Die Arena der Kulturellen Bildung. Ein analytisches Modell
Einleitung
Geht man vom Begriff der „Arena“ aus (von lat. (h)arena, „Sand“), so wird damit traditionell ein Veranstaltungsort bezeichnet, auf dem Wettkämpfe, Vorführungen und Spiele kultisch-religiöser, sportlicher oder künstlerischer Natur stattfanden. In der Antike war eine Arena ein Versammlungsbau, der aus einem ebenen, mit Sand bedeckten Platz bestand; Beispiele für diese Bauten sind das griechische Stadion für sportliche Wettkämpfe, das römische Amphitheater für Kampfspiele und Tierhetzen oder der römische Circus für Wagenrennen. Im antiken Theater entsprach der Arena als Spielbereich die Orchestra. Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts scheint der Begriff in Deutschland eher ungebräuchlich gewesen zu sein, findet er sich doch weder im „Deutschen Wörterbuch“ der Brüder Grimm (1854) noch auch im „Etymologischen Wörterbuch“ von Friedrich Kluge (1957). Im Deutschen wird der Arenabegriff i.d.R. für eine Vielzahl von Veranstaltungsräumen mit sportlicher oder kultureller Nutzung verwendet. Im Kontext Kultureller Bildung sind Begriff und Metapher als Arena im Gegensatz zu verwandten Bedeutungszuweisungen wie Auseinandersetzung, Machkämpfe, Diskurs, etc. noch nicht etabliert und daher wohl noch erklärungsbedürftig.
Unter Kultureller Bildung wird hier zunächst ganz allgemein die grundlegende Bildung der Empfindsamkeit gegenüber Mensch und Natur, die Entwicklung der Einbildungskraft, des Geschmacks und des Genusses, die Befähigung zu Spiel und Geselligkeit, zur kulturellen Alphabetisierung, Urteilskraft und Kritik, die Erschließung von (neuen) Ausdrucksformen und Handlungsperspektiven und auch die Zivilisierung des Lebens verstanden. Kulturelle Bildung umfasst in ihrer aktiven wie rezeptiven Komponente alle Formen der Bildung durch kulturelle und ästhetische Aktivitäten und Darstellungsformen, Kenntnisse von Kunst und Kultur und die Reflexion künstlerischer und kultureller Prozesse und Resultate. Damit wird der Begriff der Kulturellen Bildung dem der Ästhetischen Bildung stark angenähert (vgl. Bockhorst/Reinwand/Zacharias 2012).
Im Folgenden soll die methodische Bedeutung des Arenenbegriffs im Hinblick auf Kulturelle Bildung im Mittelpunkt stehen. Dabei wird auf fünf Dimensionen dieses Begriffs eingegangen: auf die räumliche Dimension mit Blick auf einen diskursive Dimension (Feld, Gebiet, Tableau, Ebene, Episteme, Fläche, Formation, System, Struktur, Ort, Ordnung; vgl. Foucault 1981) auf die agonale Dimension, die die Frage nach den Machtstrukturen stellt, auf die performative Dimension hinsichtlich der Inszenierungsformen, auf die spielerische Dimension, die den experimentellen Charakter unterstreicht und auf die kritische Dimension, insofern eine Arena immer auch ein Ort der kritischen Auseinandersetzung nach innen wie nach außen darstellt, steht doch die Arena der Kulturellen Bildung immer auch in Beziehung zu anderen – politischen, ökonomischen, sozialen etc. – Arenen.
Die in diesem Text vertretene These lautet: Der Arenenbegriff erscheint methodisch als ein heuristischer, analytischer und nominalistischer Begriff, der einen Sachverhalt unter diskurstheoretischen, machtpraktischen, inszenatorischen, ludischen und kritischen Perspektiven aufzuklären in der Lage ist. Dabei überlappen sich einerseits einige der hier dargestellten Aspekte in der Realität; diese lassen sich nur für eine Analytik fein säuberlich trennen. Andererseits liegen die genannten Perspektiven aber auch auf unterschiedlichen Ebenen, auf diskursiven, institutionellen, sozialen, praktischen und körperlichen Ebenen, die jeweils mit zu berücksichtigen sind.
1. Diskursräume
In dieser Perspektive kann man mit Michel Foucault (1979) voraussetzen, dass sich in jeder Gesellschaft Diskurse durch spezifische Produktionsbedingungen und -verfahren, nämlich durch Kontrollen, Selektionen und Kanalisierungen auszeichnen. Diese Organisation des Diskurses erscheint aus mehreren Gründen sinnvoll: nicht nur, weil man – wie Foucault sagt –, seine Kräfte und Gefahren bändigen möchte, sondern auch, weil man mit einem Diskurs die Welt des Sicht- und Sagbaren von der des Nichtsichtbaren und -sagbaren trennen kann, weil man mit der Bändigung und Trennung sich zugleich als maßgebliche Instanz zu legitimieren beansprucht und weil somit der organisierte Diskurs auch theoretische wie praktische Orientierungen anbietet.
Foucault benennt drei Prozeduren, die den Diskurs regeln, nämlich zunächst die Ausschließung; d.h. bezogen auf Kulturelle Bildung macht es gelegentlich keinen Sinn, über diese zu sprechen und auch keinen Sinn, etwa den gesamten Gegenstand zu entfalten (ein heikles Thema betritt etwa die Frage nach den Grenzen der Kulturellen Bildung); sodann sind die Umstände des Sprechens ebenso zu beachten, wie die Rolle und der Status des Sprechers.
