Artotheken: Institutionen der Kulturellen Bildung und ihre Bedeutung für die (kunst-)pädagogische Arbeit
Abstract
Artotheken sind Institutionen, die Kunstwerke verleihen, analog zu den Bibliotheken, die Bücher ausleihen. Artotheken als Institutionen der Kulturellen Bildung bieten allen einen niedrigschwelligen Zugang zu zeitgenössischer Kunst – auch als Leihgabe für Zuhause. Dieser Beitrag stellt Kooperationen der Artotheken in Berlin, Köln und München mit verschiedenen Bildungsinstitutionen sowie deren (Kunst-)Vermittlungspraktiken vor.
Ursprung der Artotheken
Die Ursprünge der Artotheken liegen im 18. und 19. Jahrhundert, als der Handel mit gedruckten Büchern auch den Handel mit gedruckter Kunst einschloss, ebenso die Buch- und Kunstausleihe. Erst mit der Trennung der beiden Vertriebswege in Buchhandel und Galerien entstanden unabhängig von Bibliotheken die sogenannten Graphotheken oder Artotheken, in denen ausschließlich Kunst zur Ausleihe angeboten wurde.
Anfang des 20. Jahrhunderts griffen die Künstler Arthur Segal, Robert Erdmann und Karl Friedrich Lippmann in Deutschland die Idee der Kunstausleihe gezielt auf, weil sie darin sowohl eine Möglichkeit der Künstler*innen-Förderung als auch einer breit ausgerichteten Kunstvermittlung sahen. Diese Initiativen kamen durch den ersten und zweiten Weltkrieg und die Kulturpolitik des Nationalsozialismus zum Erliegen. Erst ab den 1960er Jahren wurden in Deutschland wieder Artotheken gegründet: 1968 in Berlin die Graphothek, später in Frankfurt und schließlich 1973 in Köln.
Kunstvermittlung anders
Ziel der Artotheken war und ist es, unter einer gemeinnützigen Trägerschaft, Kunst einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. Das bedeutet, Kunst nicht nur in der bekannten Besuchssituation im Museum, sondern genauso im ganz privaten Rahmen zu ermöglichen. Dazu können für eine geringe Gebühr Kunstwerke für eine begrenzte Zeit ausgeliehen werden. In dieser Form wird der Umgang mit Kunst auch denen ermöglicht, die finanziell nicht über die Mittel verfügen, Kunst zu kaufen, oder die sich als Einsteiger*innen mit ihrem Zugang zu und ihrer Auswahl von zeitgenössischer Kunst noch unsicher fühlen. Der Aspekt des Teilens, des „Sharing“, der sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit erfreut, ist in den Artotheken ein seit über 50 Jahren bewährtes Modell.
Kunstwerke werden in privaten Räumen aufgehängt und somit in den Alltag integriert. In der täglichen Begegnung mit ihnen entwickeln sich persönliche Zugänge und Beziehungen, ohne zwischengeschaltete Vermittlungsinstanzen. Werk und Betrachter*in befinden sich in einem Dialog, der als bereichernd empfunden wird, was die zahlreichen Rückmeldungen der Nutzer*innen von Artotheken bestätigen. Dank des Prinzips der Ausleihe kann die Kunst, mit der sich die Nutzer*innen umgeben, immer wieder verändert und an ein sich entwickelndes Kunstverständnis angepasst werden. Über eine Leihpraxis von mehreren Jahren oder Jahrzehnten zeigen sich bei den Ausleiher*innen klare Vorlieben, aber auch die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen. Neugier wird belohnt und der Wechsel der Kunstwerke ist ein willkommener Impulsgeber für neue Gedanken und Gespräche mit dem familiären oder beruflichen Umfeld.
Auch zeitgenössische Kunst, die in Museen hängend oft als intellektuell, sperrig oder schwer zugänglich angesehen wird, findet über die persönliche Wahl bei der Ausleihe einen Weg in das tägliche Umfeld der Nutzer*innen von Artotheken. Denn deren wichtigstes Auswahlkriterium ist der spontane emotionale Zugang zum Werk und nicht eine formale Kategorisierung in einem kunsthistorischen oder kunstwertbezogenen Zusammenhang.
