Ehrenamtlich Engagierte im kulturellen Bereich in Berlin: Wirkungsstätten, Demographie, Armutsrisiko und ungehobene Potentiale
Abstract
In Anbetracht der Bedeutung des Ehrenamtes für die Vielfalt und Qualität des Kulturbereiches stimmen die Krisendiagnosen im Jahr 2023 nachdenklich, die einen dauerhaften Rückgang des Engagements nach der COVID-19-Pandemie befürchten lassen. Für ein besseres Verständnis aktueller Entwicklungen ist es dabei zentral, die Situation vor der Pandemie zu betrachten. Analysen einer repräsentativen Umfrage der Berliner Bevölkerung aus dem Jahr 2019 zeigen, dass insbesondere die Orte der Soziokultur, Kulturvereine und der Freien Szene die zentralen Wirkungsstätten für kulturelles Engagement in Berlin darstellten. Kulturell Engagierte waren formal höher gebildet, jung und überdurchschnittlich von Armut gefährdet. Die Analysen geben darüber hinaus einen Einblick, welche ehrenamtlichen Tätigkeiten im kulturellen Bereich für die Berliner Bevölkerung am ehesten vorstellbar waren. Hierzu zählte etwa die Mithilfe bei der Organisation von Veranstaltungen. Insgesamt sprechen die Datenanalysen dafür, dass eine erfolgreiche Bindung und Akquise von Ehrenamtlichen im Kulturbereich einerseits durch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten (Stichwort Ko-Kreation), aber auch Aufwandsentschädigungen unterstützt werden können. Letztere dürften insbesondere auch vor dem Hintergrund der erhobenen wirtschaftlichen Situation und der geringen Einkommen vieler Kultur-Engagierter eine große Rolle spielen.
Die Qualität und Breite nicht nur des Berliner Kulturbereichs wäre ohne das vielfältige Wirken ehrenamtlich Engagierter kaum vorstellbar. Daher sollte es bedenklich stimmen, wenn zuweilen von einer „Krise“ des Ehrenamtes die Rede ist (vgl. Schurr 2021, Kulturpolitische Gesellschaft 2023). Tatsächlich dürften die Jahre der Corona-Pandemie das ehrenamtliche Engagement im Kulturbereich vor erhebliche Herausforderungen gestellt haben, deren Konsequenzen noch nicht vollständig absehbar sind. Die COVID-19-Pandemie führte nicht nur, wie überall, zur temporären Schließung zahlreicher Wirkstätten, sondern stellte manche ehrenamtlich getragene Kulturangebote (wie etwa Chöre (vgl. Landesmusikrat Berlin (2020)) vor besondere Herausforderungen, z.B. in Bezug auf Hygienemaßnahmen. Auch die Nachwuchsakquise dürfte gelitten haben. Nicht zuletzt wurde auch die persönliche Lebenssituation vieler Ehrenamtlicher infolge von COVID-19 bedingten Arbeitsplatzverlusten, Kurzarbeit oder zusätzlicher Kinderbetreuung auf eine harte Probe gestellt. Ihnen, wie auch vielen anderen potentiellen Ehrenamtlichen, fehlten in Zeiten der Pandemie sicherlich schlicht mentale, zeitliche wie finanzielle Ressourcen, um sich (weiterhin) um ein Ehrenamt zu kümmern. Erholt sich die Situation dieser Menschen nicht, steht zu befürchten, dass zukünftig mit einem dauerhaften Rückgang des Engagements gerechnet werden muss. Stichwörter wie „Inflation“, „Rezession“, „Energiekrise“ oder „Ukrainekrieg“ – wie sie in den letzten Nachpandemiemonaten vermehrt im öffentlichen Diskurs auftauchen – stimmen diesbezüglich eher nicht optimistisch. Gleichzeitig deuten jedoch (mit Vorsicht zu interpretierende) Onlinebefragungen aus Großbritannien bei nachlassender gesamtgesellschaftlicher Pandemie-Relevanz auf eine Rückkehr vieler vormals Engagierter im Kulturbereich hin (vgl. Mantell 2023:27). Inwieweit die Befürchtungen oder Hoffnungen in Deutschland tatsächlich eintreten werden, müssen zukünftige Analysen zeigen. Doch lohnt sich für ein besseres Verständnis der aktuellen Situation auch ein Blick auf den Status Quo vor der Pandemie. Für Berlin liegen dabei repräsentative Daten von 2019 aus der Bevölkerungsbefragung „Kulturelle Teilhabe in Berlin“ vor, die von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa finanziert wurde. Dabei handelt es sich um eine postalische Befragung der Berliner Wohnbevölkerung mit etwa 3.400 Befragten (zur Methodik: Allmanritter et al. 2021:69). Die Daten erlauben einen Einblick auf die Zusammensetzung der damals kulturell engagierten Personen, aber auch an welchen Orten sie tätig waren und welche Betätigungsfelder im Kulturbereich potentiell für die Berliner Bevölkerung in Frage kamen.
