„Ich mach dich gesund…”: Kulturelle Bildung und Gesundheitsförderung
Abstract
Die Künste wirken gesundheitsfördernd, künstlerisches Praktizieren ebenso wie das Wahrnehmen von Kunst, Musik oder Literatur. Neue Erkenntnisse der medizinischen Forschung bestätigen dies, und die WHO fordert die Einbindung der Künste in den Gesundheitsbereich. Lassen sich diese Erkenntnisse auch für die Kulturelle Bildung nutzen?
Vor dem Hintergrund aktueller Projekte der Reihe gesundmitkunst, die STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte e.V. an 20 Museen durchführt, wird eine Brücke zwischen den Künstlerischen Therapien und der Kulturpädagogik geschlagen. Der Beitrag unternimmt den Versuch, Gesundheitsförderung und Kulturelle Bildung neu zusammenzudenken und plädiert für eine gesundheitsfördernde Kulturarbeit an Kulturinstitutionen.
Ein neues Themenfeld
Singen gegen die Angst? Bilder malen, um gesund zu bleiben? Die Künste als Heilmittel, ihre Bedeutung für Gesundheit und Resilienz scheinen an Bedeutung zu gewinnen und eine neue Richtung im kulturpolitischen Diskurs einzuschlagen. Unter internationaler Beachtung hat 2018 das Montreal Museum of Fine Arts seine museumspädagogischen Angebote um eine Abteilung für Kunsttherapie und Wohlbefinden erweitert. Besuche des Museums können dort ärztlich verordnet werden. Im gleichen Jahr haben sich Künstler*innen und Institutionen bayerischer Städte mit dem aktuellen Gesundheitsbegriff befasst und mit Jugendlichen 200 Kunstprojekte zum Thema Gesundheit durchgeführt (STADTKULTUR 2019). In einem Folgeprojekt finden Workshops an Museen statt, deren gesundheitsfördernde Determinanten in einem Förderprogramm evaluiert werden (C. Fuchs 2018; 2019).
Wissenschaftliche Forschungen belegen die heilsamen Wirkungen gestalterischen Tuns (Schubert 2019) – vom Tanzen und Singen über das Schreiben bis zum bildnerischen Gestalten. Wie das aktive Tun, so wirkt sich auch die Wahrnehmung von Kunst, Bilder betrachten und Musik hören, gesundheitsfördernd aus (De Muynck 2019) und ist therapeutisch nutzbar, zum Beispiel in der Psychoanalyse (Niederreiter 2017).
Die WHO hat im November 2019 in einem umfassenden Bericht mehr als 900 wissenschaftliche Veröffentlichungen zu den Zusammenhängen zwischen den Künsten und der Gesundheit ausgewertet. Da sich kreative Beschäftigungen, so der Bericht, positiv auf die physische und psychische Gesundheit auswirken können, hat die WHO eine Einbindung künstlerischer Aktivitäten in die Gesundheitsvorsorge gefordert (Östlin 2019).
Anlässlich der Corona-Pandemiemaßnahmen 2020 hat die Vorsitzende des Deutschen Kulturrats die Wahrung der kulturellen Teilhabe gerade in dieser Krisensituation angemahnt (Keuchel 2020), und der Rat für Kulturelle Bildung hob die Bewältigungsstrategien der Künste hervor (Rat für Kulturelle Bildung 2020) – also ihre Fähigkeit zur Resilienzstärkung. Als in der Corona-Pandemie Museen, Theater und Kinos schlossen, wurde spürbar, wie wichtig das öffentliche Kulturleben für den Umgang mit Isolation, für die Bewältigung von Einsamkeit und für das Sinn-Erleben ist (M. Fuchs 2014; Treptow 2016; Keupp 2014). Kulturinstitutionen tragen zur Resilienz der Bürger*innen bei und leisten damit einen Beitrag zur Gesundheit im Sinne der „Public Health“ (Adli 2018:89).
Auch andere Erlebnisse wie Trennungssituationen, wirtschaftliche Sorgen der Eltern, Leistungsdruck oder Mobbing in der Schule und mediale Reizüberflutung belasten Kinder und Jugendliche heute massiv. Viele sind überfordert, und auch dort, wo die Gefährdung noch unterhalb der Krankheitsgrenze liegt, kann der gezielte Einsatz von Kunst und Kultur die Widerstandskräfte stärken und ernsthafte Erkrankungen verhindern (Melcher-Schönach 2019).
Die gesundheitsfördernden Wirkungen künstlerischer Praktiken finden im allgemeinen Diskurs zur Kulturellen Bildung – jenseits der Spezialbereiche Heil- und Sonderpädagogik – kaum Beachtung. Sie sind implizit in den Kategorien Wohlergehen, Lebensqualität und der Lernzielbestimmung „Lebenskunst“ (Bockhorst 2013:13) enthalten, werden aber nicht explizit kommuniziert. Die Potenziale der Künste für die körperliche und seelische Gesundheit reichen sehr viel weiter, als es der Begriff des „Wohlergehens“ umgangssprachlich zum Ausdruck bringt. Die Fähigkeit der Künste, „Resilienz“ zu stärken (M. Fuchs 2014) wird vor allem in ihrer sozialen Dimension, im Sinne einer selbstwirksamen Widerständigkeit und bezogen auf das soziale Umfeld (ebd.) gesehen. Die wichtige Funktion physischer und psychischer Resilienz bleibt weitestgehend unbeachtet. Sie befähigt die Menschen dazu, Belastungen ohne Beeinträchtigungen zu überstehen und gesund zu bleiben.
