Das Ende der Ökonomisierung der Kulturellen Bildung?
Hinweise auf eine sinkende Invisibilisierungskraft ökonomisierender Normenparadoxien
Abstract
Zunächst werden Normen allgemein als Anweisungen zur Hierarchisierung und Entparadoxierung der in einem Feld geltenden und zugleich konfligierenden Werte bestimmt. Auf dieser Grundlage wird eine Vorschrift zur Entfaltung einer spezifischen doppelten Normenparadoxie als Hauptnorm der Kulturellen Bildung vorgeschlagen. Es wird argumentiert, dass die Kulturelle Bildung im Bezug auf ihre spezifischen Paradoxien zugleich andere Werte und Wertkonflikte aus sich ausschließen und sich dadurch prinzipiell autonomisieren kann. Werden externe Wertkonflikte in die Kulturelle Bildung eingeführt bzw. von dieser bearbeitet (und nicht vielmehr als extern ausgeschlossen), wird im Allgemeinen von einer Heteronomisierung und im Hinblick auf ökonomische Werte im Besonderen von einer Ökonomisierung der Kulturellen Bildung gesprochen. Die Internalisierung fremder, in diesem Falle ökonomischer Werte führt zu Werteparadoxien, für deren Entparadoxierung keine Normen der Kulturellen Bildung herangezogen werden können. Daher können ökonomische Werte nur dann in die Kulturelle Bildung eingeführt werden, wenn es gelingt, sie zu invisibilisieren. Während die Invisibilisierungskraft von Qualitäts- und Investmentsemantiken (Paradoxien: Professionalisierung ist Optimierung; Bildungsgerechtigkeit ist Wirtschaftlichkeit) nachgelassen zu haben scheint, liegt mit der zunehmenden Lernorientierung in der Kulturellen Bildung eine Invisibilisierungsmöglichkeit der paradoxen Internalisierung ökonomischer Werte vor (Paradoxie: Bildung ist Leistung), deren Kritik (learnification) so marginal ist, dass sie als Ökonomisierungsform aktuell erfolgreich sein kann.
Normativität ist im Spiel, wenn enttäuschte Erwartungen strukturell sozial stabilisiert werden. Man stellt sich also auf Enttäuschungsmöglichkeiten bestimmter Erwartungen ein, optiert aber nicht für deren Preisgabe oder Transformation, sondern für deren Aufrechterhaltung, wenn nicht sogar Durchsetzung. Der Begriff des Werts, so kann man zumindest in der Etablierungsphase des Begriffs im Neukantianismus sagen, ist hingegen noch nicht konsequent sozial gedacht. Die Geltung der Werte ist hier nämlich nicht auf Anerkennung und Durchsetzungsstrukturen angewiesen (vgl. Rickert 1999:14), kann also rein subjektiv bleiben. Wenn die eigenen Erwartungen nicht zu den gemachten Erfahrungen passen, kann man jedenfalls entweder bei sich selbst ansetzen, das heißt, lernen und die eigenen Erwartungen und Wertsetzungen infrage stellen oder man kann (dann ist von Normativität zu sprechen) bei den anderen ansetzen und versuchen, deren Verhalten den eigenen Erwartungen anzupassen (vgl. Luhmann 2008:36). Denkt man hierbei an das Rechtssystem, ist das nicht falsch. Während dieses über Legitimations- und Sanktionsmöglichkeiten verfügt, kodifiziert es aber nur das Minimum an Erwartungen, das in einer Gesellschaft als notwendig erachtet wird. Gutes Verhalten kann rechtlich nicht durchgesetzt werden. Moralisch ist es möglich, ein viel feiner ausdifferenziertes Arsenal an Erwartungen mitzuteilen. Anstelle staatlicher Sanktionsmechanismen wird hier mit der Möglichkeit des Achtungsentzugs gedroht. Jegliches Verhalten kann durch die (z. B. auch gestische, mimische) Symbolisierung moralischer Achtungszuteilung moralisch codiert werden. Es steht dann die Moral selbst im Raum und die Möglichkeit des Achtungsverlusts einer Person (vgl. Luhmann 2008:107ff.).
