Engagement in der Amateurmusik: Kulturelle Bildung, Ehrenamt und zivilgesellschaftliche Strukturen im Wandel
Abstract
Die Amateurmusik ist die größte Kulturbewegung Deutschlands. Ihre Vielfalt liegt in den verschiedenen Musikstilen und den vielen unterschiedlichen Menschen, die sie machen. Hervorzuheben ist dabei, dass die meisten Ensembles als ehrenamtlich getragene Vereine organisiert sind und daher vor allem existieren, weil sich Menschen zusammenfinden, die gemeinsam Musik machen möchten und sich dafür engagieren, dass sich die individuellen und gemeinschaftsfördernden Potenziale des gemeinsamen Musizierens entfalten können.
Im folgenden Artikel werden die Gründe, aus denen sich Menschen engagieren, die Herausforderungen für die Szene und mögliche Lösungsansätze vorgestellt. Abschließend wird ein Bild davon gezeichnet, wie sich die Amateurmusik in den nächsten 15 Jahren entwickeln sollte und ein Ausblick dazu gegeben, wie mit den Potenzialen der Amateurmusik Zukunft mitgestaltet werden kann. Die Autor*innen bringen dabei ihre fachliche Perspektive und Erfahrungen aus dem Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) – dem Dachverband der Amateurmusik in Deutschland – ein und stützen ihre Argumentation unter anderem auf aktuelle Studien. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Verständnis, dass das Engagement für die Amateurmusik von zentraler zivilgesellschaftlicher Bedeutung ist und allen Menschen zugänglich sein sollte. Durch eine stärkere Anerkennung und Unterstützung durch Politik und Öffentlichkeit kann sie einen wichtigen Beitrag in der Kulturellen Bildung und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten.
Amateurmusik als generationsübergreifendes Feld Kultureller Bildung und kultureller Teilhabe
Amateurmusik ist mehr als gemeinsames Musizieren – sie ist ein bedeutendes Feld Kultureller Bildung, das Generationen verbindet und soziale Teilhabe fördert. Von Jugendakkordeonorchestern über Kirchenchöre bis hin zu traditionsreichen Posaunengruppen oder neu gegründeten Weltmusikensembles: Amateurmusik bietet als organisatorisch wie kreativ enorm vielfältig ausdifferenzierter Engagementbereich Begegnungsräume an, in denen Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, sozialer Hintergründe und Kulturen voneinander lernen und miteinander wachsen können. Die Studie „Amateurmusizieren in Deutschland“ des Deutschen Musikinformationszentrums (miz) aus dem Jahr 2021 zeigt, dass Amateurmusik in Deutschland rund 14,3 Millionen aktive Musiker*innen begeistert – eine beeindruckende Zahl, die die kulturelle wie zivilgesellschaftliche Bedeutung dieser Szene unterstreicht (miz 2021:5). So ist Amateurmusik als größte Kulturbewegung in Deutschland neben dem Sport eine der tragenden Säulen für eine starke und engagierte Zivilgesellschaft.
Amateurmusizieren bezeichnet dabei musikalische Aktivitäten von Personen, die keine professionellen Musiker*innen sind. Die Amateurmusik ist vielfältig aufgrund der verschiedenen Musikstile und durch die vielen unterschiedlichen Menschen, die sie machen und die sich für sie engagieren. In Deutschland sind die Ensembles der Amateurmusik überwiegend in Vereinsform organisiert und als solche existentiell auf Engagement und Ehrenamt angewiesen. Und Engagement fängt nach Verständnis des BMCO im Chor, Orchester oder Musikverein dort an, wo jemand regelmäßig an den Proben teilnimmt, damit Teil der Gruppe ist und sich für ein gemeinsames Miteinander, das eigene Wohlbefinden und natürlich aus musikalischem Interesse engagiert. Das entspricht aufgrund der damit verbundenen Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit dem Übergang von „Öffentlicher gemeinschaftlicher Aktivität“ zu „Freiwilligem Engagement“, wie sie beide im Rahmen der Freiwilligensurveys unterschieden und definiert werden (Simonson et al. 2016:85ff, BKJ 2022:11f).
