Gemeinsam (Museums-)Räume öffnen: Kulturelle Teilhabe bedarfsorientiert durch Kooperationen ermöglichen

Artikel-Metadaten

von Chang Nai Wen, Sophie Eliot, Lisa Sarachman

Erscheinungsjahr: 2025

Peer Reviewed

Abstract

Die Zusammenarbeit zwischen der Künstler*innengruppe Sisyphos, der Flugelefant (SdF) im Rahmen des Projekts Young Mind Lab und dem Stadtmuseum Berlin, zielt darauf ab, kulturelle Mitgestaltung und Empowerment für junge Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen zu ermöglichen. Für die Kooperationspartner*innen Chang Nai Wen (SdF), Sophie Eliot und Lisa Sarachman (Stadtmuseum Berlin) sind Bedarfsorientierung, Vertrauensaufbau und der Einsatz kreativer Methoden zentrale Aspekte. Im Zentrum steht die Frage, wie Museen als machtvolle Institutionen zu Räumen für Mitgestaltung auf Augenhöhe und Empowerment werden können – besonders für marginalisierte Gruppen. Es wird aus verschiedenen Perspektiven deutlich, dass Teilhabe weit mehr bedeutet als punktuelle Einladung: Notwendig sind strukturelle Veränderungen, bedarfsorientiertes Handeln und der Abbau institutioneller Hürden. Machtkritik, Flexibilität, Transparenz und Vertrauen sind für spartenübergreifende Kooperationen zentrale Voraussetzungen. Um kulturelle Teilhabe auf Augenhöhe zu ermöglichen, braucht es Co-Creation, offene Räume und ein Hinterfragen der Deutungshoheit. Das Schreibgespräch hebt neben Reflexionen auf die Arbeit mit jungen Menschen und der Kooperation zudem die herausfordernden politischen und strukturellen Rahmenbedingungen hervor, unter denen kulturelle und partizipative Angebote aktuell stattfinden. Die Vision: Kultur als soziale Infrastruktur zu denken, die den gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestaltet und die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Hintergrund und Einführung

Die Zusammenarbeit zwischen der Künstler*innengruppe Sisyphos, der Flugelefant (SdF) im Rahmen des Projekts Young Mind Lab und dem Stadtmuseum Berlin, zielt darauf ab, kulturelle Mitgestaltung und Empowerment für junge Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen zu ermöglichen. Dem Projekt „Young Mind Lab“ und der Zusammenarbeit liegt ein mehrjähriger Prozess beider Kooperationspartner*innen zugrunde, aus dem der Fokus auf die kulturelle Bildungsarbeit mit geflüchteten jungen Menschen und vielfältige partizipationsorientierte Projekte hervorgegangen sind (vgl. auch Informationen im Kasten): Seit 2016 realisiert die transkulturelle Künstler*innengruppe Sisyphos, der Flugelefant (SdF), das Projekt Young Mind Lab im Rahmen des Förderprogramms Tanz und Theater machen stark in Kooperation mit verschiedenen Kultur-, Bildungs- und sozialen Einrichtungen für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung von 4 bis 18 Jahren. SdF fokussiert darauf, sperrige kulturelle Räume für freie Akteur*innen und insbesondere für neu in Berlin angekommene junge Menschen durchlässiger zu machen. Seit 2019 arbeitet SdF in diesem Kontext mit dem Stadtmuseum Berlin zusammen. Die Kooperation wurde durch die Einbindung weiterer Partner*innen wie Gemeinschaftsunterkünften und dem Stadtteilzentrum Pankow gestärkt. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin engagiert sich aktiv für eine diversitätsorientierte Öffnung und die Einbindung vielfältiger Bevölkerungsgruppen in ihre Angebote. Als eine der größten kulturhistorischen Einrichtungen Deutschlands bewahrt und präsentiert sie das kulturelle Erbe Berlins und seiner Bewohner*innen. Mit über 4,5 Millionen Objekten zur Kunst, Kultur und Geschichte der Stadt bietet die Stiftung an sechs Ausstellungsstandorten ein breites Spektrum an Ausstellungen und Programm.

Das Projekt verfolgt das Ziel, dass Kinder unterschiedlicher Hintergründe spielerisch im kreativen Prozess der darstellenden Künste das unmittelbare Miteinander erproben und sich über die Sprache hinaus begegnen. Die künstlerische Umsetzung eigener Ideen soll das Selbstvertrauen unterstützen, während Ensemblearbeit und Mehrsprachigkeit das Miteinander stärken. Das Projekt fragt danach, wie performative Methoden, Mehrsprachigkeit und die Mitbestimmung der Kinder das Museum in einen lebendigen Erzähl- und Begegnungsraum verwandeln können.

Die im Rahmen eines Schreibgespräches zusammengefassten Erfahrungen der Projektverantwortlichen verdeutlichen, dass es für echte Teilhabe nicht nur angepasste Programme, sondern tiefgehende strukturelle Veränderungen braucht. Gemeinsam haben die Partner*innen einen langfristigen Prozess durchlaufen, in dem strukturelle Hürden für Beteiligung sichtbar wurden und die reflektiert werden. Dabei wurde deutlich, dass einerseits eine ungleiche Ressourcenverteilung zwischen freien Akteur*innen und Institutionen zu Herausforderungen führt und dass andererseits Öffnungsprozesse nicht nur kulturbezogen sind, sondern sich an den realen Bedarfen der Menschen orientieren müssen. Dieser Beitrag basiert nicht auf klassischen Best-Practice-Modellen oder Erfolgsgeschichten, sondern auf einer praxisnahen Auseinandersetzung mit strukturellen Veränderungen. Es zeigt, dass Öffnung und Beteiligung eine ganzheitliche Vision und ein langfristiges gemeinsames Ringen um Veränderung erfordern.

Räume für Mitgestaltung und Empowerment schaffen

Lisa: Nai Wen, welche Herausforderungen entstehen aus deiner Sicht durch unterschiedliche Prioritäten, Strukturen und Arbeitsweisen von freien Gruppen wie euch Sisyphos, der Flugelefant und institutionellen Partner*innen wie dem Stadtmuseum Berlin? Und wie wirken sie sich auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen aus?