Was hat dies mit der Normativität (in) der Kulturellen Bildung zu tun? Ganz eindeutig hat man es hier nicht mit rechtlichen Fragen zu tun und genauso wenig mit moralischen, da die Symbolisierung oder Drohung des Achtungsentzugs in pädagogischen Feldern prinzipiell ausgeschlossen ist … sein sollte – womit wir bei der Normativität der Kulturellen Bildung selbst angekommen wären. Nicht nur moralische Normen werden von der Kulturellen Bildung im Hinblick auf eigene Normen abgewiesen, sondern auch jegliche Normen anderer Systeme, Wertsphären, Felder oder symbolischer Formen. Die Autonomie der Kulturellen Bildung – sofern sie überhaupt angestrebt wird (vgl. in Bezug auf Pädagogik Ruhloff 2019:160) – steht und fällt genau mit diesen Fragen:
- erstens verfügt sie über eigene, originäre Normen und
- zweitens gelingt es ihr, sich hinreichend von fremden Normen zu distanzieren bzw. sich diesen zumindest nicht zu unterwerfen?
Der zweiten Frage werden wir uns am Beispiel des Verhältnisses der Kulturellen Bildung zu ökonomischen Normen zuwenden.
Originäre Normen der Kulturellen Bildung
Würde man von Werten der Kulturellen Bildung sprechen, könnte man eine ganze Liste aufführen, die weder kohärent sein muss noch priorisiert und nicht einmal für das gesamte Feld universal und verbindlich. Müssen beispielsweise Ganzheitlichkeit und Sinnlichkeit in einem Literaturworkshop mit Jugendlichen die große Rolle spielen, die diesen Werten ohne Frage in der musikalischen Bildung in Kitas zukommt? Mit Michael Parmentier kann man zudem prinzipiell bezweifeln, dass Literatur überhaupt einen besonderen, das heißt, einen über nicht literarisches Lesen hinausgehenden Bezug zu Sinnlichkeit und Leiblichkeit hat (vgl. Parmentier 2004). Mit Normen bekommen wir es jedenfalls erst zu tun, wenn die Werte im Feld selbst mit einem universalen Geltungsanspruch verbunden werden. Aus eben diesem Grund lassen sich die entsprechenden Normen dann nicht mehr offen relativieren oder relationieren. Sinnlichkeit und Leiblichkeit, um auf das Beispiel zurückzukommen, ließen sich also nicht als Normen der Kulturellen Bildung verstehen, da ansonsten eine Hierarchisierung verschiedener Medien Kultureller Bildung unvermeidbar wäre, die – das ist nun gerade eine Norm der Kulturellen Bildung – nicht unternommen werden darf: Kein Medium der Kulturellen Bildung ist dieser Norm zufolge besser als ein anderes. Normen ordnen also das Feld der Werte bzw. die im Feld der Kulturellen Bildung frei flottierenden Werte. Man könnte sogar sagen, dass man sich an Werten überhaupt nicht orientieren kann, solange es nicht übergeordnete Anweisungen gibt, wie diese Werte hierarchisiert und entparadoxiert werden sollen – diese Anweisungen wären dann als Normen zu bezeichnen (ähnlich vgl. Eisenmann 2012:188f.). Entparadoxierung ist hierbei das Wesentliche. Eine bloße Hierarchisierung von Werten kann in einem komplexen Feld, das verschiedene Zielgruppen, Settings und Situationen aufweist, nicht gelingen. Niemand ließe sich in der frühkindlichen Kulturellen Bildung die Bedeutung von Ganzheitlichkeit, Sinnlichkeit und Leiblichkeit mit Hinweis darauf ausreden, dass diese Werte – wie oben gezeigt – keine volle Universalität für Kulturelle Bildung schlechthin beanspruchen können.
