Zu den Widersprüchen inklusiver Musikpädagogik – dargestellt am Beispiel der Hamburger Musikgruppe ‚Station 17’
Abstract
Spätestens seit Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention stehen auch musikpädagogische Angebote der Sozialen Arbeit vor der Herausforderung, Inklusion zu verwirklichen. Weitgehend unerforscht sind bislang die konkreten Verwirklichungsbedingungen und Hindernisse inklusiver Praxen. Am Beispiel der 1988 gegründeten Hamburger Musikgruppe ‚Station 17’ soll in diesem Artikel aufgezeigt werden, welche Ziele bei der inklusiven musikpädagogischen Arbeit verfolgt werden. Mit welchen Problemen sind die Musiker*innen in der Praxis konfrontiert und welche Handlungsstrategien haben sie zu deren Bewältigung entwickelt? Ein Fokus liegt dabei auf der Herausarbeitung von Widersprüchen der pädagogischen Praxis, die sich aus einem inklusiven Transformationsanspruch bei gleichzeitiger Affirmation gesellschaftlicher Machtstrukturen ergeben.
Inklusion und Kulturelle Bildung
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2009 hat sich Inklusion zu einer dominierenden Zielperspektive Kultureller Bildung entwickelt. Die Ermöglichung kultureller Teilhabe wird in Art. 30 UN-BRK explizit gefordert, sodass es zukünftig verstärkt darum gehen soll, Menschen mit Behinderung barrierefreie Zugänge zu kulturellen Materialien und Orten des sozialen Lebens zu ermöglichen. Diese Zielvorstellung bleibt nicht beschränkt auf eine rein rezeptive Teilhabe, sondern umfasst auch die aktive kreative Produktion künstlerischer Werke. Diese Aufgabe wird in Art. 30 Abs. 2 UN-BRK konkretisiert:
„Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten und zu nutzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft.“
Der Gesetzestext nimmt die künstlerisch-kreativen Ressourcen von Menschen mit Beeinträchtigung in den Blick und formuliert die Forderung nach geeigneten Maßnahmen zur Entdeckung und Förderung künstlerischer Potenziale. Die Kulturelle Bildung gilt in diesem Zusammenhang als bedeutungsvoller Hoffnungsträger, da davon ausgegangen wird, dass sich inklusive Prozesse in diesem Feld besonders gut verwirklichen lassen. So beschreibt die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2017) „die Arbeitsformen und Konzepte der kulturellen Kinder- und Jugendbildung [als] eine zentrale Ressource auf dem Weg zu einer inklusiven Jugendhilfe und -politik.“ Auch Grosse et al. (2015:8f.) entdecken in kulturpädagogischen Handlungsfeldern vielfältige Chancen zur Entwicklung inklusiver Lebensbedingungen.
Damit stellt sich allerdings die Frage, warum gerade das Feld der kulturell-ästhetischen Bildung so geeignet und offenbar andere Praxisfelder der pädagogischen Arbeit für die Umsetzung inklusiver Prozesse weniger geeignet erscheinen. Diese Annahme ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass außerschulische Angebote der Kulturellen Bildung nicht mit den engen institutionellen Vorgaben von (Hoch-)Schulen arbeiten müssen. Zugleich bleibt es natürlich unbefriedigend, Inklusion nur in abgegrenzten Feldern und nicht in den (hoch-)schulischen Bildungsinstitutionen umzusetzen. Inklusive Angebote der Kulturellen Bildung können die notwendigen Veränderungen in den Bildungsinstitutionen keinesfalls ersetzen.
Inklusive Musikpädagogik als Handlungsfeld Kultureller Bildung
Da es sich bei der Kulturellen Bildung um ein breit gefächertes Praxisfeld handelt, ist für eine tiefergehende Auseinandersetzung eine Schwerpunktsetzung geboten. In diesem Fachbeitrag wird die musikpädagogische Arbeit in den Mittelpunkt gestellt, schon weil hier ein besonders großes Interesse an der Umsetzung von Inklusion besteht. Vor allem im Feld der Sozialen Arbeit wird inzwischen Wert auf eine inklusive Gestaltung musikpädagogischer Angebote gelegt (vgl. Dannenbeck 2015; Sauer 2014; Gerards 2013). Inklusiv gestaltete Musikangebote seien in besonderer Weise geeignet,
„den Bedürfnissen aller Beteiligten, unabhängig von Lernschwierigkeiten, Sinneseinschränkungen oder körperlich begrenzten Möglichkeiten zu entsprechen und über bestehende oder behauptete kulturelle und soziale Grenzen hinweg zur gemeinsamen Interaktion [...] und zu wechselseitiger Kooperation auf demokratischer Basis zu ermutigen“ (Dorrance/Meyberg 2015: 202).
Weitgehend unerforscht sind bislang die konkreten Verwirklichungsbedingungen von Inklusion im Bereich der musikalisch-kulturellen Bildung. Als besonders praxisrelevant erscheinen dabei die folgenden Forschungsfragen: Welche Ziele werden bei der musikpädagogischen Arbeit verfolgt und welche Methoden haben die Beteiligten zur Erreichung dieser Ziele entwickelt? Mit welchen Hindernissen und Problemen sind die Musiker*innen in der Praxis konfrontiert und welche Handlungsstrategien haben sie zu deren Bewältigung entwickelt?