In der Regel werden Artotheken in gemeinnütziger Trägerschaft geführt. Häufig sind sie Stadtbibliotheken oder Kunstvereinen angeschlossen oder agieren, wie in Köln, als eigenständige Einrichtung des städtischen Kulturamtes. Allen gemein ist die Idee, Kunst und Kultur zu den Menschen zu bringen und Kulturelle Bildung als direkte Beziehung zwischen Werk und Rezipient*in zu realisieren.
In den letzten Jahren begannen einige Artotheken, mit pädagogischen Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulen zusammenzuarbeiten. Zum einen werden dadurch Kinder und Jugendliche an den Umgang mit zeitgenössischer Kunst in einem Alter herangeführt, in dem entscheidende Weichen für eine Offenheit gegenüber Kunst gestellt werden. Zum anderen lernen sie Artotheken kennen. Diese bieten über die Möglichkeit der Ausleihe eine andere Ausgangssituation für Projekte Kultureller Bildung: Denn über den gesamten Projektzeitraum ist die Kunst im gewohnten (Lern-)Umfeld präsent und begleitet den Auseinandersetzungsprozess der Kinder und Jugendlichen unmittelbar.
Im Folgenden werden Praxisbeispiele der (Kunst-)Vermittlung der Artotheken in Köln, München und Berlin in Kooperation mit anderen Einrichtungen sowie mit verschiedenen Zielgruppen vorgestellt.
Im Kindergarten mit Kunst die Welt entdecken
Der Kölner Kinderladen Papperlapapp e.V. hat seit 2014 unter Federführung der Erzieherin und Keramikkünstlerin Renate Willmes kontinuierlich Kunstprojekte mit Werken aus der artothek – Raum für junge Kunst Köln durchgeführt. Mit einer kleinen Delegation 3- bis 6-jähriger Kindergartenkinder besucht sie die artothek und lässt die Kinder aus einer von ihr getroffenen Vorauswahl das Bild aussuchen, das anschließend für die nächsten zehn Wochen in die Kita einzieht. Ganz nebenbei lernen die Kinder, wie mit Stimmzetteln geheim abgestimmt wird, ohne schreiben oder lesen zu können.
In dem Gefühl, eine für ihren Aufenthalt in der Kita relevante Entscheidung getroffen zu haben, nehmen die Kinder das ausgewählte Kunstwerk gerahmt und verpackt direkt mit. Am nächsten Tag wird im Kindergarten mit allen Kindern gemeinsam das Werk ausgepackt, aufgehängt und angeschaut. Wer möchte, sagt, was er sieht. Die Erzieherin macht sich Notizen, um eventuell später nochmal Impulse für weitere Bearbeitungsansätze zu haben. Im Folgenden wird das weitere Vorgehen exemplarisch erläutert: Ein Bild, auf dem ein durchgerissenes Foto von zwei Kätzchen durch eine Zeichnung ergänzt wurde, dient als Ausgangspunkt für gleiche Arbeitsweisen: Fotos aus Katalogen und Zeitschriften werden von den Kindern ausgeschnitten und durchgerissen auf eine Papierbahn geklebt. Anschließend ergänzen sie zeichnend die fehlenden Körperteile, Raumansichten und Umgebungen. Es bedarf weniger Erklärungen, die Kinder ahmen nach und bilden gleichzeitig immer stärker eigene Bildwelten aus. So wird z.B. das angebotene Papierformat, wie eine Faxpapierrolle, zu einem späteren Zeitpunkt von den Kindern durch Zusammenkleben einzelner Papierblätter nachgebaut, zu einer Autorennstrecke.