Nai Wen: Aus unserer Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Institutionen haben wir oft beobachtet, dass es häufig darum geht, feste Regeln einzuhalten, die nicht immer flexibel genug sind, um auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen einzugehen. In der Zusammenarbeit mit dem Young Mind Lab geht es jedoch nicht um klassische Kompromisse, sondern um eine bewusste Veränderung der Grundhaltung. Ein Kompromiss wäre zum Beispiel: „Man darf im Museum keinen Lärm machen, aber wir lassen es zu, um eine neue Zielgruppe nicht zu verprellen - auch wenn wir es eigentlich nicht wollen.“ Was ich bei euren Bemühungen als Outreach-Team wahrnehme, ist aber etwas anderes: „Wir wollen das Museum so gestalten, dass es für die Kinder okay ist, dort auch mal laut zu werden.“ Diese Haltung spiegelt die Grundprinzipien wider, die wir vertreten: Im Young Mind Lab bieten wir einen Rahmen als Anregung und Inspiration für die junge Menschen an, aber gleichzeitig lassen wir ihnen genügend Raum und Flexibilität, damit sie den Prozess nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten können. Es geht um eine grundsätzliche Offenheit, die den Bedürfnissen der jungen Menschen gerecht wird - nicht nur um kurzfristige Anpassungen. Das bedeutet, wenn wir es ernst meinen, dass es auch mal vorkommen kann, dass wir den Workshop-Plan komplett umgestalten, um dem Bedarf der Teilnehmenden gerecht zu werden. Die Konsequenzen davon sind, dass wir am Ende woanders landen können als ursprünglich geplant. Die Frage in der Kooperation ist: Werden die institutionellen Partner*innen das genauso ernst nehmen?

Sophie: Wenn ich die Gestaltung von Räumen für Teilhabe angehe, stoße ich stets auf eine grundlegende Herausforderung: Museen sind Machträume und bleiben es. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber sie ist entscheidend für jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Partizipation. In meiner täglichen Arbeit erlebe ich, wie Museen in ihrer Rolle ein doppeltes Potenzial haben: Einerseits geschieht eine Aneignung von diskursiver und kreativer Arbeit externer Akteur*innen, andererseits können Museen öffentliche Räume für Sichtbarkeit öffnen. Wenn wir mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, müssen wir aufrichtig sein. Sie spüren sofort, ob eine Umgebung authentisch ist. Wo sie nur Regeln befolgen sollen, machen sie nicht mit – und das völlig zu Recht. Sie wollen - wie wir alle - als eigenständige Persönlichkeiten respektiert werden.

Diese Spannung lässt sich gut mit Gayatri Spivaks Konzept des "Für-andere-Sprechens" (Spivak 2008) erfassen. Als Museumsmitarbeiterin mache ich mir immer wieder bewusst, nicht zu beanspruchen, über und für andere zu sprechen, ohne deren eigenen Stimmen wirklich Raum zu geben. Das heißt, sich immer wieder zu fragen: Schaffe ich einen Raum mit echter Mitsprache? Eine bloße Einladung zur Teilnahme reicht dabei nicht aus. Es braucht die von Anja Piontek (2017) beschriebene "bidirektionale Beziehung", "wo alle Beteiligten voneinander lernen können". Um Räume für Teilhabe zu gestalten, brauchen wir die Bereitschaft, die eigene privilegierte Position zu hinterfragen und institutionelle Praktiken zu überdenken und eine strukturelle Verankerung von Gleichwertigkeit als kontinuierlichen Prozess anzustoßen. Eine kulturelle Institution beweist ihr ernsthaftes Engagement und dadurch ihre Glaubwürdigkeit nicht durch wohlklingende Erklärungen zu ihrer Haltung auf der Website, sondern durch konkrete Entscheidungen in der täglichen Museumsarbeit, die für und mit externen Partner*innen sichtbar werden. Die Gestaltung von Teilhaberäumen bleibt ein Prozess der ständigen Neuaushandlung von Macht und Wissen. Dieser Prozess kann unbequem sein, aber er ist notwendig, wenn wir als öffentliches Museum unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollen und auch vorleben. Wenn wir als Museumsmitarbeiter*innen vor Kindern und Jugendlichen stehen, die uns überhaupt nicht kennen und auf einmal mehrere Stunden im Museum verbringen.

Lisa: Darüber hinaus heißt eine beteiligungsfreundliche Haltung (Grebe 2023:33f.) nicht, dass wir uns als Museum ein Konzept ausdenken, und Externe und Teilnehmende dies lediglich umsetzen. Insgesamt ist es wichtig, dass alle Beteiligten – sowohl Erwachsene als auch Kinder und Jugendliche – in einem kontinuierlichen Dialog stehen. Nur so können Missverständnisse ausgeräumt und eine gemeinsame Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit geschaffen werden. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnisse aller Akteur*innen ist entscheidend für eine echte Partizipation, die nicht nur ein technisches Verfahren ist, sondern ein lebendiger Prozess, der alle gleichberechtigt einbezieht.

Sophie: Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung ist dabei für unsere Arbeit fundamental. Die strukturellen Bedingungen innerhalb der beteiligten Institutionen bestimmen maßgeblich, ob partizipative Ansätze wirklich greifen können. Während hierarchische Strukturen Entscheidungsprozesse verlangsamen und gleichberechtigte Kommunikation erschweren, ermöglichen diversitätssensible Organisationsstrukturen einen Dialog auf Augenhöhe. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat diesen Prozess 2016 offiziell begonnen und wurde 2022 als eine von fünf Einrichtungen für die Pilotphase einer Diversitätsoffensive in landesgeförderten Kultureinrichtungen ausgewählt.

Eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung und die “4 Ps” - Publikum, Programm, Personal und Partnerschaften (vgl. RAA) erfordern, Spannungsfelder offen zu benennen und die eigene institutionelle Praxis kontinuierlich zu reflektieren. Die Einbindung verschiedener Perspektiven, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, wird erst nachhaltig wirksam, wenn die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur in Einzelprojekten verbleiben, sondern die gesamte Organisation in einen transformativen Lernprozess führen, der die strukturellen Voraussetzungen für echte Partizipation schafft. Da ist es besonders wichtig bedarfsorientiert auch unserer Partner*innen gegenüber zu arbeiten, da wir alle per se strukturell anders agieren können und auch müssen.

Nai Wen: Diese strukturellen Unterschiede betreffen nicht nur Kulturinstitutionen wie das Museum, sondern auch unsere anderen Partner*innen aus dem sozialen Bereich, wie Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete oder Stadtteilzentren. Dort sind die Entscheidungswege oft kürzer, da die Arbeit viel stärker an den akuten Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist. Während Museen und andere Kulturinstitutionen langfristige Konzepte und Strukturen entwickeln, müssen soziale Einrichtungen oft spontan auf aktuelle Herausforderungen reagieren.

Ein anderer Punkt ist, dass wir nicht so einfach und mal eben zu euch ins Museum kommen können. Die Situation, in einer Unterkunft in einem fremden Land zu sein, ist für die Menschen neu, und Kulturorte sind für unsere Teilnehmenden erstmal kein selbstverständliches Thema. Menschen, die ausgebombt und gefoltert wurden, brauchen Zeit, um anzukommen und Vertrauen finden zu können. Wir müssen bei den Kindern und auch ihren Eltern zuerst eine Vertrauensbasis aufbauen, bevor wir mit ihnen den relativ weiten Weg zum Museum antreten können.

Dieses behutsame Kennenlernen und die Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedarfe sind ein zentraler Aspekt für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Natürlich können wir aus vorherigen Projekten bereits Erfahrungen mitnehmen, die uns dabei helfen, diese Prozesse besser zu gestalten. Aber erst, wenn die Umstände und ein für alle Organisationen möglicher Rahmen geklärt sind, können wir konkret in die Umsetzung gehen. Es bleibt essenziell, im Machen und situativ auf die aktuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen und diese zu berücksichtigen. Die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder sind genauso wichtig wie die strukturellen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, um solche Projekte überhaupt möglich zu machen. Deshalb entwickeln wir zu Beginn der jeweiligen Projektphase mit den Kindern eine Art Gemeinschaftsvereinbarung, um uns darauf zu einigen, wie wir eine gute Zeit miteinander verbringen wollen.

Sophie: Solche Gemeinschaftsvereinbarungen sind ein guter Ausgangspunkt, um eine vertrauensvolle und respektvolle Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Wenn Erwachsene dazu neigen, den Prozess stark zu kontrollieren oder vorgegebene Rahmenbedingungen starr einzuhalten, kann dies die Kreativität und Eigenverantwortung der jungen Teilnehmenden einschränken. Umgekehrt können flexible Ansätze, die Raum für eigene Ideen lassen, das Engagement fördern und den jungen Menschen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit vermitteln. Es ist uns sehr wichtig dabei, eine unterstützende Haltung zu pflegen.

Der Weg von Young Mind Lab

Projektentwicklung durch Sisyphos, der Flugelefant vor der Kooperation mit dem Stadtmuseum Berlin:

  1. 2016: Gründung von Young Mind Lab im Rahmen des Modellprojekts ZUsammenKUNFTIn einem Gebäude mit einer Erstaufnahmeunterkunft arbeiteten Kunst- und Kulturschaffende mit geflüchteten Neu-Berliner*innen zusammen und erprobten gemeinsames künstlerisches Arbeiten.
  2. 2016–2019: Entwicklung thematischer Projekte innerhalb von Young Mind Lab:
    1. 2016: Glück im Spiel Theater und spielerische Methoden zur Reflexion über Glück.
    2. 2017: Ich habe einen Traum – eine visuelle und musikalische Auseinandersetzung mit Zukunftswünschen und Träumen.
    3. 2017: Die Reise nach Glückshausen
    4. 2018/19: Feel A Little… – Ausdruck von Gefühlen und Storytelling.
  3. 2019: Abschlusspräsentation von Feel A Little… – Partizipatives Theaterprojekt Mein Berlin, in dem Teilnehmende ihre eigene Definition von „sich zuhause fühlen“ künstlerisch erforschten und eine installative und performative Parcours im FELD - Theater für junges Publikum umsetzten.
  4. 2019: Young Mind Lab: Hier – Das letzte Projekt innerhalb von ZUsammenKUNFT. Kinder und Jugendliche erforschten ihren neuen Lebensraum, beschäftigten sich spielerisch mit ihrem „Hier und Jetzt“ und wurden an Kulturorte herangeführt, um langfristig einen eigenen Zugang dazu zu entwickeln.
  5. 2019: Beginn der Kooperation mit dem Stadtmuseum Berlin – Aus der Erfahrung mit Hier entstand die Idee einer Zusammenarbeit. Eine Führung im Märkischen Museum zeigte, dass es an Methoden fehlte, um auf die Bedarfe geflüchteter Kinder einzugehen. Dies legte den Grundstein für eine kooperative Weiterentwicklung von Vermittlungsformaten:
  6. 2020/21: Young Mind Lab: Performing Berlin – Geplant mit vier Gemeinschaftsunterkünften und dem Stadtmuseum Berlin, musste durch die Pandemie umgestaltet werden. Dies führte zur Zusammenarbeit mit dem Stadtteilzentrum Pankow und stärkte das Netzwerk um einen weiteren wichtigen Akteur. Statt einer Präsentation im Museum fand die Abschlusspräsentation in einer Gemeinschaftsunterkunft statt.
  7. 2022: Young Mind Lab: Was wäre, wenn… – Entwicklung von Zukunftsvisionen der teilnehmenden Kinder. Weiterführung kreativer Methoden wie die Arbeit mit Ausstellungsboxen. Mit Unterstützung neuer Fördermittel konnten schließlich sowohl die Ergebnisse der vorherigen Projekts als auch ein Schattenspiel aus dem laufenden Projekt im Märkischen Museum präsentiert werden. Dadurch kamen Kinder aus beiden Projekten zusammen.
  8. 2023: UN Lab Berlin – Ein Kooperationsprojekt mit United Networks gUG, das den Austausch zwischen rassifizierten und/oder migrantisierten Künstler*innen, Kindern und Jugendlichen aus Gemeinschaftsunterkünften sowie Mitarbeiter*innen kooperierender Einrichtungen fördert. Ziel war die Entwicklung eines zielgruppenorientierten Kulturprogramms an der Schnittstelle von kultureller Bildung, sozialer Arbeit und Kunst. Vier eingeladene Künstler*innen erprobten künstlerisch-edukative Ansätze im praktischen Austausch.
  9. 2024/25: Young Mind Lab: Die Kunst der Zeit – eine kreative Entdeckungstour durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschiedener Orte und Charaktere, real und fiktiv.