Als Ehrenamt oder auch freiwilliges Engagement werden dem Freiwilligensurvey folgend Tätigkeiten bezeichnet, die „freiwillig und gemeinschaftsbezogen ausgeübt werden, im öffentlichen Raum stattfinden und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet sind.“ (Simonson et al. 2021a:11). Inwieweit es sich bei einem Ehrenamt um ein kulturelles Engagement handelt, wurde in der Berliner Studie dabei über den Wirkungsort bestimmt. Zugespitzt wurde hierbei auf Tätigkeiten, die in einem der folgenden Orte ausgeübt wurden: Kulturvereine, Bibliotheken, Theater, Oper, Ballett-/Tanztheater, klassische Konzerthäuser, Museen, Gedenkstätten, Erinnerungsorte, Orte der Freien Kulturszene oder soziokulturelle Zentren. Dies erfolgte vor dem Wunsch, insbesondere für das Ehrenamt im Bereich der zumeist stark öffentlich geförderten Kulturangebote eine verbesserte Datenlage zu erhalten. Aufgrund der teils sehr hohen Fördersummen wurde diesem Themenfeld zumindest als Auftakt einer Beforschung eine besonders hohe Relevanz zugeschrieben. Einerseits stellt dies eine deutliche Engführung dar, da viele Wirkungsorte (man denke an Kirchenchöre) nicht vollständig abgedeckt sein dürften. Andererseits bewirkt dieses Vorgehen, dass auch Tätigkeiten zuverlässig erfasst werden, die ansonsten möglicherweise Gefahr liefen vergessen zu werden, wenn nur allgemein nach einem Engagement in „Kultur und Musik“ gefragt worden wäre (beispielsweise Fahrdienste).
Zentrale Wirkungsstätten in Berlin sind Soziokulturelle Zentren, Kulturvereine und Orte der Freien Szene
In Bezug auf die wichtigsten Wirkungsorte zeigt sich, dass kulturelle Ehrenämter 2019 eher seltener im Zusammenhang mit „klassischen“, zumeist öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen ausgeübt wurden. Lediglich 2 % der Berliner*innen gaben an, ehrenamtlich in Theatern, Opern, Ballett-/Tanztheatern oder klassischen Konzerthäusern aktiv gewesen zu sein, jeweils 1 % in Museen, Gedenkstätten/Erinnerungsorten oder Bibliotheken. Besonders häufig waren Ehrenamtliche in alternativen Orten wie Soziokulturellen Zentren (6 %), Kulturvereinen (5 %) und Orten der Freien Kulturszene (4 %) tätig – also Wirkungsstätten, die in Bezug auf ihre finanzielle wie personelle Ressourcenausstattung besonders auf ehrenamtliche Arbeit angewiesen sind.
Kulturell Engagierte in Berlin 2019 sind formal höher gebildet, jung und überdurchschnitt von Armut gefährdet
Insgesamt lag der Anteil der ganz generell und damit in den verschiedensten Bereichen ehrenamtlich engagierten Menschen in Berlin 2019 mit 32 % niedriger als im Bundesdurchschnitt (40 %, inkl. Berlin), wie ein Vergleich mit den Daten des Freiwilligensurvey zeigt (Simonson et al. 2021b:10). Dies dürfte sich dabei erstens durch die starke Vereinskultur insbesondere in ländlichen Regionen Westdeutschlands erklären, die von ehrenamtlichen engagierten Personen getragen wird. Zweitens dürfte hier die im regionalen Vergleich relativ geringere Bedeutung von Kirche und damit kirchlichem Engagement in Ostdeutschland und Berlin eine Rolle spielen (ebd.:80, Olk/Gensicke 2014:37). Ganz anders jedoch im Kulturbereich: Während sich in Berlin 12 % im Kulturbereich engagierten, traf dies nur auf 9 % der Bundesbevölkerung zu (Simonson et al. 2021b:23). In der Realität dürfte der Unterschied sogar noch etwas größer ausfallen, da die bundesweiten Vergleichsdaten des Freiwilligensurveys breiter Engagements in „Kultur und Musik“ erfassen, im Kontrast zu Berliner Studie. Diese Tendenz ist dabei keinesfalls überraschend, denn sie steht im Einklang mit den überdurchschnittlich häufigen Kulturbesuchen der Berliner*innen und dem großen Kulturangebot der Stadt (Allmanritter et al. 2020:40-46).