Im Folgenden gehen wir davon aus, dass sich die konstitutiven und auch in Diskurs und Praxis sich ständig realisierenden Wertekonflikte in der Kulturellen Bildung am Widerspruch von Pädagogik und Kunst entzünden. In der Kulturellen Bildung lassen sich weder künstlerische noch pädagogische Ansprüche bzw. die diesen zugrunde liegenden Werte relativieren. Aussagen der Art, dass es sich bei Kultureller Bildung nicht um Kunst bzw. um das Ästhetische im vollen Sinne, sondern lediglich um pädagogisierte Vor- (wenn nicht: Schwund-)Stufen handele, sind ausgeschlossen. Ebenso wie Aussagen, nach denen Kulturelle Bildung nicht für alle Menschen als wesentlich bezeichnet werden (vgl. Liebau 2015), sondern z.B. nur für musisch Interessierte, schlimmer noch: Begabte. Die Hochschwelligkeit, das Elitäre, Distinktive, Diskriminatorische von Kunst – um es noch drastischer auszudrücken: der „Nervenadel“ (Ortega y Gasset 1964:9) – ist folglich das eine Tabu, nämlich das Exklusionsverbot der Kulturellen Bildung. Konsequenterweise ist daher jede Wettbewerbs- und Leistungsorientierung in der Kulturellen Bildung ausgeschlossen (vgl. Keuchel 2017). Man könnte also von einem Exklusions- und einem Platzierungsverbot sprechen. Folgt hieraus dann eine Pädagogisierung bzw. Didaktisierung des Zugangs zum Künstlerischen, um eben diese Exklusion zu verhindern? Wird das Hochschwellige also niedrigschwellig zugänglich gemacht, vielleicht in unzähligen kleinen Schritten, vielleicht durch Ersetzung des Hohen durch dessen Schwundstufen? Genau diese scheinbare Konsequenz des Exklusionsverbots ist ebenfalls verboten. Mehr noch: Die Ausschließung der Pädagogisierung bzw. Didaktisierung des Künstlerischen ist ebenso konstitutiv für die Kulturelle Bildung wie das Exklusionsverbot. Kulturelle Bildung ist demnach auf der Normenebene als Entparadoxierung einer doppelten Paradoxie zu verstehen:
- Das Künstlerische ist exklusiv (etwas Besonderes, Nicht-Alltägliches, Wertvolles, um das man sich bemühen muss), ohne exkludieren zu dürfen.
- Die (pädagogische) Vermittlung des Künstlerischen darf nicht pädagogisch im Sinne einer Didaktisierung sein.
Die Hauptnorm der Kulturellen Bildung ist danach: Entparadoxiere diese doppelte Normenparadoxie, ohne eine dieser Normen zu verletzen oder auch nur der jeweils anderen unterzuordnen! Diese Entparadoxierung kann in der Praxis dadurch gelingen, dass diese sich selbst mit Semantiken beschreibt, die überzeugen können, ohne konsistent sein zu müssen. Phrasen wie „Musik von Anfang an“ (Krönig 2019) sind demnach als Anweisung zur Paradoxieentfaltung zu verstehen, die auf der semantischen Ebene schlicht durch die unsichtbar gemachte Verunklarung dessen gelingt, was unter Musik zu verstehen sei. Das heißt, Musik ist zugleich das Hochschwellige, erst durch Kulturelle Bildung zu Erzielende und das sich unmittelbar, voraussetzungslos jederzeit und überall Ereignende. Diese Paradoxie selbst wird in der Formulierung als solche nicht sichtbar, in der Praxis allerdings sehr wohl spürbar …
Heteronomisierungen der Kulturellen Bildung
Die These einer Heteronomisierung der Kulturellen Bildung unterstellt die Möglichkeit einer Autonomie, die wiederum einer Differenzierungstheorie bedarf. Schließlich werden verschiedene Bereiche (Systeme, Felder, Wertsphären, symbolische Formen) vorausgesetzt, die sich an sich selbst orientieren und Fremdsteuerung begrenzen können. Die funktionale Fassung dieser Differenzierung der Gesellschaft gilt hierbei weniger als eine originär systemtheoretische Idee, sondern bezeichnet vielmehr den Kern der Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften. Vermischungen oder Entdifferenzierungen von Politik, Recht, Wirtschaft und Religion werden dieser Theorie zufolge in der Moderne als Korruption problematisiert (vgl. von Maravic 2006:101). Allerdings scheint sich die Wahrnehmung und Problematisierung dieser Entdifferenzierungen derart schnell zu ändern, dass man kaum von einer Historizität sprechen möchte. Politisierungsformen waren beispielsweise seit Mitte der 1960er Jahre zu beobachten. Von Kunst und Erziehung wurde (politisches) Engagement erwartet und nicht als etwas Äußeres, sondern wesentlich ihr Zugehöriges gesehen (vgl. Krönig 2007:81ff.; Peitsch 1999:32; Ott 1998; Kolleritsch 1972:97). Entsprechende Forderungen konnten aber mit Verweis auf die Autonomie der Kunst von der Hand gewiesen werden (vgl. Adorno 1981:71; Handke 1972; Faulstich 2003).
