Funktionen der Kunst

Artikel-Metadaten

von Amrei Bahr

Erscheinungsjahr: 2013/2012

Stichwörter

Die Fragen, ob Kunstwerken Funktionen zukommen und, wenn ja, welche, stellen wichtige Fragen philosophischer Ästhetik dar. Insbesondere für die Analyse der Möglichkeiten Kultureller Bildung ist ihre Beantwortung von zentraler Bedeutung. Dazu gilt es zuerst, zu bestimmen, welche Phänomene sich überhaupt sinnvollerweise unter dem Begriff „Kunstfunktion“ subsumieren lassen.

Die Frage danach, was wir meinen, wenn wir von Kunstfunktionen sprechen, erfragt zweierlei: Erstens zielt sie darauf ab, zu bestimmen, was Funktionen eigentlich sind. Es ist jedoch nicht allgemein nach den Funktionen beliebiger Entitäten gefragt, son­dern speziell nach den Funktionen derjenigen Entitäten, die Vorkommnisse von Kunst sind. Damit ist aber zweitens zugleich die Kardinalfrage der philosophischen Ästhetik aufgeworfen, die Frage nämlich, deren Beantwortung die Bedingung der Möglichkeit darstellt, überhaupt philosophische Ästhetik zu betreiben (vgl. Koppe 1983:119): Was ist Kunst? In der kunstphilosophischen Diskussion ist nicht nur strittig, wie sich diese Frage nach dem Wesen der Kunst überzeugend beantworten lässt, sondern auch, ob eine Antwort darauf überhaupt möglich ist.

Kunstästhetische SkeptikerInnen (u.a. Weitz 1956/57; Kennick 1958; Lüdeking 1988) verneinen die Möglichkeit einer Definition des Kunstbegriffs, indem sie eine allen Kunstphänomenen gemeinsame Eigenschaft prinzipiell ausschließen. Der kunstästhetische Skeptizismus ruft jedoch schwerwiegende Einwände hervor (vgl. Schmücker 1998:84ff.), weshalb kunstästhetische EssentialistInnen an der Möglichkeit der Beantwortung der We­sensfrage festhalten und unterschiedliche Vorschläge machen, welche die aller Kunst gemein­same Eigenschaft sei (für eine Übersicht wichtiger Kunsttheorien vgl. Carroll 1999). Auch die Funktionslosigkeit der Kunst wird als kunstspezifische Eigenschaft vorgeschlagen (vgl. u.a. Heidegger 1960); die Behauptung, dass alle Kunst funktionslos sei, ist allerdings unhaltbar.

Tatsächlich lässt sich der Kunstbegriff sowohl deskriptiv, als auch evaluativ verwenden. Deskriptiv verwenden SprecherInnen den Kunstbegriff genau dann, wenn der von ihnen als Kunst bezeichnete Gegenstand gemäß einem weitreichenden intersubjektiven Konsens innerhalb ihrer Sprachgemeinschaft als Kunst gilt. Evaluativ wird der Kunstbegriff hingegen genau dann gebraucht, wenn Spreche­rInnen einen Gegenstand als Kunst bezeichnen, dessen Kunstcharakter in ihrer Sprachgemeinschaft nicht konsensuell anerkannt ist, um damit einem subjektiven Werturteil Ausdruck zu verleihen (vgl. Schmücker 1998:112ff.). Die Zielrichtung der Frage, was Kunstfunktionen eigentlich sind, tritt durch diese Bestimmung des Kunstbegriffs deutlicher hervor: Gefragt ist nach den Funktionen derjenigen Entitäten, die in einer gegebenen Kultur als Kunst aufgefasst werden.