Am Beispiel der Hamburger Musikgruppe ‚Station 17’, die aus Musiker*innen mit und ohne Beeinträchtigung besteht, soll im Folgenden dargestellt werden, wie in musikpädagogischen Angeboten der Sozialen Arbeit inklusive Prozesse gestaltet werden können. Die bereits 1988 gegründete Musikgruppe ist als Angebot der Beruflichen Rehabilitation (SGB IX) organisiert. Mit ihrer Arbeit beschränkt sich die Gruppe nicht auf die pädagogische Praxis, sondern hat sich zudem die Behauptung auf dem allgemeinen Musikmarkt vorgenommen. Seit über 20 Jahren veröffentlicht ‚Station 17’ kontinuierlich Tonträger und organisiert regelmäßig Konzerttourneen im deutschsprachigen Raum – in den Medien wird die Band häufig als „gelebte Inklusion“ (Jerg 2015; Heinigk 2014) beschrieben. Die Musikgruppe ist damit ein besonders interessantes Forschungsobjekt für die Untersuchung der Verwirklichungsbedingungen von Inklusion im Bereich der musikalisch-kulturellen Bildung. Mithilfe der Erhebungsmethode Gruppendiskussion wurde die Binnenperspektive der Bandmitglieder erhoben und anhand ihrer Selbstaussagen und Einschätzungen zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen analysiert, wie sich Inklusion praktisch verwirklicht, wie es sich für die Beteiligten darstellt, welche Vorstellungen und Reflexionen und auch Hoffnungen sie mit Inklusion verbinden. Bei den folgenden Ausführungen handelt es sich um eine Zusammenfassung der 2018 veröffentlichten Studie „Musik und Inklusion – Zu den Widersprüchen inklusiver Musikproduktion“.
Gruppendiskussion als inklusive Forschungsmethode
Bei einer Gruppendiskussion handelt es sich um eine wissenschaftliche Forschungsmethode, die sich zu einem „Standardverfahren qualitativer Sozialforschung“ (Bohnsack et al. 2010:7) entwickelt hat und deren Stärke „in der Möglichkeit der Rekonstruktion kollektiver Orientierungen“ (ebd.) liegt. Eine spezifische Definition bietet Schäffer, der Gruppendiskussionen begreift als
„Kommunikations- und Interaktionsprozesse, die in ihrem regelhaften Ablauf auf kollektiv geteilte existenzielle Hintergründe der Gruppen verweisen, also auf gemeinsame biografische und kollektivbiografische Erfahrungen. Diese schlagen sich u.a. in milieu-, geschlechts- und generationsspezifischen Gemeinsamkeiten nieder und werden in einer Gruppendiskussion in Form kollektiver Orientierungsmuster artikuliert.“ (Schäffer 2011:76)
Im Vergleich zum Einzelinterview ermöglicht die Gruppendiskussion ein wechselseitiges ‚Steigern-und-Fördern’, weil sich die Teilnehmer*innen mit ihren Beiträgen und Kommentierungen immer wieder ergänzen, korrigieren, einander zustimmen oder widersprechen können (vgl. Bohnsack et al. 2010:8). Ein wesentlicher Vorteil der Methode besteht also darin, dass Fragen und Impulse von der gesamten Gruppe reflektiert und diskutiert werden. Der Forschende kann sich dadurch einen guten Überblick über die Variationsbreite der vorherrschenden Meinungen, Werte und Konflikte der Mitglieder verschaffen. Gleichzeitig wird im Kontext von Gruppendiskussionen immer wieder auf den Nachteil hingewiesen, dass die Teilnehmer*innen ihre individuellen Sichtweisen aufgrund von Konformitätszwängen und der wenig intimen Atmosphäre zurückhalten könnten. Kühn und Koschel (2011:230) widersprechen dieser Annahme, weil die Teilnehmer*innen einer Gruppendiskussion durch die Beiträge der Mitdiskutant*innen vielmehr dazu angeregt werden, die eigenen Ansichten noch stärker auf den Punkt zu bringen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Auch Mayring (2002:77) verweist darauf, dass Gruppendiskussionen eher förderlich für die Erhebung individueller Sichtweisen seien, weil sich „das Gespräch hochschaukelt“ (ebd.) und „psychische Sperren durchbrochen werden“ (ebd.), sodass sich bestimmte Standpunkte erst in Gruppendiskussionen offenbaren.