Vielleicht liegt es am Wording, dass sich die Kulturelle Bildung mit dem Begriff Gesundheit noch wenig befasst. Es scheint eine Scheu zu geben, Kunst und Gesundheit zusammenzudenken. Möglicherweise erwächst sie aus der Sorge, künstlerische Freiheit könnte durch einen kunstfremden Fokus eingeschränkt werden, oder ruft Bedenken und die Erinnerung an Zeiten wach, als eine vermeintlich „gesunde Kunst“ einer „entarteten Kunst“ gegenübergestellt wurde.
Bei dem Thema Gesundheitsförderung durch Kunst geht es weder um eine normierte Vorstellung von Gesundheit noch um eine normierte Ästhetik oder darum, die Autonomie der Kunst zu begrenzen, ihren Selbstzweck in Frage zu stellen oder einzelne Praktiken einem Gesundheits-Check zu unterziehen (C. Fuchs 2019:8–10). Vielmehr geht es darum, auf die positiven Potenziale – und damit auf eine Facette – der Kunst hinzuweisen, die sie im Übrigen gerade dadurch hat, dass sie frei und nicht normiert ist.
Das Projekt gesundmitkunst
Das Netzwerk STADTKULTUR ist das Kultur-Forum bayerischer Städte und Gemeinden. Es ermöglicht kollegialen Austausch, Vernetzung, Fortbildungen und gemeinsame Veranstaltungen und Projekte. Bereits in den Schuljahren 2017/18 und 2018/19 initiierte STADTKULTUR unter der Headline „Ich mach dich gesund" ein landesweites Wertebündnisprojekt zur Kulturellen Bildung, welches das Thema Gesundheit sowie die gesundheitsfördernde Wirkung der Künste in den Blick nahm. In Workshops, die von professionellen Künstler*innen aus den Bereichen Musik, Literatur, Tanz, Theater, Medien, Bildende Kunst und Jugendkultur angeleitet wurden, setzten sich dabei Schüler*innen aus Schulen aller Schularten mit dem Thema Gesundheit auseinander.
Mit dem aktuellen Pilotprojekt „gesundmitkunst“ setzt STADTKULTUR seinen Fokus der Gesundheitsförderung fort und erprobt erneut die Gestaltungspotenziale der Künste (C. Fuchs 2019). Denn in der Zusammenarbeit war die Relevanz des Themas deutlich geworden: Die Künste wirken gesundend auf die Seele und auf das Immunsystem, sie unterstützen Heilungs- und Verarbeitungsprozesse, stärken die Resilienz im individuellen wie im sozialen Bereich. Besonders relevant werden diese Potenziale, wenn Menschen Krisen zu bewältigen haben oder wenn sie traumatische Erlebnisse wie Krieg, Flucht oder die jüngsten Verunsicherungen durch die Corona-Pandemie verarbeiten müssen.
Das Projekt „gesundmitkunst“ bietet spezielle Programme zur Gesundheitsförderung an Museen an und lotet die Möglichkeiten aus, Gesundheitsförderung durch Kunst an Kunstinstitutionen zu verorten. In den Jahren 2019/2020 finden 100 Veranstaltungen an 20 Museen und Städtischen Galerien statt, gefördert von der AOK Bayern und evaluiert vom Department Arts and Change der Medical School Hamburg (MSH).
Untersucht werden verschiedene Formen der Kunstvermittlung, die zu unterschiedlichen Themen und mit verschiedenen künstlerischen Techniken arbeiten: Malen, Bildhauen, Theaterspielen, Dichten, Filmemachen etc. Die Workshops zur Gesundheitsförderung sind umfangreicher als die der gängigen Museumspädagogik. Bei ihnen stehen die Prozesse der Teilnehmer*innen im Zentrum. Die Exponate der Museen sind der Anlass und das Medium für persönliche Entwicklungsprozesse.
Die Programme werden eigens für die jeweiligen Museen konzipiert und richten sich an unterschiedliche Besucher*innengruppen. Entwickelt und angeleitet werden sie von Personen mit einer doppelten Expertise: Erforderlich sind sowohl eine professionelle künstlerische Qualifikation wie auch Kompetenzen, die den Anforderungen der Gesundheitsförderung entsprechen.
Im Rahmen einer Evaluation soll festgestellt werden, welche Formate sich positiv im Sinne der Gesundheitsförderung auswirken und sich für längerfristige Fördermaßnahmen eignen.
Zur Rolle der Museen im Projekt gesundmitkunst
Museen wurden ganz bewusst als Orte für die gesundheitsfördernden Programme gewählt, weil sie sich durch besondere Qualitäten auszeichnen. Sie sind Orte der Kunst und Kultur, der Muße, der Entschleunigung. Museen sind besonders gestaltete Gebäude und Räume von hoher Qualität und Ästhetik. Zudem sind sie sichere Orte, was für viele Menschen eine wichtige Rolle spielt. All diese Qualitäten können sich positiv auf das Befinden der Besucher*innen auswirken, die Selbstwahrnehmung beeinflussen und eine Atmosphäre der Ruhe und Konzentration fördern. Museen können eine kontemplative Stimmung erzeugen. Die Sammlungen und Ausstellungen machen sie zu Orten von großem Wert und Strahlkraft mit vielen kulturellen Potenzialen. Museen leisten bereits jetzt schon einen wichtigen Beitrag zur seelischen und körperlichen Gesundheit, worauf der Stressforscher, Psychiater und Leiter der Fliedner-Klinik, Prof. Dr. Mazda Adli, ausdrücklich hingewiesen hat (Adli 2018).
Würden Museen als Orte der Gesundheit stärker wahrgenommen und gezielt weiterentwickelt, dann könnten sich die Wirksamkeit von Kunst und Kultur erhöhen und neue Zugänge in die Museen geschaffen werden. Hinter dem Projekt gesundmitkunst steht die Idee, mit gesundheitsfördernden Programmen auch solche Menschen anzusprechen, die bisher wenig Zugang zur Kunst oder zu Museen hatten und die sonst nicht erreichbar sind.
