlage. Diese, so lässt sich aus den zurückliegenden Untersuchungen schließen, sind vor Herausforderungen bei der Darstellung von Diversität in der Kinderbuchproduktion gestellt. Vorhandene Publikationen sollten demnach stetig auf ihre diskriminierenden sprachlichen und ästhetischen Strukturen überprüft werden. Ebenso wendet sich die Aufforderung nach einem sensiblen Umgang an LeserInnen, Eltern und ErzieherInnen. Eine kritische Rezeption von Kinderbüchern gemeinsam mit den Kindern könnte als Leseformat etabliert und weiterentwickelt werden.

Verwendete Literatur

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  • Waldenfels, Bernhard (1993): Edmund Husserl. Arbeit an den Phänomenen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Welsch, Wolfgang (1995): Transkulturalität. In: Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Migration und Kultureller Wandel, Schwerpunktthema der Zeitschrift für Kulturaustausch, 45. Jg. 1995, Stuttgart: ifA. Online verfügbar unter: www.forum-interkultur.net/uploads/tx_textdb/28.pdf ( 11.09.2016.)
  • Zimmermann, Olaf (2016): Stellungnahme. Öffentliches Fachgespräch zum Thema Kulturelle Bildung –einschließlich Bundesprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“. Berlin: Deutscher Kulturrat e.V. Online Verfügbar unter: https://www.bundestag.de/blob/422070/cb14ed44782d9c92470f076111f31448/s… (11.09.2016.)
  • Philipp,Carolin/Kontzi,Kristina (2013): Berliner Verein für machtkritische Bildungsarbeit. Online Verfügbar unter: http://www.glokal.org/kinderbuchdebatte/ (11.09.2016.)

Anmerkungen

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Seminars "Wir und die Anderen. Zur Darstellung des Fremden im Kinderbilderbuch" an der Universität Hildesheim unter der Leitung von Nina Stoffers und Dr. Tobias Fink. Ziel des Seminars war es, sich mit visuellen Medien, die für die Altersgruppe 3–6 zentral sind, auseinanderzusetzen und zu untersuchen, wie "das Fremde" zur Darstellung gebracht wird und welche Vorstellungen des „Eigenen“ und des „Fremden“ wie visuell vermittelt werden. Denn die Rezeption von Bildern findet keineswegs nur in formalen oder non-formalen Settings statt, sondern vor allem in informellen und alltäglichen Situationen. Die „visuelle kulturelle Bildung“ erweist sich unter dieser Perspektive weniger als geplante und didaktisch oder vermittlerisch aufbereitete Angelegenheit, sondern als alltägliches Phänomen, das bisher aber wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren hat.

Zitieren

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Clarissa Heisterkamp (2017): „Ihre dunklen Augen glitzern“. Zur Konstruktion des Fremden und zur Darstellung von Diversität im Kinderbuch- eine rassismuskritische Analyse. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/ihre-dunklen-augen-glitzern-zur-konstruktion-des-fremden-zur-darstellung-diversitaet (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.432.

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