Eine weitere Prozedur der Ausschließung betrifft die Grenzziehung zwischen Vernunft und Wahnsinn, die man im Kontext Kultureller Bildung etwa an den Debatten um die Kunst psychiatrischer PatientInnen, oder im Kontext der Diskussion um Kinderkunst und auch in der Grenzziehung zwischen legitimen und illegitimen Künsten verfolgen kann. Ein drittes Ausschließungssystem ist nach Foucault schließlich der Gegensatz zwischen Wahrheit und Falschheit: Seiner Ansicht nach sei es dieser Wille zur Wahrheit, der letztlich das beherrschende Ausschließungssystem bilde, weil es ihm dezidiert um die Bemächtigung des Diskurses gehe, indem es, historisch betrachtet, die beiden anderen Prozeduren immer stärker integriere. Mit dieser Grenzziehung von wahr und falsch ist verbunden, dass das erkennende Subjekt eine bestimmte (wissenschaftliche) Position, einen bestimmten (empirischen, hermeneutischen etc.) Blick und eine bestimmte Funktion (zu verifizieren oder falsifizieren anstatt zu kommentieren etc.) einnehmen musste. So kann man mit diesem historischen Blickwinkel veranschaulichen, dass sich auch die Wahrheitskonzeption der Kulturellen Bildung über die Jahrhunderte stetig verschieben: von der Philosophie über die Theologie zu den Künsten und einer sich in der Moderne ausdifferenzierenden Wissenschaftslandschaft, in der es mittlerweile keine Wissenschaft mehr gibt, die nicht für Bildung und Kunst zustände ist.
Während die bisherigen Ausschließungssysteme von außen an den Diskurs herantreten und diesen organisieren, gibt es dagegen auch interne Prozeduren der Kontrolle, die als Prinzipien der Klassifikation, Anordnung und Verteilung in der Arena wirken. Foucault nennt hier zunächst den Kommentar, d.h. Texte, die auf andere Texte Bezug nehmen und diese ggf. auch transformieren. Ein Beispiel wäre hier der jahrhundertelange Mimesis-Bezug in der Kunstdebatte, der einerseits das wiederholt, was schon gesagt worden ist und andererseits das zum Ausdruck bringt, was noch nie zur Sprache kam. Daneben spielt auch der Begriff des Autors eine wichtige Rolle, denn nicht nur in Diskursen der Kulturellen Bildung ist wichtig, wenn nicht sogar entscheidend, wer hier spricht oder schreibt, um dem Diskurs eine unverwechselbare Form zu geben. Schließlich gibt es auch noch die Disziplinen, die sich durch spezifische Gegenstände, Techniken, Instrumente und Methoden sowie einen Korpus von Sätzen, Regeln und Definitionen auszeichnen, und die in der Lage sind, neue Aussagen zu konstruieren. Ein Beispiel der neueren Zeit bilden die Neurowissenschaften, die den Kunstgenuss durch bildgebende Verfahren erklären möchten.
Und schließlich gibt es noch die Verknappung der sprechenden Subjekte als Kontrollprozedur des Diskurses. Denn sprechende Subjekte müssen sich, wenn sie gehört werden wollen, bestimmten Ritualen – etwa Vortragsritualen oder Veröffentlichungsritualen – unterwerfen. Daneben gibt es die Diskursgesellschaften – etwa das Interdisziplinäre Zentrum Ästhetische Bildung (FAU Erlangen-Nürnberg) oder auch die Deutsche Gesellschaft für Ästhetik – welchen die Aufgabe zukommt, Diskurse zu produzieren und zu erinnern, die Doktrinengruppen (etwa die Phänomenologen, die Kantianer etc.) und schließlich die gesellschaftlichen Aneignungssysteme wie die Politik, die Künste oder auch das Bildungs- und Unterrichtssystem. „Was ist eigentlich ein Unterrichtssystem – wenn nicht eine Ritualisierung des Wortes, eine Qualifizierung und Fixierung der Rollen für die sprechenden Subjekte, die Bildung einer zumindest diffusen doktrinären Gruppe, eine Verteilung und Aneignung des Diskurses mit seiner Macht und seinem Wissen?“ (ebd.:31).
2. Machtverhältnisse
Während Foucault im Hinblick auf die Organisation des Diskurses stärker auf die Aspekte der Angst vor der Zufälligkeit und den unkontrollierten Effekten des Diskurses abhebt, bietet der Arenenbegriff die Möglichkeit den Diskursraum auch als agonalen Raum des Wettkampfes zu verstehen. Hierbei werden Fragen der Macht virulent, die in verschiedene Richtungen hin diskutiert werden können. So kann zum einen in den Blick kommen, wie die Existenz- und Ausschlussbedingungen sowie die Bedingungen für das Auftauchen, Modifizieren und Verschwinden der Diskurse Kultureller Bildung durch Machtprozeduren geregelt werden. Wenn der Diskurs aus den Praktiken der Macht entsteht, so sind hier die Macht-Wissens-Komplexe der kulturellen Diskurse zu verhandeln. Hierbei könnte z.B. untersucht werden, inwieweit sich die der Kulturellen Bildung verpflichteten Ziele, -strategien, -methoden und -inhalte der Politik und diejenigen der Pädagogik so miteinander aushandeln lassen, dass sie sowohl für die je individuellen Ziele der beteiligten Institutionen als auch für die zum Teil unterschiedlichen Ziele der beteiligten gesellschaftlichen Teilsysteme anschlussfähig sind bzw. werden. Hierbei geht es also um Fragen der konkreten Macht- und Diskursdifferenzen und ihren jeweiligen Effekte.