- Ein Beispiel: DASMAXIMUM KunstGegenwart in Traunreut
Das Museum DASMAXIMUM wurde 2011 vom Kunstsammler Heiner Friedrich in Traunreut, einer industriell geprägten kleineren Kommune im Chiemgau, gegründet. Auf 4.300 qm Ausstellungsfläche werden Arbeiten u.a. von Andy Warhol, Walter de Maria, Georg Baselitz, Imi Knoebel, Dan Flavin und John Chamberlain gezeigt. Das Museum hat spezielle Kunstvermittlungskonzepte erarbeitet. Das Projekt WORT:BILDER richtet sich an Teilnehmer*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Unter der Leitung der Slam-Poetinnen Pauline Füg und Henrikje Stanze werden unter dem Label DemenzPoesie Kunstwerke aus der Sammlung des Traunreuter Museums gemeinsam betrachtet und dazu passende Lyrik entwickelt. Seit 2013 gehört das Projekt zum festen Repertoire des Museums.
Künstlerische Therapien und Kulturelle Bildung im Dienst der Gesundheit
Wissen um die heilsame Wirkung der Künste haben die Künstlerischen Therapien. Sie verfügen über die Fachkenntnisse und Erfahrungen, wie die künstlerischen Disziplinen eingesetzt werden können, welche therapeutischen Wirkungen sie entfalten können und wie Settings für verschiedene Anwendungsbereiche möglichst zielführend gestaltet werden können.
Wie positionieren sich die Künstlerischen Therapien im Kontext der Kulturellen Bildung?
Kulturelle Bildung ist eine Querschnittsaufgabe, die politisch und haushaltstechnisch im Kultur-, Jugend- und Bildungsbereich verortet ist. Künstlerische Therapien gehören dagegen in den Zuständigkeitsbereich der Gesundheit und der Sozialpolitik. Die therapeutischen Potenziale der Künste nutzen etwa die Heilpädagogik und die Soziale Arbeit. Künstlerisch therapeutische Methoden finden auch in Einrichtungen Anwendung, die sich um Integration und Inklusion bemühen – beispielsweise in der Arbeit mit Geflüchteten helfen sie Sprachbarrieren zu überwinden (Menzen 2016; Treptow 2016).
Angesichts der gesundheitsfördernden Potenziale der Künste liegt es nahe, nach weiteren Schnittstellen zu fragen. Wenn künstlerisches Tun Gesundheit fördert, sind dann nicht die Kunstpädagogik, die Musikpädagogik, die Tanzpädagogik etc. auch in den Diensten der Gesundheit tätig? Oder könnten sie es sein – und wie am besten?
Kulturelle Bildung und Künstlerische Therapien sind verhältnismäßig junge Gebiete. Seit den 1970er Jahren werden mit ihnen ein breites Spektrum von Ansätzen abgesteckt und Entwicklungen verschiedener pädagogischer, therapeutischer und künstlerischer Ansätze zusammengefasst (Menzen 2016:11). Beide Bereiche gehen auf die Erfahrung zurück, dass künstlerisch-gestaltendes Tun einen verändernden Einfluss auf die Produzierenden selbst ausübt (Seiler 2019:108). Diese Veränderungspotenziale nutzen die Bildung sowie die Therapie.
Individuelle Funktionen
Im Zentrum der Kulturellen Bildung steht die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen in seinem sozialen, kulturellen und politischen Kontext (M. Fuchs 2019). Sie wird als „Allgemeinbildung in und durch die Künste“ definiert, die „Fähigkeiten und Haltungen“ herausbildet, welche den Menschen ermöglichen, die Welt und das eigene Leben unter ästhetischen Gesichtspunkten wahrzunehmen und zu gestalten (Rat für kulturelle Bildung, Ermert 2009).
Kulturelle Bildung dient auch der beruflichen Aus- und Weiterbildung und fasst Bildungsangebote zusammen, die gestalterisches und ästhetisches Handeln in bildender Kunst, Film, Fotografie, Literatur, elektronischen Medien, Musik, Rhythmik, Spiel, Tanz, Theater, Video u.a. ermöglichen. Sie soll kognitive, emotionale und gestalterische Handlungsprozesse verbinden, zum schöpferischen Arbeiten und zur aktiven Rezeption von Kunst und Kultur befähigen (BMBF 2019).
Die Künstlerischen Therapien arbeiten mit künstlerischen Mitteln und setzen sie für therapeutische Zwecke ein. Zu ihnen zählen unter anderem Kunst- und Gestaltungstherapie, Musiktherapie, Tanztherapie, Theatertherapie, Heileurythmie und einiges mehr. Die Künstlerischen Therapien umfassen aktives Tun wie Singen und Musizieren, Bildhauen, Malen, Tanzen, Theaterspielen ebenso wie die rezeptive Wahrnehmung von Musik, Tanz, bildender Kunst und anderen. Künstlerische Therapien zielen auf Erlangung, Wiedererlangung und Förderung der physischen, psychischen und psychosozialen Gesundheit sowie auf die Verbesserung der Lebensqualität (www.bagkt.de).
