Frühpädagogische Bildungsdiskurse und Kulturelle Bildung in den Bildungsplänen von Hessen und Nordrhein-Westfalen

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von Miriam Schulze

Erscheinungsjahr: 2021

Abstract

Dieser Beitrag analysiert und vergleicht exemplarisch die frühpädagogischen Bildungsdiskurse in den Bildungsplänen von Hessen und Nordrhein-Westfalen und untersucht, wie die Kulturelle Bildung in den ausgewählten Bildungsplänen verankert ist. Bearbeitet werden Fragestellungen wie: Welche Theorien und welches Bild vom Kind liegen den Bildungsplänen zugrunde? Welche Begrifflichkeiten von Kultur werden verwendet und welche Orte der Kulturellen Bildung werden in den Bildungsplänen bedacht? Wie werden die Künste und kulturpädagogischen Formate und Konzepte als Teilaspekt der Kulturellen Bildung inhaltlich implementiert?
Ein Überprüfungsbedarf wird im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) vor allem hinsichtlich der Umsetzung des pädagogischen Ansatzes sowie der Verwendung des Kulturbegriffs festgestellt. Die Untersuchung, ob Orte der Kulturellen Bildung in die Bildungspläne einbezogen werden, macht außerdem deutlich, dass es in beiden Plänen Ergänzungsbedarf gibt.

Theoretischer Hintergrund der Bildungspläne von Hessen und Nordrhein-Westfalen

Einerseits als Reaktion auf die Ergebnisse Deutschlands bei den PISA-, IGLU- und OECD-Studien, andererseits als Antwort auf wegbereitende internationale Entwicklungen wurden Anfang der 2000er Bildungspläne auf Bundesländerebene entwickelt. Durch diese wird der gesetzlich vorgegebene Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kindertageseinrichtungen und Tagespflege mit dem politischen Ziel der Qualitätsverbesserung definiert (vgl. Textor 2019: o.S.). Die Bildungspläne legen den gesellschaftlichen Rahmen dar, sie konkretisieren, welches Bild vom Kind vertreten wird, sie definieren Bildungs- und Erziehungsziele und führen dargelegte Bildungsbereiche aus. Oft enthalten sie auch didaktische und methodische Empfehlungen sowie Reflexionsfragen für die pädagogischen Fachkräfte. Die Bildungspläne der Bundesländer unterscheiden sich inhaltlich und strukturell hinsichtlich Umfang, Altersstufe und Entstehung/Autor*innenschaft (vgl. Textor 2008: o.S.).

Vor allem zwei frühpädagogische Bildungsdiskurse haben sich in den vorliegenden Bildungsplänen durchgesetzt: Wassilios E. Fthenakis‘ Konzept der Ko-Konstruktion und Meta-Kognition sowie Gerd E. Schäfers Selbstbildungsprozesse. Fthenakis‘ Ansatz prägt den hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (abgekürzt BEP) für Kinder von 0 bis 10 Jahren mit dem Titel „Bildung von Anfang an“, dessen Entstehungsprozess er verantwortete. Dem gegenüber stehen die „Bildungsgrundsätze für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertagesbetreuung und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen“, die Schäfers Ansatz der Selbstbildungsprozesse als pädagogische Grundlage und Ziele formulieren. Der BEP wurde nach einer Erprobungsphase 2007 publiziert. Im September 2019 erschien dieser in einer 9. Auflage.

Ein 2010 publizierter Entwurf der nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätze wurde zunächst in ausgewählten Einrichtungen mit wissenschaftlicher Begleitung erprobt. Einer Überarbeitungsphase folgte dann 2016 die Veröffentlichung der ersten Auflage. 2018 erschien dieser in einer 2. korrigierten Auflage. Sowohl der BEP in Hessen wie auch die Bildungsgrundsätze in NRW richten sich an die Altersgruppe der Kinder von 0 bis 10 Jahren und haben mit ca. 150 Seiten einen ähnlichen Umfang.

Soziale Interaktion im Mittelpunkt: Ko-Konstruktion und Meta-Kognition im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP)

Das im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) formulierte Bild vom Kind ist, dass es aktiv und kompetent ist, seinen eigenen Lern- und Entwicklungsprozess ko-konstruiert, dass es ausgestattet ist mit individuellen Stärken und Schwächen sowie Freude am Lernen hat (vgl. ebd. 2019:12). Die Ko-Konstruktion als pädagogischer Ansatz, der die sozial-konstruktivistische Theorie zur Grundlage nimmt (vgl. ebd.), wird folgendermaßen definiert:

„Lernen [findet] durch Zusammenarbeit statt[...], [wird] also von pädagogischen Bezugspersonen und Kindern gemeinsam konstruiert [...]“ (ebd.:89). Die soziale Interaktion wird im Ansatz der Ko-Konstruktion in den Mittelpunkt aller kindlichen Bildungsprozesse gestellt. Sie wird als „Schlüssel zur Wissens- und Sinnkonstruktion“ (ebd.:21) verstanden, die die geistige, sprachliche und soziale Entwicklung fördert.

Wesentlich ist, dass das Kind und seine Umwelt – sozialer und kultureller Kontext – gleichermaßen am Prozess der Ko-Konstruktion beteiligt sind (vgl. ebd.:21f.). Die am Prozess der Ko-Konstruktion Beteiligten, die sich in einer „wechselseitige[n] Partnerschaft“ (ebd.:33) befinden, können Lernende und Lehrende zugleich sein.

Nicht der Erwerb von Fakten ist wichtig, sondern die Erforschung von Bedeutung – gemeinsam Ideen und Theorien auszudrücken und diese zu teilen, Ideen und Theorien anderer kennenzulernen, Ideen zu verwandeln und auszuweiten sowie Gespräche über Bedeutungen zu führen (vgl. ebd.:89f.). Weil das Kind durch die Ko-Konstruktion lernt, dass es viele verschiedenen Weisen gibt, sich auszudrücken, die Welt wahrzunehmen und diese zu erleben, wird gefolgert, „dass das Kind [so] Achtung gegenüber individuellen Unterschieden bezüglich Herkunft, Geschlecht oder körperlicher Beeinträchtigung entwickelt“ (ebd.:90).