Besonders hervorzuheben ist die Rolle des Ehrenamts: Rund 3,6 Millionen Menschen engagieren sich hier freiwillig und unentgeltlich (miz 2021), um Strukturen am Laufen zu halten – von der Vereinsführung bis zur musikalischen Leitung. Diese Aktiven bilden das Rückgrat einer Szene, die von demokratischen Entscheidungsprozessen, generationsübergreifender Zusammenarbeit und kreativer Vielfalt lebt. Gerade in ländlichen Regionen sorgen Vereine dafür, dass Kulturelle Bildung zugänglich bleibt und generationsübergreifendes Lernen vor Ort gelingt. Judith Mohr, Mitglied des BMCO-Präsidiums, hebt beispielsweise hervor: „Mein Engagement hat es mir ermöglicht, mit anderen Menschen ein Netzwerk aufzubauen, durch das wir viel zielorientierter und stärker zusammenarbeiten können. Es hat mir gezeigt, dass ich mich nicht alleine für die Amateurmusik in Deutschland einsetze, sondern es viel mehr Menschen mit den gleichen Anliegen gibt, als ich auf den ersten Blick gedacht habe“ (Judith Mohr im Rahmen der Social-Media-Kampagne #machmehrdraus / Post vom 4.12.2024).
Amateurmusik sorgt damit nicht nur für Gemeinschaft, individuelle Erfüllung und die Möglichkeit zum kreativen Selbstausdruck (BMCO 2024b:1, vgl. auch McCrary et al. 2022), sondern bewahrt und entwickelt das immaterielle Kulturerbe weiter und stärkt darüber hinaus die Demokratie und die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen. Ein Blick auf die zivilgesellschaftliche Struktur und das Spektrum der Vereine zeigt zudem, dass Amateurmusikvereine an verschiedenen Orten als Partner in der Ganztagsbildung und der kommunalen Bildungslandschaft fungieren und dadurch Kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe über den Ort „Verein“ hinaus unterstützen. Sie kooperieren mit Schulen, Kitas oder sozialen Trägern, um musikalische Angebote für Kinder und Jugendliche bereitzustellen.
Motive und Erfahrungen: Warum Menschen musizieren und sich engagieren
Musizierende Menschen erleben Glück, Freude und Lebensqualität und geben sie weiter. Gemeinsames Musizieren in Chören, Orchestern, Musikvereinen, weltlichen oder kirchlichen Gruppen stärkt das körperliche und emotionale Wohlbefinden, stiftet Zugehörigkeit und fördert die Selbstwirksamkeit. Es fördert zudem Empathie, sozialen Zusammenhalt und das kulturelle Verständnis füreinander (vgl. BMCO 2024b:1; Kompetenznetzwerk NEUSTART AMATEURMUSIK 2023:12;15;19). Musizieren im Ensemble schafft also im Miteinander etwas, das größer ist als die Summe der Stimmen, Instrumente und Ensemblemitglieder. Ein Anrufer in unserer telefonischen Beratung, Vorsitzender eines Musikvereins aus Baden-Württemberg, schildert: „Für uns ist der Verein ein Ort, an dem wir nicht nur musizieren, sondern auch füreinander da sind. Es ist ein gemeinsames Projekt, das alle Generationen verbindet“ (Interne Quelle).