Gesellschaftspolitische Bedeutungen
Kulturelle Bildung hat enorme gesellschaftspolitische Relevanz. Eine ihrer politischen Aufgaben ist es, ein gemeinsames kulturelles Verständnis zu schaffen, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt festigt. Daher ist Kulturelle Bildung sehr wichtig für die Demokratie, für die Integration und Inklusion. Sie ist ein Lernfeld für die demokratische Praxis und für gesellschaftspolitische Inhalte, schafft neue Lernkulturen und hat Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse (Bundeszentrale für politische Bildung 2020). Der hohe Stellenwert, den ihr die Kulturpolitik des Bundes, der Länder und der Kommunen beimisst, zeigt sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Einrichtungen und Fördermaßnahmen, beispielsweise im Programm „Kultur macht stark – Bündnisse für Bildung“ (https://www.buendnisse-fuer-bildung.de/).
Demgegenüber werden die Künstlerischen Therapien, und mit ihnen die gesundheitsfördernden Funktionen der Künste, noch zu wenig wahrgenommen – in der Kulturpolitik wie in der Gesundheitspolitik. 2014 gründeten zehn Fach- und Berufsverbände die Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT). Die BAG KT zielt auf den gesundheitsfördernden Einsatz des kreativen Vermögens des Menschen zur ganzheitlichen Selbstregulation für die Therapie, die Rehabilitation, die Prävention und für die individuelle wie soziokulturelle Entwicklung. Aufgaben der BAG KT sind die berufsständige Interessensvertretung, Entwicklung und Anerkennung des Berufsbildes, Förderung von Lehre und Forschung sowie Etablierung und Anerkennung des Berufs (www.bagkt.de).
Künstlerische Therapien werden gelegentlich im schulischen Kontext integriert, und die Bedarfe nach einem resilienzstärkenden und präventiven Einsatz der ästhetischen Bildung werden zunehmend deutlich. Mit diesem Thema befasste sich etwa die Arbeitstagung „Kunsttherapie im schulischen Kontext“ der Hochschule für Kunst und Therapie Nürtingen im Januar 2019 (Melcher-Schönach 2019).
Bisher gibt es keine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen Kultureller Bildung, Kulturinstitutionen und den Künstlerischen Therapien, was an den unterschiedlichen politischen Zuständigkeiten liegen mag. Nur vereinzelt werden kunsttherapeutische Angebote integriert, so ist 2008 ein offenes musiktherapeutisches Angebot an Musikschulen eingeführt worden. Es gibt einige projektbezogene Kooperationen zwischen Kultur und Gesundheit – beispielsweise in Museen, die Demenzprogramme anbieten (Bode-Museum Berlin, Bundeskunsthalle Bonn, Städel Museum Frankfurt, Projekt KunstZeit in mehreren Münchner Museen u.v.m.; weitere unter diesem Link), und im Bereich der Suchtprävention (Kulturjahr Sucht in Dresden). Um den Aufbau einer Zusammenarbeit zwischen Kultur- und Gesundheitsbereich auf kommunaler Ebene bemühen sich Projekte von STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte e.V.
Gesundheitspolitische Perspektiven für eine kunstbasierte Gesundheitsversorgung
Die Künste tauchten bisher in der Gesundheitspolitik nicht auf. Mit dem richtungsweisenden Bericht der WHO vom November 2019 hat sich jedoch eine neue gesundheitspolitische Perspektive eröffnet. Der Bericht stellt die Bedeutung der Künste für die Gesundheit umfassend dar und benennt die Rolle, die einer kunstbasierten Gesundheitsversorgung gesamtgesellschaftlich zukommen kann und sollte. „Durch Aktivitäten wie Tanzen, Singen, Museums- und Konzertbesuche die Künste zu einem Teil des menschlichen Lebens zu machen, bietet im Hinblick auf die Verbesserung der physischen und psychischen Gesundheit eine neue Dimension“ (Östlin 2019).
Der Bericht untersucht kreative Aktivitäten im Hinblick auf die Förderung der Gesundheit, die Vorbeugung von Krankheit, die Bewältigung und Behandlung physischer und psychischer Erkrankungen sowie die Unterstützung der Sterbebegleitung. Er zeigt auf, wie die Künste zur Bewältigung schwieriger oder komplexer gesundheitlicher Herausforderungen wie beispielsweise Diabetes, Adipositas und psychischer Erkrankungen beitragen können (Östlin 2019).
Kreative Aktivitäten wurden in Gesundheitseinrichtungen dezidiert in den Blick genommen, und so konnte festgestellt werden, dass das Hören von Musik oder eine künstlerische Tätigkeit dazu beitragen können, die Nebenwirkungen einer Krebsbehandlung (etwa Schläfrigkeit, Appetitlosigkeit, Kurzatmigkeit und Übelkeit) zu verringern, dass künstlerische Tätigkeiten wie Musizieren, Basteln oder Clown-Auftritte in Notfallsituationen insbesondere bei Kindern, aber auch bei ihren Eltern Ängste, Schmerzen und Blutdruck reduzieren oder dass das Tanzen dazu beiträgt, die motorischen Fähigkeiten bei Menschen mit Parkinson erheblich zu verbessern.
Der Bericht nennt zudem praktische Ansätze und macht Vorschläge für eine stärkere Einbindung von künstlerischen Aktivitäten im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung (Östlin 2019). Zu ihnen zählen:
- die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von künstlerischen Programmen zur Gesundheitsförderung,
- die Unterstützung von Kunst- und Kulturorganisationen bei der Einbeziehung von Gesundheit und Wohlbefinden in ihre Arbeit,
- die Aufklärung der Öffentlichkeit über den potenziellen gesundheitlichen Nutzen kreativer Beschäftigungen,
- die Einbeziehung der Künste in die Ausbildung von Gesundheitsfachkräften,
- die Einführung bzw. Stärkung von Verfahren für die Überweisung von Patienten von Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens an künstlerische Programme oder Aktivitäten und
- die Investition in die weitere Erforschung und insbesondere die Ausweitung von künstlerischen und gesundheitlichen Interventionen sowie die Evaluation ihrer Umsetzung.