Wenn das Interesse nach einigen Wochen an den zu ergänzenden Katalogbildern nachlässt, wird das Kunstwerk, das die ganze Zeit über in der Kita präsent war, nochmals gemeinsam betrachtet und den Kindern fällt auf, dass die Katzen in der Luft hängen. Das wird nun von ihnen im Turnraum an den Ringen nachgestellt. Von jedem Kind wird ein Foto gemacht, wie es an den Ringen hängt. Die Fotoabzüge davon schneiden die Kinder durch und tauschen mit einem Partnerkind eine Fotohälfte. Jede*r hat jetzt ein halbes Foto von sich und ein halbes von einer*m Partner*in. Beide Hälften werden aufgeklebt und bildnerisch ergänzt. Manche konzentrieren sich auf Details der Kleidung, manchen fällt die Raum-Lichtsituation auf. Die Anleitung durch die Erzieherin bleibt so gering wie möglich, im Vordergrund stehen die Wahrnehmung der Kinder und deren freie Umsetzung auf Papier. Die Kinder bringen ihre eigenen Ideen ein und manchmal folgen ihnen andere Kinder auf dem neuen Weg.
Die Kunstprojekte mit der Kölner artothek sind in der Kita Papperlapapp zu einer festen Größe geworden, die sich in die gesamten Aktivitäten der Kita einfügt. Bewusst werden mit den Kindern Orte und Einrichtungen in Köln besucht und das lokal vorhandene Angebot so genutzt, dass die Kinder ihr Lebensumfeld erweitern und den Umgang damit – wie öffentlicher Park, Stadtbücherei, Artothek – einüben. Jede*r der Erzieher*innen hat ein „Spezialgebiet“, in dem er*sie besondere Projekte anbietet: Bei Frau Willmes sind es die Kunstprojekte. Für den Erfolg in der Kita ist es wichtig, mit der Projektrealisation die organisatorischen Erfordernisse der gesamten Institution zu berücksichtigen und nicht die personelle oder organisatorische Struktur der Kita zu stören oder zu belasten. Erleichtert wird dies dadurch, dass kein Zeitdruck für die Projektarbeit besteht. Das Bild hängt so lange im Gruppenraum, wie es benötigt wird, gegebenenfalls über mehrere Leihfristen. Es wird dazu gearbeitet, wann man möchte, nicht weil man muss.
Die Gründe, die Projekte im Papperlapapp kontinuierlich durchzuführen, liegen in den positiven Erfahrungen: Erzieher*innen und Kinder lassen sich jedes Mal aufs Neue auf die Kunstwerke ein, die noch keine*r kennt, zu denen es keine Bearbeitungshilfen oder pädagogisches Material gibt, so dass jedes Projekt für alle eine (Abenteuer-)Reise ins Unbekannte darstellt. Die Kinder geben Richtung und Geschwindigkeit ihrer Auseinandersetzung vor und erleben sich so als zentrale Personen, die in ihren Äußerungen, nicht nur den künstlerischen, ernst genommen werden. Über mehrere Jahre und Projekte hinweg entwickeln die Kinder einen souveränen Umgang mit Kunst und nähern sich ihr immer selbstverständlicher. Sie erleben Kunst als Teil ihres Alltags und Ausgangspunkt für die Untersuchung einzelner Phänomene in ihrer Umgebung. Kreative Freiheit, offenes Experimentieren und Wertschätzung von Ideen werden hier gelebt und prägen die Kinder nachhaltig – auch über ihre Kindergartenzeit hinaus wie Eltern zurückmelden.
Der Kinderladen Papperlapapp e.V. erhielt 2018 beim bundesweiten Wettbewerb Mixed Up für diese Kooperation mit der artothek den ersten Preis in der Sparte Kita Plus: Das bedeutet sowohl für den Kinderladen als auch für die artothek – Raum für junge Kunst eine wunderbare Bestätigung für ihr Konzept der Kulturellen Bildung.