Teilhabe durch persönliche Beziehung: Macht neu verteilen

Sophie: Wie können Museen Zugänge schaffen und damit Teilhabe ermöglichen, ohne über die Köpfe junger Menschen hinweg zu entscheiden?

Nai Wen: Ein schönes Beispiel dafür, wie Zugänge gemeinsam mit jungen Menschen entstehen können, war unsere erste Zusammenarbeit "Performing Berlin" rund um die Figur des Flugelefanten während der Pandemie. Was uns mit den Kindern verbindet, ist die Begeisterung für Geschichten – sowohl sie zu hören als auch selbst welche zu erfinden. Diese geteilte Freude wurde zum Ausgangspunkt.

Gemeinsam stellten wir uns vor: In der Lockdown-Zeit kam der Flugelefant zu Besuch nach Berlin. Doch die Stadt war plötzlich still und menschenleer. Was hat er erlebt? Wen hat er getroffen? Die Fantasie der Kinder sprudelte. Als der Museumsbesuch mit wenigen Kindern wieder möglich war, griffen wir die Geschichte auf und machten daraus ein Abenteuer-Spiel: Wir verfolgten die Spuren des Flugelefanten zum Märkischen Museum und in den benachbarten Köllnischen Park. So wurden das Museum und Figuren im Außenraum Teil dieser Erzählung – lebendig und neu entdeckt durch die Fantasie der Kinder. Solche Formate zeigen, dass Zugänge nicht dadurch entstehen, dass Wissen „vermittelt“ wird, sondern indem wir einen gemeinsamen Raum für Fantasie und Mitgestaltung öffnen. Die Kinder wurden nicht an ein fertiges Programm herangeführt, sondern ihre Interessen und ihre Lust am Geschichten erfinden bestimmten den Weg. Das Museum war nicht Kulisse, sondern wurde durch seine Perspektive zum Spiel- und Erzählraum. So entsteht ein Zugang, der auf Beziehung, Begegnung und aktiver Teilhabe basiert und nicht auf Vorgaben von außen.

Lisa: Vor jedem Museumsbesuch haben wir telefoniert, um Methoden und Inhalte auf die Bedürfnisse der Kinder abzustimmen. Die Wissensvermittlung zu den Objekten stand dabei nicht im Vordergrund, sondern wie wir Inhalte über die deutsche Sprache hinaus und mit anderen Methoden vermitteln können. Wir stellten uns immer die Frage, welche Aspekte für die Erzählungen der Kinder interessant sein könnten. Es ging darum, den Kindern einen Raum zu bieten, indem sie die Objekte und „Schätze“ entdecken und selbst wählen konnten. Das war eine spannende Erfahrung: Der Raum und die Objekte wurden ganz anders genutzt – nicht als Raum für reine Wissensvermittlung, sondern als Spielfläche und Erzählraum. Wir haben gemerkt, wie wichtig es ist, flexibel zu bleiben und den Kindern wirklich die Möglichkeit zu geben, selbst zu entscheiden, was sie entdecken wollen. Die Objekte wurden durch die Fantasie der Kinder verwandelt und neu gelesen.

Gerade dieses performative Moment hat den Zugang geöffnet: Die Kinder sind nicht durch unsere Erklärungen ans Museum herangeführt worden, sondern durch ihre eigenen Geschichten. Dadurch entstanden Beziehung – zum Ort, zu den Dingen und zu uns als Team.

Nai Wen: Aus dieser Beziehung heraus konnten wir dann auch ganz andere Fragen, die nicht einfach auf Wissen zielten, sondern die Kinder als Expert*innen ihrer eigenen Welt ernst nahmen: Wie sieht deine Welt heute aus, und wie wird sie 100 Jahre später aussehen? Besonders spannend war zu erleben, wie sie ihre eigenen Welten darstellten und dabei Elemente aus Vergangenheit und Zukunft miteinander verwoben – angeregt von dem, was sie im Museum gesehen hatten, und dem, was sie selbst in sich trugen.

Dabei wurde deutlich, wie sehr die Unsicherheit ihrer Gegenwart ihre Vorstellungen von der Zukunft prägte – und nicht alles, was sie entwarfen, war hoffnungsvoll. Es war teils schmerzhaft zu erleben, wie düster einige ihre Zukunft sahen. Gleichzeitig spürten wir, wie wichtig es war, auch diesen Gefühlen Raum zu geben. Nicht alles musste schön oder optimistisch sein – es ging darum, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem auch Sorgen und Ängste Platz haben dürfen.

Sophie: Es hat uns eindrücklich gezeigt, wenn wir jungen Menschen Raum geben, ihre Gedanken und Ideen zu teilen, schaffen wir nicht nur einen kreativen, sondern auch einen Raum zum Aufarbeiten ihrer Geschichten - auch wenn erstmal nur punktuell. Es kann nachwirken. Zu oft wird jungen Menschen in institutionellen Kontexten ihre eigene Perspektive genommen. Wie Manfred Liebel und Philip Meade (2023) betonen, werden Kinder oft daran gehindert, aktiv mitzugestalten. Oder die Ergebnisse von Workshops als Freizeit-Bastelei abgestempelt. Flexibilität und offene Strukturen hingegen fördern ihr Engagement und ihre Selbstwirksamkeit.