Wie die WHO mitteilt, befassen sich einige Länder bereits mit den Möglichkeiten einer Umsetzung (ebd.).
Gemeinsame Basis von Kultureller Bildung und Künstlerischen Therapien
Was verbindet Kulturelle Bildung und Künstlerische Therapien? Worin liegen die Gemeinsamkeiten? Welche Anknüpfungspunkte gibt es für einen fächerübergreifenden Dialog?
Einige interdisziplinäre Beiträge befassen sich mit den Schnittstellen von Kultureller Bildung und Gesundheitsförderung. Beispielsweise werden in der Musik die pädagogischen, kulturellen und therapeutischen Wirkungsweisen behandelt (Gödde/Zirfas 2012) und eine fundierte Forschung der Transferwirkungen ästhetischer Bildung gefordert (Rittelmeyer 2012). Auch im kunsttherapeutischen Kontext beschäftigen sich Wissenschaftler*innen vertieft mit Schnittstellen (Loemcke 2019) und stellen vergleichende Untersuchungen zu den Wirkfaktoren von Kunsttherapie und Kultureller Bildung an (Seiler 2019).
Die Methode „Kunst als freies Spiel“ und die ästhetische Gestaltung bilden die Basis der Kunstpädagogik wie der Kunsttherapie (Buland/Gottschild 2018:136–137). Auch wenn in der therapeutischen Anwendung die ästhetische Qualität nicht in dem Maße um ihrer selbst willen angestrebt wird wie in der Kulturpädagogik, so gelten auch hier die „gestalterische Qualität“ und die Beschäftigung mit der „Eigengesetzlichkeit der Künste“ als diejenigen Potenziale, die positiv auf die gestaltende Person zurückwirken. Gerade diese Potenziale der künstlerischen Medien und Prozesse sind therapeutisch nutzbar, und deren Wirkfaktoren werden in der Kunsttherapieforschung – wie auch in den anderen Künstlerischen Therapien – untersucht (von Spreti/Martius/Steger 2018:VI).
In beiden Bereichen – den Künstlerischen Therapien wie in der Kulturellen Bildung – geht es um die Arbeit am und mit dem künstlerischen Medium (Loemcke 2019). Und beide verbindet die Absicht, „professionell begleitete Veränderungsprozesse durch künstlerisch-kreative Herangehensweise zu unterstützen“ (Seiler 2019:108). Kulturelle Bildung wie Künstlerische Therapien fördern die „Identitäts- und Persönlichkeitsbildung“ und arbeiten „ressourcenorientiert“ (Loemcke 2019).
Unterschiedliche Zielrichtungen
Künstlerische Therapien unterscheiden sich allerdings von vielen Formen Kultureller Bildung in den Rahmenbedingungen – wie Gruppengröße, zeitlicher Umfang und persönliche Betreuung – und in ihren Zielsetzungen.
Kulturelle Bildung als Kulturpädagogik folgt in erster Linie einem „Bildungsauftrag“, wenn auch in einem erweiterten Sinne. Kulturpädagogik intendiert zunächst die Förderung künstlerischer Fähigkeiten, wohingegen in den Künstlerischen Therapien diese Fähigkeiten nachrangig sind. Beispielsweise zielt die Gesangspädagogik auf die Weiterentwicklung der Singfähigkeit ab, während musiktherapeutische Interventionen das Singen als emotionalen, seelischen, kommunikativen und expressiven Prozess und als somatisch gesundheitsfördernd sehen, bei dem die Singfähigkeit keine Rolle spielt (Neus 2016).
Künstlerische Therapien zielen darauf ab, die Orientierung und Gefühlslage der Patienten wiederherzustellen und Problem- und Leidenssituationen zu bewältigen. Die in den Künstlerischen Therapien gewonnenen Bewusstseins-, Erlebens- und Verhaltensweisen sollen es letztlich möglich machen, das Alltagsleben wieder besser zu bewältigen.
Künstlerische Prozesse können Patienten dabei helfen, ihre Denk- und Verhaltensmuster zu verändern. Der kreative Ausdruck ist ein Weg, „negative Empfindungen auszuleiten und für die Psyche unschädlich zu machen“, „kreative Gestaltung ist Selbstregulation der Psyche“ (Schottenloher 2019:23).
Zwischen dem Bildungsauftrag der Kulturellen Bildung und dem Heilungsauftrag der Künstlerischen Therapien können nicht unerhebliche Zielkonflikte entstehen. Der Bildungsauftrag begründet einen Qualifizierungs- und Leistungsanspruch, der den Heilungsauftrag der Therapien behindern kann – und vice versa. Diese Zielkonflikte werden als Konflikte zwischen Kunstpraxis und Selbsterfahrung (Loemcke 2019) oder als Konflikte zwischen einer Produktorientierung und einer Prozessorientierung (Treptow 2016) gesehen.
Kunstbasierte Gesundheitsförderung
Trotz dieser Zielkonflikte ist ein Transfer kunsttherapeutischen Wissens in Richtung einer kunstbasierten Gesundheitsförderung im Rahmen der Kulturellen Bildung denkbar.
Auszugehen ist dabei von dem Gesundheitsbegriff der WHO, wonach Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit zu verstehen ist – wie noch immer von Vielen angenommen –, sondern als ein „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“. Körper, Seele und Geist sind ebenso angesprochen wie die soziale Gesundheit, wie gesellschaftliche Aspekte und kulturelle Unterschiede im Verständnis von Gesundheit und im Umgang mit Krankheit.