Als wichtige Voraussetzung für Bildung wird eine sichere Bindung herausgestellt.
Damit Kinder aktiv lernen und sich entwickeln können, benötigen diese eine geborgene Umgebung, in der sie sich wohlfühlen. Erwachsene begegnen den Kindern feinfühlig und in einem wertschätzenden unterstützenden Dialog (vgl. ebd.:27). Gleichzeitig respektieren sie die Autonomie der Kinder. Einerseits bestärken sie die (eigen)aktive Beteiligung der Kinder am Lernprozess, andererseits wird den Erwachsenen, deren Handeln von den Kindern imitiert wird, eine Vorbildfunktion zugeschrieben (vgl. ebd.:28). Gemeinsam mit den Kindern gestalten die Erwachsenen eine anregend gestaltete Lernumgebung.

„De[n] Erwerb der lernmethodischen Kompetenz“ (ebd.:25) greift der Begriff der Meta-Kognition auf. Die Meta-Kognition beschreibt dabei, das „Bewusstsein dafür, dass man lernt, was man lernt und wie man lernt“ (ebd.:13) in einem aktiven und kooperativen Prozess. Kinder erwerben mit der Zeit ein „Verständnis für das eigene Lernen, die Fähigkeit, über das eigene Denken nachzudenken (Meta-Kognition) sowie Strategien, ihr Lernen selbst zu steuern und zu regulieren“ (ebd.:25). Um das zu erreichen, so heißt es an dieser Stelle, bedarf es „kompetente[r] Erwachsene[r], die Bildungsprozesse gezielt moderieren“ (ebd.).

Verschiedene Textstellen und verwendete Begrifflichkeiten wie „anleiten“, „vermitteln“, „demonstrieren“, „zeigen“ (ebd.:93) verweisen darauf, dass die im BEP beschriebene „wechselseitige Partnerschaft“ (ebd.:33) des ko-konstruktiven Ansatzes nicht immer gleichberechtigt geschieht, und die Erwachsenen in ihrer Interaktion mit den Kindern direktive Elemente einsetzen. Unterstützt wird diese Vermutung durch folgenden Satz zum Thema „Spiel“: „Die Qualität der Freispielprozesse lässt sich durch gezielte Unterstützungsmaßnahmen erhöhen. [...] Freispiel ist wichtig, muss jedoch in angemessenem Verhältnis zu Lernaktivitäten stehen, die die Erwachsenen planen und initiieren“ (ebd.:30f.).

Das Kind im Mittelpunkt: Bildung als Selbstbildungsprozess in den nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätzen

Die nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätze greifen Schäfers Ansatz der Selbstbildungsprozesse auf, in denen „das Kind [...] im Mittelpunkt“ (ebd. 2018:16) steht. „Bildungsprozesse entstehen auf der Grundlage von Selbstbildungspotenzialen, die jedes Kind von Geburt an mitbringt, in interaktiven Beziehungen und Situationen. Im sozialen Austausch und in konkreten Lebenssituationen entwickeln und differenzieren sich diese weiter“ (ebd.:11). Damit wird der Familie als erstem wichtigen Bezugspunkt eine elementare Rolle zugewiesen (vgl. ebd.). Ergänzung und Unterstützung erfährt die frühkindliche Bildung in der Familie durch die „außerfamiliäre[n] Lebensräume“ (ebd.) wie Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Diese haben zum Ziel, „das Kind in der Entwicklung seiner Persönlichkeit individuell, ganzheitlich und ressourcenorientiert herauszufordern und zu fördern“ (ebd.).
Wichtig ist auch die Beziehung zu anderen Kindern. Kinder beobachten andere Kinder, sie tauschen sich aus, lernen von diesen und geben ihr eigenes Wissen weiter (vgl. ebd.:19).

Das Bild vom Kind der nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätze wird mit Verweis auf die jüngste Kindheitsforschung eingeführt. Diese belegt, dass schon die Allerkleinsten „von den ersten Lebensmonaten an aktiv an den Vorgängen in ihrer Um- und Mitwelt teilnehmen und ihre Entwicklung und ihr Lernen mitgestalten“ (ebd.:16). Sie setzen sich aktiv mit sich, ihren Mitmenschen, der Umwelt, „der Komplexität der Welt auseinander“ (ebd.). Kinder möchten von sich aus, Zusammenhänge verstehen und Kompetenzen entwickeln. Sie beobachten, analysieren und schlussfolgern; sind Entdeckende, Erfindende und Forschende „von Natur aus“ (ebd.). Alle Prozesse der Verarbeitung setzen an bereits gemachten Vorstellungen an. So kommen die Kinder „zu eigenen Einsichten, entwickeln eigene Konzepte des Verstehens und konstruieren Sinn“ (ebd.). Sie können nicht „fertiges Wissen und Können“ (ebd.:17) von anderen einfach nur übernehmen, sondern sie müssen sich selbst damit auseinandersetzen können. Nur sie selbst können sich ein Bild machen und „[s]o betrachtet ist Bildung Selbstbildung“ (ebd.:17).

Ausgangspunkt der Selbstbildungsprozesse sind die individuellen Entwicklungsvoraussetzungen, die Stärken und Ressourcen der Kinder. Damit ist die Bildung ein individueller Prozess, der aber „personale, räumliche und sächliche Einflussfaktoren“ (ebd.) einbezieht. Das heißt, dass Selbstbildungsprozesse eine aktive Umwelt benötigen.