Kunsterfahrung in der Oberstufe – Lernen aus persönlichem Interesse
Ein weiterer Kooperationspartner mit der artothek Köln sind weiterführende Schulen. Insbesondere das dortige Apostelgymnasium hat mehrfach Projekte mit Schüler*innen des Abschlussjahrgangs durchgeführt. Das Lehrerkollegium hatte sich für diese Jahrgangsstufe entschieden, da die fast volljährigen Schüler*innen ein Maximum an Selbständigkeit für die Realisierung des Projektes mitbringen und im letzten Halbjahr vor dem Abitur noch einmal gezielt freies und prozesshaftes Arbeiten gefordert und gefördert werden kann. Der Arbeit mit den Schüler*innen geht eine organisatorische Klärungsphase mit den Fachlehrerkolleg*innen, der Schulleitung, der Lehrer*innen- und Schulkonferenz des Apostelgymnasiums voraus, so dass alle informiert, die Zeiträume für eine Exkursion in die artothek oder die abschließende Präsentation abgeklärt und genehmigt sind.
Unabhängig davon, ob das Projekt mit einem Grund- oder Leistungskurs Kunst stattfindet, leiht jede*r Schüler*in ein Bild in der artothek aus. Das Interesse am Projekt und den damit verbundenen Aufgabenstellungen ist von Anfang an geweckt: Die Schüler*innen haben die freie Wahl, mit welchem Werk sie sich jeweils in den nächsten Wochen auseinandersetzen wollen.
Die Bearbeitung im Unterricht beginnt mit dem Anlegen eines Skizzenbuchs als Medium zur individuellen Projektdokumentation und Grundlage für die spätere Reflexion der eigenen Arbeit. Aus Recherchen zum*r Künstler*in und dem Sammeln erster Eindrücke „Was sehe ich, was fühle ich, was denke ich?“ werden die Schüler*innen in eine erste Scribblephase geführt, in der sie Skizzen und Notizen zum Werk festhalten, erste Bearbeitungsmöglichkeiten ausprobieren. Mit Hilfe von Kreativtechniken wie Fünf-Sinne-Check, Ergänzungscollage, Bildtitelsuche, Elfchen, ABC-Liste etc. werden anfängliche Hemmungen beim Einstieg in die kreative Arbeit überbrückt. Die Pädagog*innen stellen keine Ziele oder Handlungsanleitungen, sondern sie bieten sehr zurückhaltend mögliche Verfahren an, mit denen die Schüler*innen ihren persönlichen Weg der Kunstaneignung selber bestimmen können und müssen. Dies führt bei den Schüler*innen, die an rezipierendes, kognitiv geprägtes Arbeiten gewöhnt sind, wiederholt zur Verunsicherung, die aber mit Hilfe der pädagogischen Unterstützung überwunden wird und nachhaltig die eigene Position innerhalb der Wissensaneignung prägt: Lernen aus persönlichem Interesse.
Immer wieder fragen die Schüler*innen nach den Kriterien für die spätere Bewertung der Unterrichtsleistung, die die Lehrer*innen von Anfang an transparent machen. Wesentlich ist nicht der künstlerische Wert der entstandenen Kunst-Arbeit, sondern, neben der handwerklichen Ausführung, die Intensität und Breite der Auseinandersetzung mit dem Werk eines*r Künstler*in und die nachvollziehbare Entwicklung einer eigenen Position: Originalität. In welchem Medium diese erfolgt, ist den Schüler*innen freigestellt. Innerhalb des Fachs Kunst führt sie jedoch in der Regel wieder zu einer bildnerisch-visuellen Äußerung.
Einen wichtigen Part nimmt die abschließende Präsentation der Werke in der Schule ein. Dieser Wunsch nach Darstellung der eigenen Leistung spiegelt das durch das Projekt erstarkte Selbstbewusstsein der Schüler*innen. Die Reflexion der eigenen Arbeit und der Vergleich im größeren Zusammenhang mit den Arbeiten der Mitschüler*innen schärft das Gefühl für die eigenen Möglichkeiten und führt nicht zu Frustration, weil jede*r vom individuellen Ausgangspunkt einen eigenen Weg gegangen war.