Kernkompetenzen für die Gesundheitsförderung
Aufgabe der Gesundheitsförderung ist es, Maßnahmen zu ergreifen, die diesen Zustand des „körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ befördern. Diese Maßnahmen müssen darauf zielen, bei den Betroffenen gesundheitsfördernde Kompetenzen herauszubilden. Zentrale Kernkompetenzen für die Gesundheitsförderung sind:
- Selbstwahrnehmung, die sich auf das Erkennen der eigenen Person, des eigenen Charakters sowie auf eigene Stärken und Schwächen, Wünsche und Abneigungen bezieht.
- Empathie als die Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen.
- Kreatives Denken, das es ermöglicht, adäquate Entscheidungen zu treffen sowie Probleme konstruktiv zu lösen.
- Kritisches Denken als die Fertigkeit, Informationen und Erfahrungen objektiv zu analysieren.
- Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die dazu beiträgt, konstruktiv mit Entscheidungen im Alltag umzugehen.
- Problemlösefertigkeit, um Schwierigkeiten und Konflikte im Alltag konstruktiv anzugehen.
- Kommunikative Kompetenz, die dazu beiträgt, sich kultur- und situationsgemäß sowohl verbal als auch nonverbal auszudrücken.
- Interpersonale Beziehungsfertigkeiten, die dazu befähigen, Freundschaften zu schließen und aufrechtzuerhalten.
- Gefühlsbewältigung als die Fertigkeit, sich der eigenen Gefühle und denen anderer bewusst zu werden, angemessen mit Gefühlen umzugehen sowie zu erkennen, wie Gefühle Verhalten beeinflussen.
- Die Fähigkeit der Stressbewältigung, um einerseits Ursachen und Auswirkungen von Stress im Alltag zu erkennen und andererseits Stress reduzierende Verhaltensweisen zu erlernen (Bühler/Heppekausen 2005:11–16).
Erweitert und dynamisiert wird dieser Gesundheitsbegriff durch den Begriff der Salutogenese, die Gesundheit nicht als einen Idealzustand definiert, sondern als einen ständigen Entwicklungsprozess im Sinne von Gesundheitsentwicklung. Gesundheitsförderung im Sinne der Salutogenese ist unabhängig von Krankheit – und also auch bei jungen und gesunden Menschen, bei Schüler*innen und bei Menschen jeden Alters möglich und sinnvoll.
Der Ansatz der Salutogenese wurde bereits im 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 aufgegriffen und eine Neuorientierung der gesundheitswissenschaftlichen Ausrichtung in Richtung Salutogenese sowie die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik aus salutogenetischer Perspektive gefordert. Entscheidend für das Entstehen von Gesundheit sind Rahmenbedingungen und begünstigende Faktoren, die zu einem Kohärenzgefühl führen, dem subjektiven Empfinden von „Stimmigkeit“.
Für das Entstehen von Kohärenz sind drei Aspekte entscheidend:
- die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen – das „Gefühl der Verstehbarkeit“,
- die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können – das „Gefühl der Handhabbarkeit“ oder Bewältigbarkeit (ähnlich dem Begriff der „Selbstwirksamkeitserwartung“),
- der Glaube an den Sinn des Lebens – das „Gefühl der Sinnhaftigkeit“ (vgl. Wikipedia - Salutogenese).
Gesundheitsförderung und Kulturelle Bildung neu zusammendenken
Ein Gesundheitsbegriff, der Gesundheit nicht als Gegenteil von Krankheit definiert, und der salutogenetische Ansatz machen es möglich, Gesundheitsförderung und Kulturelle Bildung neu zusammenzudenken.
Die Determinanten der Gesundheitsförderung decken sich mit den Merkmalen, die im Rahmen der Kulturellen Bildung als Qualitätsmerkmale gefordert werden. Gesundheitsförderung und Kulturelle Bildung verfolgen in weiten Teilen vergleichbare Entwicklungsziele hinsichtlich der zu erwerbenden Kompetenzen. Beide intendieren die Ausbildung von Kohärenz (Keupp 2014), die Stärkung von Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein sowie Beziehungs- und Empathiefähigkeit (BMFJFS 2009:67). Allerdings stehen diese Kompetenzen in den Diensten je anderer Bezugssysteme. Die Kulturelle Bildung hat die Ausbildung von Lebenskohärenz im Sinne von Identitätsarbeit und Lebensbewältigung im Auge (Keupp 2014), während es der Gesundheitsförderung neben der sozialen Gesundheit ganz wesentlich um die körperliche und seelische Gesundheit geht.
Kulturelle Bildung wie Gesundheitsförderung richten sich grundsätzlich an alle Menschen – und eben nicht nur an solche mit einem bestimmten Krankheitsbild, einem gewissen Defizit oder einem sogenannten Förderbedarf.
Zu den gesundheitsfördernden Potenzialen einzelner Kunstsparten
Jede ästhetische Praxis in den unterschiedlichen Sparten von Musik über Theater und Bildende Kunst bis zum Tanz beinhaltet eigene Potenziale, erfordert und fördert spezifische Fähigkeiten. Wenngleich die Wirkungsweisen der einzelnen Praktiken individuell verschieden und Erfolge nicht vorhersehbar sind, so lassen sich doch Spezifika der Wirkungsweisen der Kultursparten benennen. Singen schult die Stimme, das Gehör, das Klangerleben und das Gefühl für Rhythmus; Malerei schult das Sehen, das Farb- und Raumempfinden und das Geschick der Hände; beim Theaterspielen lernt man Ausdruck und Darstellungsmöglichkeiten, Körpererleben und eine Haltung zu entwickeln (Liebau 2015).