Lamnek plädiert dafür, Gruppendiskussionen mit real existierenden Gruppen durchzuführen, weil diese über ein gemeinsames Thema miteinander verbunden sind (vgl. Lamnek 2005:106). Für die Musikgruppe ‚Station 17’ gilt dies in besonderer Weise, da die seit über 20 Jahren aktive Band eine enge Kooperationskultur etabliert hat und somit über kollektive Erfahrungs- und Wissensbestände verfügt. Für die Fragestellung ist weder die Unterscheidung der Gruppenmitglieder in Menschen mit und ohne Behinderung noch hinsichtlich anderer Merkmale wie z.B. Geschlecht, Anstellungsverhältnis, Einkommen etc. relevant. Auf eine separierende Befragung der Gruppenmitglieder wurde daher verzichtet. Dies würde eine Ungleichheit bezüglich der Wahrnehmungen und Einschätzungen zum gemeinsamen Thema unterstellen, von der auf Basis eines breiten Inklusionsverständnisses nicht auszugehen ist. Schließlich sollen die gemeinsamen Erfahrungen, Handlungsweisen und Bedeutungszumessungen der gesamten Gruppe erhoben werden. Zur optimalen Anzahl der Teilnehmer*innen einer Gruppendiskussion machen einschlägige Quellen unterschiedliche Angaben. Die hier ausgewertete Gruppendiskussion wurde mit insgesamt acht Teilnehmer*innen durchgeführt. Eingeladen waren sechs Musiker*innen der Gruppe ‚Station 17‘, die sozialpädagogische Betriebsstättenleitung und ein/e Vertreter/in des verantwortlichen Tonträgerunternehmens. Für die Datenerhebung ist deshalb zu berücksichtigen, dass hierarchische Strukturen die Aussagen der Untersuchungspersonen beeinflussen könnten. Bei der Formulierung der Fragen wurde darauf geachtet, dass diese allgemein und leicht verständlich sind, damit sich alle an der Diskussion beteiligen können und verstehen, auf welche Handlungsweisen, Wissensbestände und künstlerischen Praxen die jeweiligen Fragestellungen abzielen.
Reflexion der Forschungsergebnisse mit Blick auf implizite Widersprüche
Die Auswertung der Gruppendiskussion hat vielschichtige und erkenntnisreiche Sinnkonstruktionen zum Selbstverständnis der Gruppe in Bezug auf ihre Identität als inklusive Musikgruppe ergeben. Im Folgenden werden die Kernaussagen der Diskussion zusammengefasst und dabei einige prägnante Widersprüche der Praxis herausgearbeitet, die Aufschluss über zu reflektierende Problemdimensionen inklusiver Musikproduktion im Feld der Beruflichen Rehabilitation geben. Ausgewählte Passagen werden zusätzlich mit Zitaten aus dem Expert*inneninterview belegt und entsprechend gekennzeichnet.
Inklusion als künstlerischer Vor- und Nachteil
Die Mitglieder von ‚Station 17‘ äußern sich widersprüchlich zu ihrer inklusiven Identität. Die Gruppe beschreibt diese zugleich als entscheidenden Vor- und auch Nachteil im ökonomischen Wettbewerb. Im Kontext ihrer Arbeit legt ‚Station 17‘ großen Wert auf eine professionelle Musikproduktion. Seit ihrer Gründung hat die Gruppe sich diesem hohen Anspruch verschrieben. In diesem Zusammenhang hat ‚Station 17‘ inklusive Arbeitsformen entwickelt, die darauf abzielen, die Fähigkeiten der einzelnen Musiker*innen in der musikalischen Arbeit zur Geltung zu bringen. Bei der Ausgestaltung der kreativen Prozesse achtet die Gruppe darauf, dass alle Gruppenmitglieder ihre individuellen Interessen und Fähigkeiten in die Arbeit einbringen können. Zur Verbesserung und Förderung der musikalischen Fähigkeiten bietet die Einrichtung den betreuten Musiker*innen zusätzlich die Möglichkeit, am Musikunterricht teilzunehmen. Trotz dieser stärkenorientierten und professionalisierten Arbeitsweise hat die Gruppe enorme Schwierigkeiten, sich am Markt zu behaupten, denn ‚Station 17‘ kann die hohen Leistungsansprüche des Wettbewerbs nur eingeschränkt bedienen. Dieses Problem wird vor allem darauf zurückgeführt, dass die Gruppe im Vergleich zu anderen nicht-inklusiven Musikgruppen deutlich mehr Zeit für die Produktion ihrer Tonträger benötigt. Die Gruppe sieht sich nicht in der Lage, die künstlerische Produktivität und Leistungsfähigkeit erfolgreicher Musikgruppen zu erreichen:
„Aber es ist halt die Frage, ob eine Band von der Art und Weise, wie wir sie sind und mit der Geschichte auch mit dem Hintergrund, überhaupt in der Lage wäre, jetzt so einen großen Majorvertrag oder sowas zu angeln und die Auflagen zu erfüllen. Nee, das können wir sicher nicht.“ (Expert*inneninterview)
Insofern erweist sich die gleichberechtigte Teilnahme am Markt als Notwendigkeit, sich den Ansprüchen dieses umkämpften Marktes zu stellen und sich den dort geltenden Marktmodalitäten auszusetzen. Die Gruppe muss im Prinzip ihre Existenz durch Auftrittsgagen und den Verkauf ihrer Tonträger sicherstellen. Größere Tonträgerunternehmen und Konzertagenturen sind jedoch nicht bereit, mit der inklusiven Musikgruppe zu kooperieren, weil sie sich keinen kommerziellen Erfolg von ‚Station 17‘ versprechen. Die daraufhin von der Gruppe entwickelten Strategien der Selbstvermarktung bergen jedoch den entscheidenden Marktnachteil, von wichtigen verkaufsfördernden Netzwerken ausgeschlossen zu sein.