Der Sinn der Kulturellen Bildung ergibt sich, so betrachtet, nicht aus dem Gegenstand, sondern aus den spezifischen Kräfteverhältnissen, die diesen Gegenstand erst hervorbringen und ihm Sinn verleihen. Die Geschichte des Gegenstandes Kulturelle Bildung ist somit nicht nur die Geschichte der Variationen seiner Bedeutungen, sondern vor allem die Geschichte der Machtbeziehungen, die diese Variationen zu bestimmen in der Lage waren. Allgemeiner formuliert: Die Bedeutung eines Sachverhaltes ist die Geschichte seiner Auseinandersetzungen und Bewältigungsversuche.
In diesem Kontext sind Machtverhältnisse wesentlich produktiv zu verstehen, da sie nicht nur Diskurse, sondern auch sog. Dispositive hervorbringen, d.h. Ensembles von diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken, etwa Gesetzesvorgaben, politische Entscheidungen oder pädagogische Maßnahmen. So können Machtverhältnisse punktuell normativ motivierte Verständigungen, pragmatische Kompromissbildungen oder auch dauerhaft zwanghafte Institutionalisierungen schaffen oder sie können strukturelle Lösungen aufschieben, organisierte Ungleichgewichte schaffen und propädeutisch-didaktische Vorschläge unterbreiten.
In diesen Kontext gehören auch der Widerstand bzw. die Kritik an dem herrschenden Macht-Wissenskomplex und die Frage, von welchem Macht- bzw. Wissensstandpunkt aus Widerstände bzw. Kritik geäußert werden können. Sind diese Gegenbewegungen selbst Teil des vorherrschenden Macht-Wissens-Komplexes, und somit systemfunktional, oder bilden sie ihre andere, nicht in Betracht gezogene Seite? So kann man sich z.B. fragen, ob die zur Zeit nicht nur in der Philosophie sehr prominente Figur des Lebenskünstlers eine Kritik am herrschenden neoliberalen Menschenbild und Gesellschaftsbild darstellt, oder ob sie funktional für den Neoliberalismus ist, werden doch die Lebenskünstler oftmals als diejenigen dargestellt, die aufgrund der Einsicht in die Notwendigkeiten ihr Leben trotz aller Widrigkeiten zu gestalten wissen? Allgemeiner: Ist die Kunst kulturaffirmativ bzw. systemstabilisierend oder nicht-affirmativ, systemkritisierend?
Mit der Frage der Macht in der Arena ist auch die Frage der Wirkung von Macht verbunden. Folgt man hier wiederum Foucault, so wirken Machtverhältnissen vor allem auf den Körper. Der Körper ist keine einmalige gegebene und unveränderliche Substanz, sondern er ist plastisch, zerlegbar und zusammensetzbar. Der Körper ist das schwächste, weil manipulierbarste und zugleich das stärkste, weil regenerations- und funktionsfähigste Element der Macht. Und obwohl Foucault eine entscheidende phänomenologische Differenz neuer anthropologischer Forschungen nicht bedenkt, nämlich diejenige zwischen dem Körper als physischer Gegebenheit und dem Leib als gelebtem und gefühltem Körper, ist ihm dahingehend zuzustimmen, dass spezifische Machtkonstellationen auch prägnante Körpereffekte mit sich bringen.
Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Sinnlichkeiten und Emotionalitäten sich im Kontext mittelalterlich pikturaler Bildprogramme und musikalisch-kosmologischer Modelle anders entwickeln als im Bereich moderner ästhetischer Bildungsprogramme, die mit Bezug zur Erfahrungsoffenheit von Wahrnehmungen auf materialerkundende und selbstgestalterische Suchprozesse setzen. Und es erscheint auch evident, dass Bildungsprozesse sinnlich-körperlich anders verlaufen, wenn man intensive Erfahrungen mit dem Theater gemacht oder wenn man in seiner Kindheit und Jugend nie Theater gesehen oder gespielt hat. Wenn auch mit Otto-Friedrich Bollnow ganz allgemein gilt: „Erst durch die Beschäftigung mit den Werken des objektivierten Geistes, in diesem Fall mit den Werken der Kunst als Erzeugnissen menschlicher Gestaltung, die Sinne zu Organen einer differenzierten Auffassung“ [werden] (Bollnow 1988:31), so zeitigen die durch Machtverhältnisse ganz unterschiedlich bedingten Beschäftigungsformen und Kunstverständnisse eben auch unterschiedliche Formen der Sinnlichkeit und Körperlichkeit. In diesem Sinne schreiben sich die Machteffekte der Arenen der Kulturellen Bildung eben auch in die Körper ein (vgl. Lohwasser/Zirfas 2014).
3. Performative und inszenatorische Praktiken
Vielleicht etwas haarspalterisch soll im Folgenden zwischen dem Performativen und der Inszenierung unterschieden werden. Dabei steht bei beiden Begriffen die konkrete körperliche und soziale Praxis in den Arenen Kultureller Bildung im Mittelpunkt.
Wer heute vom Performativen spricht, greift in der einen oder anderen Variante auf eine der fünf zentralen historischen Referenzen zurück: auf die 1. performative Sprechaktphilosophie von John Austin, die Aussagen als Handlungen begreift, 2. auf die Transformationsgrammatik von Noam Chomsky mit ihrer Differenz von Performanz und Kompetenz, 3. auf die Kultur- und Theatertheorien der performance art, des Happening und des Fluxus, 4. auf die Genderdiskussion, in deren Verlauf Judith Butler den Begriff der Performativität als rituelle Zitierung des Geschlechts einführt, und schließlich 5. auf den Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ (FU Berlin), in dessen Verlauf vor allem die Momente Körperlichkeit, Referentialität, Flüchtigkeit, Kreativität, Darstellung, Emergenz und Wiederholung und Ritualisierung herausgearbeitet wurden.