Liebe zum Bild: In der Hochschulausbildung
Das Prinzip „Ich leih mir ein Kunstwerk und setze mich in einer eigenen Arbeit damit auseinander“ ist auch die Grundlage für die Kooperation der Universität zu Köln mit der artothek. Studierende der Kunstpädagogik und Ästhetischen Erziehung sind besondere Partner*innen: Als Studierende sind sie Rezipient*innen eines Kunstvermittlungsprojekts und als zukünftige Pädagog*innen zugleich potentielle Multiplikator*innen. Jane Eschment, Dozentin am Lehrstuhl für Ästhetische Bildung des Instituts für Kunst und Kunsttheorie der Universität zu Köln, ist neben der kreativen Arbeit im Studium die Vernetzung von Bildungsinstitutionen mit Kunst- und Kultureinrichtungen und einer freien Kunstszene wichtig, um Kenntnisse über lokale Strukturen und mögliche Kollaborationspartner*innen aufzubauen und zu nutzen.
Insofern ist ihr die Kooperation mit der artothek Köln willkommen, um mit Studierenden Kunstvermittlung als Beziehungsarbeit zu untersuchen, die Beziehung Kunstwerk – Betrachter*in zu analysieren und künstlerisch auf diese Erkenntnisse zu reagieren.
In zwei Seminarangeboten erarbeiten die Studierenden unter den Titeln Liebe zum Bild und Vom Bild aus schrittweise Annäherungen an und Auseinandersetzungen mit Kunstwerken, die jede*r für sich in der artothek geliehen hat. Auch hier ist, wie in den oben beschriebenen Projekten im Kindergarten und in der Schule, der lange Zeitraum des persönlichen Umgangs mit einem originalen Kunstwerk entscheidende Voraussetzung für die Form und das Ergebnis der Studienarbeit. Kunsterfahrung wird zur Alltagserfahrung. Wöchentlich gibt es eine neue Fragestellung, die individuell und gerne auch interdisziplinär bzw. außerhalb der gängigen Verfahren der Bildenden Kunst bearbeitet werden soll. Der spielerische Umgang mit Thema und Aufgabenstellung schlägt sich in freien künstlerischen Prozessen nieder, die sich auch nachträglich noch für Außenstehende über die Blogeinträge Liebe zum Bild nachvollziehen lassen.
Die Dokumentation der Arbeits(teil-) ergebnisse in einem anfangs auf die Seminarteilnehmer*innen begrenzten und nun öffentlichen Blog ist Jane Eschments Konzept zu verdanken, auch in den universitären Alltag neue Kommunikationsplattformen einzubinden bzw. das Medium an die gängigen Kommunikationsformen der Studierenden anzupassen.
Kulturelle Bildung mit mobiler Kunst
Beispiele über Kulturelle Bildung von Artotheken und Vermittlungsansätze, die jenseits der originären Kunstausleihe verortet sind, folgen aus den Artotheken in München und Berlin.
Die Artothek in München, als städtische Einrichtung selbständig im Kulturreferat integriert, verfügt neben einem Mitarbeiter*innenstab für die Kunstausleihe und den Ausstellungsbetrieb vor Ort auch über eine Mitarbeiterin, die ausschließlich für die Kunstvermittlung zuständig ist und die Inhalte in Projekten nach außen, also in Einrichtungen und Veranstaltungsformate außerhalb der Räumlichkeiten der Artothek trägt.
Die Artothek bietet mit dem wechselnden Ausstellungsprogramm Einblicke in die Münchner Kunstszene und deren Kunstproduktion und ist damit zugleich Ausgangspunkt für die Vermittlungsarbeit.
Die Stadt München hat in ihrer Konzeption Kulturelle Bildung für München schon 2009 programmatisch Rahmenbedingungen für die ämter- und referatsübergreifende Vermittlungsarbeit formuliert: „Kulturelle Bildung realisiert sich im Wechselspiel in der Verantwortung von kulturellen, schulischen, jugendbildenden und familiären Handlungs- und Wirkungsfeldern. Deshalb ist auf allen Ebenen Kooperation und Vernetzung entscheidend. Ziel ist eine anregungsreiche Kultur- und Bildungslandschaft für alle.“
Konkret bedeutet dies für die Kunstvermittlung der Artothek München, dass sie die enge, in der Verwaltungsstruktur angelegte Vernetzung der Referate Kultur, Soziales und Bildung nutzen kann und mit partizipativen, inklusiven und dialogorientierten Veranstaltungen, künstlerischen Aktionen zum Mitmachen, Workshops oder Performances in und außerhalb der Artothek Zielgruppen erreicht, deren Zugang zu moderner Kunst eingeschränkt oder gar nicht vorhanden ist.