Doch welche Berliner*innen engagierten sich 2019 im Kulturbereich? Bemerkenswert ist, dass die Altersgruppe unter 30 Jahren überdurchschnitt vertreten ist (15 bis 29 Jahre: 16 %, Durchschnitt: 12 %). Zwischen 30 und 49 Jahren sinkt der Anteil der ehrenamtlich Aktiven im Kulturbereich speziell in Berlin recht deutlich (10 %). Dies mag mit der „Rushhour des Lebens” zu tun haben, also einer Lebensphase, die durch häufig Zeitmangel in Folge von Familiengründung und Karriereaspirationen geprägt ist. Denn ab 50 Jahren steigt der Anteil der kulturell Engagierten wieder leicht an (50-64 Jahre: 12 %). Bundesweit deutet sich ein analoger Trend bei der Altersstruktur der kulturell Engagierten an, wenn auch weit weniger deutlich (14-29 Jahre: 9,5 %, 30-49 Jahre: 8,8 %, 50-64 Jahre: 9,2 %) (Simonson et al. 2021b:24). Hintergrund dürfte sein, dass Berlin als Kultur- und Kreativwirtschaftsmetropole ein Anlaufpunkt für die so genannte Creative Class (vgl. Florida 2002) und junge Kulturinteressierte ist, die eben (auch) einem kulturellen Engagement zugeneigt sind. Möglicherweise zeugt der stärkere Rückgang in Berlin auch von Jobeinstiegen vormals freiwillig Engagierter in den (weiteren) Kulturbereich.
Während sich 2019 keine nennenswerten Unterschiede nach dem von den Befragten angegebenen Geschlecht in den Daten finden ließen, zeichnete sich bei der formalen Bildung ein deutliches Bild ab: Die kulturell Engagierten verfügten in Berlin wie auch bundesweit über ein überdurchschnittliches formales Bildungsniveau. So lag der Anteil der kulturell Engagierten bei Personen mit Abitur oder (Fach-)Hochschulabschluss mit jeweils 16 % doppelt so hoch wie bei Personen mit höchstens Realschulabschluss (8 %). Auch wenn die hierzu publizierten Vergleichsdaten aus dem Freiwilligensurvey nicht direkt vergleichbar sind, ist der Trend zweifellos auch bundesweit anzutreffen (vgl. Alscher 2022:31).
Eine gegenläufige Tendenz zeigte sich jedoch bei der Einkommenssituation. Personen aus Haushalten mit niedrigen Einkommen waren 2019 unter den kulturell Engagierten deutlich überrepräsentiert. In anderen Worten: Kulturell Engagierte waren auch schon vor der COVID-19-Pandemie häufiger von Armut bedroht als der Durchschnitt der Berliner Bevölkerung. Eine sog. Armutsgefährdung liegt dann vor, wenn ein Haushalt über weniger als 60 % des mittleren gewichteten Einkommens verfügt. Für einen Einpersonenhaushalt lag diese Einkommensgrenze 2019 bei 1.075 €. Lag der Anteil der von Armut gefährdeten Berliner*innen bei rund 19 % (Bundeszentrale für politische Bildung 2020), lassen die Daten der Berliner Studie auf eine Armutsgefährdungsquote für die kulturell Engagierten schließen, die zwischen 28,5 % und 40 % (95 %-Konfidenzintervall) lag, also deutlich darüber. (Aufgrund dieser großen Schwankungsbreite soll hier von einer punktgenauen Angabe abgesehen werden.) Sie gehörten folglich häufig nicht zu den sozial privilegierten Bevölkerungsgruppen, zumindest in Berlin. Dies verblüfft auch deshalb, da sie aufgrund ihrer häufig hohen formalen Bildungsabschlüsse eigentlich seltener von Arbeitslosigkeit, prekären Arbeitsbedingungen oder niedrigen Löhnen betroffen hätten sein müssen (OECD 2021:75). Möglicherweise handelte es sich dabei verstärkt um Menschen, die sich in der Phase des Berufseinstiegs, aber auch in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden. Dies spiegelt möglicherweise auch die oftmals prekären Arbeitsbedingungen in Kunst und Kultur und auch in der Kreativwirtschaft wieder: Ein hohes Bildungskapital garantiert für die kulturell Engagierten offenbar noch keine abgesicherte materielle Existenz (vgl. Manske/Merkel 2009). Weitere Forschungsbemühungen wären hier angezeigt, um die Rolle des freiwilligen Engagements in Hinblick auf Prekarisierungsprozesse im Kulturbereich zu untersuchen. Auch ist nicht klar, ob es sich dabei um eine Berlin-spezifische Situation handelt, da vergleichbare bundesweite Analysen in diesem Bereich unseres Wissens (noch) nicht vorliegen.