Im Unterschied zum Begriff des Performativen, der stärker die präsentativen Dimensionen betont, zielt der Begriff der Inszenierung stärker auf die repräsentativen Momente, lässt sich doch unter Inszenierung (theaterwissenschaftlich) die Semiotisierung der Darstellung verstehen (vgl. Fischer-Lichte 1998). Dabei kommt der Inszenierung eine besondere Bedeutung zu: Inszenieren lässt sich als geplantes gestalterisches Handeln verstehen, das in Szene setzen von Handlungsabläufen, die kreative Rahmung von Bewegungsabläufen. Martin Seel (2001:50) versteht etwa Inszenierungen als „absichtsvoll eingeleitete oder ausgeführte sinnliche Prozesse, die vor einem Publikum dargeboten werden und zwar so, daß sich eine auffällige spatiale und temporale Anordnung von Elementen ergibt, die auch ganz anders hätte ausfallen können.“ Darüber hinaus bedeutet Inszenierung auch eine Effektsteigerung, eine Szenographie und Dramaturgie, die über eine Spannungssteigerung auf eine Klimax zielt. Dabei muss die Inszenierung als ein Vorgang verstanden werden, der etwas zur Erscheinung bringt, was sich primär der Wahrnehmung entzieht. Inszenierungen sind kreative Hervorbringungen eines nicht komplett in der Präsentation aufgehenden Abwesenden. Diese Idee lässt sich am Begriff der „Repräsentation“ verdeutlichen, der im Deutschen neben Vorstellung und Darstellung auch noch die Bedeutungen Stellvertretung und Vergegenwärtigung umfasst.
In den diversen Arenen Kultureller Bildung kommen die genannten Perspektiven des Performativen und der Inszenierung ganz unterschiedlich zum Tragen. Denn natürlich werden auch Diskurse der Kulturellen Bildung in einer bestimmten Form performiert oder inszeniert – ein Vortrag im Rahmen der Akademie der Kulturellen Bildung verläuft anders als einer in der universitären Aula im Rahmen einer Ringvorlesung – und natürlich lassen sich damit dann auch unterschiedliche (perlokutionäre) Effekte oder Feedbackschleifen zwischen Vortragenden und ZuhörerInnen ausmachen. Interessant erscheint hier die schon kaum mehr vermeidbare Rhetorik der Powerpointpräsentationen, die für die Konzeptionen Kulturelle Bildung eigentlich wie eine doppelte Einladung bzw. doppelte Herausforderung wirkt: denn in der Gestaltung wie im Verstehen erscheinen bei dieser Rhetorik ästhetische (rhetorische und inszenatorische) Kompetenzen als unerlässlich.
Neben diesem Schauplatz, der hier natürlich nicht zureichend behandelt wurde, gibt es aber vor allem die Arena der körperlichen und sozialen Darstellungsformen. Man kann hier zunächst schlicht und ergreifend an den Alltag denken, in der Kulturelle Bildung als Darstellungsform und Reflexionsgeschehen immer wichtiger wird. Je unübersichtlicher moderne Gesellschaften werden, je dichter das „Zeichengestöber“ (Sloterdijk) wird, in dem wir uns bewegen, desto mehr sind die Individuen darauf angewiesen, die für ihre Interaktionen und Kommunikationen zentralen Bedeutungsgehalte durch Stilinszenierungen zum Ausdruck zu bringen. Show-Effekte, Lifestyleinszenierungen und Imageattribuierungen spielen in einer zunehmend komplexer werdenden kulturellen Situation eine zentrale Rolle (Zirfas 2004). Gerade im Bereich jugendlicher Subkulturen – das Paradebeispiel bildet hier der Punk – zeichnen sich durch bewusste Verdrehungen und Subvertierungen scheinbar natürlicher Stilelemente die inszenatorischen Strategien der Stilschöpfungen besonders gut aus. Wie der Stil als absichtsvolle Kommunikation funktioniert, macht Dick Hebdige an der Kleidung deutlich:
„Somit beinhaltet die Wahl der Kleidung eine ganze Reihe von Botschaften, die sich durch eine genaue Reihenfolge ineinandergreifender Gegebenheiten mitteilen: Klasse und Status, Selbstbild und Attraktivität etc. Letztlich drücken sie zumindest das ,Normalsein‘ im Gegensatz zur ,Abweichung‘ aus, das heißt, sie geben sich durch ihre relative Unauffälligkeit, ihre Angepasstheit, ihre Natürlichkeit zu erkennen. Die absichtliche Kommunikation folgt jedoch einer anderen Ordnung. Sie steht abseits – eine sichtbare Konstruktion, eine mit Bedeutung beladene Wahl. Sie zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Sie will gelesen werden“ (Hebdige 1998:393f.).