Das Bild vom Kind, die Selbstbildungsprozesse, setzen bestimmte Haltungen und Handlungen der pädagogischen Fachkräfte voraus. Im Mittelpunkt steht dabei, wie diese die Kinder begleiten und unterstützen (vgl. ebd.:11). Wichtig ist auf der einen Seite, den Kindern Freiräume zu geben, auf der anderen Seite aber auch, sie anzuregen, sie zu ermutigen zu begleiten sowie ihnen Sicherheit und Schutz zu geben (vgl. ebd.:13,18). Das Kind braucht „feinfühlig wahrnehmende Bezugspersonen, die seine Entwicklungspotenziale erkennen und angemessene Entwicklungsräume bereitstellen“ (ebd.:13). Pädagogische Fachkräfte nehmen die Kinder, ihre Wünsche und Interessen ernst, erkennen ihre Stärken, Interessen und Bedürfnisse, beteiligen sie an Entscheidungsprozessen und an der Gestaltung des Alltags (vgl. ebd.:13,17). Sie vertrauen in die „persönlichen Ressourcen und [in] die Entwicklungsfähigkeit eines Kindes“ (ebd.:16). Sie „stellen Herausforderungen, sichern die Bedingungen und haben eine wichtige Vorbildfunktion“ (ebd.:18). Die Grundlage ihres pädagogischen Handelns ist dabei jedes Kind einzeln zu betrachten und zu unterstützen.

Für die frühkindlichen (Selbst-)Bildungsprozesse ist vor allem das Spiel bedeutsam. Es ist „die wichtigste Form des selbstbestimmten, lustbetonten Lernens in der elementaren Bildung“ (ebd.:22). Das Spiel ist das Mittel, mit dem sich das Kind mit der Welt auseinandersetzt. Mit dem Spiel verarbeitet und strukturiert es seine Wahrnehmungen und Erfahrungen und probiert sich in neuen Situationen aus (vgl. ebd.:21). „Das Spiel dient dem Kind zur Vermittlung zwischen der Welt (Außen) und dem eigenen Ich (Innen)“ (ebd.). Das geschieht „mit starker emotionaler Beteiligung, mit geistigem und körperlichem Krafteinsatz“ (ebd.:22). Spielen und Lernen bedingen sich somit gegenseitig.

Nicht die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten werden mit dem Bildungsbegriff definiert, sondern die Kinder in allen Entwicklungsbereichen – sensorisch, motorisch, kognitiv, sprachlich und mathematisch – „zu begleiten, zu fördern und herauszufordern“ (ebd.:13).

Gegenüberstellung der Bildungskonzepte: Ko-Konstruktion/Meta-Kognition versus Bildung als Selbstbildung

Was sind die jeweiligen Besonderheiten der Konzepte? Worin unterscheiden sich diese? Was ist ähnlich?

Während Fthenakis‘ Ansatz der Ko-Konstruktion und Meta-Kognition die Interaktion in das Zentrum der Bildungsprozesse rückt, stehen in Schäfers Konzept das Kind und seine Selbstbildungsprozesse im Mittelpunkt. Es finden sich Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede in den Ansätzen. So weichen die Definitionen der Bildungs- und Lernprozesse voneinander ab. Nach der Ko-Konstruktion ereignet sich Bildung und Lernen durch Interaktion. Wohingegen bei den Selbstbildungsprozessen wichtige Impulse durch Interaktion gesetzt werden, Bildung und Lernen als Verarbeitungsprozess aber nur im Individuum selbst stattfinden kann. Schäfer schließt aus, das Lernen durch pädagogische Einwirkungsmöglichkeiten geschieht. „Wenn dieser nicht von sich aus entgegenkommt, dann laufen Lehrprozesse buchstäblich ins Leere“ (2011:41). Im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) werden die „gezielte Moderation“, die Steuerung und das Eingreifen der Erwachsenen in den Bildungsprozess, die geplanten und initiierten Lernaktivitäten betont. Sätze zum kindlichen Spiel – „Aber zugleich will kein Kind nur spielen, es will auch mit realem Leben und ernsthaftem Tun befasst sein“ (ebd. 2019:31) – stehen geradezu konträr der Auffassung von Spiel in den nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätzen gegenüber. „Die ureigene Ausdrucksform und das zentrale Mittel eines Kindes, sich seine Welt anzueignen, ist das Spiel“ (ebd. 2018:21).

Ähnlich sind sich die Ansätze in den folgenden Aussagen: Nicht der Erwerb von Fakten ist wichtig, sondern die Erforschung von Bedeutung. Auch die Wichtigkeit von einer geborgenen, wertschätzenden, unterstützenden Umgebung für die Bildungsprozesse betonen sowohl Fthenakis als auch Schäfer. Beide stellen außerdem heraus: eine anregend gestaltete Lernumgebung, die Vorbildfunktion der Erwachsenen, die Unterstützung der Autonomie/Freiräume von Kindern.

Unterschiede finden sich wiederum in der Auseinandersetzung der beiden Autoren mit den Theorien des anderen. Fthenakis unterstellt dem Selbstbildungsansatz, dass das Kind in einer passiven Umwelt aktiv ist (vgl. ebd. 2019:22). Während Fthenakis durch Kritik an den Selbstbildungsprozessen seine eigene Theorie deutlich von Schäfers Ansatz abzugrenzen versucht, spricht sich Schäfer für eine Verknüpfung der beiden Modelle aus (vgl. Schäfer 2011:22f.). Auf Fthenakis‘ Unterstellung, dass der Begriff der Selbstbildung eine passive Umwelt, eine „Von-selbst-Bildung“ (ebd.:69) impliziere, reagiert Schäfer: „Es sind lediglich er selbst und diejenigen, die sich argumentativ an ihn anlehnen, die diesem Missverständnis des Begriffes unterliegen. So kämpft er gegen ein Problem, das er durch sein eigenes Missverständnis von Selbstbildung erst erzeugt hat“ (ebd.). Es ist aus meiner Sicht nachvollziehbar, dass Schäfer dazu aufruft, diesem Missverständnis entgegenzutreten. Gleichzeitig bestätigt Schäfer Fthenakis, dass die Bildung von Kindern nur in einem sozialen Kontext geschehen könne (vgl. ebd.).