Der Befund, dass überdurchschnittlich viele Engagierte im Kulturbereich nur über geringe Einkommen verfügten, stellt dabei nicht nur für die betroffenen Personen ein Problem dar. Es steht auch zu befürchten, dass sie in wirtschaftlichen Krisensituationen (COVID-19, Inflation, etc.) ihr Engagement stärker zurückfahren dürften als andere, etwa wenn Lohneinbußen durch mehr Lohnarbeit ausgeglichen werden müssen.
An organisatorischer Mitarbeit ist eine Mitwirkung bei Veranstaltungen am ehesten vorstellbar – bei inhaltlicher Mitarbeit ist es die Vermittlung
In Hinblick auf die Nachwuchsgewinnung ist es besonders relevant, welche Tätigkeitsfelder im Kulturbereich sich die Berliner*innen „am ehesten“ vorstellen könnten. Dabei waren Mehrfachnennungen ausdrücklich erlaubt. Am häufigsten wurden dabei ganz konkrete unterstützende Tätigkeiten genannt, wie etwa die Durchführung und Organisation von Veranstaltungen, die sich immerhin 58 % der Berliner*innen potentiell vorstellen konnten. Ein ähnlicher, wenn auch etwas niedriger Anteil konnte sich vorstellen, Kulturorte für andere Menschen zugänglicher zu machen, etwa durch Fahrdienste (44 %). Auch bei der Förderung Kultureller Teilhabe könnten Ehrenamtliche also durchaus eine zentrale Rolle spielen. Insgesamt waren es eher zeitlich begrenzte und auch vom Aufwand her überschaubare Beiträge, die am ehesten als vorstellbar genannt wurden. Dennoch kämen noch immer für rund ein Drittel der Berliner*innen Daueraufgaben wie Sekretariats- oder Verwaltungsarbeiten in Frage. Lediglich das Einwerben von Geldern oder Spenden war für nur jede*n Fünfte*n vorstellbar.
Darüber hinaus wurden auch ehrenamtliche Tätigkeitsfelder im Fragebogen zur Auswahl angeboten, die einen stärkeren Bezug zu kulturellen Inhalten aufweisen. Hier stand die Unterstützung bei der inhaltlichen Vermittlungsarbeit an der Spitze (39 %), dicht gefolgt von der Mitwirkung bzw. Mitgestaltung bei den Angeboten von Einrichtungen (37 %). Dies passt zur überdurchschnittlichen Beteiligung jüngerer Altersgruppen, die in derselben Befragung ebenfalls die Möglichkeit zur Ko-Kreation häufiger als andere als Besuchsanreiz angaben (Allmanritter et al. 2020:29). Sprich: Gerade bei der Akquirierung jüngeren Nachwuchses dürften solche Aspekte ein Engagement attraktiv machen.
Tätigkeiten, die sich auf eine stärker auch formal mitverantwortliche Mitgestaltung oder Mitbestimmung an den Kulturorten beziehen, wie Vorstandarbeit oder bei der Auswahl konkreter Angebote in den Einrichtungen mitbestimmen, können sich jeweils rund ein Drittel der Berliner*innen vorstellen (33% bzw. 29 %); ein aktives, künstlerisches Einbringen immer noch ein knappes Fünftel (18 %).