Was genau jedoch behaupten wir, wenn wir einem Kunstphänomen eine Funktion zu­schreiben? Bestrebungen, den Funktionsbegriff zu bestimmen, finden sich gegenwärtig hauptsächlich in der Philosophie der Biologie (vgl. Krohs 2004). Diese Bestimmungen des Funktionsbegriffs sind jedoch im Hinblick auf Kunstfunktionen nur bedingt hilfreich: In der Philosophie der Biologie geht es um Funktionen biologischer Entitäten, nicht um Artefaktfunktionen. Da Kunstphänomene jedenfalls in einem weiten Sinn des Begriffs, der auch Performances, Happenings und Kunst­-Projekte umfasst, Artefakte sind, lässt sich die Analyse der Funktion biologischer Entitäten jedoch nicht ohne Weiteres auf die Analyse von Kunst­funktionen übertragen: Für Artefaktfunktionen ist die Abhängigkeit von Intentionen bewusst handelnder AkteurInnen charakteristisch, während Funktionen biologischer Entitäten von den Intentionen solcher AkteurInnen unabhängig sind. Funktionen von Artefakten können sowohl von den Intentionen ihrer UrheberInnen, als auch von den Intentionen der NutzerInnen bzw. RezipientInnen der Artefakte abhängig sein. Neben dem Vorliegen einer Intention muss eine Artefaktfunktion zudem faktisch erfüllt oder zumindest prinzipiell erfüllbar sein: Wenn ein Urheber oder ein Nutzer eines Artefakts dieses zu einem Zweck zu nutzen beabsichtigt, zu dem das Artefakt völlig ungeeignet ist, oder wenn die Nutzung des Artefakts zu einem solchen Zweck misslingt, würden wir nicht davon sprechen wollen, dass es eine Funktion des Artefakts sei, dem angestrebten Zweck zu dienen – obwohl die Intention eines bewussten Akteurs vorliegt.

Für die Bestimmung dessen, was Kunstfunktionen sind, lässt sich also Folgendes festhalten: Kunstwerke sind diejenigen Artefakte, über deren Kunststatus ein weitreichender intersubjektiver Konsens besteht. Ein Kunstwerk hat eine bestimmte Kunstfunktion genau dann, wenn entweder der Urheber bei der Erschaffung des Werkes oder ein Rezipient bei der Rezeption des Werkes diese Funktion intendiert und das Kunstwerk die Funktion tatsächlich erfüllt oder prinzipiell erfüllen könnte.

L'art pour l'art – die Doktrin von der Funktionslosigkeit der Kunst

Die Behauptung, dass Kunst Funktionen erfüllt bzw. erfüllen könnte, ist alles andere als unum­stritten: Besonders in der deutschsprachigen Kunstphilosophie des 20. Jh.s war die Auffassung, dass sich Kunst gerade durch ihre Funktionslosigkeit auszeichne, lange Zeit die opinio communis (vgl. Schmücker 2009:18). Vertreter dieser Auffassung sind unter anderem Heidegger (vgl. Hei­degger 1960), Luhmann (vgl. Luhmann 1999) und Adorno (vgl. Adorno 1973). Die Ablehnung jeglicher Funktionalität der Kunst verbindet sich dabei in der Regel mit der Berufung auf ihre Autonomie. Was genau mit dem Verweis auf die Autonomie der Kunst ausgesagt werden soll, bleibt jedoch oft unklar. Die These von der Autonomie der Kunst lässt sich zunächst im Hinblick auf den Gegenstand, über den sie eine Aussage treffen soll, auf zwei Arten verstehen: Zum einen kann es sich um eine These über Kunstwerke handeln, um die These nämlich, dass Kunstwerke autonom seien. Zum anderen kann es eine These über die Regeln sein, denen KünstlerInnen beim Schaffensprozess eines Kunstwerks verpflichtet sind bzw. sein sollten – in dieser Variante der Autonomiethese sind es die KünstlerInnen, deren Autonomie postuliert oder gefordert wird. Wird die Autonomie der Kunst im zweiten Sinne behauptet, beispielsweise, indem darauf verwiesen wird, dass der Künstler sich in seinem Schaffensprozess nicht (mehr) nach überlieferten Normen zu richten habe oder dass er von den Vorgaben seiner Auftraggeber unabhängig sei (vgl. Schmü­cker 2009:19), folgt daraus allerdings nicht zwangsläufig eine Autonomie des Kunstwerks. Die Behauptung, KünstlerInnen seien ihre eigenen GesetzgeberInnen (und auch die Forderung, sie sollten es sein), ist sowohl mit der grundsätzlichen Möglichkeit von Kunstfunktionen, als auch mit deren tatsächlichem Vorliegen ohne Weiteres vereinbar. Sind KünstlerInnen in ihrem Schaffen wirklich frei von äußeren Zwängen oder wird ihre diesbezügliche Freiheit geltend gemacht, wäre es im Gegenteil sogar naheliegend, anzunehmen, dass es ihnen auch freistünde, in ihrem Werk Funktionen anzulegen. KünstlerInnen könnten also ihre Werke auch etwa dazu bestimmen, der Kulturellen Bildung einer bestimmten sozialen Gruppe zu dienen. Diese Annahme wäre nur dann abwegig, wenn sich zeigen ließe, dass Funktionslosigkeit der Kunst wesentlich ist, d.h. wenn die These von der Autonomie der Kunstwerke zuträfe. Bezieht sich die Autonomiethese auf die Autonomie der KünstlerInnen, spielt sie also für die Beantwortung der Frage, ob es Kunstfunktionen gibt oder geben könnte, dagegen keine Rolle.

