Ausbildung in Musik für Kulturelle Bildung
Musik ist Ereignis, Aktion und Schauspiel. Sie speist sich nicht nur aus Tanz, Dichtung, Gestik und Pantomime, sondern hat sich in enger Wechselwirkung mit anderen Künsten entwickelt. Musik ist durch ihre Gemeinschaftlichkeit und durch die von ihr verkörperte Ordnung von jeher ein bevorzugtes Medium von Kultureller Bildung (siehe Christian Höppner „Musik und Kulturelle Bildung“). Zu einer vertieften Auseinandersetzung in diesem Kontext gehören insbesondere das Finden eigener kultureller Identität in und durch Musik, das emotionale Nachvollziehen musikalischer Prozesse, das Experimentieren mit musikalischen Strukturen sowie das Spielen und Präsentieren von Musik.
Ausbildungskonzeptionen in Musik gehen von einer Vielfalt möglicher Betrachtungsweisen von Musik aus. So fragen z.B. musikästhetische Betrachtungsweisen nach dem Musikgeschmack, musikpädagogische nach der Musikvermittlung, musiktheoretische nach der Struktur von Musik, musiksoziologische nach dem Zusammenhang von Musik und Gesellschaft, musikpsychologische nach der musikbezogenen Wahrnehmung und kulturwissenschaftliche Betrachtungsweisen nach den Bezügen von Musik zu anderen Kommunikationsformen.
Musikausbildung vollzieht sich zum einen in technisch-handwerklichen Bereichen (z.B. instrumentale und vokale Ausbildung in allen Musikgenres, Musiktheater, digitale Musikprogramme, musikalisch-künstlerische Ausdruckstechniken) und zum anderen im Kontext musikpädagogischer und kulturvermittelnder Denkmuster und verschiedener künstlerischer Leitorientierungen.
Prägend für Musikausbildungen in Deutschland sind die unterschiedlichen Ausbildungsinstitutionen und die damit verbundenen institutionellen Rahmungen: die Musikhochschulen haben sich von jeher neben musikpädagogischen Ausbildungsgängen auf die professionelle Musikerausbildung nach abendländischer Musiktradition sowie auf moderne Bereiche wie Rock, Pop, Jazz, Performance und Digitale Medien spezialisiert. Berufsakademien, Fachhochschulen und Universitäten bieten in vernetzten Formen mit anderen Disziplinen eher akademisch orientierte Studiengänge in Musikwissenschaft, Musikpädagogik, Musikvermittlung und Kulturarbeit/Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Musik an.
Eine zunehmende Rolle vor allem in Kontexten der Kulturellen Bildung spielt die musikalische Selbstprofessionalisierung von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und der Generation 50+ innerhalb und außerhalb institutioneller Ausbildungseinrichtungen. Das Prinzip des informellen Musiklernens sowie regionale, aber auch digitale Bildungs- und Fortbildungsangebote ermöglichen dies in sich ständig erweiternden und verändernden Formen und Inhalten.
Historische Dimensionen und globale Spannungsfelder
Musikausbildung in der abendländischen Musiktradition wird häufig als Klangkunst definiert und orientiert sich deshalb in starkem Maße an einem Kunstwerk. Dies schlägt sich in der Mehrzahl von eher traditionell gehaltenen Musikausbildungen in Deutschland, z.B. in der Musikschullehrerausbildung nieder. Musiktraditionen anderer Kontinente hingegen beziehen seit jeher Klangumwelten sowie sinnliche und soziale Ereignisse im Sinne musikalischer Zeremonien in ihr Musikverständnis mit ein. Dementsprechend wurde auch Musikerfahrung an die nächsten Generationen mit anders strukturierten Lernmustern wie z.B. sozialen Gruppenlernprozessen weitergegeben.
Aktuelle kulturelle Globalisierungsprozesse haben gegenwärtig die Musik als Kunst ebenso erfasst wie musikalische Alltagskulturen und beeinflussen mit Kunst und Kultur verbundene Werthaltungen. Die Qualität des Austausches, der Vermischung und Entstehung neuer Musikkulturen geht vor allem auf drei grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zurück: die Herausbildung einer Weltgemeinschaft, deren Kern die Internationalisierung der (Musik-)Wirtschaft ist, die weltweiten Migrationsprozesse und die Medienentwicklung.
Seit den 1970er Jahren, verstärkt seit den 1990er Jahren sind in Deutschland auch sozialpädagogische und kulturwissenschaftliche Perspektiven in die praktische und theoretische Musikausbildung eingeflossen. So wurden entsprechende Konzeptionen entwickelt und in Musik-Ausbildungsgängen angeboten: Ansätze einer inter- und transkulturellen Musikpädagogik, einer subjektorientierten Konzertpädagogik, einer sozialen Kulturarbeit/Schwerpunkt Musik, einer Produktionsdidaktik in der musikalischen Projektarbeit oder Konzeptionen der Digitalen Musikmedien und der Musikarbeit in zielgruppenausgerichteten sozialen Feldern.