Der mäßige Erfolg der Gruppe führt einerseits zu Beschwerden gegenüber Marktmechanismen und den dort vorherrschenden Konkurrenzbedingungen und anderseits jedoch zu der totalen Affirmation des Marktes, dem man sich auszusetzen als inklusive Band schuldig ist. Die Musiker*innen von ‚Station 17‘ begreifen den Markt als Bewährungsfeld für den Beweis, dass sie als inklusive Band erfolgreich sein könn(t)en. Die Konkurrenz des Marktes wird somit idealisiert als eine Möglichkeit, die eigene Professionalität unter Beweis zu stellen. ‚Station 17‘ möchte sich somit auf dem Markt behaupten, um als professionelle Musikgruppe anerkannt zu sein. Damit will sich ‚Station 17‘ zudem abgrenzen von anderen Gruppen, die ausschließlich musikpädagogische Konzepte verfolgen und den künstlerischen Anspruch der Pädagogik unterordnen. ‚Station 17‘ hingegen will nicht rezipiert werden als ‚behindertenpädagogisches Projekt‘, sondern identifiziert sich als professionelle Musikband. Diese Identifikation hat nun durchaus zur logischen Konsequenz, dass die Gruppe sich ihren mangelnden Erfolg auf dem Markt als eigenes Versagen zuschreibt. Indem der Markt als Feld der Bewährung angenommen wird, ist das Markturteil anzuerkennen.
Mit Blick auf die Marktmechanismen benennt die Gruppe ihre spezifischen Benachteiligungen, bestimmt jedoch ihre inklusive Identität zugleich als Konkurrenzvorteil im Sinne einer Marke. Durch ihr Alleinstellungsmerkmal als inklusive Band würde sich ‚Station 17‘ von vielen anderen Musikgruppen unterscheiden – die Gruppenmitglieder geben an, dass das Publikum die Gruppe aufgrund ihres inklusiven Charakters schätze. Für ‚Station 17‘ ist Inklusion damit ein identitätsstiftendes und verkaufsförderndes Merkmal. Während die inklusive Identität als wesentliches Profilierungsmittel betrachtet wird, bestimmt die Gruppe ihre inklusive Arbeitsweise als größten Mangel, nämlich als Nichterfüllung der auf dem Markt geltenden Produktivitätsmaßstäbe. Inklusion erscheint somit als wesentlicher Vor- und Nachteil zugleich. So zeigt sich ein widersprüchliches Inklusionsverständnis: Der kommerzielle Erfolg einer inklusiven Gruppe wird als Verwirklichung von Inklusion verstanden. Nicht die pädagogische Arbeit, sondern die musikalischen Leistungen sollen der Grund für Anerkennung beim Publikum sein. Zugleich wird auch deutlich, dass das inklusive Konzept für die Anerkennung sorgen soll.
„So als Band ist das ein Produkt, und dieses Produkt ist sozusagen inklusiv, und dieses inklusive Produkt setzt einen neuen Wert wie ein nicht-inklusives Produkt und wird halt nicht um des Inklusionswillens heraus wertgeschätzt.“ (Expert*inneninterview)
Es zeigt sich, dass die Gruppe sich selbst als verwirklichte Inklusion begreift, gleichzeitig jedoch Inklusion erst verwirklicht ist, wenn ‚Station 17‘ eben nicht für ihre inklusive Identität, sondern für die Musik anerkannt ist.
Der Selbstwert der Musiker*innen soll gestärkt werden – die unerwünschte Abwertung anderer ist jedoch impliziert
Die inklusive Arbeit von ‚Station 17‘ zielt darauf ab, dass sich die betreuten Musiker*innen als gleichberechtige und professionelle Künstler*innen erfahren, die einen kreativen Beitrag zur Musikproduktion leisten. Adressat*innen werden in diesem inklusiven Konzept nicht als passive Empfänger*innen pädagogischer Dienstleistungen betrachtet, sondern aktiv in den künstlerischen Produktionsprozess einbezogen. Die künstlerischen Beiträge und (Selbst-)Erfahrungen beschränken sich nicht auf die Arbeit im Übungsraum und Tonstudio. Auf Live-Konzerten erhalten die Musiker*innen zusätzlich die Möglichkeit, sich und ihr musikalisches Können einem größeren Publikum zu präsentieren. Die betreuten Musiker*innen treten in diesem Rahmen als selbstbewusste und professionelle Künstler*innen in Erscheinung. Von den Musiker*innen werden diese Erlebnisse als wichtige Kontrasterfahrungen zum beruflichen und sozialen Alltag beschrieben, und der Zuspruch des Publikums wird als besondere Form der Anerkennung erlebt. Habe man in der Vergangenheit viel Ausgrenzung und Missachtung aushalten müssen, sei man heute als Mitglied des professionellen Künstlerkollektivs ‚Station 17‘ anerkannt. Diese als positiv erlebten Anerkennungserfahrungen werden von den Pädagog*innen befürwortet und unterstützt. Abgelehnt werden jedoch die als diskriminierend empfundenen Übertreibungen der Selbstwertsteigerung. Nicht selten käme es vor, dass sich die betreuten Musiker*innen abfällig gegenüber anderen Menschen mit Behinderung äußern würden. Einige der betreuten Musiker*innen würden sich sogar weigern Konzerte zu spielen, wenn sich im Publikum andere Menschen mit Behinderung aufhielten:
„Also, die Mitglieder von Station 17 finden das überhaupt nicht vorteilhaft, wenn Menschen mit Handicap im Publikum sind. Nicht mal auf die Bühne gegangen ist der. Ist die Bühne entlang, und sieht, in der ersten Reihe steht einer mit Down-Syndrom, sagte nee und schmeißt das Mikro vorne weg und läuft sauer runter. Arroganz hat sich da eingebürgert bei Station 17.“ (Expert*inneninterview)
Für das „abgehobene Verhalten“ der Musiker*innen zeigen die Pädagog*innen kein Verständnis. Sie könnten sich nicht erklären, wie es dazu komme, dass Vertreter*innen einer Minderheit eine derart abwertende Haltung gegenüber anderen Minderheiten einnähmen:
„In der ersten Formation von Station 17 gab es zwei Bandmitglieder, die sich irgendwann im Tourbus offen rassistisch gegen Ausländer geäußert haben. Da ist mir der Unterkiefer runtergefallen. Da wusste ich auch nicht, wie ich damit umgehen sollte und weiter unbeschwert mit diesen Bandmitgliedern auf Tour fahren konnte. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. Beide waren Mitglieder der Behindertenwerkstatt. Also das fand ich schon schwierig, mir da eine Position zu entwickeln.“ (Expert*inneninterview)
Mit ihrem moralischen Idealismus, der einen solidarischen Standpunkt unter Minderheiten reklamiert, verpassen die Pädagog*innen jedoch die Logik des Vergleichs, auf dem das positive Selbstbild der Musiker*innen mit Behinderungen beruht. Die hier vollzogene Vergleichslogik lässt sich in Anlehnung an die Ausführungen des Soziologen Creydt (2000:294) ein Stück weit dechiffrieren: „Statt in der Welt orientiert man sich im Vergleich und in der Abgrenzung gegen andere. In Akklamationszirkeln auf Gegenseitigkeit wird sich in der jeweiligen vermeintlichen Erlesenheit und Auszeichnung versichert.“
Demnach ist anzunehmen, dass die betreuten Musiker*innen die Teilhabe an ‚Station 17‘ als gesellschaftlichen Aufstieg werten. Im Vergleich zu anderen Menschen mit Behinderung sehen sie sich selbst als Individuen, die es durch ihre Arbeit zu etwas gebracht hätten. Die betreuten Musiker*innen versuchen sich so von ihrer Behindertenidentität zu emanzipieren, um dem Ideal des anerkannten, erfolgreichen Künstlers zu entsprechen. Mit der Verweigerung des Auftritts wollen die betreuten Musiker*innen vermutlich zurückweisen, mit dem Publikum etwas gemein zu haben, denn sie haben sich ja gerade erfolgreich abgegrenzt gegen eine Identität als Mensch mit Behinderung und möchten nicht an diese Identität erinnert werden. Die Musiker*innen beziehen demnach ihren Selbstwert aus ihrer neu gewonnenen Künstler*innenidentität, die sie als eine Überlegenheitsposition gegenüber anderen Menschen mit Behinderung betrachten. Die besondere Anerkennung der Künstler*innenidentität enthält damit eine Tendenz zur Missachtung anderer Menschen mit Behinderung, die nicht zum Kreis der Künstler*innen gehören.
Mit Inklusion wird die Eingliederung in prekäre Arbeitsverhältnisse gefordert
Als Angebot der beruflichen Rehabilitation ermöglicht ‚Station 17‘ den betreuten Musiker*innen formal die Teilhabe am Arbeitsleben. Die (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist zwar das formelle, aber auch unrealistische Ziel der Einrichtung. Bislang konnte kein/e betreute/r Musiker*in der Gruppe in ein reguläres Anstellungsverhältnis vermittelt werden. Die niedrige Vermittlungsquote wird vor allem auf die Konkurrenz auf dem Musikmarkt zurückgeführt. Dieser sei hart umkämpft mit der Folge, dass Musiker*innen überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen seien. Die erzielten Einkommen würden oft nicht reichen, um die eigene Existenz zu sichern. Auch hoch qualifizierte Musiker*innen seien deshalb häufig gezwungen, weitere Nebentätigkeiten auszuüben. Aufgrund der wachsenden Konkurrenz auf dem Markt und der damit einhergehenden zunehmenden Leistungsanforderungen gehen weder die Pädagog*innen noch die betreuten Musiker*innen davon aus, zukünftig Künstler*innen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln zu können. Maßnahmen der Beruflichen Rehabilitation werden deshalb als existenzsichernde und künstlerische Aktivitäten ermöglichende Alternative zu den mangelhaften Bedingungen des Musikmarktes betrachtet:
„Das heißt, ein Musiker mit Behinderung könnte sich rein theoretisch natürlich bei irgendeiner Band bewerben auf dem ersten Arbeitsmarkt. Er würde hier die soziale Sicherung verlieren, er würde nicht mehr regelmäßig Geld bekommen, er würde kein Gehalt bekommen, sondern er müsste sozusagen wie jeder andere in einer freien Band sich mit dem freien Musikmarkt auseinandersetzen. Und wenn er halt keinen Job hat, dann muss er eben putzen gehen oder kellnern, wie das andere Musiker auch machen müssen.“ (Expert*inneninterview)
Die Künstler*innen der Einrichtung müssten sich somit zumindest keine Sorgen um ihre Existenz machen. Außerdem hätten die Musiker*innen mit ‚Station 17‘ die Möglichkeit, ihr musikalisches Hobby zum ‚Beruf’ zu machen. Der zuletzt genannte Faktor wird auch von den betreuten Musiker*innen als wichtiger Grund für die Teilnahme an der Gruppe angegeben. Die Gruppe erklärt also, dass die Arbeitsbedingungen für Berufsmusiker*innen derart prekär sind, dass Künstler*innen mit Behinderung in Maßnahmen beruflicher Rehabilitation materiell vergleichsweise besser gestellt seien als professionelle Musiker*innen, die ihre Existenz durch Erfolg in der Konkurrenz auf dem Musikmarkt bestreiten müssen. Gleichzeitig fordern die Gruppenmitglieder jedoch, dass Inklusion durch die Öffnung des Arbeitsmarktes realisiert werden solle. Eine inklusive Gesellschaft müsse Menschen mit Behinderung ermöglichen, sich für Arbeitsplätze im Kulturbereich zu qualifizieren. Abwägungen zum materiellen Wohlergehen und Inklusion fallen an dieser Stelle auseinander. Beurteilt man den Inklusionsgedanken vor dem Hintergrund dessen, was es materiell bedeutet, am Musikmarkt teilzuhaben, muss man konstatieren, dass damit eine Praxis angestrebt wird, bei der die Inklusion den betreuten Musiker*innen zu einer prekären Existenz auf dem Musikmarkt verhelfen soll. Inklusion artikuliert sich hier als Gleichheitsidealismus, der verwirklicht wird, indem von den kritisierten Bedingungen des Arbeitsmarktes abstrahiert wird.
Das Inklusionsbegehren nach Hochschulbildung affirmiert die Normalität von Exklusionsprozessen
Die Mitglieder der Gruppe erklären, dass Zugänge zu kulturellen Arbeitsfeldern nur durch eine Ausweitung der Ausbildungsmöglichkeiten für Künstler*innen mit Behinderung zu schaffen seien. Gegenwärtig blieben viele künstlerische Talente unentdeckt und erhielten keine professionelle Förderung. Die Ausbildung von Künstler*innen mit Behinderung dürfe sich deshalb nicht auf Sonderinstitutionen beschränken. Eine gesamtgesellschaftlich ausgerichtete Inklusion umfasse daher die Öffnung der (Kunst-)Hochschulen:
„Ja, der Arbeitsmarkt müsste sich insoweit öffnen, dass er sozusagen, die Ausbildungsmöglichkeiten erweitert und Teilhabe an Ausbildung für Schauspieler, für Musiker und bildende Künstler schafft. Da geht es nicht unbedingt darum, den Bachelor zu machen oder den Master, sondern einfach nur Inhalte zu vermitteln.“ (Expert*inneninterview)
In Zukunft müsse es verstärkt darum gehen, alternative Zugangsberechtigungen zur Hochschulbildung für Künstler*innen mit Behinderung zu erwirken. Dies wird als notwendige Voraussetzung für die Entwicklung eines chancengerechten Bildungssystems im Sinne der UN-BRK gewertet. Einerseits ist den Mitgliedern der Gruppe bewusst, dass das Abschneiden in der Bildungskonkurrenz maßgeblich über die Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheidet. Anderseits blendet die Gruppe gewissermaßen aus, dass der Ausschluss von höherer Bildung bereits ein Ergebnis der schulischen Lernkonkurrenz ist. Schließlich wurde mit dem Scheitern am Erwerb des Abiturs darüber entschieden, dass diese Künstler*innen von höherer institutioneller Bildung ausgeschlossen werden. Dass sich immer nur einige, nämlich die Gewinner*innen der Notenkonkurrenz, einen Zugang zu den Studienplätzen und den damit verbundenen Qualifikationen für erwünschte Berufe verschaffen können, ist also untrennbar mit der institutionellen Bildung verbunden. Die Mitglieder der Gruppe stellen fest, dass Künstler*innen mit Behinderung meistens zu den Verlierer*innen dieser Konkurrenz gehören und fordern, dass der damit verbundene Ausschluss von höherer Bildung für sie nicht gelten solle. Die mit dem rechtlichen Anspruch der UN-BRK stark gemachte Forderung nach einem inklusiven und chancengerechten Bildungssystem zielt auf zertifizierte Ausbildungsabschlüsse, findet also den erreichbaren Marktwert der in den Bildungsinstitutionen zu erwerbenden Zertifikate attraktiv. Zugleich operiert die Forderung jedoch implizit mit der Umdeutung dieses Bildungsziels hin zu einer idealisierten Vorstellung der Förderung von Talenten für einen allgemeinen gesellschaftlichen kulturellen Nutzen.
