Gedenkstätten als kulturelle Lernorte – Gedenkstättenpädagogik mit ästhetisch-künstlerischen Mitteln
Gedenkstättenpädagogik ist historisch-politische Bildung an außerschulischen Lernorten. In ihrer inhaltlichen und methodischen Ausrichtung steht sie stets im Dialog mit ihrem Wirkungsort der jeweiligen Gedenkstätte. Dabei stellt der Lernort der konkreten Gedenkstätte einen beispielhaften historischen Ort, einen Erinnerungsort dar, der eingebettet ist in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang, dessen Bedeutung das Heute prägt. Gedenkstättenpädagogik weist eine methodisch-didaktische Nähe zu museumspädagogischen Konzepten auf (vgl. Klenk 2006:36/37).
In Deutschland entstanden Gedenkstätten vorwiegend an Erinnerungsorten an die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus und des DDR-Sozialismus, zum Gedenken an die Opfer von Krieg und an die deutsche Teilung. Gedenkstätten als bewusst gestaltete Lernorte befinden sich an den unterschiedlichsten historischen Orten, beispielsweise an Orten politischer Verfolgung wie der Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen oder der ehemaligen NS-Konzentrationslager, an Orten, die die politische Führung nutzte wie das Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin oder das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ebenso wie an ehemaligen Grenzübergängen zwischen DDR und BRD und in Gerichtsgebäuden.
Ziele der Gedenkstättenpädagogik
Zentrales Ziel historischen Lernens ist die Entwicklung und Förderung von Geschichtsbewusstsein und das meint einen komplexen Zusammenhang von gedeuteter Vergangenheit, wahrgenommener Gegenwart und erwarteter Zukunft. Geschichtsbewusstsein ist ein Faktor, der individuelle und kollektive Identität formt. Historisch-politische Bildung greift Geschichte als bewusstseins- und identitätsbildenden Inhalt auf, denn als Individuum und Kollektiv brauchen wir die Vergangenheit zur Konstruktion und Verankerung unserer Identität, zum Verstehen der Gegenwart und zur Ausbildung einer Vorstellung von Zukunft (vgl. Engelhardt 2000:31/32).
Für die Gedenkstättenpädagogik ist darüber hinaus die Frage bedeutend, welche transkulturellen, also kulturübergreifenden Verallgemeinerungen und welchen Gegenwartsbezug die historischen Themen an den Gedenk- und Lernorten ermöglichen. Uwe Bergmeier nennt als Beispiel dazu die Entwicklung einer Vorstellung davon, wie eigentlich ein staatliches System, ein Ordnungssystem für heutige Gesellschaften aussehen und wie Gesellschaft organisiert, gestaltet werden sollte (vgl. Bergmeier 2000).
Politisches, soziales Handeln und seine Folgen können an den Lernorten exemplarisch betrachtet, nach den eigenen ethischen Wertvorstellungen kann gefragt und das Bewusstsein für die notwendige eigene Partizipation bei der Gestaltung des Gemeinwesens geschärft werden. Allerdings wird seit längerem in Fachkreisen kontrovers diskutiert, ob Orte, an denen Menschenrechtsverletzungen praktiziert wurden, besonders geeignet sind für politische Bildung im Sinne von Demokratie- und Menschenrechtsbildung (vgl. Thimm/Kößler/Ulrich 2010:11,53ff.).
Bedeutung von Methoden Kultureller Bildung in der Gedenkstättenarbeit
Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand, in einer Situation, in der die Erlebnisgenerationen der historischen Ereignisse für ein direktes Gespräch immer weniger zur Verfügung stehen und die Geschichtsbilder der nachwachsenden Generationen zunehmend von Medienbildern geprägt werden, stellen sich für die Gedenkstättenpädagogik neue didaktische Herausforderungen. Welche Herangehensweisen, welche Methoden der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem DDR-Sozialismus sind für diese Zeit des „Übergangs vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis“ angemessen und sinnvoll, wie die vielzitierte Aleida Assmann (1999, 2004) die derzeitige Ausgangslage für Erinnerungs- und Bildungsarbeit beschreibt? (siehe Hermann Glaser „Erinnerungskultur und Denkmalpflege“).