In der Musiklehrerausbildung und der Ausbildung von KulturarbeiterInnen in den Feldern der Musik haben sich zunehmend Denkweisen und Ausbildungsformen entwickelt, die auf notwendige unterschiedliche Bedingungsanalysen für das eigene Agieren und Unterrichten an verschiedenen gesellschaftlichen Lernorten (Musikschulen, Jugendzentren, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Konzerthäuser, soziale Einrichtungen u.a.) abheben, die zu mehr Mut zur Entschulung aufrufen und soziokulturelles Eingreifen und Intervenieren mit der Zielstellung der Stärkung und Stabilisierung beteiligter Menschen mit Hilfe der Musik zum Ziel haben (siehe Matthias Pannes „Musizieren ist Sprache der Persönlichkeit – Ein Weg zur Musik durch die Musikschule“). Lehrende werden in solchen Bildungskontexten immer mehr zu BeraterInnen, BegleiterInnen und ImpulsgeberInnen. Hervorragende Beispiele sind die mobilen Rock- und Medienmobile, die Mädchenmusikarbeit im Perkussionsbereich oder die Musikgeragogik.
In den theoretischen Arbeiten sind die Überlegungen von Hermann J. Kaiser (Kaiser 1993:161f.) zur ästhetischen und musikalischen Erfahrung richtungweisend, die im Rahmen einer Systematischen Musikpädagogik Dialoge zwischen Theorien des praktischen Musiklernens, Theorien der Bildung musikbezogener Erfahrung und übergreifenden ästhetischen und gesellschaftlichen Theorien einfordert.
Aktuelle Situation und neuere Modellfälle
Musikarbeit nimmt in der Kulturellen Bildung einen exponierten Platz ein. So zeigen Besucher- und Veranstaltungszahlen aus soziokulturellen Zentren von 2009 und 2010, dass von den 84.123 Veranstaltungen die Musikworkshops und Konzerte an erster Stelle stehen (Ahbe 2011:11). Der Deutsche Musikrat (DMR) als Dachverband aller Musikschaffenden und Musikinstitutionen vertritt rund acht Millionen Menschen, ein nicht geringer Teil davon arbeitet im Bereich der Kulturellen Bildung und Ausbildung. So hat der DMR bereits 2000 ein Memorandum zur Ausbildung für musikpädagogische Berufe verfasst, in dem er eine Neubestimmung von Ausbildungsprofilen einfordert, die stärker berufsbezogen sind, und eine enge Verflechtung musikalischer Praxen in der Gesellschaft ebenso für notwendig hält wie die Möglichkeiten zu individuellen Profilbildungen (Deutscher Musikrat 2007:27ff.). Auch der Bologna-Prozess im Hochschulbereich unterstützt und ermöglicht die Neuorientierung und Neugründung neuartiger Studiengänge in der musikalischen Berufsbildung (DTKV 2010:26ff.). An der Hochschule für Musik Detmold wurde ein Masterstudiengang „Musikvermittlung/Konzertpädagogik“ ins Leben gerufen, der MusikerInnen, MusikpädagogInnen, MusikwissenschaftlerInnen und KulturmanagerInnen auf dieses neue Berufsfeld vorbereitet. An der Hoffbauer-Berufsakademie in Potsdam verbindet ein dualer Bachelor-Studiengang Grundlagen sozialer Arbeit und sozialpädagogischen Handelns mit auf Soziale Arbeit zugeschnittenen Kompetenzen im Bereich Musikpädagogik und Musikvermittlung. Diese neuartigen Studiengänge bilden fächerübergreifend aus und kreieren damit auch neue Berufsbilder in der Kulturellen Bildung. Neue Kommunikationsformen in und über Musik werden so erprobt und initiiert.
Ausblick
Musikausbildungen in Deutschland werden sich trotz der langen abendländischen Tradition immer mehr an die Realitäten und Erfordernisse der heutigen Gesellschaft anzupassen haben und sich neuen Berufsbildern öffnen müssen. Diese Veränderungsmöglichkeiten sollten traditionelle Ausbildungsstätten im Rahmen von Studienreformen aktiv ergreifen und hierbei auch europäische Dimensionen im Blick haben. Ebenso müssen neue Lehrinhalte und Lehrformen in der Musikausbildung im Kontext von Direkt-, Fort- und Weiterbildungsangeboten entwickelt und umgesetzt werden, die sich stärker an musikalischen Kommunikationsformen und soziokulturellen Perspektiven orientieren. Künftige MusikschullehrerInnen müssen z.B. durch Ausbildung besser befähigt werden, auf konkrete regionale Bedingungen und Erfordernisse mit speziellen Angeboten in den Musikschulen wie in der MusikseniorInnenenarbeit, der Musikarbeit mit MigrantInnen oder behinderten Menschen reagieren zu können. Musikarbeit an allgemeinbildenden Schulen muss schrittweise hin zur kulturellen Bildungsarbeit geöffnet werden. Der Zugang zu Konzerthäusern sollte für alle Bevölkerungsschichten ermöglicht und motivierend gestaltet werden, damit die Menschen diese Angebote auch wahrnehmen wollen. Entwicklungen in den Kinder- und Jugendmusikkulturen sind Signale und Seismografen für neuere Entwicklungen und sollten von KulturarbeiterInnen in Musik erkannt und decodiert werden können. Hierzu müssen analytische, musiksoziologische, musikpädagogische und erziehungswissenschaftliche Kompetenzen in der jeweiligen Ausbildung erworben werden können. Inklusion und Arbeitstechniken in der Projektarbeit im ästhetischen Feld bieten hier gute neue Ansätze, um musikalische Erfahrung für alle Beteiligten zu ermöglichen, aus der dann Bildungspotentiale für die Kulturelle Bildung erwachsen können.