Aus der Erfahrung der genannten positiven Effekte des gemeinsamen Musizierens erwächst häufig Engagement. Die Gründe für das Engagement sind auch im Amateurmusikbereich so vielfältig wie das Kulturengagement insgesamt und die Menschen selbst:
„Die Motive der im Bereich Kultur und Musik Engagierten unterscheiden sich nach dem Freiwilligensurvey kaum von den Engagierten insgesamt. Das belegen die folgenden abgefragten Motive: Spaß zu haben (80% der Kulturengagierten, 78% aller Engagierten), etwas für das Gemeinwohl tun (64% beide Gruppen), die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten (56% bzw. 55%), mit anderen Menschen zusammenkommen (49% bzw. 48%), Gutes zurückgeben (42% bzw. 41%) oder Qualifikationen erwerben (31% bzw. 34%). Lediglich beim Motiv anderen Menschen durch das Engagement helfen zu wollen, ist der Wert bei den Engagierten insgesamt etwas höher (67%) als bei den Kulturengagierten (61%).“ (Hummel / Priller 2025:30 auf Grundlage BKJ 2022)
Letztlich gibt es für alle, die sich einbringen möchten, einen Platz und sinnvolle Aufgaben, um die Vereinsarbeit zu organisieren. Die Aufgaben, die dabei anfallen, sind sehr unterschiedlich (BKJ 2022:55ff.; vgl. auch Hummel / Priller 2025:6f.): Sollte die Organisation der Proben nicht bei der musikalischen Leitung liegen, können das auch mehrere Personen übernehmen. Es braucht Personen, die den Probenraum aufschließen, bei der Programmauswahl unterstützen, Probenwochenenden organisieren, Konzertorte anfragen, Bewerbung und Vorverkauf der Konzerte gestalten oder sich um Fördermittel bemühen. Damit gehen ehrenamtliche Aufgaben weit über das reine Musizieren hinaus: Organisation von Auftritten, Notenpflege, Fundraising und Nachwuchsarbeit erfordern Engagement und Zeit. So erfüllen die Vereine und Verbände im Engagementbereich der Amateurmusik auch nicht nur eine einzige Funktion einer Kulturinstitution. Nach Siri Hummel und Eckhard Priller (2025:6f) sind sie sowohl kulturschaffende Organisation – mit dem Ziel der Ausübung und Präsentation künstlerischer Werke – als auch kulturfördernde Organisation – mit dem Fokus auf die Förderung und Finanzierung kultureller Projekte, wie sie in Fördervereinen oder durch Verbände geleistet wird, sowie kulturvermittelnde Organisationen, da durch die Arbeit in den Amateurmusikensembles musikalische Fähigkeiten und Erfahrungen vermittelt und dadurch Zugänge zu Musik geschaffen werden.
Neben der Freude am Musizieren spielt das Gefühl, etwas Sinnstiftendes zu tun, eine zentrale Rolle (BKJ 2022:48f). Auch eine Studie der Allianz Foundation zeigt, dass Ehrenamtliche häufig ein starkes Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihrer Gemeinschaft entwickeln und ihre Tätigkeit als persönlich bereichernd erleben (Allianz Foundation 2023).
Besonders für junge Menschen bietet das Ehrenamt und Engagement in der Amateurmusik wertvolle Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung. Sie lernen Verantwortung zu übernehmen, soziale Kompetenzen zu entwickeln und sich in demokratische Strukturen einzubringen. Laut Dritten Engagementbericht engagieren sich zwei Drittel der jungen Menschen in Deutschland; über 40% von ihnen nutzen dafür auch oder überwiegend digitale Medien (BMFSFJ 2020:73). Deutlich wird dadurch, dass das Engagement nicht abnimmt, sondern teilweise seine Form verändert. Das bedeutet gleichzeitig, dass ein erheblicher Anteil des Engagements aber noch immer unmittelbar vor Ort stattfindet. Gleichzeitig berichten viele ältere Ehrenamtliche davon, wie das Engagement ihre Lebensqualität verbessert und soziale Isolation verhindert.
Doch zeigen sich auch Hürden im Engagementbereich, etwa in den Befunden des unlängst veröffentlichten Vierten Engagementberichts (BMFSFJ 2024b). Bürokratie und die steigende Komplexität rechtlicher Vorgaben binden Ressourcen und überfordern Ehrenamtliche, gerade in kleinen Organisationen, die kaum professionelle Unterstützung haben. Finanzielle Hürden wirken zusätzlich als Schwellen: Offene und verdeckte Kosten, wie Fahrt- oder Materialausgaben, erschweren die Teilnahme am Engagement für Menschen mit geringeren finanziellen Ressourcen. Auch der Zeitmangel ist ein strukturelles Problem, da die Balance zwischen Familie, Erwerbsarbeit und Engagement oft schwierig ist. Die Forderung nach flexiblen Arbeitszeiten und verlässlichen Betreuungsangeboten bleibt hier zentral. Im Amateurmusikbereich könnte ein Abbau bürokratischer Auflagen und eine gezieltere finanzielle Förderung von Vereinen helfen, Teilhabe zu erleichtern und den Zugang zu Engagement für alle sozialen Gruppen gerechter zu gestalten.