Auch vom Gesundheitsbereich werden den Künsten spezifische Gesundheitsfolgewirkungen in Studien bescheinigt. Der Bericht der WHO hat sich umfassend mit den heilsamen Potenzialen der verschiedenen Sparten sowie mit den Anwendungsbereichen befasst, in denen die künstlerischen Techniken gesundheitswirksam eingesetzt werden. Exemplarisch seien hier die positiven Wirkungen auf das Immunsystem genannt, die in einer zusammenfassenden Darstellung von Christian Schubert vorgelegt wurden (Schubert 2019).
- Expressives Schreiben/Sprache
Expressives oder kreatives Schreiben kann eine effektive Bewältigungsstrategie für Belastungen unterschiedlicher Art darstellen und die Verarbeitung bedrückender Erlebnisse und negativer Gefühle bewirken (Schubert 2019:77). Klinische Untersuchen zeigten, dass das expressive Schreiben im Sinne eines sprachlichen Verarbeitens von belastenden Erlebnissen zu einer Verbesserung der zellulären Immunaktivität führt (Schubert 2019:78). Diese Ergebnisse sind sowohl bei schriftlichen wie bei gesprochenen Äußerungen nachgewiesen.
Verschiedene Wundheilstudien haben gezeigt, dass das Schreiben über traumatische Erfahrungen zu einer Beschleunigung der Wundheilung führt (Schubert 2019:78). Andere Studien belegen, dass expressives Schreiben den Immunisierungsschutz bei Impfungen verbessert (ebd.).
Eine kognitive Verarbeitung durch expressives Schreiben oder Sprechen ist mit positiven Folgen für die Gesundheit verbunden (Schubert 2019:79). Die genaue Wirkungsweise des expressiven Schreibens ist noch nicht abschließend untersucht. Es gibt unterschiedliche Ansätze hierzu (Schubert 2019:80).
- Musik
Die heilsame Wirkung der Musik ist seit alters her bekannt. Die Überzeugung, dass Musik die Gesundheit beeinflusst, lässt sich bis zu 4.000 Jahre Menschheitsgeschichte zurückverfolgen (Schubert 2019:82). Empirische Studien belegen die positiven Wirkungen von Mozarts Klaviersonaten bei der postoperativen Behandlung (Schubert 2019:82), bei Gesunden fördert Musikhören die Psychoimmunologie, reduziert Stressfolgen, mindert das Risiko von Herzversagen und Herzinsuffizienz. Die Psychoimmunologie stellt fest, dass Musikhören die Verringerung von Stress und eine Immunoptimierung bewirkt (Schubert 2019:87). Aktives Musizieren, zum Beispiel Trommeln, hebt die Stimmung (Schubert 2019:87). Als wiederkehrender periodischer Vorgang findet Rhythmus seine Analogie in den biologischen Rhythmen des Menschen. Musik ist kommunikativ, bietet Ausdrucksmöglichkeiten und wirkt auf Körper und Seele (Heimes 2010:78, 82).
Die heilsamen Wirkungsweisen der Kunstsparten werden in den speziellen Künstlerischen Therapien (Kunst-, Musik-, Tanz-, Theatertherapie und andere) genutzt. Ihr Gelingen basiert auf Interaktionsgeschehen, das in vielfältigen Settings sehr unterschiedliche Wirkungen entfalten kann. Die Darstellung der vielfältigen Wirkungsweisen und Settings der verschiedenen Kunstsparten bleibt den Fachwissenschaftler*innen vorbehalten. Im Rahmen dieses Textes kann diese nur angerissen werden.
Fazit
Ästhetische Bildungsprozesse haben ein implizit therapeutisches und gesundheitsförderndes Potenzial. Dieses sollte von den unterschiedlichen Feldern sozialer Arbeit, Kinder- und Jugendarbeit, Gesundheits- und Kulturpolitik stärker in den Blick genommen werden.
Künstlerische Betätigung zur Gesundheitsförderung hat die Ausbildung und Stärkung gesundheitsrelevanter Schutzfaktoren zum Ziel. Diese gesundheitsfördernden Wirkungen künstlerischen Tuns entfalten sich durch die heilsame Ausgestaltung innerer Wahrnehmungen, durch das Hervorrufen, Darstellen, Betrachten und Bearbeiten von Gedanken und Emotionen mittels der Künste. Diese stärken die Resilienz und können gezielt eingesetzt werden. Was läge daher näher, als die Gesundheitsförderung stärker im Kulturbereich zu verankern und die spezifischen Potenziale der Künste hierfür zu nutzen? Dabei kann eine engere Kooperation zwischen Akteuren der Kulturellen Bildung und den Künstlerischen Therapien für beide Seiten fruchtbar sein. Die WHO hat hierfür zahlreiche Ansatzpunkte aufgezeigt. Im Dialog mit den Künstlerischen Therapien und unter Berücksichtigung gesundheitsfördernder Ziele können in der Kulturellen Bildung Ansätze und Programmformate entstehen, die gemeinsame Bildungsziele wie Selbstwirksamkeit, Empathie, Stressbewältigung u.a. besser fördern können. Ein interdisziplinärer Austausch und eine Zusammenarbeit der Akteur*innen kann für den präventiven Einsatz in Schulen ebenso wirksam sein wie zur Resilienzstärkung von besonders belasteten Kindern und Jugendlichen (Widdascheck 2019).
Aus den Dialogen zwischen Kultureller Bildung und Künstlerischen Therapien könnten neue und gemeinsame Zielsetzungen, Kooperationen und Projekte erwachsen. Gesundheitsfördernde Aspekte können in der Kulturellen Bildung eingesetzt und genutzt werden, indem diese gezielt für Bildungsangebote aufbereitet werden.
Für die Einrichtungen Kultureller Bildung bietet eine Öffnung für die Bedarfe aus dem Gesundheitsbereich neue Möglichkeiten, zum Beispiel im Erarbeiten und Bereitstellen von kunstbasierten Gesundheitsförderprogrammen.