Wie verhält es sich aber mit der These, dass Kunstwerke autonom seien? Versteht man diese These als schwache These über die zufälligerweise gegebene Autonomie gegenwärtig vorliegender Kunstwerke, wäre es zumindest prinzipiell möglich, dass Kunstwerke Funktionen erfüllten – auch, wenn alle derzeit vorhandenen Kunstwerke jeglicher Funktionalität entbehrten. Fasst man die These dagegen als starke These auf, der zufolge Kunstwerke notwendigerweise autonom sind, schließen sich Kunststatus und Funktionalität eines Gegenstandes gegenseitig aus. Die Autonomiethese, die Kunstwerke zum Gegenstand hat, ist sowohl in ihrer schwachen, als auch in ihrer starken Lesart unplausibel, wenn es Kunstwerke gibt, die Funktionen aufweisen.

Über dieses deskriptive Verständnis hinaus lässt sich die These von der Autonomie der Kunst­werke auch in einer normativen Variante formulieren; diese Variante beinhaltet die Forderung, dass Kunst autonom und damit funktionslos sein sollte. Die Plausibilität der normativen Variante der Autonomiethese hängt nicht davon ab, ob es Kunstwerke gibt, die Funktionen erfüllen.

Die deskriptive These, Kunst entbehre jeglicher Funktionalität, ist im Hinblick auf unseren Umgang mit Kunst wenig überzeugend. Tatsächlich übernehmen Kunstphänomene in unse­rer lebensweltlichen Praxis ganz unterschiedliche Funktionen: Werke der bildenden Künste erfüllen oftmals eine dekorative Funktion; Musikstücke ermuntern zum Tanz; Kunstwerke verschiedener Art dienen ihren BesitzerInnen als Geldanlage; ein Gemälde kann eine infor­mative Funktion erfüllen, indem es Aufschluss über Kleidungsgewohnheiten oder andere spezifische Vorlieben vergangener Zeiten gibt. Zudem haben Kunstwerke auch eine die Kunst betreffende informative Funktion, denn ihre Rezeption kann das Verständnis der Eigenheiten bestimmter künstlerischer Stile, Epochen und Praktiken vertiefen.

Auch religiöse Funktionen von Kunst lassen sich kaum bestreiten: Insbesondere der europäischen Kunst kam in den ersten 1.000 Jahren ihrer Geschichte eine Vielzahl religiöser Funktionen zu (vgl. Busch 1987). Zudem erfüllen Kunstwerke bisweilen die Funktion von Statussymbolen (vgl. Ullrich 2000). Kunstwerke haben aber auch Funktionen für die Kunst­welt, indem Werke mit innovativen Sujets oder originellen Gestaltungsformen für weitere Entwicklungen innerhalb der Institution Kunst richtungsweisend sind (vgl. hierzu und zum Folgenden Schmücker 2009:20).

Für KünstlerInnen selbst können die eigenen Werke ebenfalls vielfältige Funktionen haben, unter anderem auch kommunikative Funktionen: So kann ein Künstler sein Werk als Medium zur Abgabe eines Statements nutzen. Oder der Künstler weist seinem Werk eine expressive Funktion zu, indem er darin seine Gefühle ausdrückt. Für RezipientInnen von Kunst kann ein Kunstwerk nicht nur emotive Funktionen haben (wie beispielsweise die Funktion, Freude hervorzurufen), sondern auch kognitive Funktionen erfüllen – was dies im Einzelnen heißt, wird im Folgenden noch zu klären sein.