Und genau hier kommt Adultismus ins Spiel. Wenn wir die institutionellen Machtverhältnisse hinterfragen und konkrete Handlungsmöglichkeiten anbieten, wie es ManuEla Ritz (2024) fordert, können wir sicherstellen, dass junge Menschen nicht nur gehört werden, sondern Mitgestaltungsmöglichkeiten aktiv nutzen können. Das gilt besonders für vulnerable Gruppen. Statt über ihre Lebensrealitäten hinweg zu entscheiden, müssen wir mit ihnen zusammenarbeiten und ihnen wirksame  Entscheidungsräume bieten. So entsteht ein Raum, der auf nachhaltigem Vertrauen und ehrlichen Beziehungen basiert. Denn ein wesentlicher Bestandteil von Outreach ist Beziehungsarbeit. Und das erleben wir direkt, wenn wir die Kinder und Jugendlichen wiedersehen und über die Zeit mit uns gerne erzählen.

Lisa: Für mich war es wichtig, zu einem frühen Zeitpunkt des Projekts die Umgebung der Kinder kennenzulernen und den Kontext der Institution zu verlassen. Der Projektabschluss in der Unterkunft in Marienfelde hat mir gezeigt, wie wichtig es den Kindern ist, ihre Geschichten selbst vorzutragen und ihnen dafür auch den Raum im Museum zu geben. Dabei ist nicht nur der Raum entscheidend, sondern den Kindern auch im Museum die Hoheit über den Erzählprozess und ihre Geschichten zu überlassen.

Nai Wen: Wir haben auch Kinder und ihre Familien aus vorherigen Projekten ins Museum eingeladen. Die Geschichten der Kinder haben wir in einer gemeinsamen Textarbeit schriftlich festgehalten. Vor den Familien und dem Publikum wollten sie diese unbedingt auf Deutsch präsentieren. Aber es ging nicht nur um die deutsche Sprache. In der Ausstellung, wo sie ihre Arbeiten zeigten, kamen auch ihre Erzählungen in ihren Muttersprachen, sowohl in Ton als auch in Schrift, zur Geltung. So erlebten wir, wie der Ausstellungsraum durch Mehrsprachigkeit verändert wurde. Die Besucher*innen, die dort waren, konnten plötzlich auf eine ganz andere Art und Weise verstehen, hören und zuhören – der Raum und das Erlebnis selbst wurden dadurch noch vielfältiger und reicher.

Lisa: Kulturelle Mitgestaltung und Empowerment junger Menschen erfordern eine Abgabe von Kontrolle und Deutungshoheit seitens der Institutionen, auch in der (An)Sprache. Dies beinhaltet die Übergabe von Räumen und die Schaffung von Sichtbarkeit für die Teilnehmenden und deren Ergebnisse. Durch diese Räume und Möglichkeiten der Präsentation wird die Wertschätzung für die Leistung der Kinder sichtbar. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Willkommenskultur im Museum. Die akademische Atmosphäre aufzubrechen und eine entspannte und einladende Umgebung zu schaffen, ist immer noch eine Herausforderung. Als Erste in der Familie, die an die Universität ging, weiß ich, wie einschüchternd solche Orte sein können, wenn man sich dort nicht zugehörig fühlt. Die Frage, ob ich "richtig" bin oder ob ich die Regeln kenne, hat mich begleitet. Genau deshalb ist es entscheidend, dass Museen und Kulturinstitutionen Räume schaffen, in denen sich alle Menschen willkommen fühlen und ihre Perspektiven zählen.

Nai Wen: Im Kern ging es immer darum: Wie können wir Verbindungen schaffen, mit all unseren Unterschieden? Wie können wir uns, unabhängig von den verschiedenen Kulturen, die jede Person von uns mitbringt, verbunden fühlen?

Dabei spielt das gesamte Museumspersonal eine wichtige Rolle, von den Kurator*innen bis hin zum Aufsichtspersonal, das ja für die Besucher*innen den ersten Eindruck prägt. Wenn das Personal umfassend in die Vermittlungskonzepte eingebunden wird, entsteht eine gemeinsame Grundlage: Einerseits können sie ihre eigenen Erfahrungen und Perspektiven einbringen, andererseits verstehen sie, wofür ein Konzept gedacht ist und wie sie es aktiv unterstützen können.

Wir setzen bei unseren Projekten bewusst auf Methoden, die ohne gemeinsame Sprache auskommen, wie gemeinsames Spielen, Gestalten oder performative Ansätze. Diese Aktivitäten eröffnen eine Ebene der Verständigung, auf der Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern als Bereicherung erlebt wird. Es wäre großartig, wenn dieser Ansatz auch von den Mitarbeitenden im Museum angewandt würde – so könnte das ganze Museum als ein Ort des gemeinsamen Lernens und Verstehens wachsen.

Machtkritische Zusammenarbeit auf vielen Ebenen

Lisa: In unserer Evaluation ist sehr deutlich geworden, dass unsere Zusammenarbeit ein Prozess ist, den wir situativ bedarfsorientiert gestalten müssen. Es ist ein wichtiges Ziel für uns, dass alle Beteiligten gleichberechtigt behandelt werden und sich wohlfühlen.

Nai Wen: Gleichberechtigung ist unter ungleichen Voraussetzungen schwer herzustellen. Wir als freie Gruppe gehen bereits mit der Antragstellung in Vorleistung, ohne dafür honoriert zu werden. Unsere Arbeit wird erst nach erfolgreichem Antrag für die Workshops bezahlt – nicht für den Aufbau und die Pflege der notwendigen Strukturen, zu denen auch die Antragstellung gehört.

Außerdem haben die Teilnehmenden, insbesondere Kinder aus Gemeinschaftsunterkünften, ganz andere Voraussetzungen. Ihre Teilnahme hängt oft von Kinderbetreuung oder der Überwindung von Sprachbarrieren ab, was einen hohen Koordinationsaufwand bedeutet. Der organisatorische Teil unserer Arbeit wird jedoch nicht ausreichend gefördert, sodass wir viel ehrenamtlich leisten.