Wenn seit Anfang der 1990er Jahre in der Wissenschaft die Ökonomisierung der Gesellschaft in den Blick gerät (vgl. Mühlenkamp 2003), gibt es ebenfalls – sogar noch viel breiter und lauter – Widerspruch im Verweis auf die Autonomiegefährdung der betreffenden Bereiche (Gesundheit, Politik, Erziehung, Kunst) (vgl. Krönig 2007:12). Ökonomisierung ist ohne Frage ein reiner Problembegriff, während Politisierung immer schon ambivalent zu verstehen war, nämlich auch als Wiedergewinnung des Politischen, sozusagen als Ent-Entpolitisierung. Während es kaum vorstellbar ist, dass der durchaus etablierten Ökonomisierungskritik (Bellmann 2016:212) Entökonomisierungskritik entgegengestellt würde, ist die Entpolitisierungskritik an denen, die für eine Autonomie des Pädagogischen argumentieren, laut vernehmbar (vgl. Hodgson 2020). Folgt man der Rede von dem Politischen gemäß der politischen Differenz (vgl. Marchart 2010) bzw. der Foucaultschen Metaphysik einer Universalität und Ubiquität der Macht (vgl. Krönig 2020a, 2022), ist eine Autonomie der Kulturellen Bildung gegenüber dem Politischen weder erreichbar noch überhaupt sinnvoll anzustreben. Die Autonomieforderung gegenüber der Ökonomie ist hingegen unwidersprochen. Weshalb ist das so?
Ökonomisierung der Kulturellen Bildung
Zunächst muss an dieser Stelle klargestellt werden, dass mit Ökonomisierung nicht bloß die Tatsache gemeint wird, dass Akteure der Kulturellen Bildung immer auch ökonomische Akteure sind. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt beispielsweise für öffentlich geförderte Organisationen und Projekte der Kulturellen Bildung selbstverständlich und unspezifisch. Ein Normenkonflikt wird nicht daraus, dass das aus Sicht der Kulturellen Bildung Wünschbare einer ökonomischen Realität entgegensteht. Dass hier jeweils andere Werte gelten, spricht gerade nicht für eine Heteronomisierung, sondern ganz im Gegenteil für eine autonomiegewährende Differenzierung. Können aber nicht Werte eines Bereichs in jeweils andere einwandern und diese kolonialisieren, wie es Jürgen Habermas im Hinblick auf die Eindringung der „Imperative der verselbständigten Subsysteme?“ in die Lebenswelt beschrieben hat (Habermas 1985:522)? Spricht man hierbei von Funktionssystemen, deren Existenzbedingung ja gerade dadurch erfüllt wird, dass sie sich jederzeit in jeder Operation von den Operationen anderer Systeme unterscheiden (operative Schließung, Codierung), ist dies nicht so einfach nachzuvollziehen. Vielmehr muss man zeigen, wie die Systeme selbst autonom an fremde Wertsetzungen, z.B. in der Form von Leistungserwartungen anderer Systeme, anschließen, indem sie diese in sich aufnehmen. Auf der semantischen Ebene kann das dadurch erfolgen, dass bestimmte Semantiken eingeführt werden, welche die Widersprüche der eigenen und fremden Normen invisibilisieren können. Dies wird im Folgenden an drei Beispielen vorgeführt.