Aktuelle Herausforderungen: Zwischen Nachwuchsmangel und Professionalisierung
Das ehrenamtliche Engagement steht vor wachsenden Herausforderungen. Eine Untersuchung des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft verdeutlicht, dass Ehrenamtliche zunehmend mit formalen Anforderungen konfrontiert sind: Datenschutz, Haftungsfragen und komplexe Verwaltungsaufgaben belasten gerade kleinere Vereine (vgl. Troschke 2024:21). Oft fehlen die zeitlichen Kapazitäten und das notwendige Fachwissen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Im Rahmen der Corona-Pandemie kam durch sich häufig ändernde Vorgaben ein großer Aufwand hinzu, den nicht alle Vereine leisten konnten. Daraufhin verstummten einige Vereine und lösten sich schlimmstenfalls auf. Aber auch schon vor der Corona-Pandemie ließen sich diese Tendenzen beobachten: „Die Anzahl der Löschungen lässt sich ab dem Jahr 2005 kontinuierlich verfolgen, (…) und hält weiter an, so dass bereits häufig von einem „Vereinssterben“ gesprochen wird (Hummel / Priller 2024:1). Auch gesellschaftliche Themen, wie der demografische Wandel, die Diversifizierung oder die soziale und ökonomische Spaltung der Gesellschaft und die Digitalisierung, betreffen die Amateurmusik und werfen Fragen auf, wie beispielsweise: Wie können wir alle Menschen in unsere Ensembles einbinden, wie können wir Zugangshürden abbauen und welche Art von Musik möchten wir machen und für wen?
Hinzu kommt der Nachwuchsmangel – bei den Ehrenamtlichen, aber auch bei den Mitgliedern der Chöre, Orchester und Musikvereine. Immer weniger Menschen sind – auch durch gesellschaftliche Entwicklungen bedingt – bereit bzw. in der Lage, langfristige Leitungsaufgaben zu übernehmen oder sich über einen längeren Zeitraum auf ein Ensemble, Chor oder Orchester festzulegen. Vor allem junge Erwachsene ziehen es vor, sich projektbasiert und flexibel zu engagieren (vgl. Troschke 2024:19), was die klassischen Vereinsstrukturen herausfordert. Der demografische Wandel verstärkt dieses Problem: Viele Vereine kämpfen darum, Nachfolger*innen zu finden, die das ehrenamtliche Erbe antreten.
Zudem erschweren finanzielle Unsicherheiten und der gesellschaftliche Wandel die Arbeit vieler Ensembles. Während Musikvereine in ländlichen Regionen oft mit abnehmender Bevölkerung und schrumpfenden Budgets kämpfen, müssen urbane Ensembles neue Wege finden, um kulturelle Vielfalt und Teilhabe zu gewährleisten. Gerade in ländlichen Regionen ist der Musikverein oft ein zentraler Treffpunkt für Menschen unterschiedlicher Generationen, ohne den ein Austausch kaum stattfindet.
Diese Herausforderungen als Chancen zu betrachten und nicht gegen sie anzukämpfen, sondern sie als Ausgangspunkt und Potenzial zu sehen, kann dabei helfen, mit ihnen umzugehen. Grundvoraussetzung dabei ist, dass die zivilgesellschaftliche Bedeutung des Engagements und Ehrenamts in der Amateurmusik sowohl von der Öffentlichkeit als auch – und vor allem von der Politik – anerkannt und entsprechend unterstützt wird. Denn, wenn es die Ensembles, Orchester, Chöre und Musikvereine nicht gäbe, würden viele Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhalts, wie generationenübergreifender Dialog, interkultureller Austausch und Räume für gemeinsames künstlerisches Experimentieren, nicht stattfinden.
Lösungsansätze: Strategien und Rahmenbedingungen für die Zukunft des Ehrenamts
Trotz der Herausforderungen gibt es bereits zahlreiche Ansätze und Programme, die die Engagierten und Ehrenamtlichen im Amateurmusikbereich unterstützen. Hier eine Auswahl:
- Wissensvermittlung: Aufbereitetes Wissen zur Vereinsorganisation findet sich zentral auf dem Amateurmusikportal frag-amu.de und Webinare zu (steuer-)rechtlichen Themen gibt es bei der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt.