Die Kulturelle Bildung in den Bildungsplänen

Auf der Suche nach dem Begriff der Kulturellen Bildung in den Bildungsplänen fällt auf, dass die Begriffe kulturell/Kultur in zahlreichen Wortkombinationen gebraucht werden. Das verweist auf eine Unklarheit in der Verwendung der Begrifflichkeit.

Der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) nutzt ca. 57 unterschiedliche Wortkombinationen, in denen kulturell/Kultur vorkommt, darunter interessante Wortkonstruktionen wie z.B. „Kultur der Konfliktlösung“ (ebd. 2019:32) und „Kultur des Verzeihens“ (ebd.:81). Kultur ist zu „einem idiomatischen Bestandteil zahlloser Komposita geworden“ (Nünning 2009:1).

Besonders oft formuliert der BEP „Kinder mit verschiedenem kulturellem Hintergrund“ – auch als Titel eines gleichnamigen Kapitels (ebd. 2019:48). Er verwendet die Termini „andere Kulturen“ (ebd.:32), „andere[ ] Kulturkreise[ ]“ (ebd.:72) und auch „fremde[ ] Kulturen[ ]“ (ebd.).

„Kompetenzen zum Handeln im sozialen Kontext“ (ebd.:42f.) zählen u.a. das „Gefühl der Zugehörigkeit zur eigenen Kultur“ (ebd.) auf. Die Kultur wird somit als Kultur eines bestimmten Kollektivs betrachtet. In einen Kulturkreis wird das Kind hineingeboren (vgl. ebd.:22). Da Kinder in einer kulturell und sprachlich vielfältigen Welt aufwachsen, betont der BEP im Kapitel „Kinder mit verschiedenem kulturellem Hintergrund“ (ebd.:48f.) die Bedeutung einer interkulturellen Kompetenz. „Wesentliche Aspekte von interkultureller Kompetenz sind kulturelle Aufgeschlossenheit und Neugierde, eine mehrsprachige Orientierung und die Fähigkeit mit „Fremdheitserlebnissen“ umzugehen“ (ebd.). Die Begrifflichkeit fremd/Fremdheit wird wiederholt verwendet. So wird interkulturelle Kompetenz bei Kindern und Erwachsenen „durch ein gegenseitiges Interesse an der jeweils fremden Lebensform, die man versucht zu verstehen“ (ebd.) gestärkt. Schließlich wird der Begriff „Fremdheitskompetenz“ (ebd.:49) eingeführt und definiert. Fremdheitskompetenz bedeutet „[d]ie eigene Sichtweise als eine Perspektive unter vielen verschiedenen Perspektiven sehen und reflektieren lernen“ (ebd.) und zu „[a]kzeptieren, dass man manche Traditionen und Lebensformen von anderen Kulturen nicht verstehen kann, mit „Fremdheitserlebnissen“ umgehen lernen“ (ebd.). Kulturelle Offenheit wird analog folgendermaßen verstanden: „Die Kinder werden neugierig auf andere Kulturen und lernen Andersartigkeit zu achten, auch wenn sie sie nicht vollständig verstehen“ (ebd.:32).

Es wird nicht erläutert, was „Fremdheitserlebnisse“ sind. Was ist fremd? Durch was wird ein Verstehen, durch was ein Nicht-Verstehen des „Fremden“ hervorgerufen?

Auch weitere Textstellen unterscheiden zwischen eigener und anderer/fremder Kultur (vgl. ebd.:74). Eigene Kultur und in Abgrenzung dazu andere/fremde Kultur sind komplementäre Begriffe, die in einer Beziehung zueinanderstehen, aber nur durch Abgrenzung zueinander geschehen können. „Wer auch immer die Bezeichnung der, die, das Fremde benutzt, wird schnell feststellen, dass sie sich nur schwer als eine objektive oder neutrale Kategorie gebrauchen lässt“ (Albrecht 1997:81, H.i.O.).

Die im Kapitel „Religiosität und Werteorientierung“ (Hessisches Ministerium für Soziales und Integration, Hessisches Kultusministerium 2019:79ff.) formulierte Kompetenz „Grundwissen über zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erwerben sowie andere Kulturkreise im Blick haben“ (ebd.:81) macht schließlich deutlich, dass eine bestimmte Kultur „anderen“ Kulturen (dominierend) gegenübersteht.

Der Begriff der Kulturellen Bildung wird im Unterkapitel „Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur“ (ebd.:82ff.) des Kapitels „Verantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinder“ (ebd.:79-87) verwendet: „Gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Bildung und Erziehung basiert vor allem auf einer Erweiterung des Weltwissens (> Lebenspraxis), der Stärkung der gesamtgesellschaftlichen Orientierung, der Förderung und Ausweitung von sozialen Beziehungen und dem Aufbau von Handlungskompetenzen“ (ebd.:83, H.d.d.V.).

Im Anschluss werden Bildungs- und Erziehungsziele zu den Überschriften Gesellschaft, Wirtschaft und schließlich zur Kultur formuliert. Es werden Kompetenzen beschrieben, die es zu erreichen gilt, wie z.B. „[d]ie eigene Familienkultur und Familiengeschichte wahr[zu]nehmen“, (ebd.:84), aber auch „[o]ffen werden für die kulturelle Vielfalt der Umgebung und diese als Angebot und Bereicherung erfahren“ (ebd.). Kinder sollen erfahren, dass sie kulturelle Lebensräume auch gestalten können, sie mitverantwortlich sind und diese „bewahren helfen“ (ebd.).