Neben diesen alltäglichen Arenen der Stilpräsentationen und -inzenierungen lassen sich auch, bezogen auf die Arbeitsfelder Kultureller Bildung, von diversen Performanzen und Inszenierungen sprechen. So sind sowohl in Theorie wie in Praxis Kultureller Bildung Performativitäten und Inszenierungen aller Art gang und gäbe: Ob man sich für das Museum spezielle (altersgerechte) Führungsformate und theatrale Inszenierungen überlegt, sich für viele „Hands on“-Präsentationen mit Erfahrungscharakter stark macht, oder ob man Geschichte durch Mitmachprogramme und die Ausstellung von Trends und Stilen als Erlebnisparcours gestaltet – in der Zusammenarbeit von KuratorInnen, AusstellungsdesignerInnen und MuseumspädagogInnen wird der Aspekt der Inszenierung zunehmend auch pädagogisch bedeutsamer. Das gilt auch für die Zusammenarbeit von KünstlerInnen in Schulen oder in außerschulischen Kontext, wenn es darum geht, eine besondere (kreative) Atmosphäre herzustellen, oder einen persönlichen Kontakt zwischen SchülerInnen und KünstlerInnen anzubahnen, oder ganzheitliche Erfahrungsräume zu ermöglichen. Zu erwähnen ist hier schließlich auch das gesamte Marketing des Ästhetischen, das ja nicht nur als pädagogische Vermittlungsaufgabe, sondern auch eine ökonomische Verkaufsaufgabe und eine informationstechnische Serviceaufgabe darstellt, und bei dem Momente des Performativen ins Spiel kommen, wenn von der Attraktivität, der Identifikation, der Präsenz im Alltag, den richtigen Medien oder Kanälen etc. die Rede ist.
Explizit wie implizit geht es durchaus im Blickwinkel des Performativen um ein kulturelles Vollzugsgeschehen, das ebenso von funktionalen Bedingungen des Gelingens (Austin) wie von phänomenalen Bedingungen des Embodiment abhängig ist (Butler). Nicht umsonst ist in diesen Kontexten immer die Rede von Authentizität, Liveness, Präsenz, Auftritt, Öffentlichkeit, aber auch von Ganzheitlichkeit, Übung, Probe, Erarbeitung, aktiver Auseinandersetzung. Wer im Sinne der Kulturellen Bildung einen Wechselprozess zwischen sinnlicher Wahrnehmung, rationaler Auseinandersetzung und praktischem künstlerischen Handeln in Gang setzen will, erscheint somit immer stärker auf unterschiedliche Stile und Inszenierungen setzen zu müssen, um an möglichst viele Menschen anschlussfähig sein zu können. Hier konkurrieren die Arbeitsfelder Kultureller Bildung – gerade bei den jüngeren Menschen – mit den Medien: Fernsehen und Internet. Und sie konkurrieren zunehmend um ein jüngeres Publikum, etwa von sechs bis 12 Jahren.
4. Spielformen
Der Spielcharakter des Arenenbegriffs soll anhand eines metaphorischen Umwegs deutlich gemacht werden, und zwar über die Schrift von Hans Scheuerl Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen, die nicht versucht das Wesen des Spiels zu definieren, sondern es anhand von Merkmalen zu rekonstruieren und zwar durch: Freiheit, Unendlichkeit, Scheinhaftigkeit, Ambivalenz, Geschlossenheit und Gegenwärtigkeit (vgl. Scheuerl 1954).
Mit Freiheit ist bei Scheuerl die fehlende Zweckhaftigkeit bezeichnet, die Idee, dass das Spiel (idealiter) keinen anderen Zweck kennt als das Spielen; und dass es insofern frei ist von spezifischen Lebensnotwendigkeiten oder bestimmten gesellschaftlichen Anforderungen. Nun lassen sich auch für die Diskussionen und Praxen Kultureller Bildung oftmals nicht einem spezifischen Zweck unterstellen, sondern folgen i.d.R. mehreren, teilweise auch sich überschneidenden, kritisierenden oder ausschließenden Zwecken. Besonders beliebt ist hier die Debatte um die Funktionalität bzw. Disfunktionalität oder A-Funktionalität Kultureller Bildung, die immer wieder die Frage der zwecklosen Zweckhaftigkeit des Umgangs mit Kunst aufwirft (Zirfas 2009). Vielleicht lässt sich in der Kultureller Bildung auch deshalb so viel verzwecken, weil man ihre Effekte so wenig objektiv, reliabel und valide erforschen kann.
Wenn Scheuerl von Unendlichkeit spricht, so verweist er darauf, dass das Spielen einen Ewigkeitscharakter hat, auf ständige Wiederholung und auf möglichste Ausdehnung in der Zeit angelegt ist: Man kann sich nicht satt spielen. Die Frage nach der Kulturellen Bildung, bzw. danach, welchen Zweck, welchen Inhalt, welche Ursache und welche Form sie hat bzw. bekommen soll (causa finalis, materialis, efficiens, formalis), lässt sich ideengeschichtlich über die europäische Geistesgeschichte – und wohl auch über die Sozialgeschichte hinweg – verfolgen (vgl. Zirfas u.a. 2009; Klepacki/Zirfas 2011; Zirfas/Klepacki/Lohwasser 2014; Zirfas u.a. 2016).
Kulturelle Bildung war und ist in der abendländischen Geschichte unter je unterschiedlichen Facetten ein stetiges Feld der Debatten und der pädagogischen Praxis und ein Ende ist nicht abzusehen. Dieser Sachverhalt könnte zu einen damit etwas zu tun haben, dass Kulturelle Bildung, zumindest implizit und unbewusst, neben der moralischen und theoretischen als eine Grundbildung anzusehen ist, die, wenn man sich auch über Jahrhunderte hinweg vornehmlich auf moralische und/oder theoretische Zwecke bezogen hat, einer gesonderten Betrachtung und einer auf ihre Eigenlogik bezogene Praxis brauchte. Zwar war Kulturelle Bildung bis hin zur Aufklärung quasi allgemein verständlich, ohne allerdings vollkommen selbstverständlich zu sein. In den Arenen Kultureller Bildung war weitgehend Konsens, dass die schönen Künste und die mit ihr verbundenen Bildungsprozesse eine dienende Funktion haben, doch die Wechsel der Dienstformen und Dienstherren – von der Kirche, über den Staat bis hin zu gesellschaftlichen Teilgruppen – lässt sich durchaus auf dem Feld der Arenen deutlich machen.