Durch eine gezielte Programmgestaltung, die sich am künstlerischen Repertoire, dem Spielzeitthema oder der Museumssammlung orientiert, können die Einrichtungen sowohl ihr Angebot erweitern als auch ihr Profil schärfen.
- Beispiel: Museum der Abgüsse Klassischer Bildwerke, München
Unter dem Titel „Körperbild“ wurde im Rahmen der Evaluationsreihe gesundmitkunst ein Workshopangebot entwickelt, das bildnerisches Gestalten als heilsame Erfahrung erlebbar machen sollte. Das Angebot richtete sich an Bürger*innen ab 16 Jahren. Ausgehend von der Sammlung wurden verschiedene Körperkonzepte vorgestellt. Eigene künstlerische Gestaltungsprozesse und fachlich angeleitete Gruppengespräche zu den Arbeiten befassten sich u.a. mit der eigenen Körpersprache, Körperhaltung und Selbstausdruck.
- Beispiel: Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt
Mit dem neu eingeführten Angebot „Der Weg zum Künstler in uns“, an dem Menschen zwischen 20 und 70 Jahren teilnahmen, erweiterte das Museum für Konkrete Kunst sein museumspädagogisches Angebot im Rahmen von gesundmitkunst um einen Workshop, der an fünf Abenden stattfand. Unter kunstpädagogischer und kunsttherapeutischer Anleitung erarbeiteten die Teilnehmer*innen die eigenen Entwicklungswünsche und nach gezielten Führungen zu Exponaten der aktuellen Ausstellung wurden sie über Ansätze der Methode des „Lösungsorientierten Malens“ schrittweise zu eigenen, selbstständigen Gestaltungen hingeführt.
- Beispiel: Neues Museum, Nürnberg
Bei dem Workshop „(M)eine Kunst der Stille“ im Rahmen des STADTKULTUR-Projekts gesundmitkunst im Neuen Museum Nürnberg standen die Werke „Großes Grün“ von Katharina Grosse und die Installation „Gelbmodellierung“ von Franz Erhardt Walther im Fokus der Auseinandersetzung. Performativ wurden Malprozesse nachgestellt und den im Werk angelegten Themen wie Körper, Kommunikation, Distanz / Beziehung, Hülle und Raum mit einfachen, veränderbaren Requisiten aus Stoff, Stäben und farbigen Gurten nachgespürt und diese in einem zweiten Schritt auf ein gemeinsames Stadtteilprojekt übertragen.
Wie für die Einrichtungen, so bieten sich auch für Künstler*innen und Kulturpädagog*innen als Akteure der Kulturellen Bildung neue Aufgabenfelder. Diese erfordern zusätzliche Qualifikationen und eröffnen neue Einnahmequellen – Themen, für die sich auch die Ausbildungsinstitutionen und die Kultur- und Kreativwirtschaft interessieren dürften.
Mit gesundheitsfördernden Programmen können neue Besucher*innenkreise erschlossen und neue Partner und Allianzen gefunden werden. So können sich der Wirkungsradius der Kulturellen Bildung erweitern und Personenkreise für kulturelle Bildungsangebote gewonnen werden, die bisher wenig Zugang dazu hatten. Die Kultureinrichtungen können dadurch ihre gesellschaftliche Wirksamkeit erhöhen.
- Beispiel: Städtische Galerie Ingolstadt
Ebenfalls in der Reihe gesundmitkunst fand in der Städtischen Galerie Ingolstadt der 5-tägige Intensivworkshop „Nana und Nano“ für Menschen mit Gewichtsproblemen statt, bei dem unter Anleitung einer Kunsttherapeutin und Designerin in Anlehnung an die Vorbilder von Nicki de Saint Phalle Nana-Figuren modelliert wurden. Der Workshop richtete sich an Menschen, die mit ihrem Körper unzufrieden sind, sich in ihrem Körper unwohl fühlen und die Bereitschaft zur Selbsterfahrung mitbrachten. Er sollte den Teilnehmer*innen helfen, mit ihrem Körper „Freundschaft zu schließen“ und ihn positiv anzunehmen. Dieser Workshop, an dem auch einige ehemalige Patient*innen einer Tagesklinik teilnahmen, wurde in Zusammenarbeit mit dieser und dem Netzwerk Essstörung beworben.
Schließlich könnte ein gezieltes Zusammenarbeiten zwischen Kultureinrichtungen, Gesundheits- und Sozialämtern entstehen, die sich beispielsweise in Fragen der Suchtprävention, der Trauerarbeit oder der Resilienz verbinden.
Der Austausch und die Zusammenarbeit mit der Kulturellen Bildung könnte die gesellschaftliche Position der Künstlerischen Therapien stärken und zu einer größeren öffentlichen Wahrnehmung beitragen. Die Künstlerischen Therapien könnten sich dadurch noch mehr für präventive und gesundheitsfördernde Aufgaben öffnen.
Die Erkenntnisse aus den Künstlerischen Therapien könnten über die Diskurse der Kulturellen Bildung eine breitere Öffentlichkeit erreichen und den kultur- und gesellschaftspolitischen Diskurs befruchten – zum Beispiel können Praktiken aus der Trauma-Arbeit gezielt in der Pädagogik eingesetzt und vermittelt werden, um Resilienz zu stärken.
Kulturpolitisch kann die Öffnung für den Gesundheitsbereich helfen, das große Thema Inklusion noch wirksamer umzusetzen und weiterzuentwickeln. Wie Erfahrungen aus der Praxis zeigen, verändern und erweitern inklusive Programme auch die Selbstwahrnehmung der Institutionen und ihrer Pädagogik. Spannend!