Unter „Kultureller Bildung“ wird demnach ein Erreichen kultureller Kompetenzen verstanden. Aufschluss darüber wie eine (Kulturelle) Bildung aller am Prozess beteiligten Personen im Sinne einer Ko-Konstruktion aussieht und gestaltet wird, gibt es nicht.

Zu hinterfragen ist, ob Kinder für die kulturelle Vielfalt der Umgebung offen werden müssen. Sind sie es nicht von sich aus? Müsste eine solche Kompetenz nicht viel eher den Erwachsenen zugeschrieben werden, die die Kinder beim Aufwachsen begleiten?

Mit ca. 41 unterschiedlichen begrifflichen Kombinationen sind die Bildungsgrundsätze aus NRW weniger „erfindungsreich“. Diese verwenden die Termini „verschiedene[ ] [...] Kulturen“ (ebd. 2018:47), „unterschiedliche[ ] [...] Kulturen“ (ebd.:48), „kulturelle Vielfalt“ (ebd.), „kulturelle[ ] Heterogenität“ (ebd.), „kulturelle[ ] [...] Unterschiedlichkeit[...]“ (ebd.:64) sowie „unterschiedliche[ ] Kulturen“ (ebd.:112).

Das Ziel einer sozialen und (inter-)kulturellen Bildung ist, „auf das Leben in einer hinsichtlich der Lebensstile und Kulturen vielfältigen Gesellschaft vorzubereiten, die Kinder darin zu unterstützen, ihre eigene Kultur und Herkunft kennenzulernen und darauf aufbauend eine eigene Kultur und einen persönlichen Lebensstil zu entwickeln“ (ebd.:99).

Wie im BEP wird an dieser Textstelle auf eine Kultur durch Herkunft verwiesen. Aber, und hiermit unterscheidet sich die Ausführung des nordrhein-westfälischen Bildungsplans ganz wesentlich von der des BEPs: die eigene Kultur wird nicht nur als kollektive, sondern vielmehr als individuelle Kultur verstanden, die sich aus vielen verschiedenen Einzelteilen zusammensetzt. Wie im BEP gibt es Textstellen in den Bildungsgrundsätzen, die von „fremde[r] und eigene[r] Kultur“ (ebd.:100) sowie von der „Begegnung mit anderen Kulturen“ (ebd.:104) schreiben. Nur steht hier die individuelle eigene Kultur vielen „anderen“ Kulturen gegenüber.

Deutlich wird formuliert, dass es die Fach- und Lehrkräfte verantworten, „Fremdheitserfahrungen aufzugreifen und Kinder dazu zu ermutigen, andere Sicht- und Lebensweisen oder Kulturen kennenzulernen“ (ebd.:99). Im Unterkapitel „Kulturelle Unterschiedlichkeit“ (ebd.:48) wird die zentrale Aufgabe beschrieben, „allen Kindern eine konstruktive Auseinandersetzung mit kultureller Heterogenität zu ermöglichen, die eine Basis für den gemeinsamen Dialog und für Begegnung bildet“ (ebd.). Die interkulturelle Kompetenz nicht nur der Kinder, sondern gleichermaßen der Eltern, Fach- und Lehrkräfte, wird erweitert, „durch alltägliche Erfahrungen [...], durch den Austausch über Besonderheiten und die Anerkennung von Verschiedenheit sowie durch regelmäßige Gespräche und gemeinsames Lernen“ (ebd). Die unterschiedlichen Kulturen werden selbstverständlich in den Alltag miteinbezogen. Kinder (und auch Erwachsene) lernen so unterschiedliche Lebenssituationen kennen, was sie zur Toleranz befähigt (vgl. ebd.).

Die im NRW-Plan genutzten Begrifflichkeiten und Definitionen zur Kultur – die eigene Kultur als individuell verstandene Kultur – werden einer kulturellen Vielfalt, einer Diversität viel eher gerecht. Der BEP zählt kulturelle Kompetenzen auf, ohne auszuführen, wie diese methodisch-didaktisch umgesetzt werden können. Der NRW-Plan stellt wiederum das „Wie?“, die Umsetzung von (inter-)kultureller Bildung in den Vordergrund. Auch bezieht der NRW Plan die Verantwortung der Erwachsenen deutlich mit ein. Der Begriff der Kulturellen Bildung wird im nordrhein-westfälischen Bildungsplan nicht verwendet.

Was können Gründe dafür sein, dass die Kultur in vielfältigen Wortkombinationen genutzt wird, aber in beiden Bildungsplänen der Begriff der Kulturellen Bildung nur einmal oder sogar gar nicht verwendet wird?

Für die Kulturelle Bildung sind unterschiedliche politische Handlungsfelder zuständig. Auch innerhalb der Bundesländer unterscheiden sich die Verantwortlichkeiten (siehe: Hildegard Bockhorst „Überblick für die Bundesebene: Rahmenbedingungen, Zuständigkeiten und Förderschwerpunkte von Jugend-, Kultur- und Bildungspolitik“). 

„Da staatliche Verantwortlichkeiten für die Querschnittsaufgabe der Kulturellen Bildung selten eindeutig geregelt sind, sprechen die Akteure der Kulturellen Bildung auch von einem „magischen Dreieck“, in welchem sie sich zwischen Jugend-­, Kultur-­ und Bildungspolitik bewegen“ (Bockhorst 2012/2013:o.S.). Die Bildungspläne der Bundesländer verantworten aber alleine die Bildungs- und Kultusministerien. Es ist möglich, dass der Begriff der Kulturellen Bildung, der zu dem nicht eindeutig definiert ist, vermieden wird, da eine Verwendung des Terminus eine Zuständigkeit weiterer Ministerien implizieren würde.

Orte der Kulturellen Bildung

Werden Orte der Kulturellen Bildung in die Bildungspläne einbezogen?