Traditionell richtete sich historisch-politische Bildungsarbeit vielfach nur an einen kleinen Kreis von Zielgruppen, da sie geprägt war von wissenschaftlichen, also text-geprägten Diskursen, die mit einem möglichst genauen Schatz an historischen Fakten versuchen, die Geschichte zu rekonstruieren, zu interpretieren und die Ursachenanalyse voranzubringen (vgl. Bergmeier 2000). Diese Diskurse zu verstehen, fordert eine hohe Textkompetenz, was viele Zielgruppen ausschließt.
Zeitgemäße Gedenkstättenpädagogik fordert daher andere, nicht nur textbasierte methodische Zugangsweisen. Soziale und kulturelle Herkunft, Lebensstile, Berufsbiografie, kulturelle Alltagspraktiken und ästhetische Prägungen sind Ausgangspunkt methodischer Überlegungen ebenso wie die unterschiedlichen Kenntnisse, Erfahrungen, Lebenswelten der jeweiligen Zielgruppe (vgl. Dorner/Engelhardt 2006:2,8; Behrens/Ciupke/Reichling 2000:7). So halten in die historisch-politischen Bildungsarbeit an Gedenkstätten didaktische Konzepte verstärkt Einzug, die mit ästhetischer Praxis, mit Methoden der Kulturellen Bildung, beispielsweise mit Mitteln der Bildender Kunst, des Theaters, der Musik, Literatur und Medienpädagogik arbeiten. Sie stellen eine Erweiterung der text- und faktenorientierten Bildungsarbeit dar und richten daher ihren Fokus auch auf die Arbeit mit Zielgruppen, die mit den herkömmlichen Ansätzen schwer zu erreichen sind wie Kinder, sozial- und damit häufig bildungsschwache Jugendliche und Erwachsene, Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderungen. Zudem gehören handlungsorientierte, selbstgeleitete, selbsttätige Prozesse des Lernens zu den effektivsten und nachhaltigsten Lernformen, die Teilnehmende motivieren und Lernressourcen mobilisieren. Durch handlungsorientierte Methoden werden die Teilnehmenden selbst aktiv, sie spielen, stellen dar, entdecken, suchen Spuren, übernehmen Rollen, Geschichte wird dabei erlebbar. Sinnlich-haptische Elemente, Erkundungen, Inszenierungen versuchen alle Sinne und Erlebensdimensionen im kognitiven, emotionalen und körperlichen Bereich anzusprechen (vgl. Behrens/Ciupka/Reichling 2000:51) und fördern eine nachhaltige, mehrdimensionale Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen. Die Atmosphären der Lernorte und die Dimensionen des leiblichen Spürens fließen ebenso in die thematische Auseinandersetzung ein (vgl. Dorner/Engelhardt 2006:13f.).
Emotionale Entlastung durch Ausdruck
Gerade in der persönlichen Auseinandersetzung mit der NS- und DDR-Geschichte werden die Teilnehmenden von Bildungsangeboten mit einer Fülle von Emotionen konfrontiert, das unendliche Leid der Verfolgten und die Brutalität oder Kaltblütigkeit der TäterInnen wird als stark belastend empfunden. Auch Erzählungen aus der eigenen Familie, das Verhalten von Familienmitgliedern werfen Fragen auf, schaffen Verunsicherung. Die persönliche Beziehung zu Verwandten kann ins Wanken geraten, Klärung wird gesucht. Der Aspekt des Ausdrucks des emotionalen Berührtseins wird in der historisch-politischen Bildungsarbeit tendentiell immer noch vernachlässigt oder der Ausdruck vielfältiger, widersprüchlicher Gefühle, die in der Auseinandersetzung entstehen können, durch eine unterschwellige Forderung von PädagogInnen nach kollektiver Betroffenheit und Solidarität mit den Opfern behindert. Ästhetische und kulturelle Praxis gibt durch den Ausdruck und die Darstellung den emotionalen Aspekten der Auseinandersetzung Raum, kann dadurch Wesentliches zu Klärungsprozessen beitragen und Erleichterung schaffen. Bildungsangebote, die die emotionale Belastung in der Auseinandersetzung mit historischen und gegenwärtigen Menschenrechtsverletzungen berücksichtigen, ermöglichen also nachhaltiges Interesse an solchen Themen.