Wir müssen zudem große Flexibilität und eine Bandbreite an Angeboten bereitstellen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. In einigen Fällen bedeutet das sogar, selbst Kinderbetreuung anzubieten. Der Umgang mit traumatischen Erfahrungen erfordert eine qualifizierte Supervision, die jedoch aufgrund unserer bestehenden Kapazitäten und der derzeitigen Projektförderung nicht finanziert werden kann.

Die Machtungleichheit bleibt ein Thema: Institutionen verfügen über Ressourcen, die uns fehlen – sowohl finanziell als auch strukturell. Auch wenn wir flexibel sind und schnell auf Veränderungen reagieren können, sind wir als nicht strukturell geförderte Gruppe stets auf uns selbst angewiesen. Diese Unsicherheit betrifft nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Förderrichtlinien, die nicht immer mit unserer Arbeitsrealität übereinstimmen.

Lisa: Hinzu kommt, dass alle Partner*innen unterschiedliche Erwartungen und Vorstellungen von Beteiligung und deren Ergebnissen haben. Als Institution müssen wir hinterfragen, wie wir die benötigten Strukturen für Beteiligung aufbauen und bestehende Strukturen verändern können, um Kulturelle Teilhabe und Mitgestaltung wirklich ermöglichen zu können. Oft werden erst durch die konkrete Zusammenarbeit die unterschiedlichen Auffassungen und Positionen sichtbar. Nur wenn die bisherigen Normen und Grundsätze in Frage gestellt werden, kann eine diskriminierungssensible Zusammenarbeit stattfinden. Das bedeutet, dass die Gesamtstruktur diskriminierungssensibel gestaltet werden muss. Öffnungsprozesse funktionieren nicht darüber, dass einzelne Inhalte oder Räume zusätzlich ergänzt werden (Ziese 2017).

Nai Wen: Reale Gleichberechtigung ist bei einer klaren strukturellen Ungleichheit zwar nicht zu erreichen, aber wenn sich alle Beteiligten der bestehenden Ungleichheiten bewusst sind, können wir trotzdem auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Es geht darum, vorab zu klären, welche Voraussetzungen eine möglichst gleichberechtigte Zusammenarbeit erfordert. Dabei treffen Akteur*innen mit unterschiedlichen Kontexten und Strukturen aufeinander – das muss mitgedacht werden. Ein Beispiel dafür ist die Diskrepanz zwischen der langfristigen Planung von Institutionen und den schnellen Veränderungen in den Gemeinschaftsunterkünften. Wir befinden uns immer in einer vermittelnden Rolle, und in unserer Programmgestaltung wollen wir all diese Faktoren berücksichtigen. Dabei orientieren wir uns an den Bedürfnissen der Teilnehmenden, die sich von Mal zu Mal verändern können.

Sophie: Einer meiner grundlegenden Arbeitsprinzipien ist Sichtbarmachung. Das habe ich aus den semiologischen Ansätzen von Silke Wenk und Sigrid Schade (2011) gelernt. Sie stellen Fragen wie: Wer wird von wem, wie für wen sichtbar gemacht, und wer nicht? Was gibt mir das Museum zu sehen, was nicht? Hier lässt sich auch wieder auf Spivak (2008) rekurrieren, es gilt zu reflektieren, dass die Museen nicht nur Objekte und Narrative "darstellen", sondern auch implizit beanspruchen, bestimmte Gemeinschaften zu "vertreten". Ich frage mich daher auch immer, von wo aus ich spreche und in welche Machträume ich einlade, auch architektonisch. Es macht einen Unterschied, ob partizipative Programme im Museum Nikolaikirche oder in BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum gestaltet werden, da diese Räume jeweils diskursiv unterschiedlich besetzt sind und von der Stadtgesellschaft sehr unterschiedlich wahrgenommen werden und erfahrbar sind.

In einem nächsten Schritt überlege ich, wie ich Beteiligungsprojekte mit bereits vorhandenen Ressourcen so skalieren kann, dass wir nachhaltig zusammenarbeiten. Das heißt, hier wieder zu schauen, welche Räume der Sichtbarkeit ich anbieten kann: digitale, diskursive, physische, programmatische … Ein sehr wirksames Tool dafür ist eine Einbindung in ein offizielles Programm wie den Museumssonntag (vgl. Kasten). Dadurch konnte ich bereits vorhandenes Budget und Mittel für Kommunikation nutzen und Nachhaltigkeit herstellen. Dafür zeigt sich hier auch, dass eine Umverteilung von Entscheidungsmacht (Liebel/Meade, 2023) notwendig ist. Es geht darum, Co-Creation mit den Betroffenen in der Programmgestaltung zu ermöglichen, was auch in der Studie „Flucht-Diversität-Kulturelle Bildung“ (Frieters-Reermann/Gerards 2022) gefordert wird.

Mir ist es wichtig, allen Beteiligten – besonders bei jungen Menschen – authentisch und menschlich zu begegnen. Deshalb bin ich stets transparent darüber, was ich im Rahmen meiner Position ermöglichen kann und wo die Grenzen liegen. Oft werden Kinder und Jugendliche durch defizitorientierte Narrative als passive Empfänger*innen behandelt. In unserem Projekt haben wir bewusst versucht, diese Hürden zu überwinden, indem wir die Kinder als Expert*innen ihrer eigenen Welt ernst nahmen. Wenn ich Möglichkeiten der Skalierung von Projekten ermöglichen kann, beweise ich mein echtes Interesse. Und ich frage immer vorab: Das kann ich euch anbieten, was können wir daraus machen.