Im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) werden zu Beginn als „einflussreichste[] Bildungsorte“ (ebd. 2019:24) neben Bildungsinstitutionen, die Familie und andere Kinder aufgeführt. Bildungsorte sind, so wird ein paar Seiten später angegeben, „Elternhaus, Kindertageseinrichtung, Kindertagespflege und Grundschule, Familienbildungsstätten sowie Beratungs- und Förderinstitutionen“ (ebd.:33). Diese Aufzählung wird schon auf der nächsten Seite um „Bibliotheken, Vereine“ (ebd.:34) ergänzt.

Die Begegnung mit Kunst wird zunächst nur auf „Formen der darstellenden und bildenden religiösen Kunst in sakralen Räumen“ (ebd.:81) beschränkt. Mit der Überschrift „Gemeinwesenorientierung – Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen“ (ebd.:112) wird dann auf die wichtige Bedeutung von Kooperationen und Vernetzung mit anderen Stellen verwiesen, „da sich Kindheit heute vielfach in isolierten und „kindgemäß“ gestalteten Erfahrungsräumen abspielt. Dies kann dazu führen, dass Kinder immer weniger Möglichkeiten haben, Naturerfahrungen zu machen, das (örtliche) Wirtschaftsleben zu durchschauen und die Gemeinde mit ihren kulturellen, politischen und sozialen Institutionen kennen zu lernen“ (ebd., H.d.d.V.).

Als Ziele werden im Anschluss u.a. aufgeführt „Unternehmen von Ausflügen (z.B. Museum) und Naturerkundungen (Wiesen, Wälder) mit den Kindern“, „Besuch von kulturellen, sozialen oder interkulturellen Einrichtungen sowie Einrichtungen des Gesundheitswesens“ und die „Vernetzung (benachbarter) Kindertageseinrichtungen und Schulen unter- und miteinander sowie mit kulturellen, sozialen und medizinischen Einrichtungen und Diensten [...]“ (ebd., H.d.d.V.). In einem weiteren Kapitel zur „Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit“ (ebd.:122) wird der Kita-Leitung die Aufgabe zugeschrieben, dass diese Verantwortung für die Kooperation mit anderen Institutionen trägt, so auch u.a. für die „Zusammenarbeit mit kulturellen Einrichtungen (Museen, Bibliotheken, Kunstateliers)“ (ebd., H.d.d.V.). Zusammengefasst erweitern sich die im BEP genannten kulturellen Bildungsorte von Bibliotheken auf Museen, bis hin zu Kunstateliers. Bildungsorte wie Theater, Oper, Musik- und Kunstschulen, Galerien, u.a. werden nicht benannt.

In den nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätzen wird im Kapitel „Pädagogische Grundlagen und Ziele“ (ebd. 2018:11-15)  zunächst der Auftrag einer „multiprofessionelle[n] Kultur der Zusammenarbeit“ (ebd.:13) für die Offene Ganztagsschule (OGS) formuliert, die „eng mit einem Träger der Jugendhilfe, mit Musikschulen, Sportvereinen und anderen freien Trägern zusammen(arbeitet)“ (ebd.:11, H.d.d.V.). Bildungsangebote der OGS sollen in „Kooperation mit Partnern aus der Kinder- und Jugendhilfe, Kultur und Sport“ (ebd.:24, H.d.d.V.) das Unterrichtsangebot der Schule ergänzen.

Das Kapitel „Regionale Bildungsnetzwerke“ (ebd.:69) verweist sowohl für OGS, Schule und Kindertageseinrichtung auf die Bedeutsamkeit der Vernetzung von Bildungsorten im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses von Bildung und Erziehung in der Region. „Eine kommunale Bildungslandschaft wird als solche erst richtig wahrgenommen, wenn möglichst viele Institutionen, wie Einrichtungen und Angebote der Jugendhilfe, Kultureinrichtungen, Institutionen im Bereich der Gesundheitsförderung, des Sports, der Ausbildungs- und Arbeitsförderung, vernetzt werden“ (ebd., H.d.d.V.).

Im kommenden Abschnitt werden Handlungsfelder für die konzeptionellen Grundlagen einer regionalen Vernetzung formuliert. Kultureinrichtungen oder Bereiche von Kultureller Bildung werden an dieser Stelle nicht definiert. Um den Bildungsbereich „Sprache und Kommunikation“ (ebd.:92-97) zu unterstützen, wird die mögliche Aktivität genannt, Ausflüge durchzuführen, z.B. zur Bibliothek oder zum Bücherbus (vgl. ebd.:96). Im Kapitel „Musisch-ästhetische Bildung“ (ebd.:102-107) wird dann eine Zusammenarbeit mit professionellen Künstler*innen vorgeschlagen, „um durch Einbringen einer externen Perspektive den Erfahrungsraum der Kinder zu bereichern“ (ebd.:107). Kulturelle Bildungsorte wie Museen, Theater, Oper, Galerien, u.a. werden in den nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätzen nicht benannt. Die Musikschule wird nur für die OGS aufgeführt. Auch bleibt unklar, wer eine Vernetzung mit anderen Institutionen verantwortet.

Kulturelle Einrichtungen, in denen Kulturelle Bildung stattfindet, werden in den Plänen an unterschiedlicher Stelle definiert, aber nicht in ihrer gesamten Breite aufgeführt.

Vergleich der Kapitel „Kreative, fantasievolle und künstlerische Kinder“ (Hessen) und „Musisch-ästhetische Bildung“ (Nordrhein-Westfalen)

Wie werden die Künste und kulturpädagogischen Formate und Konzepte als Teilaspekt der Kulturellen Bildung inhaltlich in die Bildungspläne implementiert?