Schlussfolgerungen für die inklusive Musikpädagogik
In der Studie wurde festgestellt, dass die Musikgruppe ‚Station 17’ ein überwiegend wertegeleitetes Verständnis von Inklusion vertritt. Für das pädagogische und soziale Handeln der Gruppe sind die Werte ‚Teilhabe’ und ‚Anerkennung’ von zentraler Bedeutung. Die Aussagen der befragten Gruppenmitglieder verdeutlichen, dass mit der Verwirklichung dieser Werte eine affirmative Stellung zu den ökonomischen und sozialen Anforderungen der gesellschaftlichen Ordnung eingenommen wird. So kennzeichnet das von der Gruppe artikulierte Teilhabebegehren vor allem den Wunsch, an der hart umkämpften Konkurrenz des Musikmarktes partizipieren zu können. Trotz ihrer kritischen Sicht auf den Bereich der Musikökonomie, in dem mit einer bewussten Notwendigkeit viele, auch sie selbst, scheitern, idealisiert die Gruppe den Markt als Möglichkeit, die eigene Professionalität unter Beweis zu stellen. Bei aller Kritik am Musikmarkt, wird er zugleich als ‚Normalität’ idealisiert. Deswegen will sich die Gruppe auf dem Markt behaupten, um als ‚ganz normale Band’ inkludiert zu sein und gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren. In Anlehnung an Reckwitz (2012) lässt sich das kreative Handeln der Gruppe als die eigenverantwortliche Verwirklichung eines inklusiven Künstlerideals interpretieren, das ihren Ausdruck im Verfolgen eines selbst auferlegten ästhetisch-ökonomischen Imperativs findet: Die inklusive Gruppe muss sich nicht nur den ökonomischen Anforderungen stellen, sondern will es auch.
Realisiert wird diese Teilhabe institutionell als Angebot der Beruflichen Rehabilitation. Die (Wieder-)Eingliederung der betreuten Musiker*innen in den allgemeinen Arbeitsmarkt wird dabei als formelles, aber zugleich unrealistisches Ziel beschrieben. Die Gruppenmitglieder weisen darauf hin, dass auch die Einkommensverhältnisse professioneller Musiker*innen häufig nicht für eine Existenzsicherung ausreichen. Trotz des Wissens um die prekären ökonomischen Lebenslagen professioneller Musiker*innen fordert die Gruppe die Öffnung des allgemeinen Arbeitsmarktes für Musiker*innen mit Behinderung, weil Inklusion vor allem auf berufliche Teilhabe abziele. Dieser Anspruch erscheint widersprüchlich, da Inklusion demzufolge bedeuten würde, den betreuten Musiker*innen zu einer prekären Existenz auf dem Musikmarkt zu verhelfen. So wird wiederum deutlich, dass die ökonomische Realität idealisiert wird, wenn es um die praktische Verwirklichung von Inklusion geht.
Durch die Teilhabe an der musikpädagogischen Arbeit werden den betreuten Musiker*innen im Rahmen der Arbeit an den Musikstücken und in den Tourneen alternative Anerkennungserfahrungen als Musiker*innen auf dem Musikmarkt ermöglicht. Vor dem inklusiven Konzept der Gruppe sind die betreuten Musiker*innen keine passiven Empfänger*innen pädagogischer Dienstleistungen, sondern gleichberechtigte und aktive Co-Gestalter in den künstlerischen Produktionsprozessen. Während der täglichen Arbeit, aber vor allem auf den Konzerten erfahren die Musiker*innen Anerkennung für ihre musikalischen Leistungen. Die betreuten Musiker*innen beschreiben diese Erfahrungen als besonders positiv erlebte Kontrasterfahrungen, die sich deutlich von den Missachtungs- und Ausgrenzungspraxen ihres Alltags unterscheiden. Die Initiierung von Anerkennungserfahrungen wird auch von den Pädagog*innen ausdrücklich unterstützt. In der Gruppendiskussion wird jedoch offenbar, dass die subjektiv erfahrene Anerkennung häufig mit der Abwertung anderer Menschen mit Behinderung einhergeht. Die betreuten Musiker*innen bewerten die Teilhabe an ‚Station 17’ offenbar als einen gesellschaftlichen Aufstieg, der ihnen nicht nur zu einer neuen gesellschaftlich anerkannten ‚Künstler*innen-Identiät’ verhilft, sondern gleichzeitig die Emanzipation von ihrer missachteten ‚Behindertenidentität’ ermöglichen soll. Ihre Selbstwertstärkung beziehen die betreuten Musiker*innen aus ihrer neu gewonnenen Künstler*innenidentität, die sie selbst als ein Merkmal der Überlegenheit gegenüber anderen Menschen mit Behinderung wahrnehmen. Kaum haben sie als Künstler*innen ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe und zum Markt erlangt, entwickeln sie ein abgrenzendes Verhalten zu den nicht dazu Gehörenden, wenden also die eigene Inklusion als Abgrenzungsmerkmal.
Auf etwas andere Art widersprüchlich stellt sich der Bezug auf Bildungsinstitutionen dar. Teilhabe wird in Bereichen der künstlerischen und beruflichen (Hochschul-)Bildung jenseits der Sonderinstitutionen eingefordert, zu denen die betreuten Musiker*innen keinen Zugang haben. Mit dem rechtlichen Anspruch der UN-BRK setzt sich die Gruppe für ein inklusives und chancengerechtes Bildungssystem ein, damit auch Künstler*innen mit Behinderung die Möglichkeit erhalten, ihre Talente professionell auszubilden und sich für anerkannte Bildungsabschlüsse zu qualifizieren. Aus einer radikal-inklusiven Perspektive, wie sie u.a. von Boban und Hinz (2012), Wocken (2015) und Schumann (2015) vertreten wird, ist dies jedoch kritisch zu beurteilen, da damit ein positives Verhältnis zur Konkurrenz um Bildungsabschlüsse eingenommen wird, obwohl die vorausgegangene Exklusion der Künstler*innen bereits ein Ergebnis dieser Konkurrenz ist. Auch hier zeigt sich, dass schulische und universitäre Bildung unter dem wertgeleiteten Gesichtspunkt von Inklusion Institutionen darstellen, an denen Menschen mit Behinderung unbedingt teilhaben müssten, obwohl die konkurrenzgeleiteten Ausschlussverfahren dieser Institutionen zugleich bekannt sind.