Museumssonntag

Der Museumssonntag in Berlin bot eine hervorragende Plattform für interaktive Projekte wie das "Young Mind Lab: Was wäre, wenn…", das 2022 durchgeführt wurde. An diesem Tag, der jeden ersten Sonntag im Monat stattfindet, können Besucher*innen kostenlos in 72 teilnehmenden Museen die Vielfalt der Berliner Kulturszene erleben. Diese Veranstaltung ist besonders geeignet für Familien und Kinder, da sie spezielle Angebote bereithält, die junge Menschen als aktive Akteur*innen einbeziehen. Gerade Projekte wie das "Young Mind Lab" profitieren von dieser Atmosphäre, da sie es ermöglichen, dass Kinder mit Besucher*innen in Interaktion treten und so einen lebendigen Austausch fördern. Der Museumssonntag wurde vom Berliner Senat für 2025 abgeschafft.

Nai Wen: Transparenz ist für uns ein sehr wichtiger Punkt. Einerseits möchten wir als freie Projektpartner*innen die Herausforderungen und Grenzen von Institutionen nachvollziehen können. Andererseits ist es ebenso wichtig, das Vertrauen zu spüren, das es ermöglicht, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die über bestehende Grenzen hinausgehen.

Lisa: Es ist wichtig, dass wir als Mitarbeitende einer großen Institution die Menschen und ihre Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren. Und wir müssen auch bei allem, was wir tun, unsere eigenen Bedürfnisse und Perspektiven als Menschen einbringen. Was bedeutet das Vorhaben konkret? Welche Unterstützung benötigen wir als Mitarbeitende, um die Institution nach außen vertreten zu können?

Sophie: Genau, die Menschen, die zu uns kommen, haben ihre jeweiligen spezifischen Bedürfnisse. Und als Museumsmitarbeiter*innen bringen auch wir unsere Möglichkeiten und Bedürfnisse mit an den Tisch. Transparenz ist dabei die Grundlage, um mit Partner*innen, nachhaltig arbeiten zu können. Es geht ja darum, die sehr konkrete Frage zu beantworten: Wie kommen wir zusammen? Sowohl menschlich als auch in Arbeitsprozessen, Entscheidungsfindungen und Problemklärungen.

Ich habe mit SdF miterlebt, mit welchem Engagement, welcher Ernsthaftigkeit und Freude ihr mit den Kindern zusammenarbeitet. Ihr habt dadurch in sehr kurzer Zeit ein tiefes Vertrauen zu den Kindern aufgebaut. Das ist sehr wertvoll: Mit Vertrauen und Neugier lässt sich Raum für Empowerment und Kreativität schaffen. Ich habe zudem miterlebt, wie die Kinder, die noch nie in einem Museum waren, sich diesen sehr strikten Ort selbstverständlich angeeignet haben. Das hat mich überrascht.

Das Museum als Raum für Selbstausdruck und Empowerment ist meines Erachtens erst möglich, wenn die Teilnehmenden wiederkommen und gerne wiederkommen. Die Familien einiger Kinder hatten sich die Zeit genommen, während des Ramadans mehrere Stunden im Museum am Museumssonntag zu verbringen, weil die Kids ja so begeistert davon waren, ihre Geschichten  zu erzählen - auch die düsteren. Wenn wir es zusammen schaffen, dass sie auch ihre Familien mitbringen, dann können wir kulturelle Teilhabe auch wirksam nachhaltig ermöglichen. Und das heißt auch, Menschen, die diese Räume wie das Museum nicht kennen - auch nicht erst ausbremsen: ja, du darfst da sein, aber unter diesen und jenen unseren Bedingungen. Museen brauchen Demut.

Ich arbeite mit dem Ansatz, dass kulturelle Teilhabe ein Menschenrecht ist und direkt mit der Nicht-Reproduzierung von Diskriminierungen zusammenhängt (Rudolf 2017). Wenn Räume Menschen und ihre Gemeinschaften ausschließen, werden diese nicht wahrgenommen. Warum sollten Menschen öffentliche Einrichtungen wie Museen nutzen, die sie über Jahrhunderte marginalisiert haben und ihnen folglich Schmerzen zufügen? Öffentliche Räume wie Museen müssen daher ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität unter Beweis stellen.

Herausforderungen und Ansätze für die Zukunft

Lisa: In dieser Zeit der Kürzungen und Unsicherheiten ist es wichtig, sich als Institution weiter zu hinterfragen, wie zugänglich und lebensnah wir sind und für wen wir Ausstellungen und Programme machen. Ich sehe es als Antrieb, Museumsarbeit mit Blick auf Publikumsorientierung weiterzuentwickeln. Dieses Ziel ist nur mit starken Bündnissen umsetzbar. Wir müssen uns fragen: Wie können wir unterstützend füreinander da sein und uns nicht gegenseitig unter Druck setzen? Die aktuelle Situation macht deutlich, wie wichtig es ist, dass solche Bündnisse nicht nur gebildet, sondern auch gestärkt und langfristig ausgebaut werden müssen. Um Teilhabe zu ermöglichen, braucht es Ressourcen, die jedoch in hohen Maßen von politischen Entscheidungen und Priorisierungen abhängen.

Nai Wen: Deswegen muss Kultur als Teil der sozialen Infrastruktur gedacht werden – nicht als „etwas Zusätzliches“. Es geht nicht nur darum, Kunst zu schaffen, sondern ein gesellschaftliches Bewusstsein zu fördern, das Kunst und Kultur als wichtigen Teil ihrer Identität erlebt und begreift.

Wenn wir also wirklich die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Menschen in unseren Fokus stellen wollen, müssen wir auch die Art und Weise, wie wir Kulturinstitutionen gestalten, verändern. Nachbarschaftszentren zeigen, wie es anders geht: Sie erreichen Menschen, die Kulturinstitutionen oft nicht erreichen, öffnen ihre Türen für freie Kunstschaffende und schaffen Begegnungsräume mit niedrigschwelligem Zugang. Warum gelingt das dort besser, als in Museen oder anderen Kulturorten? Das zeigt, dass Kulturorte anders gestaltet werden müssen – als offene Begegnungsorte, in denen nicht nur präsentiert, sondern auch gearbeitet, vernetzt und gemeinsam gestaltet wird.