Als eine von fünf Bildungsvisionen beschreibt der Titel „Kreative, fantasievolle und künstlerische Kinder“ im BEP eine Kompetenz von Kindern. Das Kapitel ist unterteilt in die „Bildnerische und darstellende Kunst“ (ebd. 2019:71-72) und in „Musik und Tanz“ (ebd.:73-74). Diese beiden Kategorien werden mit entsprechenden Leitgedanken eingeführt und schließen mit formulierten Bildungs- und Erziehungszielen ab. Die Leitgedanken der „Bildnerischen und darstellenden Kunst“ formulieren die Bedeutung von Kunst und kreativer Auseinandersetzung für die frühe Kindheit und deren Zweck für die kindliche Entwicklung. „Im Vordergrund stehen Formen des Lehrens und Lernens, die die Fantasie, Kreativität, das Verstehen und die Produktivität des Kindes fördern“ (ebd.:71). Was aber die ureigene, die intrinsische Motivation des Kindes an der Gestaltung ist, wird nicht formuliert.

Auch die „[u]ngewohnte[n] Wege der Vermittlung“ (ebd.:72), die „beim ästhetischen Lernen zu Offenheit und Neugier führen“ (ebd.), werden nicht näher ausgeführt.

Die Bildungs- und Erziehungsziele listen einen Katalog von Zielen auf, die es in der Auseinandersetzung mit bildnerischer und darstellender Kunst zu erreichen gilt: Differenzierung von Wahrnehmung, Entdeckung von Gestaltungs- und Darstellungsmöglichkeiten auch gemeinsam mit anderen, die Erprobung von Techniken und „historischer und zeitgenössischer Kunst sowie Kunst aus anderen Kulturkreisen offen begegnen und diese wertschätzen“ (ebd.), u. a..

Wie das Kapitel „Bildnerische und darstellende Kunst“ formuliert „Musik und Tanz“ die Bedeutung der Bereiche für die frühe Kindheit. „Musik spricht basale Ebenen an und fördert die Selbstwahrnehmung der Kinder“ (ebd.:73). Durch diese werden viele Sinne angesprochen, und sie „eröffnet einen Zugang zu unterschiedlichen Ausdrucksformen der eigenen Gedanken und Emotionen“ (ebd.), zu Fantasie und Kreativität. Gleichzeitig wird beim gemeinsamen Musizieren und Tanzen das soziale Lernen und die motorische Entwicklung unterstützt. Auch kann die Musik die Sprachentwicklung des Kindes positiv beeinflussen.

Durch die Musik wird ferner eine kulturelle Auseinandersetzung und Teilhabe gestärkt, weil das Kind „die musikalische Tradition seines Kulturkreises kennen lernt [...] und an andere weitergeben kann“ (ebd.). Es heißt dann weiter, dass die Musik einen „wichtigen Beitrag für die Pflege der eigenen Tradition“ auf der einen Seite und für die „interkulturelle Begegnung und Verständigung“ auf der anderen Seite leistet; „gerade auf musikalischen Gebiet kann das „Fremde“ begeistert aufgegriffen werden“ (ebd.). Dies ist erneut ein Beispiel für die Verwendung komplementärer Begrifflichkeiten – die eigene Tradition versus „das Fremde“. Der Musik wird dabei eine vermittelnde Funktion zwischen eigen und fremd zugeschrieben.

Die Bildungs- und Erziehungsziele formulieren abschließend in den drei verschiedenen Oberkategorien „Wahrnehmung und Erleben“ (ebd.:74), „Ausdruck“ (ebd.) und „Musikalisches Wissen“ (ebd.) entsprechende Kompetenzen und Ziele.

Als eine von 10 Bildungsbereichen definieren die Bildungsgrundsätze aus Nordrhein-Westfalen die „musisch-ästhetische Bildung“ (ebd. 2018:102-107). Im Gegensatz zum BEP wird hier im Titel keine Kompetenz formuliert, sondern der Gegenstandsbereich. Die einleitende Definition der Ästhetik, die „die Bedeutung sinnlicher Wahrnehmung in Bildungs- und Erkenntnisprozessen [betont]“ (ebd.:102) verweist darauf, dass die Ästhetik nicht nur musisch-künstlerische Prozesse bezeichnet, sondern „alle Bereiche des alltäglichen Lebens [berührt]“ (ebd.). Das deutet auf eine inhaltliche Breite des Gegenstandsbereichs hin. Ästhetische Bildung ist ausgehend von der Grundannahme, dass „sich der Mensch durch die aktive, kreative Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entwickelt“ (ebd.) besonders für kindliche Wahrnehmungs-, Erkenntnis- und Selbstbildungsprozesse von wesentlicher Bedeutung.

All diese Prozesse werden durch verschiedene Bereiche angestoßen, z.B. durch das freie Spiel, Tanz, Bewegung, Rollenspiele und Singen (vgl. ebd.). Weil die genannten Themen bereits in anderen Bildungsbereichen berücksichtigt wurden, greift das Kapitel die Bereiche „Gestalten“ (ebd.:103-104) und „Musik“ (ebd.:104) für eine weitere Auseinandersetzung heraus.

Zunächst werden Inhalte und Bedeutungen des „Gestaltens“ und der „Musik“ formuliert. Diese Beschreibung ist verglichen mit den Ausführungen im BEP differenzierter. Es impliziert auch die Perspektive des Kindes. Es wird seine Motivation betont, sich mit dem Gestalten, „einer besondere[n] Form des Spielens“ (ebd.:103) zu beschäftigen. „Kinder lieben es, Spuren zu hinterlassen“ (ebd.). Auch der Bereich der Musik wird detaillierter dargestellt, in dem z.B. Impulse für den „geräusch- und klangvollen Alltag“ (ebd.:104) wie „das Hören von Regentropfen auf dem Fensterbrett“ (ebd.) gegeben werden.