Die wichtigste Kunstfunktion dürfte die Funktion sein, „eine bestimmte ästhetische Erfahrung hervorzurufen, die sich von der ästhetischen Erfahrung, die andere Sinnesdinge hervorrufen, in spezieller Weise unterscheidet. Man hat die spezifische ästhetische Erfahrung von Kunst zum Beispiel als eine ästhetische Erfahrung zu fassen gesucht, die in ein Verstehen einmünden kann und will, das niemals definitiv gelingt“ (ebd.:23), und die auf die Ermöglichung einer solchen Erfah­rung gerichtete Funktion als „kunstästhetische Funktion“ bezeichnet (Schmücker 2001:26). Weil die Funktion, eine solche ästhetische Erfahrung hervorzurufen, jedem Kunstwerk qua Kunstwerk zukommt, kann sie als eine konstitutive Funktion von Kunst gelten. Die genannten Beispiele verschiedener Arten von Kunstfunktionen belegen, dass die deskriptive Autonomiethese, die die empirische Funktionalität von Kunstwerken verneint, offenkundig unzutreffend ist.

Demgegenüber ist die normative Autonomiethese mit der Tatsache vereinbar, dass es Kunst­werke gibt, die Funktionen erfüllen. Wäre es also vorstellbar und sogar wünschenswert, dass Kunstwerke – entgegen unserer derzeitigen Praxis – keinerlei Funktionen mehr hätten? Dies scheint äußerst fragwürdig – denn offenbar haben Kunstfunktionen einen erheblichen Einfluss auf unsere Wertschätzung von Kunst: Es sind gerade die Funktionen von Kunstwerken, die unser Interesse an ihnen begründen (vgl. Kleimann/Schmücker 2001). Nähme man an, Kunst habe keine Funktion, ließe sich ihre Bedeutung für unsere Lebenspraxis nicht mehr erklären, und auch die Bedeutung künstlerischer Werke und künstlerischer Verfahren für Bildungsprozesse ließe sich nicht mehr einsichtig machen. Dass man die Kunst ihrer konstitutiven, kunstästhetischen Funktion beraubt, ist ohnehin gar nicht möglich. Die Forderung der normativen Autonomiethese nach völliger Funktionslosigkeit der Kunst erweist sich also als unzureichend begründet.

Kognitive Funktionen von Kunst – die Debatte um den kunstphilosophischen Kognitivismus

Gegenwärtig spielen Kunstfunktionen besonders in der Debatte um den kunstphilosophischen Kognitivismus eine zentrale Rolle. Wenn von einem kunstphilosophischen Kognitivismus die Rede ist, können damit zwei unterschiedliche Positionen gemeint sein: Zum einen werden Positionen als kunstphilosophischer Kognitivismus bezeichnet, deren Hauptthese es ist, dass Kunstwerke kognitive Funktionen erfüllen (können). Zum anderen bezeichnet der Begriff Theo­rien über ästhetische Werturteile, die die Behauptung eint, ästhetische Werturteile seien nicht allein Ausdruck subjektiven Geschmacks, sondern objektiv begründbar (vgl. Jäger 2005:10; Gaut fasst als kunstphilosophischen Kognitivismus die Verbindung beider Thesen auf, vgl. Gaut 2003:436f.). Zur klaren Unterscheidung lässt sich die erste Klasse von Positionen als „kunstphilosophischer Kognitivismus“ bezeichnen, während die zweite Klasse von Positionen stattdessen unter dem Ausdruck „kunstphilosophischer Werturteilsobjektivismus“ subsumiert wird. Für die Frage nach der Plausibilität des kunstphilosophischen Kognitivismus spielen Kunstfunktionen unmittelbar eine zentrale Rolle, da der kunstphilosophische Kognitivismus behauptet, Kunst erfülle kognitive Funktionen. Die Plausibilität des kunstphilosophischen Werturteilsobjektivismus hängt hingegen allenfalls sekundär von Kunstfunktionen ab, und zwar insofern, als ein Werturteilsobjektivist behaupten könnte, dass der Wert eines Kunst­werks von dem Maß abhängt, in dem dieses bestimmte Funktionen erfüllt.