Dieses Umdenken muss sich auf allen Ebenen vollziehen – von der Politik über die Institutionen bis hin zu den Menschen, die Kunst schaffen oder konsumieren. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Zeit, Räume und langfristige Unterstützung. Nötig ist eine Förderung, die sowohl finanzielle Sicherheit schafft als auch die strukturellen Bedingungen verändert, damit soziale und kulturelle Arbeit nachhaltig wirken kann.

Wenn uns das gelingt, kann Kultur wirklich zu einem Katalysator für gesellschaftlichen Wandel werden – nicht nur in Kulturzentren, sondern im gesamten Stadtteil und darüber hinaus. Dieser lebendige, dynamische Prozess kann jede*n einbeziehen – ob Künstler*in, Teilnehmer*in oder Mitgestalter*in der Gemeinschaft. Das ist eine Vision, die uns als Gesellschaft voranbringen kann.

Sophie: Es gilt für mich verstärkt, Angebote zu schaffen, die junge Menschen dazu befähigen, über die Zukunft nachzudenken, alternative Szenarien für Kultur, Gesellschaft und ihre eigene Lebenswelt zu entwerfen und diese gemeinschaftlich zu erproben. Weiterhin muss Museumsarbeit außerhalb des Tellerrandes gedacht und durchgeführt werden und beispielsweise Methoden aus den Ansätzen der Sozialen Innovation, wie beispielsweise wirkungsorientierte Modelle, adaptieren.

Die Zukunft kann nicht ohne junge Menschen gestaltet werden – sie sind ein integraler Bestandteil davon. Daher ist es essenziell zusammenzukommen und ihre Lebensrealitäten einzubeziehen und sichtbar zu machen. Das heißt auch, das Museum als ein Ort der Nachwuchsförderung zu denken.

Nach Ivana Scharf (2021) sollte sich jedes Museum kritisch mit seiner gesellschaftlichen Relevanz auseinandersetzen und reflektieren, welche Wirkungen es erzielen möchte. Dies erfordert die Einsicht, dass dies nicht allein zu bewältigen ist und eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven notwendig ist. Dabei ist es entscheidend, auch die Expertise von außen einzubeziehen und die Perspektiven von (Noch-)Nicht-Besucher*innen stets nachhaltig zu berücksichtigen, egal unter welchen Bedingungen wir arbeiten müssen.

Verwendete Literatur

  • Baitamani, Wael / Breidung, Julia / Bücken, Susanne / Frieters-Reermann, Norbert / Gerards, Marion / Meiers, Johanna (2020): „Fakt ist, dass geflüchtete Jugendliche kaum jemals die Chance haben ein Kunstprodukt zu erstellen“ – Kulturelle Bildung für junge Menschen mit Fluchterfahrung im Fokus einer rassismuskritisch positionierten Diskursanalyse: In: Timm, Susanne / Costa, Jana / Kühn, Claudia / Scheunpflug, Annette (Hrsg.): Kulturelle Bildung. Theoretische Perspektiven, methodologische Herausforderungen und empirische Befunde (196-211). Münster: Waxmann.
  • Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (DUK) (Hrsg.): Kulturelle Bildung für Alle. Von Lissabon 2006 nach Seoul 2010 (2008). Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission.
  • Frieters-Reermann, Norbert / Gerards, Marion (2022): Kulturelle Bildung: macht- und rassismuskritisch befragt. Von der Diskursforschung zur Handlungsverantwortung. In: Kulturelle Bildung Online: https://www.kubi-online.de/artikel/kulturelle-bildung-macht-rassismuskritisch-befragt-diskursforschung-zur (letzter Zugriff am 04.04.2025).
  • Grebe, Anna (2023): Haltung und Macht im Kontext von Jugendbeteiligung. In: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung GmbH (Hrsg.): Gemeinsam entscheiden, gemeinsam gestalten. Alle Kinder und Jugendliche beteiligen! Handlungsempfehlung und Inspirationen für die Praxis. Berlin.
  • Lieber Manfred / Meade Philip (2023): Adultismus. Die Macht der Erwachsenen über die Kinder - Eine kritische Einführung. Berlin: Bertz+Fischer.
  • Piontek, Anja (2017): Museum und Partizipation: Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote. Edition Museum. Bielefeld: transcript.
  • Ritz, Manuela / Schwarz, Simbi (2024): Adultismus und kritisches Erwachsensein: Hinter (auf-)geschlossenen Türen. Münster: Unrast.
  • Rudolf, Beate (2017): Teilhabe als Menschenrecht – eine grundlegende Betrachtung. In: Diehl, Elke (Hrsg.) Teilhabe für alle ?! Lebensrealitäten zwischen. Diskriminierung und Partizipation (13-43). Bonn: bpb.
  • Schade, Sigrid / Wenk, Silke (2011): Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdiziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld: transcript.
  • Scharf, Ivana (2021): Zukunftsfähig mit Outreach. In: Mohr, Henning / Modarressi-Tehrani, Diana (Hrsg.): Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements (195-212). Bielefeld: transcript.
  • Schwarz, Katrin / Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg (o.J.): Audience Development. Dossier: https://kulturelle-teilhabe-bw.de/themen/dossiers/audience-development-3 (letzter Zugriff am 04.04.2025).
  • Spivak, Gayatri Chakravorty / Joskowicz, Alexander (2008): Can the subaltern speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien: Turia + Kant.
  • Ziese, Maren (2017): Visionen und Handlungsfelder für eine diskriminierungskritische Kulturszene. Wie konzipieren wir in Zukunft kulturelle Bildungsprojekte? In: Kulturelle Bildung Online: https://www.kubi-online.de/artikel/visionen-handlungsfelder-diskriminierungskritische-kulturszene-konzipieren-zukunft (letzter Zugriff am 14.03.2025).

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Chang Nai Wen, Sophie Eliot, Lisa Sarachman (2025): Gemeinsam (Museums-)Räume öffnen: Kulturelle Teilhabe bedarfsorientiert durch Kooperationen ermöglichen. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/gemeinsam-museums-raeume-oeffnen-kulturelle-teilhabe-bedarfsorientiert-durch-kooperationen (letzter Zugriff am 07.05.2025).

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