- Weiterentwicklung: Handreichungen von Verbänden wie Zukunft. Musik. Gestalten des Bundesmusikverbands Chor & Orchester zeigen, wie Vereine ihre eigene Zukunft durch Weiterentwicklung gestalten können.
- Qualifizierung und Weiterbildung: Schulungsangebote wie die Juleica-Ausbildung (Ausbildung zum*zur Jugendleiter*in) oder die D- und C-Lehrgänge im Musikbereich vermitteln wichtige Kompetenzen für Vereinsarbeit und musikalische Leitung. Bei den Lehrgängen im Musikbereich handelt es sich um ein eigenes Ausbildungssystem im Chor- und Instrumentalbereich, das in unterschiedlichen Stufen weiterführende Musiktheorie, Grundlagen der Stimmgruppenleitung und Ensembleleitung vermittelt. Die Teilnehmenden müssen bestimmte Voraussetzungen (z.B. Alter, Vorerfahrung) erfüllen, um diese aufeinander aufbauenden Angebote wahrzunehmen. Angeboten werden sie teilweise von den Verbänden der Amateurmusik selbst, z.B. Deutsche Chorjugend, Deutscher Harmonikaverband. Diese Angebote müssen weiter ausgebaut und zugänglicher gemacht werden.
- Nachwuchsförderung: Programme wie „Musik für alle!“ setzen gezielt auf Bildungsbündnisse, um Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Milieus zu erreichen und ihnen einen Zugang zu Musik zu ermöglichen.
- Kooperation und Vernetzung: Die Amateurmusik als Kooperationspartner sollte insgesamt stärker in den Blick genommen werden – sei es bei lokalen Veranstaltungen oder als Bildungspartner in der Ganztagsschule.
- Anerkennung und Sichtbarkeit: Die Würdigung ehrenamtlicher Arbeit durch Abbau von bürokratischen Hürden oder die Sichtbarmachung durch Veranstaltungen wie die Woche des bürgerschaftlichen Engagements sind ein wichtiger Schritt, um den Stellenwert des Ehrenamts und Engagements in der Gesellschaft zu betonen. Außerdem braucht es eine belastbare Studienlage, um die positiven Wirkungen der Amateurmusik und so ihre soziale und wirtschaftliche Bedeutung zu belegen.
- Kommunikation der eigenen Wirksamkeit: Es kann nicht oft genug betont werden, dass gemeinsames Musikmachen in der Gruppe gut für Körper und Geist ist, die Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung unterstützt und Einsamkeit entgegenwirken kann (Kompetenznetzwerk NEUSTART AMATEURMUSIK 2023:3f). Dieses Bewusstsein und Verständnis immer wieder in Richtung der allgemeinen Öffentlichkeit, der politischen Entscheidungsträger*innen und auch an die Musizierenden selbst zu kommunizieren, ist sehr wichtig, um es im gesellschaftlichen Diskurs zu platzieren. Entscheidend dabei ist auch eine Vernetzung mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, um gemeinsam darauf aufmerksam zu machen.
In dem Zuge spielt auch die Anfang Dezember 2024 veröffentlichte Engagementstrategie des Bundes eine besondere Rolle, verfolgt sie doch das übergeordnete Ziel, freiwilliges Engagement für alle zu ermöglichen und durch geeignete Rahmenbedingungen zu fördern und zu stärken (vgl. BMFSFJ 2024a:26ff). Um das Engagement und seinen Wert für die Gesellschaft sichtbarer zu machen, werden dabei insbesondere folgende Punkte hervorgehoben:
- Integration und Vielfalt fördern: Die Strategie legt besonderen Wert auf die Integration von Menschen aus verschiedenen sozialen und kulturellen Bereichen, um ein inklusives Gesellschaftsmodell zu fördern.
- Engagement in Krisenzeiten stärken: Freiwilliges Engagement soll insbesondere in Krisenzeiten und Transformationsprozessen unterstützt werden, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
- Digitale Transformation begleiten: Die digitale Transformation wird von der Zivilgesellschaft aufgegriffen, um neue Formen des Engagements zu ermöglichen und bestehende zu stärken.