Plädoyer für mehr Sachbezug
Die Studie verdeutlicht, dass unter den Folgen der Selbstwertsteigerung die Konzentration auf die eigentliche Sache ‚Musik’ leidet. Aus einer radikal-inklusiven Perspektive erscheint es deshalb sinnvoll, sich verstärkt den musikalischen (Bildungs-)Interessen der Angebotsteilnehmer*innen zu widmen, statt außermusikalische und selbstwertbezogene Ziele zu fokussieren. Gleichzeitig kann nicht ignoriert werden, dass diese konkurrenzhaften Selbstbezüge bestehen und ein Bedürfnis darstellen. Hieraus ergibt sich die widersprüchliche Notwendigkeit, neben einer Anerkennung dieses Bedürfnisses die Kritik der eigenen Grundlage zu betreiben.
Es zeigt sich, dass mit der Verwirklichung der Werte ‚Teilhabe’ und ‚Anerkennung’ ein konstruktiv-praktischer Bezug zu den gesellschaftlich produzierten ökonomischen und sozialen Imperativen hergestellt wird. Inklusion läuft damit Gefahr, auf einen wertegeleiteten Idealismus reduziert zu werden, der eine Analyse der das Leben bestimmenden Bedingungen sträflich vernachlässigt. Eine umfassende Beurteilung inklusiver Musikangebote ist ohne den analytischen Einbezug der institutionellen Vorgaben nicht zu leisten. Am Beispiel ‚Station 17’ wird deutlich, dass institutionsspezifische Zielsetzungen die Form der Umsetzung von Inklusion weitgehend bestimmen.
Im Inklusionsdiskurs werden vor allem Postulate für eine gelungene Inklusion entwickelt, während die Erforschung der Gründe des Scheiterns inklusiver Ansätze vergleichsweise wenig Beachtung erfährt. Statt den Pädagog*innen und Musiker*innen den Vorwurf zu machen, dass ihnen die richtigen inklusiven Werte fehlen, gilt es vermehrt den Blick auf problematische institutionelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu lenken. Nur so lässt sich verhindern, dass Inklusion auf die Leistung „systemimmanenter Korrekturen“ beschränkt wird (Herz 2012:47), die lediglich zum Fortbestand und zur Reproduktion ökonomischer Verwertungslogiken beitragen.
Forschungsperspektiven
Ein zentrales Anliegen der Studie war es, die Ebene der praktischen Umsetzung inklusiver Musikpädagogik zu erforschen. Dafür wurden Bildungskonzepte und institutionelle Rahmenbedingungen der beruflichen Rehabilitation als Verwirklichungsbedingungen von Inklusion untersucht, sodass Problemdimensionen identifiziert und Widersprüche explizit gemacht werden konnten. Vor dem Hintergrund dieses so gewonnenen Problembewusstseins konnte diese Analyse um ein empirisches Forschungskonzept bereichert werden, das die Perspektive von Beteiligten an inklusiver Kulturarbeit ermittelt. Auf Basis theoretischer Erkenntnisse über das Untersuchungsfeld wurde ein qualitatives Forschungsdesign entwickelt, das die Sichtweisen der Beteiligten einzufangen in der Lage war und so vielschichtige Problemdimensionen in der handlungspraktischen Umsetzung von Inklusion im Feld der musikpädagogischen Praxis offenlegen konnte. Das methodische Instrumentarium der qualitativen Forschung hat sich dabei als ausgesprochen ertragreich erwiesen. Mit der Gruppendiskussion nach Bohnsack (2011) wurde eine Forschungsmethode eingesetzt, mit der sogar ein inklusiver Zugang zum Forschungsgegenstand erprobt werden konnte. Die Durchführung einer gemeinsamen Befragung und der damit verbundene Verzicht auf eine Unterteilung von ‚behinderten’ und ‚nicht-behinderten’ Untersuchungspersonen hat sich als sinnvoll und ertragreich erwiesen. Diese positive Erfahrung damit, die Ebene der an inklusiven Prozessen Beteiligten in die Analyse einzubeziehen, um so tiefergehende Erkenntnisse darüber zu erlangen, wie seitens der Beteiligten mit gesellschaftlichen und institutionellen Anforderungen umgegangen wird, wie diese reflektiert und welche Bewältigungsstrategien entwickelt werden, veranlasst zu der Einschätzung, dass die Untersuchung wegweisend für die weitere Erforschung inklusiver Prozesse sein kann. Nicht nur in diesem exemplarisch ausgewählten Feld, sondern auch in anderen Bereichen inklusiver Pädagogik besteht erheblicher Bedarf, die Ebene der Umsetzung expliziter in den Blick zu nehmen und die widersprüchlichen Problemdimensionen aus der Beteiligtenperspektive zu erfassen.