Beispielsweise wurde anlässlich des 30. Geburtstags der Artothek unter dem Motto So kommt die Kunst zu den Leuten ein Kunstvehikel mit Originalen aus der Artothek in Münchner Stadtviertel geschickt und durch das interaktive Projekt einer Künstlerin ein direkter Zugang zu zeitgenössischer Kunst hergestellt.
Ebenso erfolgreich wie in Köln verlief eine Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität, bei der Studierende der Kunstgeschichte ein Ausstellungskonzept unter dem Titel Leihweise/Paarweise mit Werken der Artothek realisierten.
Die Artothek der Stadt München verstärkt aktuell ihr Vermittlungsangebot durch Outreach-Programme für Kinder, Jugendliche und Familien und bezieht Formate zur Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung oder Kunstgespräche für ältere Mitbürger*innen, insbesondere Demenzkranke, in ihr Angebot mit ein. Hiermit reagiert sie auf einen großen Bedarf an Kultur auch für Menschen, die Kulturinstitutionen nicht oder nur erschwert aufsuchen können, weil sie eingeschränkt mobil sind. Die Voraussetzungen, die Artotheken anhand der Mobilität ihrer Kunstwerke bieten, sind für solche Programme ideal. Mit ihnen kann die Kunst zu den Menschen gebracht werden. Ergänzt durch eine professionelle Kunstvermittlung gelingt es, für Menschen eine kulturelle Teilhabe zu bieten, deren Zugang zu Kultur nicht (mehr) selbstverständlich oder in Eigeninitiative stattfindet.
Die Artothek des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) erkannte das Vermittlungspotenzial schon kurz nach ihrer Gründung 1970 und setzte dies entsprechend um. Die Bedeutung der Artothek für die Kulturelle Bildung und ihre Breitenwirkung ist in den Gründungsstatuten formuliert: „Hauptziel des n.b.k. ist es, möglichst vielen Bürgern die Kunst ihrer Zeit in ihren vielfältigen Strömungen zu vermitteln. Der n.b.k. arbeitet zu diesem Zweck auf verschiedenen Gebieten. Er veranstaltet Ausstellungen, unterhält eine Bilderausleihe sowie eine Videothek und er sucht neue Wege, um das Verständnis für künstlerische Äußerungsformen zu vertiefen.“ So blickt die Artothek des n.b.k. heute auf fast 40 Jahre Erfahrung in der Kunstvermittlung zurück.
Kunstausleihe kostenlos für alle stand plakativ auf dem roten Transporter, der als Artothek-Mobil viele Jahre Botschafter der Artothek und wichtiger Bestandteil der Vermittlungsarbeit war. Bestände und Museumspädagog*innen konnten mit ihm zu den Einrichtungen gebracht werden, für die der n.b.k. – damals noch am Kurfürstendamm ansässig – räumlich und organisatorisch unerreichbar waren. Eine Reihe von Projekten mit Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen wurden über die Jahr(zehnt)e realisiert. Die darin gewonnenen Erfahrungen dienen heute als Basis für die weitere Vermittlungsarbeit, die seit dem Ausscheiden des Artothek-Mobil ohne diese Mobilitätshilfe durchgeführt werden.
Zunächst noch stark auf Wissensvermittlung und Unterrichtsvorlagen für Lehrer*innen ausgerichtet, wandelte sich die Kunstvermittlung des n.b.k. ab den 2000er Jahren in eine partizipative, dialogische Form und folgte damit den aktuellen Erkenntnissen der Lern- und Motivationsforschung. Aus Kindergärten, Schulen und Oberstufenzentren kommen Gruppen in die Artothek und arbeiten dort in Workshops mit kulturpädagogischer Unterstützung zu Themenkomplexen, die in den schulischen Unterrichtsstoff integriert werden. Darüber hinaus werden Patenschaften zwischen Schulklassen und Künstler*innen ebenso wie institutionsübergreifende Kooperationen zwischen dem Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin, dem Institut für Kunstpädagogik der Universität der Künste und der Artothek des n.b.k. initiiert.