- Grenzüberschreitendes Engagement ermöglichen: Es wird angestrebt, Engagement über nationale Grenzen hinweg zu fördern, um den internationalen Austausch und die Zusammenarbeit zu stärken.
Innerhalb der Engagementstrategie wird Amateurmusik als erster Punkt unter „beispielhafte engagementfeldspezifische Vorhaben“ aufgeführt – noch vor dem Umwelt- und Naturschutz oder dem kommunalpolitischen Engagement von Frauen. In dem Papier wird die Amateurmusik als „größte Kulturbewegung Deutschlands“ bezeichnet, die nicht nur rein musikalisch unverzichtbar sei, sondern es schaffe, „(…) Menschen ein Leben lang bis ins hohe Alter unabhängig von ihrer Hautfarbe, Herkunft und Religion zusammenzubringen, Demokratie zu leben und in täglichen Abstimmungsprozessen sowie aktiver Zusammenarbeit ein Gemeinschaftsgefühl unter all den freiwillig Engagierten und Musikerinnen und Musikern zu kreieren.“ Es sei laut der Engagementstrategie „(…) essenziell, dieses zivilgesellschaftliche Engagement für die Zukunft zu sichern“ (BMFSFJ 2024a:57).
Der Vierte Engagementbericht der Bundesregierung betont zudem die Bedeutung gleicher Zugangschancen zum freiwilligen Engagement, um allen sozialen Gruppen eine Beteiligung zu ermöglichen und somit den gesellschaftlichen Wert des Engagements zu steigern (BMFSFJ 2024b:39).
Eine Zukunftsvision des Engagements im Amateurmusikbereich
In 15 Jahren könnte das Engagement im Amateurmusikbereich ein deutlich verändertes Gesicht haben, das stärker von Flexibilität, Individualisierung und digitalen Strukturen geprägt ist. Die klassische, auf langjährige Bindung ausgelegte ehrenamtliche Vorstandsarbeit wird voraussichtlich weiter an Bedeutung verlieren, während projektbezogene und informelle Engagementformen zunehmen. In einer Publikation des Stifterverbandes (ZiviZ – Zivilgesellschaft in Zahlen, vgl. Kühn et al. 2023) wird hervorgehoben, dass informelles Engagement, obwohl kein neues Phänomen, in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen sei – insbesondere durch die Digitalisierung. Dabei wird auf die Herausforderungen der statistischen Erfassung dieses Bereichs hingewiesen und die gleichwertige Bedeutung neben formalen Vereinsstrukturen betont. Für eine zukunftsgerichtete Förderung biete sich an, auch nicht-rechtlich organisierte Initiativen durch Mikroförderungen zu unterstützen, während gleichzeitig auf neue Formen der Vereinsführung hingewiesen wird, um den Rückgang von Personen in Führungspositionen zu adressieren (Kühn et al. 2023:32). Dies biete die Chance, individuelle Lebenssituationen besser zu berücksichtigen und neue Zielgruppen anzusprechen. Um die Amateurmusik für diese Veränderungen zu rüsten, bedürfe es jetzt einer gezielten Weiterentwicklung der Engagementangebote und einer klaren strategischen Ausrichtung durch die Amateurmusikvereine.
Die Digitalisierung wird ein zentraler Treiber sein, sowohl in der Organisation des Engagements als auch in der Vermittlung Kultureller Bildung. Plattformen wie das Amateurmusikportal frag-amu.de können als Wissensdrehkreuze fungieren und den Austausch von Best-Practice-Beispielen erleichtern. Gleichzeitig ermöglicht die Digitalisierung eine stärkere Vernetzung zwischen Akteur*innen, was neue Formen der Zusammenarbeit und des Engagements hervorbringt. Damit Engagierte von diesen Entwicklungen profitieren, sollten Vereine frühzeitig in digitale Kompetenzen investieren und flexible Engagementstrukturen schaffen, die sowohl langfristige als auch projektbezogene Beiträge ermöglichen.