Identifiziert man unter Scheinhaftigkeit nicht negativ illusionäres Zu-Sein-Scheinen oder bloße Einbildung, sondern positiv die Arena als Diskursebene, so wäre an dieser Stelle zu beleuchten, inwieweit die Diskurse Kulturelle Bildung in der Praxis ihre Effekte gezeigt haben. In diesem Sinne wären die diskursiven Arenen Kultureller Bildung als Theorieauseinandersetzungen von der Praxis für die Praxis (Klafki) zu verstehen, d.h. dahingehend zu betrachten, welche unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der Praktiken, Strategien und Institutionalisierungen jeweils in und mit ihnen vorgenommen worden sind. Gleichzeitig lassen sich die Arenen auch in ihrem mimetischen Bezug zu den Ordnungen, Werten und Normen der jeweiligen Gesellschaft, in der sie stattfinden, aufweisen. Die Arenen zeigen uns hier, welche sozialen und politischen Entscheidungen hier getroffen werden, welche Machstrukturen entscheidend sind und wie das Kunstdenken strukturiert ist. Kurz, die Arenen der Kulturellen Bildung sind (auch) eine mimetische Welt.
Mit Ambivalenz bezeichnet Scheuerl den Sachverhalt, dass das Spiel einen Zwischenzustand darstellt, einen Zustand, der von fundamentalen Spannungen durchzogen ist. Für moderne Theorien der Ästhetik oder der Kulturellen Bildung kaum noch von Belang und eher schulmeisterlich trocken erscheinen die bis in die Neuzeit enorm bedeutsamen Argumentationen im Kontext eines Wettstreits der Künste, des so genannten Paragone. In den Arenen Kultureller Bildung wird der Wettstreit einer Vorherrschaft der Künste ausgetragen, und die Architektur, die Dichtung, die Malerei, das Theater im Konzert der Künste favorisiert. Mit diesen Kämpfen sind nicht nur verschiedene Kunst-, Bildungs- und Wirkungsmodelle und nicht nur anthropologische Entwürfe, sondern auch Erkenntnistheorien, oder sogar Ontologien und Metaphysiken aller Art verbunden. In gewisser Weise dauert dieser Streit in der Schule bis heute an, weil mit ihm Kanonfragen, und damit auch Identitätsfragen zusammenhängen; so ist z.B. das Schultheater als drittes künstlerisches Fach immer noch nicht vollkommen etabliert und noch immer gilt der Sport einigen als nicht ästhetische Praxis.
Die Bestimmung der Geschlossenheit weist nach Scheuerl darauf hin, dass die spielerische Welt eine Welt für sich darstellt. Sie hat ihre eigenen Raum- und Zeitstrukturen, ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und Regularien, ihre spielerische Eigenlogik. Diese Facette lässt sich mit den Überlegungen zur Ordnung des Diskurses s.o. zusammendenken.
Doch macht dieser Gesichtspunkt darauf aufmerksam, dass man die Fragen nach dem Spiel auch darauf richten kann, wer überhaupt in der Arena der Kulturellen Bildung „spielen“ kann und wer nicht und wer darüber entscheidet, welche „Spiele“ dort gespielt werden (vgl. Liebau 1992).
Mit dem Titel Gegenwärtigkeit ist nach Scheuerl die Kehrseite von Zweckfreiheit, Unendlichkeit und Scheinhaftigkeit gemeint, nämlich die Zeitenthobenheit, die stehende Bewegtheit des Spiels. Dieses Spielmoment kann man historisch in einen Zusammenhang bringen mit dem Versuch, raum- und zeitenthobene Modelle der Kulturelle Bildung zu entwickeln. Im aktuellen Diskurs ist eher von einer doppelten Historizität die Rede, d.h. davon, dass sich sowohl Gegenstand wie Perspektive im Laufe der Geschichte ändern. Die Zeitenthobenheit ist der Zeitgebundenheit der Diskurse und Praktiken gewichen. Spätestens seit Wilhelm Dilthey weiß man, dass auch in der Kulturellen Bildung nichts für die Ewigkeit ist.
5. Kritiken
Der Begriff der „Kritik“, aus dem Rechtskontext von Philologie und Rhetorik stammend, verweist auf die Kunst des Scheidens und Trennens, des Entscheidens, Beurteilens und Anklagens. Die Arena ist auch ein Ort der Kritik oder der Grenzziehung. Wobei die kritischen Maßstäbe nicht ein für alle mal festgestellt werden können, sondern in der Arena in der Auseinandersetzung mit Gegenständen und Positionen immer wieder hervorgebracht wird, je anspruchsvoller, desto undogmatischer und origineller. Hierbei sind Bestimmungen dessen, was man unter dem Begriff der Kultur oder der Kulturellen Bildung versteht bzw. verstehen soll, weniger auf die methodischen Zugriffe, sondern auf die Sachverhalte selbst, ihre Komplexitäten und Vielgestaltigkeiten zurückzuführen. Zwar lässt sich – etwa im bildungstheoretischen oder auch anthropologischen Sinne – durchaus plausibel von einem Grundbegriff der Kulturellen Bildung sprechen, doch wohl eher im Sinne einer Problemformel, die man nicht nicht diskutieren kann. Die Kulturelle Bildung markiert Grenzen, etwa soziale oder kulturelle Geschmacksgrenzen, Grenzen der Entwicklung, der Zivilisierung, der Modernisierung, Grenzen zwischen dem Individuellen und dem Sozialen oder auch Grenzen zwischen dem Deskriptiven und dem Normativen, den Bedingungen und den Effekten. In diesem Sinne existiert Kulturelle Bildung immer neu als zu realisierender Verbund aus stabilen, faktischen Formen und variablen, geltungsbezogenen Verhältnisbestimmungen. Die Arenen Kultureller Bildung sind Krisenorte der Infragestellungen und Herausforderungen, in denen sich nichts von selbst versteht und in denen alle Faktizitäten und Geltungsansprüche nach kritischer Auslegung und Umsetzung verlangen. So gilt etwa in der Pädagogik nicht nur im Bereich Kultureller Bildung seit geraumer Zeit: Keine Realisation ohne Evaluation.