a) Ökonomisierung durch die Qualitätssemantik. Normenparadoxie: Professionalisierung ist Optimierung
Dass die Qualitätssemantik bei der Ökonomisierung von Pädagogik (vgl. Böttcher 1999; Krönig 2007; Höhne 2012) eine tragende Rolle spielt, ist schon gründlich untersucht worden. Der gleiche Sachverhalt wurde, wenn auch spät (vgl. Krönig 2017b), im Hinblick auf Kulturelle Bildung aufgewiesen (vgl. Unterberg 2020). Qualität wird beispielsweise im Erziehungssystem und im Gesundheitssystem als eigener Wert verstanden, ist also voll anschlussfähig an eigene Normen und führt zugleich ökonomische Normen wie das Effizienzgebot bzw. genereller die Optimierung von Prozessen und die damit einhergehenden Mechanismen der Messung und Standardisierung ein (vgl. Krönig 2007; Höhne 2012).
Die Gleichsetzung der pädagogischen Professionalisierung und der ökonomischen Prozessoptimierung ist für die Pädagogik und die Kulturelle Bildung paradox. Prozessoptimierung ist dem Pädagogischen und Künstlerischen schließlich semantisch und normativ völlig fremd und widerspricht unmittelbar den Semantiken von besonderen ästhetischen Momenten, der Eigenzeitlichkeit und der Entelechie künstlerischer Praxis. Zur Funktionalität dieser Entparadoxierungsform gehört die Invisibilisierung der Paradoxie mittels einer affirmativen Semantik. Der Qualitätsbegriff konnte das seit den 1990er Jahren leisten. Eine Zeit lang war es plausibel, Messung, Transparenz, Standardisierung, Monitoring und Qualitätssicherung nicht als fremde, nämlich ökonomische Anforderungen, sondern als Hilfsmittel zur Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit, das heißt als Professionalisierung zu sehen. Bildung und Gesundheit lassen sich mit der so verstandenen Qualität als solche besser verwirklichen. Professionell handeln heißt dann, Qualität definieren und sichern. Am härtesten treffen hier die Normen der professionellen Technologisierung aus dem Wirtschaftsbereich und dem Technologieverbot der Kulturellen Bildung aufeinander. Mit letzterem ist gemeint, dass deterministische und damit trivialisierende Vorschriften, Abläufe und Praktiken in der Kulturellen Bildung keinen Platz haben dürfen. Schließlich würden die, diesen Abläufen und Praktiken Unterzogenen nicht mehr als individuelle Subjekte in konkreten Situationen vorkommen, die entsprechend individualisierende Blicke und Interaktionen verlangen (Krönig 2017b). Im Qualitätsbegriff lässt sich eine standardisierende, das heißt ent-individualisierende Optimierung in eine kulturpädagogische Professionalität einführen, die das gerade konstitutiv ausschließt. Gleichwohl ist dieser Sachverhalt mittlerweile im etablierten Ökonomisierungsdiskurs so offenkundig, dass die Invisibilisierungs- und damit Entparadoxierungskraft des Qualitätsbegriffs schwach geworden ist. Wer heute in der Kulturellen Bildung mit dem Qualitätsbegriff kommt, wird damit rechnen müssen, als Agent*in der Ökonomisierung gesehen zu werden.
b) Ökonomisierung durch Transfer-, Wirkungs- und Investmentlogiken. Normenparadoxie: Bildungsgerechtigkeit ist Wirtschaftlichkeit
Was Peter Moss in Bezug auf die Pädagogik formuliert, gilt ebenso für die Kulturelle Bildung. Vor allem in bildungspolitischer und massenmedialer Kommunikation wird eine „Story of Quality and High Returns“ (SQHR) (Moss 2015:1) erzählt – ein Narrativ, das sich bis in die 1960er Jahre zurückverfolgen lässt (vgl. Bürgi 2016).