Auch der demografische Wandel wird das Ehrenamt prägen. Die wachsende Generation von Menschen über 70 Jahren in Deutschland bietet ein enormes Potenzial für lebenslanges Lernen und das Engagement älterer Menschen. Hier gilt es, altersgerechte Strukturen und Angebote zu schaffen, die diese Zielgruppe ansprechen. Gleichzeitig müssen junge Menschen in das Ehrenamt eingebunden werden, indem flexible und niedrigschwellige Möglichkeiten sich zu engagieren angeboten werden, die sich mit anderen Lebensbereichen wie Ausbildung und Beruf vereinbaren lassen.
Die kulturelle und soziale Vielfalt in den Ensembles zu fördern, wird ebenfalls entscheidend sein. Studien wie Engagement im Wandel (Kühn et al. 2023) oder das TRAFO-Programm betonen, dass eine inklusive Ausrichtung und gezielte Ansprache bisher unterrepräsentierter Gruppen notwendig seien, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.
Amateurmusikvereine können hier eine Vorreiterrolle einnehmen, indem sie marginalisierte Bevölkerungsgruppen aktiv in Planungen und Projekte einbinden. Die Amateurmusik wird in 15 Jahren vermutlich auch noch stärker als Ort für Kulturelle Bildung wahrgenommen werden, insbesondere in ländlichen Räumen. Programme wie Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zeigen bereits heute, wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Musik zu ermöglichen, unabhängig von sozialen, finanziellen oder bildungsbezogenen Hürden, und dafür zivilgesellschaftliche Strukturen und Engagement zu nutzen und diese zu fördern, wie es die Förderrichtlinie vorsieht (BMBF 2021). Solche Good-Practice-Ansätze sollten weitergeführt und ausgebaut werden, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.
Schließlich wird die gesellschaftliche Bedeutung des Engagements und Ehrenamts in der Amateurmusik auch durch seinen Beitrag zu einer resilienten Zivilgesellschaft unterstrichen. Die Forschung von Stefan Koelsch belegt, dass das gemeinsame Musizieren das soziale Bonding und das Verbundenheitsgefühl fördert. Gerade angesichts zunehmender gesellschaftlicher Spaltungen kann die Amateurmusik als Ort der Begegnung und der gelebten Partizipation eine zentrale Rolle einnehmen (Koelsch 2013).
Um diese Vision zu verwirklichen, müssen bereits heute die Weichen gestellt werden: durch Investitionen in digitale und analoge Infrastrukturen, gezielte Förderprogramme, die Anpassung rechtlicher und bürokratischer Rahmenbedingungen sowie durch die Stärkung von Netzwerken und Kooperationen. Die Amateurmusik hat das Potenzial, nicht nur kulturell, sondern auch gesellschaftlich prägend zu wirken – wenn die Herausforderungen der Zukunft aktiv gestaltet werden.
Fazit: Transferpotenziale und Zukunftsperspektiven
Die Amateurmusik ist mit all diesen Herausforderungen, die auch Chancen bieten, nicht allein: Auch andere Felder der Kulturellen Bildung, wie der ehrenamtliche Tanz- oder Theaterbereich, stehen vor ähnlichen Fragen. Der Transfer von Lösungen – etwa im Bereich der Nachwuchsgewinnung oder digitalen Vernetzung – könnte Synergien schaffen und Ehrenamtsstrukturen insgesamt stärken.
Für die Zukunft braucht es flexible, generationenübergreifende Strukturen, die das Ehrenamt modernisieren und an die Bedürfnisse junger Menschen anpassen. Vereine könnten dabei noch stärker als Partner und Potenzial in der kulturellen Bildungslandschaft verankert werden, insbesondere im Ganztagsbereich. Die Zusammenarbeit könnte stärker genutzt werden, um noch mehr Kindern den Zugang zu musikalischer Bildung zu ermöglichen und gleichzeitig Vereine als stabile zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken (vgl. BMCO 2024:1-4). Dafür braucht es starke Kooperationen zwischen Schulen und Musikvereinen und einen gemeinsamen finanziellen und strukturellen Rahmen.
Abschließend lässt sich sagen: Die Amateurmusikszene ist ein kraftvolles Beispiel für die Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement in der Zivilgesellschaft. Mit gezielter Förderung, innovativen Ansätzen und gesellschaftlicher Anerkennung kann sie auch zukünftig eine tragende Rolle für Kulturelle Bildung, sozialen Zusammenhalt und demokratische Werte spielen.