Kunstphilosophische KognitivistInnen in einem engen Sinn vertreten die Auffassung, dass ein Kunstwerk genau dann kognitive Funktionen erfüllt, wenn der Rezipient des Werkes durch die Re­zeption zu propositionalem Wissen gelangt. Kunstphilosophische KognitivistInnen in einem weiten Sinn nehmen hingegen an, dass ein Kunstwerk eine kognitive Funktion auch dann erfüllt, wenn der Rezipient durch die Rezeption etwas versteht oder eine Fähigkeit erlangt. Diese Auffassung trägt der Kritik Rechnung, die die traditionelle erkenntnistheoretische Auffassung gefunden hat, kognitive Ziele bestünden grundsätzlich im Erwerb propositionalen Wissens (vgl. z.B. Baumann 2006:30). Die Annahme, unsere kognitiven Anstrengungen seien allein darauf gerichtet, möglichst viel propositionales Wissen zu akquirieren, ist nämlich wenig plausibel (so z.B. Elgin 1989:182ff.; Scholz 2001:36f.), denn Menschen verfolgen über den Erwerb von propositionalem Wissen hinaus offensichtlich auch noch andere kognitive Ziele. Beispielsweise suchen Menschen verschiedene Fähigkeiten zu erwerben und diverse Sachverhalte zu verstehen. Die weite Auffassung kognitiver Funktionen stellt deshalb die plausiblere Auffassung dar. Kognitive Funktionen sind ihr zufolge genau dann erfüllt, wenn ein Subjekt von einem Zustand des Nichtwissens in einen Zustand des Wissens gelangt oder wenn ein Subjekt eine Fähigkeit erwirbt (beispielsweise eine Unterschei­dungs-­, Urteils-­, Evaluationsfähigkeit oder Fähigkeit des logischen Schließens) oder wenn ein Subjekt etwas versteht, sei es die kommunikative Absicht eines Sprechers, das Verhalten einer Person, einen komplexen Zusammenhang oder etwas Ähnliches.

Die Debatte um den kunstphilosophischen Kognitivismus ist nicht nur im akademischen Kontext von Belang. Kognitive Kunstfunktionen können auch für die Kunstwelt und für Bildungs­prozesse von besonderer Relevanz sein. Für die Kunstwelt stellt sich die Frage, ob Werturteile über Kunst sich unter Verweis auf kognitive Funktionen eines Werks objektiv begründen lassen; eine positive Antwort auf diese Frage hat weitreichende Konsequenzen für die künstlerische Praxis, den gesellschaftlichen Umgang mit Kunst sowie die Auswahl von Werken für Ausstellungen und Sammlungen oder für den Schulunterricht. Es wäre nämlich nicht folgenlos, wenn der Wert eines Kunstwerks davon abhinge, wie stark seine kognitiven Funktionen ausgeprägt sind, so dass das Werk desto höherwertig wäre, je vielfältigere und/oder gehaltvollere kognitive Funktionen es erfüllt.

Auch Bildungsprozesse könnten von kognitiven Kunstfunktionen profitieren: Wenn Kunst zum Erwerb von Fähigkeiten beizutragen vermag sowie zum Verstehen von Akteuren, Phänomenen und komplexen Sachverhalten, ergeben sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für die Kunst im Bildungsbereich. So können durch die Rezeption unterschiedlicher Kunstwerke Unterscheidungsfähig­keiten verschiedener Art erworben und verfeinert werden: Die Rezeption verschiedener Gemälde kann nicht nur die Fähigkeit stimulieren, Farbnuancen zu unterscheiden, sondern auch zur Entwicklung der Fähigkeit beitragen, Werke unterschiedlicher Epochen oder eines bestimmten Künstlers zu iden­tifizieren. Auch das Verstehen komplexer Zusammenhänge kann mit Hilfe eines Gemäldes befördert werden. Die Rezeption von Werken der Musik hingegen schult das musikalische Gehör und fördert beispielsweise die Fähigkeiten, die Tongeschlechter Moll und Dur voneinander zu unterscheiden oder klassische Akkordfolgen zu erkennen. Zur Vermittlung moralischer Urteilsfähigkeit oder zum Verstehen des Verhaltens von Personen in schwierigen oder dilemmatischen Situationen bietet sich die gemeinsame Rezeption geeigneter Theaterstücke oder Filme an. Die Anwendungskontexte, in denen von kognitiven Kunstfunktionen profitiert werden kann, sind also äußerst vielfältig.

Ausblick

Allen Zweifeln an der Funktionalität von Kunst zum Trotz sind Kunstfunktionen in unserer Lebenswelt unverkennbar. Ihre Relevanz für die Bewertung von Kunst ist nur ein zentraler Aspekt, der für eine weitere Erforschung der Funktionalität der Kunst spricht; auch die viel­fältigen Möglichkeiten, Kunst im Rahmen der Kulturellen Bildung zu nutzen, legen es nahe, das Feld der Kunstfunktionen weiter zu untersuchen. Für die (Kulturelle) Bildung sind dabei insbesondere von der Erforschung emotiver, informativer und kognitiver Funktionen von Kunst wichtige Aufschlüsse zu erwarten. Dabei gilt es vor allem zu ermitteln, wie Kunstfunktionen zustande kommen, was sie leisten können und wo die Grenzen der Funktionalität von Kunst liegen. Aber auch die Frage danach, ob neue Kunstformen auch neue Arten von Kunstfunktio­nen hervorbringen, stellt eine spannende Frage dar, die es zu beantworten gilt.