Dass über Kulturelle Bildung in einer Investment-Logik gesprochen wird, ist nicht schon als Ökonomisierung zu bezeichnen. Von Ökonomisierung kann vielmehr erst die Rede sein, wenn in der Kulturellen Bildung selbst entsprechende Prozesse angestoßen bzw. Strukturen ausgebildet werden. Fraglich ist, ob die Bedienung entsprechender Narrative (Transfereffekte, Wirkungsbehauptungen, Investmentlogik) in Projektanträgen Kultureller Bildung schon als Ökonomisierung zu verstehen ist – zumal es sich um Antragslyrik handelt, das heißt, die bloße „Meta-Ebene in der Förderlogik“ (Keuchel 2017:o.S.), von der nicht auszugehen ist, dass die hier verwendeten Semantiken tatsächlich zur Selbstbeschreibung und Gestaltung der eigenen Praxis ins Spiel kommen. Ähnlich wie im Fall der schwach gewordenen Qualitätssemantik gilt für die Instrumentalisierung der Kulturellen Bildung durch die SQHR, dass diese längst eine Immunantwort dagegen aufgebaut hat. Die Mainstream gewordene und vor allem in ihrer Form als Neoliberalismuskritik längst selbst der Kritik unterzogene Ökonomisierungskritik (vgl. Krönig 2017a; Bellmann 2016; Rose 2014) reagiert auf ökonomische Instrumentalisierungen mittlerweile jedenfalls sicher zuverlässiger als auf politische. Während es ein Leichtes wäre, aktuelle Beispiele für ein politisches Engagement der Kulturellen Bildung im Sinne einer Selbstinstrumentalisierung und Affirmation dieser Selbstinstrumentalisierung in Hülle und Fülle anzuführen, fiele das im Hinblick auf ökonomisches Engagement deutlich schwerer. Das müsste ja heißen, dass die Kulturelle Bildung selbst von sich z. B. fordert, an der Aufwertung von Humankapital und Steigerung von Employability beteiligt zu sein.
c) Ökonomisierung durch Kompetenz- und Lernorientierung. Normenparadoxie: Bildung ist Leistung
Schaut man in die Schul- und Kindheitspädagogik, findet man neben der Qualitätssemantik eine weitere Ökonomisierungstendenz auf der semantischen Ebene: Der Bildungsbegriff wird durch Lern- und Kompetenzbegriffe verdrängt, welche eine besondere Nähe zu Messbarkeit, Standardisierung und Leistung herstellen (vgl. Höhne 2015:13; Hartong/Hermstein/Höhne 2018). Lern- und Kompetenzbegriffe können also, ähnlich wie der Qualitätsbegriff, ökonomische Normen in die Kulturelle Bildung einführen und zugleich diesen Sachverhalt unsichtbar machen. Damit ist nicht gesagt, dass der Kompetenzbegriff, genauso wenig wie der Qualitätsbegriff, in jeder Form etwas mit Ökonomisierung zu tun habe. Gerade weil Kompetenz und Qualität keine originär ökonomischen Begriffe sind, funktionieren sie als eine Semantik, die ökonomische Normen in die Kulturelle Bildung einführen kann – dies gelang zunächst eher unbemerkt, ist heute allerdings ebenfalls Gegenstand breiter kritischer Beobachtung (vgl. Trutmann/Kanele 2017; Veith 2014; Treptow 2014; Höltershinken 2014; Meidinger 2010; Pfadenhauer 2014). Höchstens die Kritik an der Betonung des Lernbegriffs zulasten von Begriffen wie Bildung, Erfahrung, Erleben oder Handeln ist in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft noch nicht laut geworden. Auch der Lernbegriff kann – gerade in der Kulturellen Bildung – den Fokus in Richtung (ökonomisierender) Outcome-Orientierung, Messbarkeit und Leistung verschieben. Die häufige Frage, was die Kinder denn tatsächlich lernen, wenn es in der Kulturellen Bildung um Erfahrungen geht bzw. wenn das völlig imponderable Erleben im Mittelpunkt steht, macht deutlich, dass hier die Verwertbarkeit vermisst wird, die mit dem