Dem BEP ähnlich, formulieren die Bildungsgrundsätze die Bedeutung der Musik für eine kulturelle Auseinandersetzung. „Durch gemeinsames Singen und Musizieren, durch das Sprechen von Versen und (Abzähl)-Reimen erfahren die Kinder Brauchtum und Kulturgut. Damit einhergehen Offenheit zur Begegnung mit anderen Kulturen, aber auch eine Stärkung des eigenen kulturellen Bewusstseins“ (ebd.).

Wenige Sätze verweisen dann auf die Bedeutung von Musik für das neuronale Netzwerk.

Der nordrhein-westfälische Plan definiert im Folgenden Leitideen (BEP: Leitgedanken) und Bildungsmöglichkeiten (BEP: Bildungsziele) zum Gestalten und zur Musik.

Im Gegensatz zum BEP werden keine Kompetenzen definiert, sondern Möglichkeiten, die den Kindern zur Verfügung gestellt werden (vgl. ebd.:106).

Hier wird also auf eine Beziehungssituation verwiesen. Die pädagogischen Fachkräfte werden auch bei den anschließenden „Leitfragen zur Unterstützung und Gestaltung von Bildungsmöglichkeiten“ (ebd.) in die Ausführungen einbezogen und wichtige Impulse zur Reflexion ihres pädagogischen Handelns werden aufgeführt – „Treffen Gestaltungsmaterialien, Musikinstrumente sowie andere sinnesanregende Materialien und Gegenstände auf das Interesse der Kinder?“ (ebd.). Die anschließenden „Materialien/Settings als Denkanstöße“ (ebd.:107) listen wiederum Ideen zur Umsetzung des Bildungsbereichs auf. Sie geben z.B. den Impuls, Kontakt zu professionellen Künstler*innen aufzunehmen. Die Aufzählungen zu den Bildungsmöglichkeiten, Leitfragen zur Unterstützung und Gestaltung von Bildungsmöglichkeiten sowie zu Materialien/Settings als Denkanstößen enden mit drei Auslassungspunkten, was den wichtigen Hinweis gibt, dass diese Ideen zu ergänzen und zu erweitern sind.

Fazit

Was sollte in den Bildungsplänen bezogen auf die Kulturelle Bildung verändert werden?

  1. Der Vergleich der Kapitel „Kreative, fantasievolle und künstlerische Kinder“ im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) mit der „Musisch-ästhetische[n] Bildung“ in den nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätzen zeigt, dass die nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätze in ihren Ausführungen auf die „aktive Umwelt“ eingehen, die Fthenakis dem Selbstbildungsansatz abzusprechen versucht. In den Ausführungen der Bildungsvisionen im BEP wiederum ist die Rolle der pädagogischen Fachkräfte an keiner Stelle zu erkennen, als seien die Kinder in einer passiven Umwelt „aktiv“. Es werden Ziele aufgezählt ohne auf die soziale Interaktion, auf Möglichkeiten der Mitgestaltung und auf aktive Konstruktion einzugehen, so wie der BEP das „Bild vom Kind“ eingangs definiert. Der BEP wird an dieser Stelle seinen Ausführungen zur Ko-Konstruktion und einer Umsetzung dieser nicht gerecht.
    Inhaltlich sollte auch im BEP die Kulturelle Bildung (wie das gesamte Feld der Bildung) nicht eindimensional-kompetenzschildernd, sondern mehrdimensional (Rolle des Kindes, des Erwachsenen, Reflexionsfragen, Impulse) umgesetzt werden.
  2. Die Untersuchung, ob Orte der Kulturellen Bildung in die Bildungspläne einbezogen werden macht deutlich, dass es in beiden Plänen, und vor allem im nordrhein-westfälischen Bildungsplan, Ergänzungsbedarf gibt. In beiden Bildungsplänen sollten Bildungsorte wie Theater, Oper, Musik- und Kunstschulen, Galerien u.a. ergänzt werden. In den Bildungsgrundsätzen NRW werden die Museen an keiner Stelle benannt. Auch sollte in diesen ergänzt werden, wer eine Vernetzung mit anderen Institutionen verantwortet.
  3. Es ist aus meiner Sicht notwendig, dass (vor allem) der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan die Verwendung der Begrifflichkeit Kultur klärt und insbesondere die Kategorisierung von fremde/andere versus eigene Kultur überarbeitet und verändert.
    Der BEP verwendet einen statischen Kulturbegriff, der die eigene Kultur und die Kultur des Anderen mit vermeintlich eindeutigen Zugehörigkeiten als zentrale Differenzkategorie nutzt (vgl. Benbrahim 2020:108).
    Wird kulturelle Differenz als „binäre[s] Schema“ (Mecheril 2020:309) betrachtet, „das zwischen dem übereinstimmenden, dem zueinander wohlklingenden, dem konsonanten Eigenen und dem relativ zum Eigenen dissonanten Fremden unterscheidet [...], findet [...] letztlich [...] [eine] Problematisierung kultureller Differenz statt. Was hierbei eher nicht in das Blickfeld gerät, ist die partielle Alltäglichkeit und Normalität gelingender kultureller Pluralität“ (ebd.). Im Sinne der Diversität muss Kultur „etwas Flexibles, Vielfältiges und sich Veränderndes [meinen] und nicht etwas, das Menschen determiniert“ (Benbrahim 2020:108f.). Inter-. Multi- und transkulturelle Ansätze greifen dies auf und wirken statischen Kulturbegriffen entgegen (vgl. Nünning 2009:3).

Folgende weiterführenden Fragen stellen sich abschließend und müssten in ergänzenden Forschungen bearbeitet werden:
Welche Theorien und Ausführungen zur Kulturellen Bildung sind in den übrigen 14 Bildungsplänen der Bundesländer zu finden? Welche Begrifflichkeiten und Formulierungen werden verwendet? Welche Einstellungen und Haltungen zeigen sich in diesen? Gibt es in den übrigen Bildungsplänen Veränderungsbedarfe oder auch beispielgebende Ausarbeitungen („Best Practice“), die von anderen adaptiert werden können?