Abb.: Anteil der potentiell Interessierten nach Aufgabe (in Prozent, Grundgesamtheit: Gesamtbevölkerung Berlin, n = 2.959-3.250, Mehrfachnennungen möglich), links: unterstützende Tätigkeiten, rechts: Tätigkeiten mit Bezug auf kulturelle Inhalte oder Programm
Für Bindung und Akquise dürften Gestaltungsmöglichkeiten und Aufwandsentschädigungen von großer Bedeutung sein
Die Analysen geben einige Hinweise für die Akquise, aber auch Bindung von Ehrenamtlichen für den Kulturbereich. Wie eingangs bereits geschildert, waren ehrenamtliche Aktivitäten in Berlin besonders häufig im Bereich Soziokultur und Freier Szene verbreitet. Diese Kulturorte dürften auch deshalb besonders reizvoll sein, da dort der Gesamtkontext sehr stark miterlebt wird und eine höhere personelle Integration und vielfältige Gestaltungsfreiheiten gegeben sind. Anders als bei größeren Kulturorten dürfte ein Engagement an diesen Orten ein höheres Gewicht haben und bei einer hohen Zahl von Mitwirkenden weniger Gefahr laufen „unterzugehen“. Dies passt zu dem Befund, dass es sich bei den Ehrenamtlichen überdurchschnittlich häufig um Personen unter 30 Jahren handelte. Analysen des IKTf zeigen, dass insbesondere für jüngere Personen die Möglichkeit zur Ko-Kreation bei klassischen Kulturangeboten als besonders reizvoll wahrgenommen wird. So sahen in der Studie zur Kulturellen Teilhabe in Berlin 2021 30 % der 15- bis 29-Jährigen einen Besuchsanreiz in der Möglichkeit, sich vor Ort aktiv einzubringen (eigene Berechnungen). Ab 50 Jahren lag dieser Wert lediglich bei 10 %. Diese Tendenz trifft dabei auch für digitale Kulturangebote zu (vgl. Allmanritter/Tewes-Schünzel 2022:47). Sprich: Gerade solche Aspekte dürften ehrenamtliches Engagement für die Jüngeren und damit auch für den ehrenamtlichen Nachwuchs attraktiv machen. Die prekäre Situation vieler Ehrenamtlicher im Kulturbereich in Berlin, lässt zudem darauf schließen, dass monetäre Aufwandsentschädigungen für sie recht wichtig sein dürften, damit sie ihr kulturelles Engagement beginnen oder weiter fortsetzen können. Dies gewinnt vor dem Befund nochmals an Relevanz, dass gerade zeitintensiv kulturell Engagierte Aufwendungen im Rahmen des Ehrenamtes häufiger als in anderen Bereichen selbst bezahlen und seltener als dort die Möglichkeit besteht, diese umfänglich erstatten zu lassen (vgl. Alscher 2022:78-81).
Insgesamt zeigt sich auf Basis der vorliegenden Daten somit Licht und Schatten für die zukünftige Entwicklung des Ehrenamts im Kulturbereich: Einerseits traf die COVID-19-Pandemie auf überdurchschnittlich junge und formal hoch ausgebildete kulturell Engagierte. Andererseits waren diese gleichzeitig jedoch überdurchschnittlich armutsgefährdet und vor allem in Wirkungsstätten aktiv, die auch von ihrer Arbeit in entscheidendem Maße abhängig waren. Nicht zuletzt finden sich in den Daten auch Hinweise auf noch ungehobene Potenziale in der Bevölkerung bei vielen unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen.
Grundsätzlich weisen diese Befunde auf die gesellschafts- wie kulturpolitische Relevanz der Frage nach dem Zusammenhang von Prekarisierung und ehrenamtlicher Arbeit im Kulturbereich hin. Es kann nicht umstandslos davon ausgegangen werden, dass es sich bei den kulturell Engagierten um eine sozial privilegierte Personengruppe handelt. Aus diesem Grund wären hier aus der Sicht der kulturellen Teilhabeforschung weitere Forschungsbemühungen angezeigt.
Offen muss an dieser Stelle (noch) bleiben, welchen langfristigen Einfluss die Pandemie auf das Ehrenamt im Kulturbereich genommen hat. Im Sommer 2023 wurde die dritte Welle der Berliner Kulturelle Teilhabe-Studie erhoben. Mit Analysen zur aktuellen Entwicklung des Ehrenamtes im Kulturbereichs nach COVID-19 kann 2024 gerechnet werden.