Lernbegriff zumindest verknüpft werden kann. Die Entgegensetzung von spielerischen, ganzheitlichen Zugängen in größeren Gruppen und intensiverem, formalisierterem, aufbauendem Lernen in Kleingruppen oder im Einzelunterricht, die beispielsweise in der Diskussion um „Jeki(ts)“ immer wieder aufgeworfen wird (vgl. Braun 2019), ist ein Beleg hierfür. Dass die Debatte um learnification (vgl. Biesta 2010), das heißt die „redefinition of all things educational in terms of learning“ (Biesta 2019:549) in der Kulturellen Bildung noch wenig geführt wird, ist ein Hinweis: Über die Zentralstellung des Lernbegriffs bzw. über learnification kann eine Ökonomisierung der Kulturellen Bildung unbemerkter, das heißt besser laufen als über Qualität und Kompetenz. Die Gleichsetzung von Bildung und Leistung scheint jedenfalls solange absurd, bis es gelingt, (Kulturelle) Bildung daran zu messen, was Kinder dabei jeweils gelernt haben, mithin, welche Investition aufgebracht wurde und zu welcher Leistung diese Investition befähigt. Diese Normenparadoxie scheint aktuell im Lernbegriff, der dann ja ein ganz bestimmter, mit Leistung und Messbarkeit verwobener ist, versteckt, mithin entparadoxiert werden zu können.
Schluss
Folgt man den hier ausgeführten Überlegungen zur Ökonomisierung der Kulturellen Bildung, wird man auf eine allgemeinere Frage zurückgeworfen: Kann die Kulturelle Bildung eine gewisse – auch normative – Autonomie ausbilden und aufrechterhalten, die verschiedenen Heteronomisierungsprozessen Widerstand entgegensetzen kann? Kann sie hierfür ihre konstitutiven und damit originären und spezifischen, mithin autonomiestärkenden Paradoxien formulieren, reflektieren und bearbeiten? Ein skizzenhafter Vorschlag hierzu in der Form der doppelten Normenparadoxie der zugleich ein- und ausgeschlossenen Exklusivität und Pädagogizität der Kulturellen Bildung wurde in diesem Beitrag zur Diskussion gestellt. Eine weitere Frage folgt aus der dargestellten Historizität und richtet sich an die empirische Forschung zur Kulturellen Bildung. Aus der hier an Beispielen aufgezeigten Abnutzung von Ökonomisierungsformen folgt die Gefahr anachroner Kritik. Es stellt sich die Frage, ob die Forschung mit den Transformationen ihres Felds standhalten kann und will. Heute Ökonomisierung zu kritisieren, bringt jedenfalls verdächtig wenig Gegenwind hervor, was vermutlich im Falle einer Kritik oder auch nur Analyse der Politisierung anders aussehen könnte. Ist es nicht so, dass die Kulturelle Bildung heute viel mehr davon profitiert, ihre eigene Leistung und Funktion im Hinblick auf politische Zielsetzungen als im Hinblick auf ökonomische Orientierungen zu formulieren? Dass die im Wesentlichen ja politisch geförderte und über Ausschreibungen gesteuerte Forschung zur Kulturellen Bildung – wohlgemerkt agieren auch die großen Unternehmensstiftungen als politische Akteure mit expliziten Reformagenden (Krönig 2020b) – die Politisierung, von der sie profitieren, nicht in den Fokus rückt, sollte zumindest einen heuristischen Anfangsverdacht aufwerfen. Die mutmaßlichen Politisierungsformen der Kulturellen Bildung scheinen jedenfalls aktuell noch so gut zu funktionieren, dass sie kaum sichtbar sind. Während das Auftreten von ökonomischen Normen in der Kulturellen Bildung, wie oben gezeigt, höchstens noch im Hinblick auf den Lern- und Kompetenzbegriff entparadoxierbar bzw. invisibilisierbar ist, scheinen politische Figuren wie Engagement und Verantwortung der Kulturellen Bildung heute als einheimisch.