Unterscheiden lassen sich auch diverse Formen der Kritik Kultureller Bildung (vgl. Dielemann 2008:117-142; Konersmann 2010:94ff.):
eine ästhetische Kritik der Bedeutung von Kunst, Symbolik, Design und Zeichen;
eine restitutive Kritik, die die Unbeirrbarkeit ihres Urteils aus dem erhält, was zu allen Zeiten und Orten im Bereich Kultureller Bildung Gültigkeit beanspruchen kann;
eine selbstreflexive Kritik, als Kritik der Kulturellen Bildung im Namen der Kulturellen Bildung erfolgt;
eine historische Kritik, die den Ort ihrer kritischen Invektiven immer wieder neu fortschritts- oder verfallstheoretisch, hoch- oder populärkulturell austarieren muss;
eine heuristische Kritik der alltäglichen (gemeinschaftlichen) Lebensstile und Alltagsroutinen oder eine empirisch-deskriptive Kritik, die die Aufmerksamkeiten für die faits culturels der diversen Lebenswelten schärft;
eine bildungstheoretisch oder anthropologisch grundierte Kritik, die Leitformeln gelungener Kultureller Bildung zu präzisieren in der Lage ist;
eine ontologische Kritik der Limitierungen von wissenschaftlichen und technischen Rationalität und damit einer Betonung der Ganzheitlichkeit von Wahrnehmung, Wissen und Sein;
eine professionelle Kritik neuer und ungewohnter, hybrider und vernetzter Sichtweisen, die diverse Logiken und Leidenschaften zu kombinieren und auszuprobieren sucht;
eine Metakritik, die die Bedingungen der Möglichkeiten der Kritik Kultureller Bildung selbst noch einmal in den Blick nimmt.
Und schließlich lässt sich auch noch eine an der Arenen Kultureller Bildung selbst festgemachte Kritik benennen – eine Kritik im Sinne des Genitivus obiectivus –, die von anderen Diskurs- und Machtlogiken herrührt, etwa von ökonomischen, politischen, sozialen etc.
In diesem Sinne lassen sich gesellschaftliche, politische etc. Strukturen gerade artistisch und kulturell befragen und in Frage stellen. Kulturelle Bildung kann insofern als kritisches Korrektiv oder auch als Regulativ von Formen und Prozessen der Gesellschaft und Politik fungieren. Die Kulturelle Bildung befähigt zur Relativierung, zur Skepsis, zur Ironie und zur Kritik, aber auch zur Artikulation, zur Selbstvergewisserung, zum Experiment, zum Vernetzen – und nicht zuletzt zur Lebensfreude.
Zusammenfassend: Wer Arena als methodischen Begriff verwendet, betreibt Analytiken der Ordnung des Diskurses, der ihr inhärenten Machtbeziehungen, deren Darstellungs- und Inszenierungsformen sowie ihrer spielerischen und kritischen Dimensionen.
6. Kulturelle Bildung im Fokus der Arena
Warum und inwiefern sind gerade Kulturelle Bildungsprozesse in den diversen Arenen immer wieder zum Gegenstand der Auseinandersetzung geworden?
Historische These: Erst seit dem 18. Jahrhundert gibt es tiefergehende Auseinandersetzungen um den Status der Kulturellen Bildung. Grund dafür ist der Übergang aus einem metaphysischen Horizont zu diversen nachmetaphysischen Systemen. Hatten Ästhetik und Kultur im Laufe der Jahrhunderte eine der Philosophie oder der Theologie untergeordnete Rolle zu spielen, rückten sie in der Moderne zu einer Grundlagendisziplinen auf, die sich mit anderen in den Diskurs- und Machtarenen messen konnten. An die Stelle hierarchischer Verweisungszusammenhänge, die ihre eigene funktionsinterne (Verwertungs-)Logik der Kulturellen Bildung hatten, tritt ein offener und dynamischer Aushandlungsprozess der Funktionalitäten Kulturellen Bildung für eine horizontal geordnete Welt. Die alte, oftmals ontologisch bestimmte Konvergenz zwischen Zivilisierung und Bildung wird abgelöst durch die Versprechungen einer neuen funktionalistischen Einheit von Kultivierung und Bildung. Und von der Weltvervollkommnung wird umgestellt auf die Selbstvervollkommnung.