Verwendete Literatur

  • Adorno, Theodor W. (1973):

    Ästhetische Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

  • Baumann, Peter (2006):

    Erkenntnistheorie. Stuttgart/Weimar: Metzler.

  • Busch, Werner (1987):

    Vorbemerkung. In: Ders. (Hrsg.): Funkkolleg Kunst (I-IV). München: Piper.

  • Carroll, Noel (1999):

    Philosophy of Art. A contemporary introduction. London: Routledge.

  • Elgin, Catherine (1989):

    Die epistemische Wirkweise der Dummheit. In: Elgin, Catherine/Goodman, Nelson (Hrsg.): Revisionen. Philosophie und andere Künste und Wissenschaften (179-201). Frankfurt/M.: Suhrkamp.

  • Gaut, Berys (2003):

    Art and Knowledge. In: Levinson, Jerrold (Hrsg.): The Oxford Handbook of Aesthetics (436-450). New York: OUP.

  • Heidegger, Martin (1960): Der Ursprung des Kunstwerkes. Stuttgart: Reclam.
  • Jäger, Christoph (2005): Kunst, Kontext und Erkenntnis. Eine Einführung. In: Jäger, Christoph/Meggle, Georg (Hrsg.): Kunst und Erkenntnis (9-40). Paderborn: Mentis.
  • Kennick, William E. (1958): Does Traditional Aesthetics Rest on a Mistake? In: Mind, 67, 317-334.
  • Kleimann, Bernd/Schmücker, Reinold (Hrsg.) (2001): Wozu Kunst? Die Frage nach ihrer Funktion. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
  • Koppe, Franz (1983): Grundbegriffe der Ästhetik. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
  • Krohs, Ulrich (2004): Eine Theorie biologischer Theorien. Status und Gehalt von Funktionsaussagen und informationstheoretischen Modellen. Berlin/Heidelberg: Springer.
  • Lüdeking, Karlheinz (1988): Analytische Philosophie der Kunst. Frankfurt/M.: Athenäum.
  • Luhmann, Niklas (1999): Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
  • Schmücker, Reinold (2009): Lob der Kunst als Zeug. In: Feige, Daniel M./Köppe, Tillmann/zur Nieden, Gesa (Hrsg.): Funktionen von Kunst (17-30). Frankfurt/M.: Peter Lang.
  • Schmücker, Reinold (2001): Funktionen der Kunst. In: Kleimann, Bernd/Schmücker, Reinold (Hrsg.): Wozu Kunst? Die Frage nach ihrer Funktion (13-33). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
  • Schmücker, Reinold (1998): Was ist Kunst? Eine Grundlegung. München: Wilhelm Fink.
  • Scholz, Oliver R. (2001): Kunst, Erkenntnis und Verstehen. Eine Verteidigung einer kognitivistischen Ästhetik. In: Kleimann, Bernd/Schmücker, Reinold (Hrsg.): Wozu Kunst? Die Frage nach ihrer Funktion (34-48). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
  • Ullrich, Wolfgang (2000): Mit dem Rücken zur Kunst. Berlin: Wagenbach.
  • Weitz, Morris (1956/57): The Role of Theory in Aesthetics. In: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 15, 27-35.

Anmerkungen

Dieser Text wurde erstmals im Handbuch Kulturelle Bildung (Hrsg. Bockhorst/ Reinwand/ Zacharias, 2012, München: kopaed) veröffentlicht.

Zitieren

Gerne dürfen Sie aus diesem Artikel zitieren. Folgende Angaben sind zusammenhängend mit dem Zitat zu nennen:

Amrei Bahr (2013/2012): Funktionen der Kunst. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/funktionen-kunst (letzter Zugriff am 14.09.2021).

DOI gesichert

Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.31.

Veröffentlichen

Alle Texte dieser Website – also ausgenommen sind Bilder und Grafiken – werden (sofern nicht anders gekennzeichnet) unter Creative Commons Lizenz cc-by-nc-nd (Namensnennung, nicht-kommerziell, keine Bearbeitung) veröffentlicht. CC-Lizenzvertrag

Herunterladen

Dieser Artikel als PDF:

PDF erzeugen

Teilen