Mit der Ausleihe von thematisch kuratierten Bildkonvoluten an Firmen, Gesundheitsinstitutionen und andere öffentliche Einrichtungen bietet die Artothek des n.b.k. einen Ansatz Kulturelle Bildung in den Arbeitsalltag zu integrieren. Anders als in den Institutionen der Kinder- und Jugendbildung wendet sich der n.b.k. hier an Erwachsene als Zielgruppe. Hierarchieübergreifend werden Vorgesetzte wie Mitarbeiter*innen in eine Auseinandersetzung mit Kunst geführt. Schon die Auswahl der auszuleihenden Werke kann als Team-Bildungsmaßnahme dienen. Während der Ausleihzeit bieten die Kunstwerke vielfältigen Gesprächsstoff im beruflichen Kontext. „Der Arbeitsplatz wird gestaltet und über die Kunst eine andere kommunikative Ebene geschaffen“, reflektiert dies Julia Eckert, die Leiterin der Artothek des n.b.k..
Mit Mut zur eigenen Erfahrung
Blickt man zurück auf die innovativen Vermittlungspraktiken in den genannten Artotheken, wird man gewahr, welchen großen Schatz Artotheken mit ihren Kunstsammlungen im Kontext der Kulturellen Bildung und einem niedrigschwelligen Zugang zu zeitgenössischer Kunst bieten und wie vielfältig dies in die Bildung generell ausstrahlen kann. Freie Pädagogik, ergebnisoffenes Forschen, gleichberechtigtes Agieren, Hinterfragen von Strukturen, innovative Impulse und wertschätzender Umgang sind Kerngedanken, die sich in der modernen Pädagogik wiederfinden und die in das Selbstverständnis der Artotheken eingebettet sind.
Die Artotheken in Köln, Berlin und München haben über die Jahre viele Beispiele für gelungene Projekte zur Kulturellen Bildung entwickelt, die auch in anderen Artotheken in Deutschland realisierbar sind. In erster Linie erfordert es von den Beteiligten nur den Mut, sich mit Kunst auf den Weg zu machen. Je mehr das Experiment, das Sich-Einlassen praktiziert wird und vorgegebene Bearbeitungsmuster verlassen werden, umso vielfältiger und für die jeweilige Zielgruppe passender entwickeln sich die Projekte. Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden sich, gleichermaßen ermutigt, mit ihrer Wahrnehmung und ihren Erfahrungen einbringen und interessante, persönlich geprägte Schwerpunkte bei der Kunsterfahrung setzen. Selbstbewusstsein, Kommunikationsfähigkeit, Wertschätzung und Toleranz der Teilnehmenden werden gestärkt indem alle Beteiligten individuell gefordert sind zu den Kunstwerken eine – nämlich ihre persönliche Position – einzunehmen, diese zu kommunizieren und gegenüber anderen zu vertreten. Gleichzeitig fördert dies Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen und Auffassungen, die grundsätzlich gleichberechtigt mit der eigenen Perspektive bestehen. Die persönliche Wahrnehmung jeder*s Einzelnen ist in diesem Prozess entscheidend.
Artotheken sind von ihrem Kerngedanken her Institutionen der Kulturellen Bildung und in ihrer Nutzung überraschend einfach. Sie sind das Außergewöhnlichste, was die Kulturlandschaft zu bieten hat, und gleichzeitig ein Relikt aus Zeiten des demokratischen Aufbruchs, das glücklicher Weise die Widrigkeiten von Sparmaßnahmen und Werteverschiebungen in der Gesellschaft der letzten 20 Jahre überlebt hat. Sie zu unterstützen und einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, bedeutet auch Ideale von sozialer Gesellschaft und Kultur zu leben und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Als Teil des Systems erlebe ich dies als wunderbar bereichernd.
Die Standorte der Artotheken in Deutschland sind zu finden auf der Website des Artothekenverbandes Deutschland e.V. >>> www.artothek.org.