Legitimationsthese: Mit dem Wegfall des metaphysischen Horizontes werden vor allem Legitimationsfragen virulent, die auch vor der Kulturellen Bildung nicht Halt machen. Arenen der Kulturellen Bildung sind in diesem Sinne Krisenphänomene, reagieren sie doch auf ein in der Neuzeit nicht mehr zureichendes Legitimationspotential. So wundert es nicht, dass seit den ästhetischen Entwürfen der Aufklärung und Romantik der Kunst immer wieder eindeutig positive Bildungswirkungen attestiert, d.h. personale und soziale, künstlerische, kulturelle und ästhetische, praktische und reflexive, lern- und leistungsbezogene etc. Fähigkeiten identifiziert werden, die man im Kontext Kultureller Erziehung und Bildung erwerben kann. 1993 haben dann Hans-Jörg Didi u.a. in einem Resümee 600 sog. Schlüsselqualifikationen beschrieben, die in diesem Kontext zu verschiedenen Zeiten relevant waren, etwa Durchhaltevermögen, Anpassungsfähigkeit, Taktgefühl, Phantasiefähigkeit, Kreativität u.a. Doch ist weder geisteswissenschaftlich-normativ noch sozialwissenschaftlich-empirisch geklärt, welche Ziele inwieweit durch Kulturelle Bildung verfolgt werden sollen, bzw. welche auch verwirklichbar sind. So sind etwa zwischen den durch die Beschäftigung mit der Kunst sich ergebenden Bildungszielen Autonomie und Authentizität oder auch zwischen Selbstverwirklichung und Solidarität nicht geklärte normative Widersprüche auszumachen; und es ist empirisch ebenso ungeklärt, ob sich etwa die genannten ästhetischen Kompetenzen ausschließlich dem Kunstunterricht in der Schule verdanken und ob diese auch für das spätere Leben „nachhaltige“ Relevanz besitzen.
Institutionelle These: Damit verbunden ist vor allem die bis heute andauernde Auseinandersetzung um den pädagogischen Status der Kunst und um den künstlerischen Status des Pädagogik. So kann eine Geschichte der Kulturellen Bildung ohne Mühe dokumentieren, dass die Instrumentalisierung der Ästhetik für politische, soziale, religiöse etc. Zwecke ein durchgängiges pädagogisches Modell bildet. Mit dem sich seit der Aufklärung etablierenden neuen Verständnis der Kunst, der Erweiterung der Philosophie durch eine eigenständige Ästhetik, der zunehmenden Bedeutung von Subjektivität und Individualität und nicht zuletzt durch die bildungstheoretischen Überlegungen in Folge der Theorien von Herder und Humboldt, lässt sich Kulturelle Bildung allerdings kaum mehr auf objektivierbare, allgemeine Geschmackskriterien, außerästhetische soziale Lernzielstandards und Instrumentalisierungen aller Art beziehen. Insofern ist es fraglich, inwieweit die kulturellen Bildungsprozesse als Pädagogisierung durch die Ästhetik, als Didaktik der Kunsterziehung zur Ästhetik, oder vor allem als individuelle kulturelle Bildungsprozesse im ästhetischen Kontext verstanden werden müssen.
Anthropologische These: Obwohl sich ästhetische Wahrnehmungen und Erfahrungen auch an nicht künstlerischen Gegenständen gewinnen lassen, besitzen kunstförmige Gegenstände insofern eine erhöhte bildungstheoretische wie -praktische Bedeutsamkeit, als sie in der Lage sind, ein verdichtetes Spiel von Erscheinungen und Bedeutsamkeiten zu evozieren. Diese Einschätzung trifft sowohl auf die antike wie mittelalterliche Idee der Kunst als techne – als ein praktisches, auf Herstellung zielendes Wissen, ein regelorientiertes Handwerk –, wie auf die neuzeitliche Kunstvorstellung, als kreatives, dem Neuen, Originellen und Irritierenden verpflichtetes Schaffen, zu (vgl. Ullrich 2005). Denn seit dem Beginn der Neuzeit hat die Kunst nicht mehr (nur) die Funktion, das Zweckmäßige und Notwendige hervorzubringen, sondern auch diejenige, die Möglichkeiten des Lebens zu vervielfältigen. Während der Kunst in der Antike und dem Mittelalter Verbindlichkeit, Strenge, Kodifizierung und Verpflichtung zukam, wird die Kunst in der Moderne oftmals mit dem Veränderlichen, Möglichen, Virtuellen und Originellen in Verbindung gebracht. Heute versteht man unter Kunst in der Regel nicht die aus der Praxis ableitbaren Regeln oder die Mimesis der wahren Wirklichkeit, sondern Kunst hat mit Kreativität, Erneuerung, Expressivität und Schöpferischem zu tun.
Dass Kunst Menschen in einer, mit kaum einer anderen Lebenspraxis zu vergleichenden, Intensität zu bilden imstande ist, haben Erzieher zwar seit Platons Zeiten immer wieder gefürchtet, aber auch in ihrem Sinne instrumentell zu nutzen gewusst. Kunstwerke und kunstspezifische Handlungsformen sind immer auch Ausdruck und Reflexion eines, je nach historisch-kultureller Situation, spezifisch gestalteten menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses, das in seiner Gestaltung, Wahrnehmung und Erfahrung für die Pädagogik immer – und auch und gerade in ihren kunstkritischen und -negierenden Tendenzen – hoch bedeutsam war. Denn Kunst hat es von Hause aus mit Wahrnehmung, Ausdruck, Gestaltung und Darstellung, eben mit Sinnlichkeit zu tun.
Es ist der Körper-Leib, der als die eigentliche Arena Kultureller Bildung gelten muss. Kulturelle Bildung ist nicht nur Kampf um den Geist, sondern vor allem Kampf um den Körper.